Die Kinder-Bestatter Indonesiens

Alle Fotos: Lody Andrian

In den letzten Jahren sind wohlhabende Indonesier dazu übergegangen, ihre Gräber im üppigen Stil prunkvoller Parkanlagen zu dekorieren—nur noch extremer. In Jakarta ähnelt der 2007 eröffnete ​San Diego Hills Memorial Park einer Vergnügungsstätte für die Reichen und Dahingeschiedenen. Die Anlage bietet ein Restaurant, ein Schwimmbad, einen Campingplatz und Paddelboote, mit denen man „Lake Los Angeles” befahren kann.

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Andere Ruhestätten machen hingegen anderweitig von sich reden. Der öffentliche Pondok Kelapa Friedhof zum Beispiel schaffte es vor nicht allzu langer Zeit ​in die lokalen Nachrichten, weil dort eine übel zugerichtete Leiche abgeladen worden war. Der Mörder wurde gefasst und letzten Monat verurteilt. Auf dem gleichen Friedhof kümmert sich eine Gruppe von Kindern, manche von ihnen erst zwei Jahre jung, um die Ruhestätten. Sie leben und arbeiten dort. Die Kehrseite von reichen Indonesiern, die sich prachtvolle Grabanlagen leisten, sind arme Indonesier, ​die in ihnen wohnen. Dieser Zustand ist nicht wirklich verwunderlich, wenn man bedenkt, dass das indonesische Wirtschaftswachstum ​die Schere zwischen Arm und Reich nur weiter geöffnet hat.

Einer von Pondok Kelapas kleinen Grabpflegern ist Riski. Er weiß selber nicht, wie alt er ist, dürfte aber etwa sieben sein. Er verbringt seine Tage damit, Tote zu beerdigen und die Gräber sauber zu halten.

Als mein Fotograf und ich ihm begegneten, spielte er gerade zusammen mit seinem Freund Putra mit einer Tüte voller Eidechsen. Riski trug gefälschte Crocs und ein T-Shirt mit der Aufschrift „Slank No Drugs”. Als ich mich bei den Angestellten der örtlichen Bestattungsgeschäfte nach ihm erkundigte, sagten sie, dass er und sein Freund hier die jüngsten Grabpfleger seien, die sie kennen. Riski sei außerdem der Sohn eines Plastiksammlers, der sein Kind irgendwann einfach zwischen den Grabsteinen zurückgelassen hatte.

Als ich Riski fragte, was er da gerade macht, erklärte er, dass er Geckos jagt. In der westlichen Welt käme dies dem Spielen mit einer schwarzen Katze gleich. Im Hinduglauben, dessen Überbleibsel auch weiterhin in der breiten Bevölkerung zu spüren sind, sind Geckos nicht besonders beliebt. In den Augen der Menschen hier stehen Geckos für böse Geister oder bedeuten Pech—es hatte also schon etwas Adams Family-esques, die beiden Kinder mit den Eidechsen auf dem Friedhof herumlaufen zu sehen.

„Du lebst hier?” fragte ich.

„Ja, wir leben hier zusammen”, antwortete Riski und zeigte auf einen kleinen Unterschlupf mit einem Wellblechdach.

Ich fragte Riski nach seinen Eltern, aber anstatt mir zu antworten, ging er plötzlich zu seiner Behausung—als wollte er uns eine Tour geben. Drinnen trafen wir auf eine ältere Obdachlose, die sie „Großmutter” nannten und die ebenfalls hier auf dem Friedhof lebt und auf die Waisenkinder aufpasst. Sie kümmert sich um den Haushalt, während sich die Kinder um die Gräber kümmern.

