Die hohe Kunst der (Nicht-) Album-Promotion

Es war einmal eine Zeit, da funktionierte eine Album-Veröffentlichung so: Eine Band gab einen Termin bekannt, zumeist in Interviews beim Musikmagazin ihres Vertrauens oder im Rahmen eines Videos bei MTV. Je näher der Termin rückte, desto mehr Interviews gaben sie in Print, Radio und Fernsehen, streuten hier und da mal einen Live-Auftritt ein und verschickten Plakate an Plättenläden.

Dann kam das Internet. Und wir wissen ja, dass das noch immer #Neuland für uns alle ist …, nein, im Ernst: Was die Promotion eines neuen Albums angeht, scheinen Labels, Agenturen und Musiker noch auf der Suche nach dem besten Weg zu sein. Die klassischen Wege mit Interviews, Vorabshows und Videopremieren sind noch immer angesagt (allerdings nicht mehr primär bei MTV), aber es gibt da ein paar Erweiterungen und Alternativen, die man durchaus mal analysieren kann.

Videos by VICE


Die Über-Kampagne: Daft Punk – Random Access Memories

Daft Punk haben dieses Jahr ein Album veröffentlicht, bei dem die ganze Welt dachte, dass es alles verändern würde: Columbia und Daft Punk haben uns durch ihre Kampagne erfolgreich glauben lassen, dass Random Access Memories die Geschichte der Menschheit umschreiben würde, mindestens. Dann kam das Album tatsächlich raus und die allgemeine Meinung revidierte sich schlagartig. Aber von vorn:

Die Promo von RAM war hochprofessionell. Im Grunde haben Daft Punk das klassische Promo-Konzept gewählt, aber sie haben es bis zum Ende ausformuliert und alles rausgeholt, was möglich ist und so neue Maßstäbe gesetzt. Es begann damit, dass Ewigkeiten vor dem Release die News gelauncht wurde, dass Daft Punk einen Vertrag bei Columbia / Sony Music unterzeichnet hätten. Eigentlich ist so ein Plattendeal keine besonders wichtige News, aber DAFT PUNK! SONY! Ich weiß bis heute nicht, was so verrückt daran ist, aber als die Nachricht rauskam, sprach jeder davon. Vermutlich lag es in erster Linie daran, dass mit dieser News auch die eigentlich Nachricht die Runde machte: Daft Punk bringen nach fast acht Jahren ein neues Album raus. Nach acht Jahren! DAFT PUNK! SONY!

Aber danach ging es ja überhaupt erst los. In einer nahezu genialen Mischung aus Restriktion und totaler Offenheit wurden ständig News gelauncht (wann das Album kommt, wie es heißen wird, wer drauf ist!) und gleichzeitig wusste niemand wirklich, wie es klingen wird. Irgendwann durften dann ein paar handverlesene Journalisten in ein paar handverlesenen Städten das komplette Album genau ein Mal durchhören. Davor mussten sie einen Vertrag unterschreiben, in dem stand, dass sie bis zu einem festen Datum nicht über den Inhalt schreiben, ja, noch nicht einmal reden durften.

Und natürlich sickerte genau dadurch doch durch, wie das Album klingt: Nämlich nicht nach Human After All beziehungsweise eben doch gerade menschlich. Daft Punk machen echte Musik. Verrückt. Befeuert wurde das geschickt durch Soundsnippets und die Interviewreihe mit diversen Kollaborateuren. Zuletzt gipfelte die daraus entstehende Vorfreude regelrecht in einem Wahn, ausgelöst von der Veröffentlichung der Single „Get Lucky“. Kein Wunder, dass das Album überall auf eins ging, bevor die Menschheit realisierte, dass es gar nicht so gut war. Aber da hatte die Menschheit es ja schon gekauft.

Ergebnis: Nummer eins in 23 Ländern, inklusive USA, United Kingdom und Deutschland.

