Als Lugner ankündigte, dass er 2016 Bundespräsident werden will, war das für viele ein Schock, die sich bereits auf einen gediegenen Wahlkampf mit gebührend wenig Ereignispotenzial gefreut hatten.
Bis dahin gab es nur exakt einen Präsidentschaftskandidaten, der ähnlich viel Austro-Authentizität mit ins Rennen brachte—und das war Lugner selbst, als er 1998 zum ersten Mal antrat. Jetzt ist aus Mausi ein Spatzi geworden, aber sonst hat sich nicht viel geändert. Und wie sagt man: besser den Spatz in der Hand, als die Mausi auf ATV.
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Ansonsten ist der Baumeister unserer Herzens-Kathedralen jedenfalls „back to form” und alles beim Alten, inklusive der alten Sieger-Formel aus Pannen, Stottern, öffentlichen Beziehungsaussprachen und schlecht getimeten Gags.
Und das ist weder eine Schande noch ein Grund, Lugner zu kritisieren. Lugner ist so Post-Empire wie Charlie Sheen und Larissa Marolt zusammen und so zeitgeistig (aber gleichzeitig zeitlos) wie Money Boy. Lugner ist Liebe (auch wenn einem von eben dieser ein bisschen graut) und das tränenäugige Gesicht des ungeschönten Österreich mit all seinen düsteren Eigenschaften: Unprofessionalität, Sprachschwierigkeiten, Jähzorn, geistiger Milde und genügend Bauch, um eine Tour durch die Hofburg von einem Ende zum anderen ganz ohne Nahrungszufuhr zu überstehen.
Lugner ist auch wie ein charmanter Altbau: Er bröckelt, aber wird dadurch nur schöner, ist gleichzeitig zu teuer und zu kaputt und ja, gelegentlich verliert sich schon mal ein Gedankengang in den übergroßen, hallenden Räumen. Aber es ist OK, weil Altenbauten eben zu Wien gehören. Weil wir gelernt haben, ihre offenliegenden Risse und Spalten stylisch zu finden und es zu wertschätzen, wenn jemand ohne (rhetorische) Spachtelmasse auskommt.
Wir haben uns das Event des Jahres (oder zumindest des Vormittags) im Live-Stream der ORF TVthek angesehen und für euch die schönsten Moment-Trüffel zutage gefördert.
Diesmal dürfen alle mitspielen
Um dem Happening gleich von Anfang an die würdige Atmosphäre zu verleihen, war der Live-Stream bereits live, als die Lugners sich noch auf ihren Auftritt vorbereiteten. So hatten endlich auch Journalisten und Fotografen mal die Möglichkeit, ihren inneren Lugner vor Publikum zu channeln und uns genauso unverstellte Einblicke in die österreichische Seele zu geben. So viel unzusammenhängendes Stammeln und „Wie funktioniert das jetzt bei der Wahl genau?” hat man beim ORF seit dem Sommergespräch mit Frank Stronach nicht mehr gehört.
Nach einigen Fremdscham-intensiven Minuten hörte man aus dem Off jemanden sagen: „Das ist jetzt schon alles am Live-Stream drauf.” Die versammelte Presse antwortete nur: „Oh Gott.” Und plötzlich wurde aus „blede G’schicht” „blöde Geschichte” und der Ton dort, wo gerade noch „scheiße” und „Oasch” dominierten, ganz televisuell-formell.
Lugner: Kaiser oder Palfrader?
Den zweiten Sieg für den Lugner-Thinktank gab es gleich bei der Vorstellung des Kandidaten: „Wie beim Kaiser—bitte erheben Sie sich jetzt!” Es folgte eine Einzugsmelodie, wie man sie von Wrestlern kennt, die irgendwas mit „King” heißen; ein Musikstück mit so viel pseudopräsidialem Pathos, dass es fast an Independence Day erinnerte, wenn Independence Day ein Austro-Western aus den 70ern gewesen und das Lugner-Paar die Alien-Invasion gewesen wäre.
