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Ein Deep Dive in die bizarre Welt der Influencer, die eigentlich nicht existieren

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Auf den ersten Blick wirkt Laserbolt wie ein normaler YouTuber: Er rezensiert die neuesten Videospiele, erstellt Game-Guides und promotet Produkte verschiedener Gaming-Marken. Aber obwohl Laserbolt in seinen Videos sehr menschlich klingt, tritt er in den sozialen Medien ausschließlich computeranimiert auf. Laserbolt ist nämlich nicht echt.

Ein “nicht alternder, 23-jähriger digitaler Mensch”. So wird Laserbolt beschrieben, seine Entstehungsgeschichte vermischt Fantasie und Realität: Laserbolt soll auf seinem Heimatplaneten Telsa eine berühmte Persönlichkeit in der Gaming-Welt gewesen sein, bis ihn ein mysteriöses Portal auf magische Weise auf die Erde transportierte. Jetzt ist er Content Creator bei GamerFuzion, einem Portal für Gaming-News und -Reviews. 

Videos by VICE

Ein digitales Avatar zeigt einen jungen Mann mit dunklen Haaren, der in die Kamera lächelt
Das ist Laserbolt | Bild bereitgestellt von GamerFuzion

Laserbolts Hintergrundgeschichte ist vielleicht erfunden, aber seine Social-Media-Followerschaft ist echt. So hat er bei YouTube über 220.000 Abonnentinnen und Abonnenten.

“Im Grunde bin ich ein Mensch wie ihr, bloß in digitaler Form”, heißt es in einer E-Mail an VICE, die Laserbolt geschrieben haben soll. Seine Schöpfer, die wir kontaktiert haben, bleiben lieber bei den Geschichten, die sie sich für ihre virtuellen Charaktere ausgedacht haben. In der E-Mail steht weiter: “Ich bin extrovertiert, direkt, entschlossen und Single.”

Egal ob Instagram-Sternchen Lil Miquela oder Synth-Popstar Hatsune Miku, inzwischen weiß man, dass man kein echter Mensch sein muss, um berühmt zu werden.

Virtuelle Influencerinnen und Influencer werden auch deswegen immer beliebter, weil sie komplett ohne Skandal auskommen – in der Welt des Social-Media-Marketing ein enorm wichtiger PR-Trumpf. Im Gegensatz zu ihren menschlichen Pendants, die wegen eines anstößigen Tattoos oder eines Konflikts mit dem Gesetz schnell gecancelt werden, kommt es bei virtuellen Influencern kaum zu persönlichen Eklats. Die Verantwortlichen haben die volle Kontrolle über das Handeln ihrer Schützlinge und können sich auch in Sachen Aussehen frei austoben. Der Ausdruck “unrealistische Schönheitsstandards” ist hier wörtlich zu nehmen.

“Viele tun uns virtuelle Influencer direkt ab, aber ich bin mehr als nur ein hübsches Gesicht.”

In der wachsenden Blase der virtuellen Influencerinnen versuchen die Unternehmen hinter den Avataren die Grenzen der virtuellen Welt auszuloten und die Beziehungen zum Publikum immer weiter zu intensivieren.

Ein Beispiel: Als die japanische, virtuelle Instagrammerin imma in einem emotionalen Post um Rat wegen eines angeblichen Streits mit ihrem Bruder bat, füllte sich die Kommentarspalte schnell mit vielen persönlichen Geschichten von kaputten Familienbeziehungen und einer Menge unterstützenden Antworten. Es war vollkommen egal, dass imma – wie ein User schrieb – eigentlich nur “digitale Fake-Tränen” weinte.

Seit ihren Anfängen im Jahr 2018 hat imma bei Instagram über 350.000 Followerinnen und Follower angesammelt. Bei TikTok sind es fast 250.000. Sie hat sich in der Influencer-Szene einen Namen gemacht, brachte zusammen mit Amazon eine Modekollektion heraus und entwirft ihre eigenen virtuellen Klamotten. 

Man könnte imma also ohne Probleme als Influencerin bezeichnen. Ihr Schöpfer Takayuki Moriya ist bei diesem Ausdruck jedoch vorsichtig, er beschreibt sie lieber als “virtuellen Menschen”.

“Ich finde es immer wichtiger, darüber nachzudenken, bei was man die Leute beeinflussen will”, sagt Moriya, der auch CEO von Aww Inc. ist, einem Unternehmen extra für solche Avatare. Er wolle vor allem, dass immas Fans mit ihr mitfühlen und eine Verbindung zu ihr aufbauen können.