Bei aller Fürsorge hatte sie den Kindern allerdings eingetrichtert, dass Schule nur Geldverschwendung und die Arbeit hier viel sinnvoller sei. Durch die Pflege alter Gräber und Bestattungs- und Reinigungstätigkeiten verdient Riski, wie er uns sagte, 1.000 Rupiah (6 Cent) und manchmal sogar 5.000 Rupiah (33 Cent). Eine Standardbeerdigung kostet 20.000 Rupiah (1,31 Euro), aber manchmal zahlen die Leute gar nichts. Ich fragte, was passiert, wenn sie von Trauernden übers Ohr gehauen werden. „Dann essen wir nichts”, antwortete er. Nichtsdestotrotz schien seine Stimmung ungebrochen positiv zu sein. „Es ist zu einem Hobby geworden”, sagte Riski. „Ich bin einfach glücklich, dass ich arbeiten kann, wenn andere Menschen traurig sind. Es ist schön, Menschen unter die Erde zu bringen. Vor allem, wenn ich einen guten Job mache.” 

Riski kümmert sich um den islamischen Teil des Friedhofs, was bedeutet, dass es dort keine Särge gibt. Das bedeutet außerdem, dass die Trauernden die Beerdigung mit Unterstützung der Grabpfleger selbst durchführen. Die Leichen werden gewaschen, in ein weißes Tuch gehüllt und dann mit einem Seil an Knöcheln, Handgelenken und Kopf verbunden. Dieses Seil muss dann, wenn der Tote in der Grabstätte liegt, vom Kopf an wieder gelöst werden—passiert das nicht, wird der Geist des Verstorbenen als ​Pocong zurückkehren.

Ich fragte Riski, warum ein Friedhof bewacht werden muss und er erklärte mir, dass es „Witzbolde” geben würde, die Schädel, Erde und Grabsteine für „Talismane und Hexerei” klauen würden. Diese „Witzbolde” sind abergläubische Händler und Unternehmer, die denken, dass ihnen der Kram von Friedhöfen beruflichen Erfolg bescheren wird.

Riski erzählte mir außerdem, dass er einmal eine Kuntilanak gesehen hat—den Geist einer schwangeren Frau, die starb, bevor sie ihr Kind auf die Welt bringen konnte. Man sagt, dass Kuntilaks so sehr um ihr Baby weinen, dass ihre Tränen zu Blut werden. Riskis Beschreibung stimmt exakt mit der Legende überein: „Es war einen Frau mit langen Haaren und einem langen, weißen Kleid. Unter ihren Augen war Blut.” Er berichtete, dass er sie bei einem großen Baum in der Nähe seiner Hütte gesehen hat. Ich konnte den Baum sehen, den er meinte, und fragte ihn, wann sie ihm denn das letzte Mal begegnet sei. Darauf antwortete er: „Sie ist jetzt gerade da.” Er versuchte anscheinend, uns einen Schrecken einzujagen.

Kurz darauf scheuchte die „Großmutter” alle Kinder mit dem Hinweis weg, dass ja Arbeit zu erledigen sei. Sie stellte mich ihrem dritten „Enkelkind” vor—dem zwei Jahre alten Alfian. Ich fragte sie, ob sie das Gefühl habe, die Kinder auszunutzen. „Sie sind freiwillig hier”, antwortete sie. „Sie sagen, dass sie es für das Essen machen, das ich für sie koche.” Ich fragte sie, ob sie das Geld der Kinder denn einbehalten würde, was sie unumwunden zugab. „Sie sind noch sehr jung. Die würden ihren Lohn für Süßigkeiten verschwenden. Ich will ihnen nur helfen.”

Indonesien hat einen neuen Bildungsminister, der vor einer Menge ungelöster Aufgaben steht. Zusätzlich zu der Einkommensungleichheit, die es Kindern wie Riski unmöglich macht, eine Schule zu besuchen, befindet sich auch noch ​jede dritte indonesische Schule in einem Konflikt mit der örtlichen Gemeinschaft. Obwohl das Land über die stärkste Wirtschaft in Südostasien verfügt, sind die Schulen Indonesiens ​die zweitschlechtesten in der ganzen Region. Kurzum, trotz des ganzen neuen Geldes, mit dem sich betuchte Indonesier ihre schicken Mausoleen bauen, sieht die Zukunft für Riskis Generation überaus finster aus.

Als ich mich pessimistisch über ihre missliche Lage äußerte, sagte die „Großmutter” zu mir: „Mir bleibt nichts, außer zu beten.”