Die jahrtausendealte Tradition des chinesischen Schinkens

Vor ein paar Monaten hat mir ein Koch aus L.A. vom luftgetrocknetem Schinken aus Jinhua, einer Stadt in der südostchinesischen Provinz Zhejiang in den höchsten, ja fast schon poetischen Tönen vorgeschwärmt.

„Fahr unbedingt nach Jinhua und bring mir was von dem Schinken mit”, befahl er mir förmlich. Dann erklärte er mir seinen etwas nerdigen Plan detailliert: Er wollte die Mikroben auf dem Schinken untersuchen.

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Der Schinken reift. Alle Fotos von der Autorin

Der Jinhua-Schinken ist noch stärker in Geschmack und Geruch als prosciutto oder jamón serrano. In der chinesischen Küche wird er hoch geschätzt und vielfältig eingesetzt: Entweder als Suppeneinlage oder mit Gemüse angebraten. Der intensive Umami-Geschmack macht den Schinken in ganz China so beliebt.

„Ich brauche nur ein kleines Stück”, meinte er zu mir. „Er schmeckt göttlich und ich will nur herausfinden, wie ich das hier auch hinbekommen kann.” Jinhua-Schinken darf derzeit nämlich nicht in die USA importiert werden.

Das erste Mal wurde der Schinken zwar schon zu Zeiten der Tang-Dynastie im 10. Jahrhundert vor Christus erwähnt, die tatsächlich nachweisbare Geschichte des Schinkens erstreckt sich aber über die letzten 1.000 Jahre. Damit ist Jinhua die älteste Schinkensorte in ganz China. Angeblich hat Marco Polo die Kunst der Schinkenherstellung von Jinhua nach Europa gebracht. Viele der heutigen Herstellungsmethoden für luftgetrockneten Schinken kommen ursprünglich aus der kleinen chinesischen Stadt und haben sich entsprechend weiterentwickelt.

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In China angekommen schlage ich mich bis nach Jinhua durch. An meinem zweiten Tag in der Stadt bin ich in einer Schinkenfabrik und mich herum hängen hunderte Schweine. Das Unternehmen, Jindu, wurde 1974 gegründet und stellt jedes Jahr zwischen 50.000 und 60.000 Schinken her.

„So wird also Schinken gemacht”, sagt meine Freundin Sherry Zhen, die aus Jinhua kommt, während sie mit großen Augen die mit Salz bedeckten Schlachtkörper betrachtet. Mir zieht sich alles zusammen, denn der Geruch ist ziemlich stechend.

„Ganz ehrlich, ich war hier auch noch nie”, meint ihre Mutter, die die Verbindung zur Fabrik hergestellt hat, weil sie den Besitzer kennt. „Wir aus Jinhua essen den Schinken nicht so oft. Der ist zu salzig.”

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Mit Salz bedeckte Keulen

Das stimmt. Jinhua-Schinken ist ziemlich salzig.

Ein Schweinebein wird in der Fabrik für bis zu zwei Monate mit Salz gepökelt. Dann wird es abgewaschen und die Keule muss fünf Tage lang trocknen. Als nächstes kommt sie fünf bis acht Monate in einen niedrigtemperierten Raum, damit er reifen kann. Dabei wird das Fleisch richtig hart und verdichtet sich. Wenn der Schinken fertig ist, wird er vakuumverpackt und kommt in Geschenkverpackungen. Eine Keule kostet gut 70 Euro, je nach Größe und Alter.

Am Ende schmeckt der Schinken sehr rauchig. Man kann das Terroir von Jinhua förmlich rausschmecken, dadurch entsteht der unverkennbare Geschmack.

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Le-An Ni vor seinem Geschäft

In Jinhua haben wir alle vier Jahreszeiten. Die Stadt liegt in einem Tal, daher ist das Klima für die Schinkenherstellung ideal”, erklärt mir Le-An Ni, Besitzer eines Schinkengeschäfts in der Qingnian Straße. Hier gibt es fast nur solche Geschäfte und sie ist die älteste ihrer Art in der Stadt. Le-An macht seit 20 Jahren Schinken und es gab keine Zeit, zu der seine Familie keinen Schinken hergestellt hat.

