Zwischen Dancefloor, Klokabine und Darkroom kann man es schnell mal vergessen: Im Nachtleben steckt sehr viel harte Arbeit. Die Profis hinter deinen Exzessen haben sich letzte Woche in Berlin getroffen, um auf der ersten lokalen Nachtleben-Konferenz, der “Stadt nach Acht”, all das zu diskutieren, was den schönsten Teil deiner Woche ausmacht.
Auf den Tanzflächen der Clubs Watergate und Musik und Frieden sprachen sie über Chemsex und Drogenkonsum—und was sie machen können, damit du all das überlebst. Aber auch über Erwachsenendinge wie Nachtökonomie und Stadtentwicklung. Denn was vor langer Zeit mit schlechten Anlagen in besetzten Häusern begonnen hat, ist mittlerweile ein eigener Wirtschaftszweig, der sich das radikale Individualisten-Dasein nicht mehr wirklich leisten kann. Und jetzt kommt die Überraschung: Das ist gut so.
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Zwischen lässigen Berliner Szenemenschen, optisch weitaus interessanteren Stargästen wie Steven Raspa vom Burning Man (Türkises Sakko, John-Lennon-Brille, hoher Zylinder) und mit dem vom Programmheft versprochenen “Geruch der Nacht” in der Nase hetzte man also drei Tage durch die Clubs und verpasste trotzdem die Hälfte der Panels. Über die Themen der Konferenz hast du dich bestimmt auch schon mal in irgendwelchen WG-Küchen aufgeregt: schwindende Freiräume, lärmempfindliche Zugezogene, Drogenge- und missbrauch und Politiker, die über all das entscheiden, ohne davon oftmals auch nur die leiseste Ahnung zu haben.
Gut zu wissen, dass es Leute gibt, die von all dem sehr viel Ahnung haben—und die Kraft aufbringen, mit einem Bein auf der Tanzfläche und dem anderen in der Politik zu stehen. Marc Wohlrabe, seit den Neunzigern überzeugte “Raversau”, ist so einer. Vor 15 Jahren hat er die Clubcommission initiiert und bestätigt jetzt: “Wir werden immer mehr als ernstzunehmender Gesprächspartner wahrgenommen. Jetzt müssen wir pragmatische Lösungen anbieten. Die Gesellschaft lebt davon, dass man sich politisch engagiert. Das steht jedem frei. Es ist nur ein bisschen anstrengend.” Wohlrabe selbst wirkt allerdings immer sehr unangestrengt, selbst als wir zum sechsten Mal unterbrochen werden: “Komm, wir gehen noch ins KitKat: Sex-Lesung! Ja, es geht immer weiter! Komm, das ist Berlin!” Flexibel bleiben und schnell reagieren, das können sie im Nachtleben.
“Seien Sie noch lauter!”, sagt Kai Wegner von der CDU—und meint damit nicht unbedingt den Bass.
Was man von der Politik nicht unbedingt behaupten kann. Dort kommt erst jetzt langsam an, was jeder Berliner Toilettenkraft seit den Neunzigern klar ist: Dass Menschen nachts gerne Geld ausgeben. Und je klarer die Statistik, desto offener die Politik. Wie Kai Wegner von der CDU, der in der Diskussionsrunde “Urbane Mythen und Dirty Reality” tatsächlich mit Nachdruck fordert: “Seien Sie noch lauter!” Wobei er allerdings die Lobbyarbeit der Szene meint und nicht unbedingt den Bass.
Auch in Sachen Drogenpolitik bewegt sich gerade einiges. Nach 20 Jahren Kampf scheint es nun so gut wie sicher, dass das “Drug-Checking” in Berlin eingeführt wird: Das haben SPD, LINKE und Bündnis90/Die Grünen in ihrer Koalitionsvereinbarung (PDF) festgesetzt. Bald kannst du also deine Substanzen wie in der Schweiz auf Reinheitsgrad und Zusätze testen lassen, und musst sie nicht mehr auf “gut Glück” nehmen. Die BEST-Initiative wiederum, ein Schulungsprogramm für Barkeeper und Türsteher zum Umgang mit trippenden Gästen, “wurde regelrecht überrannt, weil die Clubs so ein Interesse daran haben”, sagt Mark Wohlrabe. Und nach Insider-Informationen steht das Sisyphos gerade als erster Club Berlins mit dem Verein eclipse e.V. in Verhandlungen, dauerhaft einen Raum für psychedelische Ambulanz einzurichten.
Nachdem die Politik jetzt eher aus wirtschaftlichem Interesse die Bedeutung des Nachtlebens entdeckt hat, muss ihr nun klar gemacht werden, dass die Tanzfläche, und das was auf ihr passiert, vor allem Gold für den Kopf ist.