Unklar bleibt, ob bei der Vorstellung von Lugner „Kaiser” wie in Wir sind Kaiser oder doch Kaiser wie in: Regent der Donaumonarchie, Tu felix Austria, Es hat mich sehr gefreut gemeint war. Es ist diese Zweischneidigkeit, mit der die Lugner-Kampagne unser entscheidungsunfreudiges Land im Vorbeigehen packen und mit dem Cathy-Fieber anstecken könnte.
Hier lernt man in einem Satz, was Österreich bedeutet
„Wir haben derzeit in unserem Land … einfach, Überforderung unseres Landes”, erklärt Lugner. Als Zuseher hat man das Gefühl, dass die Überforderung sogar im Kleinen sichtbar wird. Anschließend setzt er mit seinen Programmpunkten noch eins drauf: „Bei der Regierungsbildung würde ich einen Mann beauftragen, der keinesfalls wieder eine rotschwarze Regierung bildet.”
In nur einem nonchalanten Satz lernen wir alles, was man über Österreich wissen muss: Frauen sind kein Thema, Regierung sollte gefallen und wenn einem etwas nicht passt, dann muss man sich damit bitteschön auch nicht mühsam demokratisch auseinandersetzen, sondern kann es einfach verhindern. Oder um es mit Lugner zu sagen: „Nationalrat auflösen und Regierung abberufen.” Und wehe, die Leute wählen dann noch einmal falsch!
Lächeln ist das Stottern der Gebärdensprache
Auf dem Podium sitzt Lugner flankiert von seinem Spatzi und seinem Spartaner: Dem Wahlkampf-Planer mit der „Hands-on-Mentalität”, Peter-Erik Czak. Dessen Gesicht ist es auch, das nach zirka 1,5 Minuten zum schönsten Nebenschauplatz der Pressekonferenz wird. Immer, wenn sich Lugner kurz verhaspelt oder wenn ihm ein Wort aus dem Mund fällt oder er einen anderen linguistischen Lapsus begeht, flammt Czaks Mimik in einem Lächern auf.
Es ist in etwa dasselbe Lächeln, wie es auch Bill Gates auf den Lippen hatte, als ihm damals bei der Windows-Präsentation der Computer abgestürzt ist. Für alle, die den Stream (aus nachvollziehbaren Gründen) ohne Ton gesehen haben, wurde Czaks Lächeln zum gebärdensprachlichen Indikator dafür, wann man gerade am glücklichsten darüber sein durfte, die Pressekonferenz ohne Ton zu schauen.
Witze über Namen gehen immer
Wenn wir von Lugner nur eine Sache lernen können (abgesehen davon, wie man einen Rocky-Balboa-Kampf gegen die deutsche Sprache führt), dann wohl, dass Witze über Namen nie verkehrt sind. Mir hat beispielsweise vor Jahren mal Martin Blumenau unterstellt, ich würde mit Künstlernamen Lust heißen, was er einen halbwegs okayen Schmäh fand (das ist jetzt sicher 8 Jahre her, da war Google noch nicht so bekannt).
Lugner setzte diese Tradition, wenn auch holprig, fort, als er die Analyse des Politologen Filzmaier in der Kronen Zeitung kritisierte. „Filzmaier ist schon so ein komischer Name”, meinte der Bauherr. Der anschließende Gag gelang dann nur halb, hatte aber irgendwie mit Filz zu tun. Wegen Verfilzung. Also, im Politischen. Was mit Proporz zu tun hat. Ach, alles Banausen.
Es geht hier um Seriosität
Während der gesamten Pressekonferenz, die eigentlich ausschließlich aus einer Fragerunde besteht, die wiederum fast ausschließlich von einem sehr gefälligen Auslandsjournalisten wahrgenommen wird, betont Lugner immer wieder: Das hier ist kein Kasperltheater. Das hier ist ernst. Ihm ist es ernst. Cathy ist es ernst. Man sei vielleicht hierzulande etwas kleiner und provisorischer als ein Donald Trump, aber eigentlich ist man für österreichische Verhältnisse doch ziemlich nah dran.
Um der Seriosität genüge zu tun, zieht Lugner deshalb sogleich Analogien zwischen dem Trump Tower in der 5th Avenue und seiner Lugner City in Rudolfsheim-Fünfhaus, hängt aber an: „Ich werde ein seriöser Baumeister bleiben.”
