Vor seiner Karriere als Actionheld hat Vin Diesel tatsächlich Rapsongs aufgenommen

Titelbild: Screenshot von YouTube aus dem Video “Vin Diesel – How To Break Dance Video (ORIGINAL)” von Crazy Laugh Action

Um das direkt von vornherein zu klären: Jeder, der behauptet, Vin Diesel sei kein Hipster, hat keine Ahnung. In xXx – Triple X, einer Dokumentation über Vin Diesels Leben von 2002, die zu Vermarktungszwecken vom Studio fälschlicherweise als Actionfilm beworben worden war, trägt Vin Diesel Vans-Sneaker und fährt ein Cabrio über eine Klippe, um ein politisches Statement über die gesellschaftlichen Auswirkungen von gewaltverherrlichenden Videospielen und HipHop zu machen. Er hängt mit Bam Margera in einem Loft ab, in dem es eine Halfpipe gibt, freundet sich durch Vandals-Zitate mit einem bösen Anarchisten an, besucht zwei Raves, macht vier Fallschirmsprünge, weicht mithilfe ein paar lässiger Motocross-Sprünge einem Haufen Gewehrkugeln aus und löst mit Dynamit eine Lawine aus, die er dann mit seinem Snowboard reitet. Nur ein wahrer Hipster würde solches Zeug machen, keine Frage.

Videos by VICE

Auch wenn ich in dem oberen Absatz mindestens zwei Lügen erzählt habe – Vin Diesel ist definitiv kein Hipster und xXx, so sehr ich mir es auch wünsche, keine Dokumentation sondern ein überdrehter Extremsport/Agenten-Film – liegt dem allem eine größere Wahrheit zugrunde und diese Wahrheit lautet so: Obwohl er ein 50-jähriger Glatzkopf ist, der sich mit Rollen in herrlich absurden Filmen über Autos und Explosionen Millionen verdient hat, ist Vin Diesel fast so authentisch HipHop wie Ludacris – einen seiner vielen Co-Stars im neuen und achten Fast & Furious Streifen, Fast & Furious 8, der Mitte April ins Kino gekommen ist.

Vor seiner Schauspielerkarriere war Vin Diesel Türsteher im legendären New Yorker Club The Tunnel, der gleichermaßen bekannt für seinen Einfluss auf die Rave-Szene der Stadt und als Geburtsort eines eigenen HipHop-Subgenres ist. Aber ähnlich wie Groot, dem denkenden und fühlenden Baum, dem Vin Diesel im Original von Guardians of the Galaxy seine Stimme leiht, reichen Vin Diesels Wurzeln noch viel weiter in die HipHop-Szene. Vin Diesel stammt aus New York und ist alt genug, um dein Vater zu sein. Das heißt also auch, dass er alt genug ist, um die Geburt des HipHop persönlich miterlebt zu haben. Während der 80er mauserte er sich sogar zu einem kleinen Player in der Szene. Hier seht ihr ihn als jungen Burschen in einem Breakdance-Lehrvideo. Besonders erwähnenswerte Szene: Kurz nach der Marke von 1:45, wenn ihm sein Tanzpartner fast in die Eier tritt. Schaut es euch an und lasst euch von seiner Grandiosität mitreißen:

Wahrscheinlich noch erwähnenswerter ist der Umstand, dass Vin Diesel sich einmal tapfer als Rapper versuchte – und grandios scheiterte. Und auch wenn sich viele Entertainer irgendwann in ihrer Karriere mal am Rap versucht haben (siehe Thomas Gottschalk), stellt Vin Diesels Vorstoß in das Genre eine echte Besonderheit dar. Vin Diesel rappt nämlich über einen Beat von niemand Geringerem als Arthur Russell. Allein die Tatsache, dass Russell – ein renommierter Underground-Musiker und Cellist, dessen Werk die Grenzen zwischen Experimentalkomposition, Folk und Disco überschreitet, oftmals in ein und demselben Song – sich überhaupt an HipHop versucht hat, ist an und für sich schon spektakulär. Wenn du das dann noch um einen jungen Vin Diesel ergänzt, der unter seinem bürgerlichen Namen Mark Sinclair hinter das Mikro tritt, ist der Stoff für bizarre Fiebertäume komplett. In einer Aufnahme der Session, die vor einigen Jahren im Internet aufgetaucht ist, hört man eindeutig, dass der junge Diesel kaum einen Beat trifft und im Meer der synkopierten Rhythmen total baden geht. Wenn bei der Session ein echter Song entstanden wäre, hätte Vin Diesel vielleicht der nächste LL Cool J werden können – oder bei Russells abgedrehter Produktion der nächste Rammellzee.