„Im Winter, wenn es kälter ist, fangen wir mit dem Pökeln an”, erklärt er mir. „Im Frühling reift der Schinken dann und im Herbst ist er fertig. Die Temperaturunterschiede machen das Produkt so einzigartig.”

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Eine Skulptur des Panda-Schweins

Traditionell wird Jinhua-Schinken aus einer heimischen Schweinerasse gemacht, liangtouwu, die seit circa 1.600 Jahren in der Region lebt. Es wird wegen seiner schwarz-weißen Färbung auch das Panda-Schwein (Wie süß!) genannt und wird wegen seiner kleinen Größe und seines hohen Fettgehalts geschätzt.

„Es dauert sehr lange, sie zu aufzuziehen”, sagt Le-An. „Sie nehmen die Nährstoffe richtig auf und sind reich im Geschmack.”

Heute verwenden nur noch wenige Hersteller das Panda-Schwein, weil die Rasse zu teuer und ziemlich selten ist. Aufgrund wirtschaftlicher Reformen hat sich der Markt außerdem für rentablere Schweinearten geöffnet. Aber es gilt immer noch das gleiche Prinzip bei der Auswahl: je fetter, desto besser.

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Ein Arbeiter wäscht das Salz vom Schinken ab

Zurück in der Schinkenfabrik führt mich einer der Angestellten durch den Produktionsprozess. „Ich weiß nicht, warum Sie das interessant finden”, meint er. „Es ist eigentlich ganz einfach. Wir salzen das Fleisch und hängen es auf.”

In einem Bericht zum Jinhua-Schinken der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen heißt es, dass „es keine wirklich exakte Herstellungsmethode des Schinkens gibt. Die Hersteller haben ihre Methode wie ein kulturelles Erbe weitergegeben.”

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Im Schinkenmuseum

Das zeigt sich auch bei meiner Tour. Außer Schweinen gibt es relativ wenig in der Fabrik. Eine Halle zur Lagerung, eine andere fürs Verpacken, dann noch ein paar Räume für das Pökeln und die Reifung. Equipment findet man auch fast keines oder Thermometer. Ich beobachte, wie ein alter Mann mit Kippe im Mundwinkel herumrennt und Becken mit Wasser befüllt, in denen die gesalzenen Schinken abgewaschen werden. Anscheinend ist er der einzige, der arbeitet.

Irgendwie wahrscheinlich durch Legenden, ist der Schinken zum Stolz der Stadt geworden. Es gibt Straßen, in denen sich alles um luftgetrockneten Schinken dreht, ich war sogar in einem Schinkenmuseum, das von einem der größten Hersteller, Jinzi, finanziert wird, und konnte dort eine Keule im Wert von über 1.000 Euro anfassen.

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So wird der Schinken im Restaurant des Best Western World Trade Hotels serviert

Sherry nimmt mich mit in das Restaurant des Best Western World Trade Hotel. Hier wird der Schinken mit Honig bestrichen und Duftblüten leicht geröstet serviert. Die Konsistenz erinnert an Pulled-Pork und ich bin unendlich dankbar, dass durch den Honig noch eine gewisse Süße hinzukommt, was den natürlichen Salzgeschmack des Schinkens etwas ausgleicht.

Der Geschmack ist himmlisch und unglaublich komplex, nicht zu vergleichen mit anderen Sorten.

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Sherry findet ihn eher speziell, sie hat das Gericht jahrelang nicht gegessen.

„Wir Einheimischen essen nicht so viel von dem Schinken, weil es ihn ja eh hier gibt. In Guadong kocht man ironischerweise viel öfter damit als hier”, erzählt sie mir. „Hier verschenken wir ihn eher.”

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Abgepackter Schinken—bereit zum Verschenken

Am Ende meines Besuchs in der Stadt geben mir Sherry und ihre Mutter einen großen Karton mit Schinken. Insgesamt wiegt er 2,7 Kilogramm.

Erstaunt schaue ich mir die fleischige Keule an und nehme das Geschenk peinlich berührt an. Eigentlich wollte ich nur die Fabrik besuchen und ein bisschen Schinken essen. Ich wollte keine ganze Keule mitnehmen.

Jetzt steht diese wunderschöne Geschenkverpackung mit goldenem Futter auf meinem Koffer.

Den bekomm ich definitiv nicht zurück in die USA.