Plakate werde es auch nicht geben, denn: „Jeder weiß, wie wir ausschauen.” Sprach der Baumeister, während er vor einer gezeichneten Karikatur seiner selbst und seiner First Lady saß, die mit „Kasperltheater” beschriftet war. Dass auch in den Presseunterlagen explizit auf den Kasperl hingewiesen wird, mag vordergründig dem Seriositätsanspruch widersprechen. Das liegt aber nur daran, dass man dem grundlegenden Irrtum aufliegt, der Österreicher würde sich ernsthaft gebärende Männer seriöser finden als totale Kasperl, die in Badewannen Partys feiern und deren Bierbauch sie in der Prominenz gespiegelt sehen. Außerdem Hofnarr und Kaiser und überhaupt.
Schilling oder Euro, Hauptsache 500.000
Zugegeben, das mit der Währungsumstellung ist für viele immer noch nicht ganz einfach. Mein Vater rechnet mir ebenfalls noch bei jedem Bier vor, wie viel das in echtem Geld kosten würde und er ist jünger als der zahlenmäßig natürlich viel bewandertere Baumeister. Außerdem, wer weiß schon, wie lange dieses neumodische Geld uns noch erhalten bleibt.
Jedenfalls erklärt Lugner, er habe auch schon ein Offert für eine Plakatkampagne bekommen, obwohl er es gar nicht verlangt hätte. Darin sei ihm eine Kampagne für einen gewissen Schilling-, äh, Euro-Betrag angeboten worden. Kann passieren. Hauptsache, man gibt nur 500.000 davon aus. So viel wird die Kampagne laut Richard Lugner etwa kosten—und damit seinen Angaben nach die sparsamste des Wahlkampfs sein.
Parteien von Lugners Gnaden dürfen weiterbestehen
Dass die Regierung weg muss, hat man zu diesem Zeitpunkt als Zuschauer bereits ein paar mal vernommen. „Rotschwarz muss weg von den Machtstellen”, sagt Luger und fügt hinzu: „Sie sollen weiter existent bleiben, aber nicht an der Macht”. Für manche mag das nach einer Selbstverständlichkeit klingen. Für andere ist so ein Zusatz hingegen wichtig; immerhin könnte Parteienauflösung nach Nationalrats- und Regierungsauflösung durchaus ins Programm passen, wenn man sich gar so viel über die falsche Richtung ärgern muss, die dieses Österreich derzeit einschlägt. Aber nein, Entwarnung, sogar die Grünen dürfen bleiben (auch wenn Lugner sie in der Aufzählung sämtlicher Nationalratsparteien immer wieder mal zu vergessen scheint).
Die besten Zitate aus Richard Lugners Antrittsvideo zur Bundespräsidentenwahl
Qualifikation, wohin man auch blickt
Qualifikation durchzieht die Aura der Lugner-PK wie ein Pheromonspray für junge Spatzis. Lugner besitzt laut eigener Auskunft alles, was ein von Grenzschließung zu Grenzschließung tingelnder Staatsmann so braucht.
Er verfügt über Fremdsprachen-Kenntnisse, denn immerhin habe er auch für die spanische Botschaft schon gebaut „und in Spanisch unterschrieben” (wie „Richard Lugner” als Signatur auf Spanisch aussieht, führte er allerdings nicht weiter aus). Er ist im ganzen Land hochgradig ortskundig und untermauert das mit: „Ich war in jeder Landeshauptstadt zwei Mal. Ich kenn jedes Wirtshaus, weiß, wo das Klo ist.”
Und bei allen Internet-Belangen ist er mit seiner Cathy ohnehin bestens beraten. Besonders hier zeigt sich Lugners komplette Furchtlosigkeit—einerseits gegenüber der Anschuldigung, wie jeder alte Mann einfach nur dem nächstbesten jungen Menschen absolutes Expertenwissen bei neuen Medien zu unterstellen, andererseits gegenüber Cathy Lugners Internet-Fähigkeiten selbst.