In der Hoffnung, mit ihm über sein wahnwitziges Intermezzo mit der experimentellen Musik sprechen zu können, schrieb ich eine E-Mail an Vin Diesels Team, aber mit Verweis auf seinen vollen Terminkalender – er gönne sich gerade eine Auszeit zwischen der Promo für Fast & Furious 8 und dem anstehenden Guardians of the Galaxy Nachfolger – bekam ich eine Absage. Mir gelang es allerdings, Gary Lucas zu erreichen, der die ganze Aufnahme-Session angeleiert hatte.

“Ich kann mich für junge Künstler begeistern und für Menschen, die in meinen Augen vom Mainstream übersehen werden”, sagt Lucas, selber Avantgarde-Gitarrist, der bei Captain Beefheart seine ersten größeren Erfolge feierte und später einem jungen Jeff Buckley zum Durchbruch verhalf. Neben seiner Arbeit als Gitarrist arbeitete Lucas in den 80ern bei CBS Records und nachte A&R-Arbeit für das Indie-Label Upside Records. “1986”, sagt er, “war ich auf der Suche nach einem Rapper.” Und da entdeckte er Mark Sinclair, einen Teenager, der in einer Eis-Bude unweit seines Apartments im West Village arbeitete. “ich wusste, dass er ein Star war”, erinnert sich Lucas.

Foto: Nolan Allan

“Er war unfassbar witzig. Er machte diesen britischen Akzent, der alle zum Lachen brachte. Vor der Eisbude machte er Breakdance und er hatte dieses Rap-A-cappella-Ding drauf. ‘Rhyme creator, MC dictator / Afro-relator, prognosticator’, ging das erste Reimpaar.” Lucas nahm Sinclair schließlich zu einem Run DMC-Konzert im Apollo Theater mit. Über den Abend erzählt er: “Mark war der Hahn im Korb! Er hatte diese Pimp-Jacke an und sah unglaublich cool und hip aus. Die ganzen jungen Mädchen, die auf Run DMC warteten, flossen dahin. Alle fragten sich: ‘WOW! Wer ist das?’” Nachdem er den ganzen Wahnsinn miterlebt hatte, schlug Lucas Freund, Toningenieur Jeff Travis, ihm vor, Sinclair für eine Session mit Arthur Russel zusammenzubringen. “Das könnte eine richtig coole Kombination werden.” Vergesst an diese Stelle nicht, dass die 80er eine andere Zeit waren: Einen Underground-Disco-Cellisten einen Rapsong mit einem sexy Breakdancer machen zu lassen, ergab etwa genau so viel Sinn wie, dass der Typ von den New York Dolls sich plötzlich als Lounge-Sänger ersuchte, Run DMC Aerosmith coverten, The KLF unter dem Mantel der Performancekunst ganz offen gegen jedes Copyrightgesetz verstießen oder Debbie Harry sich als Rapperin versuchte. Wenn diese ganzen Absurditäten funktioniert hatten, warum nicht auch das hier?

Lucas hatte Arthur Russell bei der Produktion einer Session mit dem Komponisten Peter Gordon kennengelernt, der Russell für den Track “That Hat” mitgebracht hatte. Lucas war beeindruckt. “Arthur kennenzulernen, war die erfrischenste musikalisch Erfahrung, die ich gemacht hatte, seit meiner ersten Begegnung mit Captain Beefheart.” Auch wenn Russel in den Kreisen von Downtown New York bereits als Held gefeiert wurde, hatte er noch nicht das Ausmaß Anerkennung von Zeitgenossen wie David Byrne und Television erreicht. Mit etwas Glück würde ein HipHop-Hit das für ihn ändern können. Mit zukünftigen Stars in den Augen organisierte Lucas die Session. Ganz ähnlich wie in Fast & Furious 7, als Vin Diesels Figur dem Granatenwerfer von Jason Stathams Figur entflieht, indem er sein Superauto aus dem Fenster des höchsten Gebäudes von Abu Dhabi in das zweithöchste Gebäude Abu Dhabis fährt, nur um dort festzustellen, dass das Superauto keine Bremsen hat und er in das dritthöchste Gebäude von Abu Dhabi springen muss, um dort in einer Art Bremsmanöver in irgendwelche Antiquitäten zu rasen, bevor er und Paul Walkers Figur aus dem Wagen springen können, Sekunden bevor es mehrere Hundert Meter nach unten rauscht, “lief die ganze Sache gehörig schief.”

