Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von der Türkis Rosa Lila Villa.
Die Türkis Rosa Lila Villa ist nicht nur absichtlich plakativ und jedem Hauptstädter, der bereits mehr als null Mal an der Wienzeile war, aufgefallen – sie ist mittlerweile auch fast zu so etwas wie einem Wahrzeichen von Wien geworden. Die bunte Fassade prägt das ansonsten doch recht graue Stadtbild maßgeblich; schon seit Anfang der Achtziger ist das Eckhaus an der Linken Wienzeile in Rosa und Lila gehalten und genauso lange rätselt und mutmaßt ein großer Teil der Bevölkerung wohl auch, was sich dahinter eigentlich verbirgt.
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In manchen Kreisen ist natürlich fast genauso lange bekannt, was das Lokal ist und wofür es steht; aber außerhalb einer gewissen Blase verursacht die Bezeichnung “Lesben- und Schwulenhaus” an der Fassade doch mehr Fragen als Antworten und löst vor allem Vorurteile aus. Und weil auch ich nur sehr oberflächlich weiß, was die Villa wirklich ist und tut, beschließe ich, mir selbst ein Bild zu machen und mache mich auf an den Rand des 6. Wiener Gemeindebezirks. Es ist schon Abend, als ich vor der Villa stehe. Das Geklimper und Stimmengewusel des angrenzenden Café Willendorf dringt zum Gang durch.
Ich bin mit Sam und Florian, zwei der vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter_innen des Hauses, verabredet. Noch bevor wir überhaupt sitzen, falle ich mit der Tür ins Haus. Auch ich frage mich seit Jahren, welche Projekte hier vereint sind. Alles, was ich weiß, ist dass es damals aus der Hausbesetzer_innenbewegung entstand. Doch ganz so einfach scheint die Frage gar nicht zu beantworten zu sein. Zu viel ist in den letzten 35 Jahren passiert.
Der schönste Gründungsmythos ist wohl der, dass beim Neujahrskonzert 1982 zwei nackte Männer – nur mit Fliege bekleidet und pünktlich zur Polka “Die Emanzipierte” – die Bühne erklommen, um für schwule Menschenrechte zu demonstrieren. Das Ganze geschah leider Gottes eher etwas unglücklich, da sie das Konzert in der Werbepause stürmten und die Aktion selbst deshalb nie ausgestrahlt wurde. In den Medien sorgte sie nichtsdestotrotz für Aufregung.
Gerade diese Radikalität und der Witz machte das Entstehen der Villa aber schlussendlich möglich und die aktionistische Gruppe schloss sich dann im ehemaligen Abrisshaus an der linken Wienzeile zusammen. Eigentlich hätte das Haus Platz für eine Hochgarage machen sollen, die lesbisch-schwulen Aktivist_innen haben den Wohnraum aber schließlich für sich beansprucht. “Es ist aber mehr eine stille Besetzung gewesen”, sagt Sam dazu. Zu Zeiten der Arena-Besetzung oder auch der des WUK wurden linken Bewegungen, nicht zuletzt dank der früheren Vize-Bürgermeisterin Gertrude Fröhlich-Sandner, immer wieder Freiräume kostenlos zur Verfügung gestellt.
So wurde auch im Fall der Villa schnell auf politischer Ebene angeboten, das Haus zu übergeben. Proteste, die nicht ausblieben, richteten sich dabei vor allem gegen die Hausanschrift. Zu aufdringlich war den Wiener_innen das in großen Lettern geschriebene “Schwulen- und Lesbenhaus”.
Florian, der auch für das penibelst sortierte Archiv des Hauses zuständig ist, zeigt mir einige Zeitungsauschnitte aus den 80ern. Der Ton damals war rau: “Für ihre ‘Eigenart’, deren gesetzliche Bewilligung eher der Not gehorchend ihr Dasein verdankt, Reklame zu machen, ist aber nach wie vor ungesetzlich”, heißt es im Bezirksjournal von 1983. Auch von Ärgerniserregung und Provokation ist die Rede – doch die Villa und ihre Unterstützer_innen behaupteten sich. Und das mittlerweile seit 35 Jahren.
