Einfach so hat er sich in unser Leben geschlichen. Eines Tages tauchte er in unseren Feeds auf und ehe wir uns versahen, waren wir süchtig nach Likes. Oder etwas präziser: nach einem Maßstab dafür, wie sehr andere unsere Meinungen und Gedanken schätzen. Dieser simple Mechanismus veränderte die ganze Funktionsweise des Internets. Heutzutage hat jede soziale Plattformen eine Art Like-Button und ganze Firmen, Ideen und Bewegungen stehen oder fallen mit der Anzahl ihrer “Gefällt mir”-Klicks. Als jemand, der mit Internetcontent seine Brötchen verdient, mag ich da etwas voreingenommen sein, aber für mich hat die Einführung des Like-Buttons das Internet nicht weniger dramatisch revolutioniert als das iPhone.
Aber wie ist es dazu gekommen? Wie hat ein so unscheinbares Feature auf einer Social-Media-Plattform einen derartig fundamentalen Punkt in der menschlichen Psyche getroffen? Um das herauszufinden, habe ich mit Leah Pearlman gesprochen. Die ehemalige Facebook-Mitarbeiterin war maßgeblich an der Entstehung des Like-Buttons beteiligt, heute zeichnet sie Comics.
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VICE: Wie bist du damals bei Facebook gelandet?
Leah Pearlman: Ich war schon immer begeistert von Mathe. Ich liebe es, Probleme zu lösen, und ich liebe es, die richtige Antwort zu finden. Meine Begeisterung dürfte auch damit zu tun gehabt haben, dass ich als Mädchen in der Mathematik war und das fühlte sich einfach cool an. Ich habe mich also richtig ins Mathestudium gehangen und den Abschluss an der Brown University in Computerwissenschaften gemacht. Als erstes bekam ich einen Job bei Microsoft. Dort habe ich dann zwei Jahre gearbeitet, besonders inspirierend fand ich es dort allerdings nicht. Ein paar Freunde sind dann rüber zu Facebook und ich war wirklich begeistert von ihrem Produkt. Ihre Seite hatte ein außergewöhnliches User-Design und insgesamt etwas Magisches. Also habe ich mich beworben. Ich war 23 und da waren einfach 100 andere 23-Jährige, die zusammen im gleichen Büro gearbeitet haben. Alle waren sehr intelligent und witzig. Das war 2006 und über allem schwebte eine gewisse Magie. Das habe ich sofort gespürt.
Hatte Mark Zuckerberg auch etwas Magisches?
Ich würde ihn als einen meiner Lieblingsmenschen auf dem Planeten bezeichnen. Er ist vor allem auch so genial, weil er eigentlich kein Perfektionist ist. Er hat immer wieder gesagt: “Ja, wir werden damit ein paar Leuten vor den Kopf stoßen und es wird in manchen Bereichen nicht funktionieren, aber wir machen es trotzdem.” Ein Facebook-Motto war “move fast, break things” – und so war er auch drauf. Ich würde ihn als Vorbild bezeichnen.
Aus dem VICE-Netzwerk: Für ein bisschen Internet-Ruhm isst Shoenice22 alles
Wie ist der Like-Button entstanden? Welches Problem wolltet ihr damit lösen?
Wir nannten es das “Redundanzproblem”. Wenn zum Beispiel jemand geschrieben hat “Wir heiraten!”, dann hattest du lauter Kommentare mit “Glückwunsch!”. Ich fand das ästhetisch extrem hässlich, allerdings kam noch dazu, dass man die persönlicheren Kommentare unter den ganzen Redundanten kaum gefunden hat. Ich wollte also zwei Probleme auf einmal lösen.
Erinnerst du dich noch an deinen Heureka-Moment?
Es war mehr eine Evolution. Am Anfang gab es die Idee zu einem sogenannten “Bomb-Button”. Das war eine ähnliche, aber etwas andere Sache, die einem Freund eingefallen war. Er postete es in unserem Ideen-Board, aber irgendwie bekam er kaum Aufmerksamkeit. Ich habe dann eine leicht abgeänderte Version erstellt und sie den “Awesome-Button” genannt. Das Team wurde aufmerksam und wir haben alle zusammen daran gearbeitet. Es war ein Gemeinschaftswerk.
War das Design nicht schwierig?
Ja! Es war sogar extrem schwierig. Verschiedene Symbole gelten in manchen Ländern als unangemessen. Manche Worte funktionieren nicht. “Awesome” klang zu jung, “Love” zu kitschig. Die Designer wurden immer frustrierter und haben das Projekt verlassen. Am Ende brauchten wir ein neues Team. Dann hatten wir das Design und Mark sagte: “Es wird ‘Like’ mit einem Daumenhoch. Baut es und raus damit. Fertig.”
Erinnerst du dich noch an den Moment, in dem es durch die Decke gegangen ist?
Es war sofort ein Erfolg. Ich erinnere mich noch an dieses befriedigende Gefühl von: “Ich wusste es!” Die Zahlen gingen sofort durch die Decke. Aus 50 Kommentaren wurden 150 Likes. Die User fingen an, mehr Status-Updates zu machen, und so gab es viel mehr Content. Es funktionierte einfach.
