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Twitter

Die Bundesregierung merkt gerade, wie unberechenbar Twitter-Kampagnen sind

Rechte und Pöbler kaperten unter #demokratieleben eine Kampagne des Familienministeriums.

Die großen Marken haben es mittlerweile alle gecheckt: Hashtags sind gefährlich, vor allem auf Twitter. Wie sehr das nach hinten losgehen kann, wenn man mal eben "die User" für das eigene Branding einspannen will, hat schon die Berliner Verkehrsgesellschaft BVG gelernt: Kurz nachdem sie den Hashtag #weilwirdichlieben auf Twitter losgelassen hatte, hagelte es einen Sturm von Kommentaren wütender Pendler, die ihrem Hass auf Verspätungen, Ticketpreise und vollgekotzte Sitzbänke freien Lauf ließen. Von der Liebe blieb nicht viel übrig.

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Die meisten Marken und Konzerne sind deshalb vorsichtiger geworden bei unkontrollierbaren Social-Media-Kampagnen. Bei der Bundesregierung ist das offenbar noch nicht angekommen, und deshalb hat das Familienministerium schon vor einiger Zeit den Hashtag #demokratieleben in die Welt bzw. auf Twitter geworfen. Das Ganze war Teil einer groß angelegten Kampagne, für die das Ministerium von Manuela Schwesig (SPD) laut eigener Angaben 2,9 Millionen ausgegeben hat. Dazu gehört sogar ein Musikvideo inklusive Song von Rio Reiser, das gegen Ende hin allerdings verblüffend nach Jan Böhmermanns Plattitüden-Verarsch-Video "Menschen Leben Tanzen Welt" klingt – nur dass die Plattitüden hier eben ernst gemeint sind.

Da der heutige Dienstag der "Tag der Verfassung" ist, wollte man offenbar dafür sorgen, dass die Kampagne pünktlich dafür noch einmal so richtig Fahrt aufnimmt. Also bezahlte das Ministerium Twitter Geld, damit der Hashtag ganz oben in den "Deutschland-Trends" gelistet wird – versehen mit dem Hinweis, dass es sich um einen "gesponserten" Trend handelte.

Auf einmal bekam der Hashtag viel mehr Aufmerksamkeit. Aber eben nicht die, die man sich erhofft hatte. Vor allem rechte User sprangen auf den Tag auf und ließen ihrem Frust über die Demokratie freien Lauf. "Mit #demokratieleben meinen etablierte Politiker ihre linke & grüne Soße überall verteilen zu können, inkl. der Vernichtung Andersdenkender", lautet ein typischer Tweet, andere schimpfen über die "Indoktrination", über Zensur oder vermeintliche Wahlfälschungen. Eine ziemlich großer Anteil der Tweets unter #demokratieleben regt sich auch einfach über die "Steuerverschwendung" auf, die die Kampagne bedeute.

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Richtige Probleme bekam die Kampagne allerdings, als die Hashtags zum Anschlag in Manchester in der Nacht zum Dienstag nach oben kletterten – und #demokratieleben immer noch (künstlich) an der Spitze der Deutschland-Trends thronte.

Das machte die Leute richtig wütend. "#demokratieleben und in einem Terroranschlag sterben #Manchester – Der Plan der politisch korrekten", schreibt ein User, "Jetzt verstehe ich #Demokratieleben: Demokratisch abschlachten lassen", ein anderer. Manche vermuten sogar einen Manipulationsversuch der Regierung:

Am frühen Vormittag versuchte das Ministerium noch einmal, die Geschichte umzudrehen und darauf hinzuweisen, dass ein Terroranschlag Demokratie nicht weniger sinnvoll macht:

Aber es war zwecklos. Gegen 11 Uhr verschwand der Hashtag aus den Deutschland-Trends. Offenbar hatte man entschieden, dass heute einfach nicht der richtige Tag ist, um fröhlich für Demokratie zu trällern.

Update, 17.15 Uhr: Ursprünglich sprach der Artikel davon, dass die Twitter-Kampagne 100 Millionen Euro gekostet habe. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat sich darauf mit folgender Stellungnahme an VICE gewandt:

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