Trump oder Clinton
Wo wir gerade bei Qualifikationen waren: Diese enden natürlich nicht beim Internet, sondern reichen weit bis in die Wirtschaft hinein. Soweit, dass er sich auch in diesem Punkt mit Donald Trump vergleicht, was seine eigene Versiertheit angeht.
Auf die Frage, ob er sich damit seit seinem YouTube-Video, in dem er noch Hillary Clinton als US-Präsidentin zu sich einladen wollte, nun eher Richtung Trump neu ausgerichtet habe, antwortete Lugner: „Die Hillary Clinton hat momentan das Problem, dass sie wahrscheinlich nicht Präsidentin werden wird, weil der Santer vorne liegt.”
Als eine Journalistin erwähnt, dass Trump mit seinen Unternehmen mehrmals in Konkurs gegangen sei, entzieht sich Lugner der Antwort durch ein Zwiegespräch mit seinem Kampagnen-Genius, das ebenfalls gut im Live-Stream zu hören war:
Czak (flüstert): „Das is immer so bei guten …”
Lugner: „Hä?”
Czak(flüstert): „Das is immer so … in Amerika is das immer so.”
Bum, Czak, zerberstet!
Womit wir auch schon beim wahren Kernstück der Kampagne wären—dem Wahlkampf-Planer, dem Vordenker, dem trüben Auge des Sturms, Peter-Erik Czak. Wenn Ursula Stenzel ein „politisches Animal” ist, dann ist Czak ein wahlkämpfender Godzilla. Auch die Ähnlichkeiten zu Lugner sind nicht zu übersehen: Czak spricht von einem „War Room”, von „Alles im Internet!” und von einem Kasperltheater, das irgendwie im Netz dazu dienen soll, Wähler zu gewinnen und Inputs für den Wahlkampf einzuholen. (Die Vermutung, dass ihm jemand Facebook-Algorithmen etwas vereinfacht erklärt haben könnte, liegt nahe.)
Er redet davon, dass die jungen Leute Richard Lugner „wie GOTT angeschaut” hätten und postuliert ganz ohne Zugbrücke zwischen Gehirn und Rachenraum: „Die leichteste Rolle, die es überhaupt gibt, ist die des Präsidenten.”
Anschließend illustriert er die Jugendlichkeit des potenziellen Präsidentschaftspaares Lugner (Richard Lugner ist aktuell 83 Jahre alt), indem er das Durchschnittsalter von Richard und Cathy ausrechnete und scharfsinnig bemerkte, dass dieses weit unter dem des Paares Khol läge. „In der Mediengesellschaft geht es ja vor allem ums Aussehen”, ergänzt Czak, „und da werdet ihr mir alle zustimmen, dass wir hier das attraktivste Präsidentenpaar haben.”
Um das Lugner-Mimikry perfekt zu machen, nennt er kurz darauf „Trump” auch noch „Strump” und mäandert sprachlich in die Gefilde von „ „Aussehen und Dresscode machen 55 Prozent aus. Da haben Sie noch kein Wort gesprochen” ab. Wie viel davon Planung und wie viel Panne ist, wird Doktoranden der Theater-, Film- und Medienwissenschaft noch über Generationen beschäftigen.
Epilog
Nach nicht mal einer Stunde ist die Show vorbei. Für eine Pressekonferenz eher kurz, für einen Autounfall eher lang.
„Keine Fragen mehr?” fragt Lugner etwas enttäuscht.
„Ja, aber die Fragen waren zum Teil lächerlich von den …”, ergänzt die First Lady.
„Wart, wart.”, sagt ihr Baumeister.
„Ja, aber wir gehen doch jetzt?!”, erwidert das Spatzi.
Fotos. Stillstand (also, bildlich). Offenbar hat niemand aus dem offenen Live-Stream am Anfang gelernt, denn als nächstes ist Wahlkampf-Mastermind Czak aus dem Off zu hören, als dieser sagt: „Zwischen dem, was er sagen soll und was er sagt, ist ein bisschen ein Unterschied.”
Mehr Fotos. Abgang. Enden wollender Nicht-Applaus. Aus.
Markus auf Twitter: @wurstzombie