Wer bisher der Meinung war, dass Krems einfach ein gemütliches Fleckchen Erde sei, hatte dazu guten Grund: Das Städtchen liegt mitten in der malerischen Wachau an der Donau, der Wein schmeckt gut, die Marillenknödel noch besser und entlang der wunderbar flachen Radwege stehen immer wieder “Schnaps-Automaten” – kleine Holzstände mit selbstgebranntem Schnaps, an denen man sich gegen freiwillige Spende einfach selbst bedienen kann.
Stößt man beim Spaziergang durch die idyllischen Gassen allerdings auf den Simandlbrunnen, dürfte das Bild der friedfertigen Stadt Krems nachhaltig zerstört werden. Denn die Statue auf dem Brunnen erzählt vom prügelnden Matriarchat Krems.
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Die Skulptur-Gruppe am Brunnen zeigt einen am Boden knienden Mann. Sein Blick ist furchtsam nach oben gerichtet, die Hände sind wie zum Gebet gefaltet. Über ihm steht eine Frau in drohender Haltung. Ihre Hände sind kraftvoll in die Hüften gestemmt, sie neigt den Kopf schelmisch zur Seite und lacht. Ihr Blick geht höhnisch auf den Knienden hinunter.
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Der Brunnen wurde 1929 von dem Wiener Bildhauer Franz Zelesny gefertigt. Der genaue Hintergrund seiner Geschichte und vor allem die Frage, welches Ereignis in den Skulpturen abgebildet wird, ist sagenumwoben und umstritten.
Eine der bekannteren Versionen ist in den “Sagen der Wachau” von Hans Plöckinger notiert. Demnach gab es im 16. Jahrhundert einen Mann namens Simon Handl, der in Krems lebte und regelmäßig von seiner Frau verprügelt wurde. Die Bezeichnung “Simandl” – eine abwertende Bezeichnung für einen Mann, dessen Frau den Ton angibt, der von einer Frau unterdrückt wird oder “unter ihrem Schlapfen steht” – leitet sich laut dieser Version von seinem Namen ab.
Der Sage zufolge gefiel den Kremser Frauen die gewaltsame Dominanz der Frau Handl über ihren Mann so gut, dass sie auch anfingen, ihre Männer zu prügeln. Das Ganze entwickelte sich zu einer Art Wettbewerb unter den Kremser Frauen, wer den Mann zuhause am meisten unterbuttern könnte.
Der Sage zufolge wetteiferten die Frauen, wer den eigenen Ehemann mehr verprügeln würde.
Irgendwann wussten sich die Kremser Ehemänner nicht mehr zu helfen, und schlossen sich zur Simandlbruderschaft zusammen. Als die Situation im Jahr 1529 gänzlich eskalierte, suchten die Männer beim Stadtrat Hilfe und Schutz. Dieser soll ihnen laut der Sage empfohlen haben, sich mit Geschenken von weiteren Misshandlungen durch ihre Frauen freizukaufen.
In einer anderen Version wurde Krems von einem feindlichen Heer aus Böhmen angegriffen. Die Männer stürmten hinaus, um die Stadt zu verteidigen, doch ihnen wurde der Weg abgeschnitten und die feindlichen Truppen begannen, die Stadt zu belagern.
Die Kremser Frauen waren aber bekannterweise nicht gerade zimperlich und griffen einfach selbst zu den Waffen. Sie verteidigten die Stadtmauern so lange und hartnäckig, dass die Belagerer aufgeben mussten. Die Stadt war gerettet.
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Als die Männer nach Krems zurückkehrten, erwarteten ihre Frauen sie mit Spott und Hohn. Um ihr eigenes Heldinnentum zu feiern und das Versagen der Männer zu unterstreichen, stifteten die Frauen die Simandlbruderschaft, die den Frauen die Herrschaft über ihre Männer auf lange Zeit sichern sollte.
Soweit die Sagen. Historisch belegt sind nur wenige Aspekte davon. Fakt ist, dass es im Mittelalter in Österreich und Süddeutschland viele dieser Simandlbruderschaften gab. Diese waren aber eher Old-School-Satireprojekte, die eine Unterdrückung durch Frauen eher zur Belustigung herbeisinnierten und als Vorwand für Saufgelage nutzten.
“Ein Mann soll sich lieber selbst eine Ohrfeige geben, ehe er sich untersteht, gegen seine Frau eine finstere Miene zu machen.”