Nach der Übergabe startete zuerst das bis heute bestehende Wohnprojekt und recht bald enstand auch die erste Beratungsstelle, der Rosa-Lila-Tipp – eine Auflage der Stadt Wien. Ein durchaus cleverer strategischer Zug, da es zu der Zeit noch kaum Anlaufstellen für Homosexuelle gab.
Spenden bekommt die Villa kaum. Nur von der MA13 erhält sie eine kleine Förderung für die Beratungstelle. Das Haus selbst gehört nach wie vor der Stadt Wien – die Villa löhnt einen Bauzins und fungiert als Hausverwaltung. Da sämtliche Mitarbeiter_innen ehrenamtlich an den verschiedenen Projekten arbeiten, reichen die Mieteinnahmen der im 1. Stock gelegenen WGs und des Restaurants, das kein Vereinsbeisl ist, aus, um das Haus zu erhalten.
Nachdem das Haus – übrigens selbstorganisiert – generalsaniert wurde, gab es erneut Diskussionen aufgrund des Namens an der Fassade. Ausschreibungen zu einer Neugestaltung führten am Ende dazu, das man doch sagte “Das passt – drin ist, was drauf steht.” Auch die rosa Farbe bleibt, trotz neutraler Farbspenden der ÖVP. Die Kronen Zeitung wetterte daraufhin monatelang, die Villa sei ein “Hort von linken Terroristen”. Wie gesagt – die Zeit war eine andere, aber gewisse Ähnlichkeiten sind geblieben.
Über die Jahre gab es immer wieder Gewalt gegenüber den Bewohner_innen, Schmierereien an der Fassade oder zerbrochene Fenster – heute flattern aber nur noch selten unangenehme Briefe ins Haus. Wie mir die zwei erzählen, gehen sie gerade nachts trotzdem nicht immer ganz ohne Sorgen durch die Haustür nach draußen. “Da ist schon eine gewisse Beklemmung da”, meint Florian dazu. “Besonders, wenn es wieder ein eingeschlagenes Fenster oder ähnliches gab. Man schaut schon zweimal, ob die Tür wirklich verschlossen ist.”
In den letzten 20 Jahren wurde dann auch die Transbewegung im Haus immer präsenter – das “Türkis” wird im Jahr 2012 in den Namen mitaufgenommen und auch die Beratungsstellen ändern ihre Bezeichnung. Dieses Jahr soll deswegen auch erneut die Fassade gestrichen werden. “Wir sind viele Leute, das ist alles zwangsweise immer ein recht langwieriger Prozess. Geplant ist das schon seit Jahren – es soll wieder das drauf stehen, was wirklich drin ist. Wir sind schon lange kein reines Lesben- und Schwulenhaus mehr.”
Seit über 2 Jahren steht nun auch die Arbeit mit LGBTIQ-Refugees immer mehr im Vordergrund. Die Queer Base, die ihren Sitz im Haus hat, bietet Asylberatung, vermittelt weiter und betreibt mittlerweile ein eigenes Haus mit der Diakonie. Besonders fit ist die Kommunikation dabei mit den Bundesländern. Ein Großteil der queeren Refugees kann nach Wien geholt werden, wo ihnen geholfen wird, Anschluss in der Szene zu finden und sich eine eigene Community aufzubauen.
Mit Ausnahme der Queer Base operieren die Beratungsstellen über ein Peer-Beratungskozept. Es gibt keine extra ausgebildeten Sozialarbeiter_innen, wenn auch immer wieder Mitglieder professionellen Background haben. Die einzig wirklich professionelle Person, die zur Beratung hinzugezogen wird, ist eine Buchhalterin. Die Villa dient als Erstanlaufstelle, die Menschen bis zu 5 Termine lang begleitet – dazu ist keine Voranmeldung nötig. So bunt und laut die Fassade ist, so niederschwellig agieren gleichzeitig die Beratungsstellen – sie wollen vor allem beim Vernetzen helfen und bei Bedarf auch ein Ort des Rückzugs sein.
