„Hey, du bist auch schon eine ganze Weile Single. Willst du denn keine Freundin?” fragte mich Mladen letztens, während er sich grinsend eine Zigarette anzündete. „Keine Ahnung, irgendwie habe ich keinen Bock auf eine halbpatzige Beziehung, nur damit ich nicht alleine bin. Da geniesse ich lieber das Junggesellenleben. Irgendwann wird die Eine schon kommen”, antworte ich aus dem Standard-Repertoire eines zufriedenen Singles.
Diese Aussage wird üblicherweise mit einem zustimmenden Nicken quittiert. Doch nicht an diesem Tag: „Du Idiot! Deine Eine gibt es genauso wenig wie die grosse Liebe! Also hör auf, danach zu suchen.” Innerlich hätte ich ihn am liebsten von der Terrasse gestossen, musste ihm schlussendlich aber widerwillig zustimmen—im Gegensatz zu meiner Kollegin, die an die große Liebe glaubt, obwohl sie ihr noch nicht einmal annähernd begegnet ist.
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Vor einigen Wochen schrieb ich darüber, wieso es unmöglich ist, betrunken durchs Nachtleben torkelnd eine Partnerin zu finden. Eine VICE-Kollegin sah das anders und beschrieb, wieso es sehr wohl möglich sei, die grosse Liebe im Club zu finden. Dabei haben wir beide den wesentlichen Punkt der Diskussion verfehlt: Die grosse Liebe gibt es nicht. Nicht im Club und auch nicht bei einer zufälligen Begegnung im Supermarkt oder sonst wo. Hat’s nie gegeben, wird’s nie geben. Wir sind die fehlgeleiteten Märtyrer heuchlerischer Ideale, die wir nie und nimmer erreichen können.
Als ich anfing über den Sinn und Unsinn der grossen Liebe nachzudenken, musste ich unwillkürlich an meine eigenen Erfahrungen denken. Hatten die Chroniken der desillusionierten Herzen meines bisherigen Beziehungslebens einen rationalen Zusammenhang? Gingen meine Bindungen unter belanglosen Vorwänden zu Ende, doch das ungenannte Problem blieb stets das gleiche? Verschiedene Strecken, die schlussendlich zur gleichen Haltestelle führen: Endstation dieser Beziehung—bitte alle aussteigen.
Und tatsächlich, es gibt ihn: Der blutrote Faden, der sich durch die Beziehungslandschaft zieht. Nicht nur bei mir. Überall. Oder denkst du, es ist Zufall, dass bei mehr als der Hälfte aller Ehen die Scheidung eingereicht wird? Wohl kaum. Wir tarnen uns zwar als Beziehungsmenschen, sind im Herzen aber kompromisslose Egoisten. Beziehungs-Hopping hat sich gesellschaftlich etabliert: Wird das eigene Glück nicht mit dieser Person gefunden, dann eben mit der nächsten. Mit der Kluft zwischen der eigenen Erwartungshaltung und der Realität führen wir uns selbst ad absurdum.
Eine regelrechte Angst vor dem Alleinsein ist unbestreitbar: Lieber unglücklich in einer Beziehung, als allein im Alltag klarkommen zu müssen. Da macht es nur Sinn, dass bereits eine kleine Auszeit (mag sie noch so kurz sein) mit Einsamkeit verwechselt wird. Durch die allgegenwärtige Ablenkung kriegen wir es ja nicht einmal mehr hin, einen ganzen Abend mit uns selbst zu verbringen, ohne im Minutentakt auf sozialen Netzwerken menschlichen Kontakt zu simulieren. Wir haben verlernt, die Schönheit eines Moments in uns aufzunehmen, dabei weiss jeder: Von den besten Abenden gibt es keine Fotos auf Instagram oder Facebook. Stets „auf dem Sprung” müssen wir weiter, ansonsten könnten wir noch etwas verpassen. Das hektische Leben spiegelt sich in unseren Kurzzeit-Liebschaften wider. Finden wir jemand besseres, eilen wir zur nächsten Partnerschaft—im Idealfall mit einem Tinder-Quickie Zwischenstopp.
Tag für Tag leben wir unsere individuelle Realität voller Egoismus und sind zum Scheitern verurteilt, wenn wir uns dennoch der romantischen Sehnsucht voller Aufregung hinzugeben versuchen: Wir wollen Ehrlichkeit, Treue, Geborgenheit und vorbehaltlose Liebe. Wir wollen alles—am besten in Geschenkpapier gewickelt und mit einer schönen Schleife verziert. Doch was sind wir bereit dafür aufzugeben? Herzlich wenig, wenn dadurch die eigene Freiheit eingeschränkt wird.