Die Ich-mach-was-ich-will-und-scheiß-auf-euch-Kampagne: Kanye West – Yeezus

Die Yeezus-Promotion bestand aus einem Tweet, den Kanye am 2. Mai höchstpersönlich verschickte und bei dem er weit unter den 140 möglichen Zeichen blieb: June Eighteen. Der Rest der Promo war in etwa so aufschlussreich wie da Albumcover. Also gar nicht. Keine Interviews, keine Videos, keine Behind-the-Scenes. Noch nicht mal aktuelle Pressebilder (die letzten offiziellen Fotos stammen von 2010).

Die einzige wirkliche Aktion war das Screening seines Videos zu „New Slave“ an weltweit 66 Häuserwänden. Wie viele Leute er damit erreicht hat, weiß ich nicht, aber ich gehörte nicht dazu. Am gleichen Abend gab Kanye dann den Titel der Albums bekannt, was so ziemlich die größte News der ganzen Kampagne war, aber im Grunde vor allem deshalb funktionierte, weil alle dachten, dass er jetzt völlig durchdreht.

Irgendwann sickerte dann noch durch, dass es kein Albumcover geben würde, aber erst als Yeezus bei Amazon gelistet wurde, setze sich die Überzeugung durch, dass es Kanyes neues Album wirklich geben würde. Dann veröffentlichte Kanye einen völlig wirren Trailer bei Youtube, der allerdings die Aufmerksamkeit kaum erhöht haben dürfte, denn bis heute hat er gerade mal 3.900 Views gesammelt und allein drei davon stammen von mir. In der Woche des Release spielte Kanye dann noch bei SNL, das war‘s.

Ergebnis: Nummer eins in den USA, United Kingdom und vier weiteren Ländern, Platz 15 in Deutschland.

Die Ich-lass-meine-Promo-von-einem-riesigen-Unternehmen-finanzieren-Kampagne: Jay-Z – Magna Carta Holy Grail

Jay-Z braucht keine Promo. Denn Jay-Z hat schon vor der Veröffentlichung 1 Million Kopien seines neuen Albums verkauft—für 5 Dollar das Stück an Samsung. Genauer gesagt, hat Jay-Z 1 Million Kopien verkauft, bevor überhaupt irgendjemand wusste, dass es ein neues Album geben wird. Bis auf die Geschäftsführung von Samsung eben. Kein schlechter Move. Ob Magna Carta Holy Grail jemals Verkaufsrekorde brechen wird, ist fraglich, aber Jay-Z ist schon vor der Veröffentlichung auf der sicheren Seite.

Noch wird eifrig diskutiert, ob die Gratis-Downloads von Millionen Samsung-Nutzern in offizielle Chart-Wertung gezählt wird, falls ja, dürfte das Album zumindest den Rekord des am schnellsten auf eins schießenden Albums inne haben—1 Million Verkäufe am ersten Tag. Und wenn dann noch ein paar richtige Albumverkäufe dazukommen, für die Minderheit der Menschen, die kein Samsung Smartphone besitzen, dürfte Jigga zumindest sein Jahreseinkommen schon mal auf ein stabiles Niveau heben.

Abgesehen davon passiert dank der Marketingabteilung von Samsung seit der Ankündigung vor zwei Wochen sehr viel. Es läuft ein wenig nach dem Motto: Wie viel Promo können wir in zwei Wochen quetschen? Die Antwort: Viel. Zumindest versorgen uns Samsung und Jay-Z massenhaft mit hübschen Teaservideos und (semi-) emotionalem Blahblah, sowohl über Youtube als auch über die MCHG-App. Und im Gegensatz zu Kanyes Trailer, werden Jiggas Videos auch geguckt—der erste dreiminütige Trailer hat mehr als 23,5 Millionen Views. Interviews, Vorab-Videos und Live-Gigs gibt es natürlich trotzdem nicht.

Ergebnis: Wahrscheinlich in 400 Ländern auf Nummer eins, vor allem in Südkorea.

**

Folgt YNTHT bei Twitter und Facebook für tägliche Updates über eure Lieblingsmusiker:

@YNTHT_DE folgen


MEHR VON YOU NEED TO HEAR THIS

Get Lucky und lucky und lucky und immer wieder lucky Lebt Dubstep eigentlich noch? Der belgische New Beat war mein Tanzlehrer