“Ein Hammer-Body. Tolle Augen. Ein Bikini, der alle Blicke auf sich zieht! Welcher Schüler würde beim Anblick einer solchen Lehrerin nicht auf verbotene Gedanken kommen?” Die Lehrerin, von der hier die Rede ist, missbrauchte einen minderjährigen Schüler innerhalb von drei Monaten mindestens 30 Mal. Die Bild-Zeitung sah das anders: Bei einer attraktiven Lehrerin könne sich doch jeder Schüler über so einen Missbrauch glücklich schätzen.
Österreichische Tageszeitungen berichten in einem ähnlichen Ton über den Missbrauch von minderjährigen Schülern durch Lehrerinnen. So schreibt zum Beispiel das Gratisblatt Österreich: “Diese Dame lässt offensichtlich gar nichts anbrennen.” Sie habe es “ordentlich krachen” lassen. Der missbrauchte Schüler wird in dem Artikel “Teenie-Lover” genannt. Man stelle sich das Ganze mit umgekehrten Geschlechterrollen vor: Wenn ein Lehrer eine Schülerin missbraucht hätte, würde dieselbe Wortwahl (von wegen er lasse nichts anbrennen und habe es mit seiner Teenie-Loverin “ordentlich krachen” lassen) zu Recht für ziemliche Empörung sorgen.
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Auch über Missbrauch durch Männer wird oft verharmlosend berichtet. Anstatt Vergewaltigungen als solche zu bezeichnen, verwenden Medien Begriffe wie “Sex-Attacke”. Missbrauch durch Frauen scheint hingegen oft nicht einmal als solcher gesehen zu werden. Immer wieder schreiben Medien in diesen Fällen von “Verführung”, “Liebe” ,”Beziehung”, “Amour Fou” oder “Liaison”. Der Sex von Frauen mit Minderjährigen wird oft als einvernehmlich dargestellt.
Es habe “gefunkt” zwischen der Täterin (der “heißen Sex-Lehrerin”) und ihrem Opfer (dem “Teenie-Lover”). Die Vergewaltigungen werden als “Sex”, “Stelldichein” oder sogar “Nachhilfe-Stunden der ganz besonderen Art” bezeichnet, es sei “heiß hergegangen”. Eine Lehrerin habe ihren Schüler im Flugzeug “oral befriedigt”, schreiben mehrere Tageszeitungen. Missbrauch hat gewiss nichts mit der Befriedigung des Opfers zu tun. “Über den Wolken muss die Lust wohl grenzenlos sein”, schreibt Bild geschmacklos.
Eine Lehrerin habe ihren Schüler im Flugzeug “oral befriedigt”, schreiben mehrere Tageszeitungen. Missbrauch hat gewiss nichts mit der Befriedigung des Opfers zu tun.
Der Schweizer Philipp Gurt wurde selbst im Kinderheim jahrelang missbraucht. Eine Erzieherin vergewaltigte ihn schon als kleinen Jungen. In einem Interview mit dem WDR spricht er über die Problematik, oft nicht als Opfer gesehen zu werden: “Es ist einfach schwierig für einen Mann, zu sagen, man ist von einer Frau oder von Frauen missbraucht worden … Es ist einfach so, in der Männerphantasie ist das Bild, die Lehrerin verführt den 12-Jährigen. Das gibt es auch in jedem billigen Streifen.”
Bei Männern wird davon ausgegangen, dass sie sich wehren könnten, wenn sie nur wollten. Rein körperlich ist das oft möglich, aber die emotionale Abhängigkeit wird häufig unterschätzt. Missbrauch durch Frauen ist zwar weniger von körperlicher Gewalt geprägt – aber das ändert nichts an der Traumatisierung des Opfers.
Andreas Marquardt schrieb in seinem Buch Härte – Mein Weg aus dem Teufelskreis der Gewalt über den Missbrauch durch seine Mutter, nachdem er jahrzehntelang nicht darüber gesprochen hatte. Als er elf Jahre alt war, schlief sie täglich mit ihm. “Dein Schwanz gehört mir”, habe sie ihm gesagt. Jahrelang habe er dabei gedacht, selbst irgendwie mitverantwortlich zu sein für seinen Missbrauch; schließlich habe er die Erektion ja auch genossen.
Diese Frauen sind oft nicht pädophil. Vielmehr sehen sie ihre Opfer als Spielobjekt oder wollen es erniedrigen. Die Gerichtspsychiaterin Sigrun Rossmanith erklärt in den Salzburger Nachrichten, dass das Vertrauen zur Mutter ein tiefergehendes sei, weil sie mit der eigenen Existenz unmittelbar in Verbindung gebracht werde. Die Schäden, die durch Sexualstraftäterinnen ausgehen würden, seien daher oft noch höher als die durch männliche Täter – gerade, wenn der Missbrauch durch Bezugspersonen wie Mütter, Betreuerinnen oder Lehrerinnen passiert.
Unterdessen kann man beinahe wöchentlich von Missbräuchen von Minderjährigen durch Frauen lesen. Ein 15-jähriger Schüler aus Großbritannien, der angab, nach dem Missbrauch durch seine Lehrerin “fürs Leben gezeichnet” zu sein, muss sich zum Beispiel die Beschreibung gefallen lassen, dass er von seiner Lehrerin verführt worden sei.
Das ist (neben der Traumatisierung der Betroffenen) auch das eigentliche Dilemma an der Sache: Die Zahl der Opfer, die nicht über die Taten sprechen, bleibt hoch, weil diese Opfer von der Öffentlichkeit nicht als solche gesehen werden. Sie bekommen keine Plattform, um ihre Geschichten zu erzählen, weil Medien oft keinen Skandal an der Sache selbst sehen und mehr oder weniger unterschwellig eher darauf hinweisen, wie glücklich sich die missbrauchten Minderjährigen eigentlich schätzen können.
Auf diese Wahrnehmung haben Medien erheblichen Einfluss. Sie müssten nur aufhören, Artikel über Missbrauch aufzuarbeiten und zu verbreiten, als würde es sich dabei um Pornographie handeln. Und wir als Konsumenten sollten aufhören, sie anzuklicken, als wären sie es.
Update und Erratum:
Die Zitate “Diese Dame lässt offensichtlich gar nichts anbrennen” und “ordentlich krachen” lassen waren in diesem Artikel ursprünglich der Tageszeitung Heute zugeschrieben – das ist falsch. Die genannten Stellen stammen aus der Tageszeitung Österreich. In der Tageszeitung Heute findet man stattdessen die Fotostrecke einer Lehrerin, die ihren Schüler missbrauchte. Wir entschuldigen uns für die Verwechslung.