Wie letztens schon das Finanzamt Berlin-Brandenburg erkennen musste: Ein DJ-Auftritt im Berghain hat mehr mit der Kunst zu tun, die in einer Philharmonie stattfindet (“Hochkultur”), als mit der Karnevalsfete in der Dorfkneipe (“Unterhaltung”)—auch wenn auf beiden Events “nur” DJs spielen. Deswegen sind nicht nur die Läden wichtig, die das große Geld abwerfen, sondern gerade die, in denen sich weiterhin kreativ ausprobiert werden darf.
Und das Geld ist da, wenn man den motivierenden Reden von Karsten Schölermann glaubt. Er ist als Betreiber des Knust ein Urgestein der Rock-Szene in Hamburg: “Die ganze Kreativszene hat sich doch aus Selbstausbeutung heraus aufgebaut. Jetzt schulden die uns was. Das Geld ist im System. Wir fragen einfach – und dann sollen sie es noch verdoppeln!”
Doch mit dem Organisieren und Fordern tut sich die Szene teilweise schwer. Manchmal kommt es einem so vor, als würde sie gerade erwachsen werden und überlege sich jetzt, ob sie das überhaupt will. Viele wollen sich abgrenzen und unabhängig bleiben.
Der freigeistige Ansatz, in der Kunst natürlich unentbehrlich, verbietet es manch idealistischem Kollektiv, sich zu fügen. Was es wiederum der Clubcommission schwer macht, als Lobby zu agieren, wie Pressesprecher Lutz Leichsenring beim internationalen Treffen der Nacht-Botschafter andeutet: “Wenn du für alle sprechen willst, hast du sofort eine Opposition.”
Wenn wir alle allerdings, wie wir uns nachts mit großen Pupillen immer wieder bestätigen, die Utopie eines besseren Zusammenlebens von der Tanzfläche in die Welt hinaustragen wollen, dann müssen Träumer und Realisten öfter mal das Schnapsglas teilen. Gutes Beispiel: Um in Berlin auf Brachflächen Open Airs zu veranstalten, müssen erst mal etliche Formulare ausgefüllt werden—ein Punkt, an dem Viele, die sich einfach mal ausprobieren wollen, schon aufgeben. Die Clubcommission hilft dem Nachwuchs jetzt seit zwei Jahren mit einem “Free Open Air” Workshop dabei.
Die Szene braucht Leute, die ihr Studium durchziehen, statt DJ zu werden, und neben Beatport-Charts auch Statistiken auswerten können.
Die Szene braucht die Kreativen mit ihren Ideen und Visionen genauso wie die, die den Laden durch logisches Denken und Excel-Tabellen am Laufen halten. Sie braucht Leute, die den Menschen an den entsprechenden Stellen und Ämtern die Schönheit der Nacht erklären—am besten, weil sie selbst in diesen Ämtern arbeiten. Leute, die ihr Studium durchziehen, statt DJ zu werden, und neben Beatport-Charts auch Statistiken auswerten können. Die die Nerven haben, sich mit jenen abstrusen Gesetzen auseinanderzusetzen, die Clubbetreibern vorschreiben, wie viel Dezibel bei geöffnetem Fenster am Kopfkissen der nächsten Privatwohnung ankommen dürfen, nachdem die vierspurige Straße weggerechnet wurde (kein Witz). Leute, die die bemerkenswerte Ausdauer besitzen, sich von den langsamen Mühlen der Politik nicht zermalmen zu lassen. Oder die sich mit Steuern auskennen—wie man hört, kämpft damit gerade sogar das mehr als erfahrene Fusion-Festival.
Es liegt jedenfalls ein “ein Arsch voll Arbeit” vor der Clubszene, das hört man hier in fast jedem Panel. Und vielen, die das teilweise seit Jahrzehnten machen, geht langsam die Puste aus. Kein Wunder, “das ist alles nicht sexy und furchtbar trocken”, gibt sogar Meisteroptimist Wohlrabe zu. Vielleicht wäre es also sinnvoll, Partyrabatte für Politik-, Jura- und BWL-Studenten einzuführen, um die angehenden Profis möglichst früh auf “unsere”, die Seite der Szene zu ziehen? Ganz nach dem Motto: “Come to the dark side, we have Space Cookies…“
Denn erst wenn der letzte Bass verklungen, der letzte Trip abgeebbt und der letzte Club seine Pforten für immer geschlossen hat, wird dir klar werden, dass man in Eigentumswohnungen nicht tanzen kann.
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