Da scheint es auch Sinn zu machen, wenn einige die Flucht nach vorne antreten. Beinharte Singles, die keine Beziehungen eingehen wollen. Ich frage mich, ob anderen Singles ebenfalls bewusst ist, dass wir uns selbst belügen, denn in Wahrheit sind wir Feiglinge.
Wir bauen unser Netz aus Affären, flüchten von einer Bettgeschichte zur nächsten und sobald uns jemand gefühlsmässig zu nahe kommt, hauen wir ab. Unser Geflecht an bisherigen Bettgeschichten fängt uns im schlimmsten Fall auf und das Spiel beginnt wieder von vorne. Wären wir nicht glücklicher, wenn wir aufhören würden, nach etwas zu suchen, das es nicht gibt? Und bitte verwechselt die Schmetterlinge in eurem Bauch, die eine neue Bekanntschaft mit sich bringen kann, nicht mit der grossen Liebe.
Auch ich würde gerne im Luftschloss einer perfekten monogamen Beziehung leben. Ohne Eifersucht, Verlustängste, Fremdgehen oder Herzschmerz. Ach, wäre das nicht schön! Doch unsere Triebe gehören zu uns und diese können wir schlecht ein Leben lang unterdrücken. Wenn’s um Sex geht, sind wir Tiere—wir versuchen es bloss zu vergessen.
Eine monogame Beziehung erfordert Treue. Treue beinhaltet unumgänglich Eifersucht. Eifersucht basiert auf Angst. Angst das Geliebte zu verlieren. Also projizieren wir unsere Gefühle auf die Exklusivität unserer Beziehung. Dass Fremdgehen möglicherweise normaler ist als die hochgelobte Monogamie, wollen wir nicht hören. Natürlich schmerzt es, wenn sich der Freund oder die Freundin mit jemand anderem von Höhepunkt zu Höhepunkt stöhnt—und wieder kommt uns die eigene Erwartungshaltung der ach so bösen Realität in die Quere.
Falls du keine Lust hast, mit dir selbst zu spielen:
Ich bin kein strikter Vertreter der Polygamie, doch irgendwann sollten wir lernen, den Tatsachen in die Augen zu schauen, anstatt dauernd in einer unnötigen Furcht zu leben. Es hält so lange es hält, mehr gibt’s da nicht. Wo unrealistische Erwartungen herrschen, kann nur Enttäuschung folgen. Zahlreiche Statistiken und Umfragen, die sich weitestgehend decken, lassen vermuten, dass jeder zweite Mann und jede dritte Frau fremdgeht. Experten sprechen davon, dass 90 Prozent aller Männer und 75 Prozent aller Frauen im Laufe ihres Lebens den Partner betrügen.
Kein Wunder sind wir die Generation der postmodernen Familie: WGs, Patchwork-Familien und Lebensgemeinschaften lösen die Kernfamilie aus den 50er Jahren ab. Viele unter uns sind Scheidungskinder und ich vermute, dass wir unbewusst „die Fehler” unserer Eltern wiedergutmachen wollen. Wir suchen die grosse Liebe. Das Haus am Stadtrand, den weissen Gartenzaun und den Golden Retriever, der uns nach einem harten Arbeitstag glücklich hechelnd entgegenrennt. Wir jagen der Vorstellung eines Lebens nach, das es so nie gegeben hat.
Ja, die Happy Ends aus Hollywood-Schnulzen sind herzerwärmend, doch diese Geschichten dauern 90 Minuten und kein ganzes monogames Leben lang. Wie sollen wir X Jahre an der Seite eines anderen Menschen leben, wenn wir es teilweise kaum mit uns selbst aushalten? Wir verändern uns dauernd. Dass sich der Partner über Jahre hinweg in dieselbe Richtung verändert und alles weiterhin funktioniert, ist leider (jetzt musst du stark sein) ein Ding der Unmöglichkeit.
Auch ich will früher oder später eine Gefährtin an meiner Seite. Wie diese Beziehung aussehen soll, weiss ich heute noch nicht—aber das ist auch in Ordnung. Doch ich habe aufgehört nach der Illusion einer perfekten Liebe per se Ausschau zu halten.
Nein, ich gebe nicht auf, ich habe bloss etwas verstanden. Ich fordere keine Selbstlosigkeit, die der omnipräsenten Selbstverwirklichung im Weg steht. Ich fordere keine selbstlose Liebe, die ich mit Ausbeutung begleiche. Ich fordere keine Treue, die ich mit Eifersucht sühne. Ich will echte Gefühle und keine inszenierte Love-Story. Die Wahnvorstellungen einer perfekten Liebe—diesem Druck kann niemand standhalten.
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