Viele Vereine sind gekommen, einige auch wieder gegangen – alle lassen ein Stückchen hier. Man merkt sofort: Das alte Haus an der Ecke lebt. Neben dem Wohnverein, den zwei Beratungsstellen und dem Lokal gibt es noch unzählige Projekte – von den Anonymen Alkoholikern, Deutschkursen, bis hin zu queerem Yoga oder angeleiteten Jugendgruppen gibt es hier fast alles. Es gibt kaum eine Community, die auf derart weitem Feld operiert; was durchaus auch zu Problemen führt.
Bei Partys kommt es immer wieder zu rassistischen oder auch sexistischen und transphoben Vorfällen, wie mir Sam erzählt. “Noch haben wir es nicht geschafft, ein komplett geschützter Raum zu sein. Wir haben den Anspruch, dass sich Leute hier zurückziehen können, dem können wir noch immer nicht vollständig gerecht werden.” Florian spricht von dem Wunsch, doch auch einen Gegenentwurf zur Mehrheitsgesellschaft darzustellen. “Das ist natürlich in gewisser Weise utopisch”, hängt er an.
Auf meine recht ungläublige Frage hin, ob auch die Szene nicht vor transphoben Aussagen gefeit ist, erklärt mir Sam: “Plakativ gesagt: Eine sehr mainstreamige Lesben- und Schwulenszene hat es auch nicht immer gerne, wenn Leute nicht in gewisse Gender-Grenzen passen. Es gibt überall Schubladen. Nur weil man vielleicht selber Homophobie ausgesetzt war, heißt das noch gar nichts.” Das alte Gebäude ist auch noch immer nicht barrierefrei – ebenfalls ein Wunsch für die Zukunft, wie mir die beiden sagen.
Auch von außen würde man sich öfter noch mehr Toleranz wünschen. Wenn in den Medien statt von Transgender dann von Transvestiten die Rede ist, glauben sie aber fest daran, dass einfach viel Unwissen mitspielt. “Oft weiß es die Öffentlichkeit einfach nicht besser”, bringt es Sam auf den Punkt. Florian erzählt mir schmunzelnd, dass sie auch immer wieder Pornos und Sextoys gespendet bekommen. “Da scheinen die Leute schon eine relativ genaue Vorstellung zu haben, aber das amüsiert mich dann eher.”
Spätestens am Ende des Abends wird mir klar, dass die Türkis Rosa Lila Villa viel mehr als nur ein bunter Fleck in der Stadt ist, sondern hier seit nunmehr 35 Jahren ernsthafte Pionierarbeit geleistet wird. Menschen finden hier ein offenes Ohr, ein zweites Wohnzimmer und sogar ein Zuhause – in einer Stadt die bis heute oft nicht ganz so tolerant ist, wie sie sich nach außen hin vielleicht gibt.
Trotzdem: Dass sich ihre unermüdliche Arbeit und die “Selbstausbeutung” lohnt, merkt man besonders, wenn Schulklassen in die Villa kommen. Gerade in den letzten Jahre reagiert die jüngere Generation immer lässiger und offener. Das Thema scheint endlich in der Mitte angekommen zu sein. Sam erzählt: “Letztens waren drei Mädchen um die 16 hier und ich dachte mir nur ‘Boah, seids ihr cool’. Ich wäre in dem Alter nicht so gewesen – so entspannt, eine richtige Coolheits-Attitüde à la ‘heutzutage sind eh alle queer.’”
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Weitere Infos zur Queer Base und der Villa findet ihr hier:
http://dievilla.at/
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