Natürlich klingt es erstmal ziemlich bizarr, eine authentische Persönlichkeit für eine virtuelle Person zu erschaffen. Aber wenn man sich das Ausmaß der Unterstützung ansieht, die imma während ihres kleinlichen Geschwisterstreits bekam, scheint es so, als ob sich die Fans der Social-Media-Figur bereits komplett verschrieben haben.

Um die Authentizität so weit wie möglich hochzuschrauben, setzen sich einige virtuelle Influencerinnen für soziale Zwecke ein und zeigen bei Social Media, welchen Hobbys sie nachgehen.

Rae, eine virtuelle Influencerin aus Singapur, begeistert sich beispielsweise für Kunst und Skateboarden. An sich ist über die junge Frau aber nicht viel Konkretes bekannt, außer dass hinter ihr eine Organisation namens Team Rae steht. Und dieses Team Rae bleibt lieber anonym und hält an der Hintergrundgeschichte fest: Rae ist eine für immer 25 Jahre alte digitale Künstlerin.

Vergangenen Januar war Rae zusammen mit der chinesischen Rapperin VaVa – einer echten Person – auf einem Magazincover zu sehen.

“Bei uns hat es sofort geklickt! Wir beide sind überzeugt davon, Klischees zu durchbrechen und zu zeigen, dass wir Mädels etwas verändern können, wenn wir Talent, Leidenschaft und harte Arbeit zusammenbringen”, heißt es in einer E-Mail an VICE, die angeblich Rae geschrieben hat.

2016 betrat die wahrscheinlich berühmteste virtuelle Influencerin Lil Miquela mit ihrer typischen Ponyfrisur und ihrer Zahnlücke zum ersten Mal die Social-Media-Bühne. Schnell wurde sie ein voller Erfolg. Seit fünf Jahren unterhält sie ihre drei Millionen Followerinnen und Follower regelmäßig mit Lifestyle- und Fashion-Content.

In dieser Zeit ist Lil Miquela immer 19 Jahre alt geblieben. Nicht zu altern, ist ein weiterer Vorteil, den virtuelle Influencerinnen gegenüber Menschen haben. Vor diesem Hintergrund ist dann aber Sylvia entstanden – quasi als Gegensatz zu den permanent jungen virtuellen Influencern.

“Virtuelle Influencerinnen haben mich als Trend und als Storytelling-Werkzeug total interessiert”, sagt Ziv Schneider, Creative Technologist am Brown Institute for Media Innovation, gegenüber VICE. Also erschuf sie Sylvia, eine virtuelle Influencerin, die vor den Augen des Social-Media-Publikums alterte.

Von Juli bis November 2020 – Schneider beschreibt diesen Zeitraum als “fünfmonatige Performance” – häufte Sylvia über 2.700 Followerinnen und Follower bei Instagram an. Die Leute fühlten sich ihr verbunden, obwohl sie nicht real existierte und nicht dem typischen Bild einer hübschen Social-Media-Influencerin entsprach. Sylvias achtzigster Post war auch ihr letzter. Eine symbolische Zahl, denn sie war 80 Jahre alt, als sie starb – oder besser gesagt, als ihre Performance endete.

“Ich war total überrascht davon, wie zugetan die Leute der Figur und dem Account in diesen fünf Monaten waren”, sagt Schneider. “Viele Follower konnten sich voll mit Sylvia identifizieren. Es scherte sie nicht, dass sie alt war.”

Laut Schneider habe Sylvia aber auch viel Kritik von Menschen geerntet, die das Konzept von virtuellen Influencern von vornherein ablehnen. “Es ist sehr gefährlich, wenn man nicht mehr zwischen echten und unechten Personen unterscheiden kann”, heißt es zum Beispiel in einem Kommentar unter einem von Sylvias Posts. “Sylvia ist kein echter Mensch.”

Das Misstrauen gegenüber den virtuellen Influencerinnen hält ihre Schöpferinnen und Schöpfer aber nicht davon ab, sie im virtuellen Raum ein immer menschlicher erscheinendes Leben leben zu lassen. 

“Viele tun uns virtuelle Influencer direkt ab, aber ich bin mehr als nur ein hübsches Gesicht”, steht in der E-Mail von Rae, der virtuellen Influencerin aus Singapur. “Und es ist eigentlich ganz schön, in diesem Raum zwischen der echten und der virtuellen Welt zu leben und zu agieren.”

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