Das war 2009. Wie stehst du zum Like-Button heute, acht Jahre später?
Am Anfang fand ich diese Sache, die wir da gebaut hatten, großartig. Vor zwei Jahren merkte ich dann allerdings, dass die Newsfeed-Algorithmen sich geändert hatten. Bestimmte Inhalte wurden dadurch nicht mehr so gut verbreitet. Etwa zur gleichen Zeit hatte ich auch damit angefangen, Comics zu zeichnen und sie mit der Welt zu teilen. Ich postete sie bei Facebook und bekam immer mehr Fans. Ich habe es geliebt. Als Facebook dann seinen Algorithmus änderte, bekam ich plötzlich viel weniger Likes. Es war, als ob ich nicht genug Sauerstoff zum Atmen hätte. “Moment, ich habe mein Herz in dieser Zeichnung ausgeschüttet und sie bekommt nur 20 Likes?” Auch wenn ich es auf den Algorithmus schieben konnte, dachte sich etwas in mir: “Die mögen mich nicht. Ich bin nicht gut genug. Ich muss Werbung kaufen!”
Du hast Werbung gekauft?
Ja, ich wollte die Aufmerksamkeit zurück – auch wenn mir das unglaublich peinlich ist. Ich glaube, das ist das erste Mal, dass ich das offen zugebe.
Fühlst du dich denn verantwortlich für das, was du dem Internet angetan hast?
Ich habe das Gefühl, mich verantwortlich fühlen zu müssen, aber ich tue es nicht. Es war damals die richtige Entscheidung und es gab einfach keine Alternative. Mein Mitbewohner arbeitet an künstlicher Intelligenz und viele Leute sagen ihm, dass er damit aufhören soll. Wir können aber einfach nicht – im wahrsten Sinne des Wortes. Irgendjemand wird es am Ende bauen. Es gibt einfach keine Möglichkeit, es nicht zu tun. Ich fühle mich also nicht verantwortlich.
Du gibst also zu, dass du verändert hast, wie das Internet funktioniert, auch wenn du dich nicht verantwortlich fühlst?
Kennst du diese Folge von Black Mirror, in der alle total besessen von Likes sind? Als ich die gesehen habe, hatte ich plötzlich eine Riesenangst, selbst so zu werden. Und natürlich dachte ich mir, dass ich dieses Umfeld für alle erschaffen habe.
Und wie vermeidest du es, so zu werden?
Es gibt also ein paar Dinge, wegen derer ich mich unwohl fühle – bestimmte Gedanken oder Bewertungen. Und um diese Unannehmlichkeiten zu vermeiden, schaue ich auf mein Handy. Ich habe angefangen, dieses ganze Leben so aufzubauen, dass ich Unannehmlichkeiten vermeide, anstatt mich einfach auf die Sachen zu konzentrieren, die mir Freude bereiten. Ich versuche, das gerade zu ändern und mir darüber klar zu werden, was mir eigentlich Spaß macht. Sachen wie aufs Meer zu schauen und einfach hineinspringen zu wollen. Das bereitet mir Freude. Auf der anderen Seite schenke ich den Dingen, die mir unangenehm sind, mehr Beachtung. Ich schreibe sie auf, ich hinterfrage sie.
Mein Leben wird von Likes regiert. Viel davon hat mit meinem Job zu tun, aber gar nicht so wenig kommt auch von meinem stumpfen Hunger nach Bestätigung. Hast du einen Tipp, wie man sich davon löst?
Nun, wenn du dir wirklich Sorgen machst, wie viele Likes du bekommst. Dann ist da nicht unbedingt viel dahinter. Du willst einfach einen Haufen Likes. Und wenn das so ist, nur zu. Natürlich darfst du gemocht werden wollen. Und wenn du das reflektierst, umso besser. Ich werde dir nichts verbieten, weil das meiner Erfahrung nach nichts bringt. Das Letzte, was wir meiner Meinung nach brauchen, ist noch mehr Selbstkritik. Ich glaube, das ist eine dieser Sachen, die diese Epidemie überhaupt erst verursacht haben. Zuerst kritisieren wir uns selbst und brauchen dann andere, um uns zu bestätigen.
Interessant. Gibt es deiner Meinung nach auch eine Antwort darauf für das Internet im Allgemeinen? Kann man diesen bestätigungsgetriebenen Hyperspace irgendwie abdämpfen?
Für mich ist das wie bei diesem Einstein-Zitat: “Probleme kann man niemals mit der selben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.” Es gibt sogar noch ein passenderes Zitat von Buckminster Fuller: “Wenn du ein System ändern willst, dann bau einfach ein besseres und das alte wird verschwinden.”
Ich vermute also, dass bald irgendetwas Spannenderes auftaucht und das Internet sich ändert. Hoffentlich. Die Erfahrung externer Bestätigung lässt sich auch überhaupt nicht mit dieser echten, inneren Bestätigung vergleichen. Wenn ich wirklich mit mir zufrieden bin, nachdem ich etwas getan habe, auf das ich unglaublich stolz bin – da kann Facebook überhaupt nicht mithalten.