Offiziell dienten die Bruderschaften den Männern dazu, sich gegenseitig in ihrer Geduld und Sanftmütigkeit gegenüber ihren gewalttätigen Ehefrauen zu bestärken. In einem Dokument mit dem Namen “Geschichte und Statuten der weltberühmten Simandlbruderschaft”, das aus dem Jahr 1790 stammt, steht zum Beispiel:
“Den Widerspruch soll jeder Simandl als sein größtes Verbrechen ansehen, und sich vor demselben hüten; er soll sich lieber selbst eine Ohrfeige geben, ehe er sich untersteht, gegen seine Frau eine finstere Miene zu machen.”
Im selben Dokument berichtet der Vorsteher der Simandlbruderschaft “Schulze von Pantoffelshaufen”, dass er im vergangenen Jahr 200 Ohrfeigen von seiner Frau erhalten habe. Seiner Funktion als Vorsteher der Bruderschaft habe er sich “durch die allergrößte Unterthänigkeit gegen meine Frau würdig gemacht”.
Im heutigen Krems sieht man die Geschichte der Prügelfrauen und ihres “Denkmals” auch als Kapital. Der Bürgermeister von Krems, Reinhard Resch, sagt auf Anfrage von VICE, dass die Stadtverwaltung großes Potential in der Statue sehe.
Sie solle in Zukunft für Krems das werden, was das pissende Männchen “Manneken Pis” für Brüssel bereits ist; eine touristische Attraktion. Auf die Frage, welchen Gründungsmythos er denn für glaubwürdiger halte – die prügelnden Frauen oder die heroischen Teilzeit-Soldatinnen –, tippt er klar auf die erste Version.
Um seine Annahme zu untermauern, schickt er uns ein Foto von einem Wandbild auf einem Kremser Haus aus dem Jahr 1560. Darauf sind zwei Männer im Gespräch abgebildet, der Text darunter: “Honigl: ich muß Dir klage, mein Frau tut mich schlage”. Darauf die Antwort: “Osch………, pile mein: Mein Frau ist böser als die dein!”
Belegt ist jedenfalls auch, dass die Stadt Krems eine wichtige Rolle in der Geschichte der Simandlbruderschaften gespielt hat – wenn auch anders, als in den Sagen beschrieben. 1517 gründete nämlich ein niederösterreichischer Landeshauptmann namens Siegmund von Dietrichstein eine Bruderschaft gegen das Trinken und Fluchen. Ziele der Vereinigung waren Mäßigung und Moral ihrer Mitglieder.
Und es passierte, was wohl passieren muss, wenn sich jemand zu ernst nimmt: Die Bruderschaft wurde von der Bevölkerung verächtlich als “Simandlbruderschaft” bezeichnet und fand viele spöttisch-parodistische Nachahmer im Raum Wachau. 1747 wurde Krems urkundlich zum Hauptsitz der Simandlbruderschaft ernannt.
War die Vorstellung dominanter, prügelnder Frauen vielleicht deshalb so lachhaft, weil diese normalerweise von ihren Ehemännern dominiert und geprügelt wurden?
Die matriarchalen Unterdrückungsstrukturen, die den Simandlbruderschaften als Gründungspathos dienen, dürften also weitgehend eine Mischung aus Satire und Sagen sein. Nach allem, was man sonst so über das Mittelalter weiß, liegt sogar die Vermutung nahe, dass die Vorstellung dominanter, prügelnder Frauen gerade deshalb so lachhaft erschien, weil diese womöglich normalerweise von ihren Ehemännern dominiert und geprügelt wurden.
Doch auf irgendeine Art müssen die Kremser Frauen trotzdem einen starken Eindruck auf ihre Männer gemacht haben. Oder soll es wirklich nur Zufall sein, dass hier in Krems so viel von heldenhaften Verteidigungskriegen, brutaler Züchtigung oder starker gesellschaftlicher Dominanz durch Frauen erzählt wird, die die Männer zur Ausflucht in parodistische Männerbünde animiert hat?
Wir glauben nicht. Und die Vorstellung, dass sich Frauen im mittelalterlichen Niederösterreich auf irgendeine Art gegen ein Patriarchat aufgelehnt haben könnten, ist ziemlich badass. Was Krems, mit seinen Marillenknödeln und Grünen Veltlinern, gleich noch ein Stückchen sympathischer macht.