Lucas erklärt: “Ich muss sagen, dass Mark damals kein besonders guter Freestyle-Rapper war. Er war sehr gut darin, seinen Rap A cappella abzuliefern. Als wir aber versuchten, das auf einen Beat anzupassen, wusste er nicht wirklich weiter.” Russell machte es dem Rap-Aspiranten aber auch nicht leicht: “Arthur hat das Tape einfach an irgendeiner zufälligen Stelle gestartet”, was Sinclair, wie Lucas erzählt, noch planloser machte. “Mark nahm es aber mit Humor. Er sagte immer wieder: ‘Alter, das ist der weiße Teil in mir, der es versaut!’”

Lucas berichtet, dass er den jungen Sinclair noch zu einer weiteren Studiosession mit Sugar Hill Records mitbrachte. Aber auch dort kam man über eine erste Probe nicht hinaus. “Mark war ein Klugscheißer; er ist noch immer ein Klugscheißer”, sagt Lucas liebevoll. “Keith [Le Blanc, der Haus-Drummer des Labels] meinte: ‘Ich kann mit dem Typen nicht arbeiten.’ Jetzt beißt er sich wahrscheinlich in den Hintern.”

Das Aufeinandertreffen des jungen Diesels und Arthur Russells sagt uns eine Menge über das künstlerische Klima, das im New York der 80er herrschte. Es steht stellvertretend für eine Ära, in der es nicht nur zu einer gegenseitigen Befruchtung zwischen HipHop und Avantgarde kam. Nein, HipHop war Avantgarde – genau wie auch No Wave und Post Punk. Und angesichts des unfassbaren Erfolgs, den Run DMC damals hatten, wussten die Plattenfirmen, dass damit Geld zu holen war. Und das würden sie sich holen – auch wenn sie selbst keinen blassen Schimmer davon hatten, was funktioniert und was nicht. Es ergab durchaus Sinn, eine der talentiertesten Figuren des New Yorker Undergrounds mit einem charismatischen Teenager vom Eisstand nebenan zusammenzubringen und zu schauen, ob in den sinnbildlichen Hügeln nicht doch Gold versteckt ist.

Die besagte Session hatte aber auch einen positiven Effekt. “Arthur war eine wundervolle Inspiration, ein wunderschöner Kerl”, erzählt Lucas. “Bei dieser Session, nachdem die ganze Sache gescheitert und ich deprimiert war, sagt er: ‘Du solltest Vollzeit Musik machen. Mit einer Gitarre in der Hand siehst du am glücklichsten aus.’” Russels Bemerkung inspirierte Lucas dazu, seinen Job zu kündigen und tatsächlich Vollzeitmusiker zu werden.

Obwohl Sinclair irgendwann seinen Namen zu Vin Diesel änderte und Erfolg in Hollywood hatte, blieb er Lucas nahe. “Wir haben ihn in unsere Familie aufgenommen”, sagt Lucas. “Später hat meine Frau einen Indie-Film namens Strays für ihn gecastet, den er mit Kreditkarten finanziert hatte.” Vin-Diesel-Kenner wie meine Wenigkeit wissen, dass Strays sich am Ende auszahlte. Steven Spielberg bekam Wind von dem Streifen und castete Diesel für Der Soldat James Ryan und injizierte damit eine Dosis Stickstoffoxid in den Motor des Jungschauspielers. “Er macht Dinge auf seine eigene Art und in seiner eigenen Geschwindigkeit”, sagt Lucas. “Das funktioniert in der Regel auch gut für ihn, aber manchmal kommt er Menschen in die Quere, die genau so dickköpfig sind wie er.”

Folge Noisey auf Facebook, Twitter und Instagram.