Der Kurzfilm “Kampftrinken” zeigt, wie Selbstzerstörung zur Kunst wird

Wer als junger Mensch auf der Suche nach dem eigenen Ich ist, versucht auch gerne mal, sich im Exzess besser kennenzulernen. Rausch kann erhellend sein, sofern er nicht in Selbstzerstörung ausartet. “Selbstzerstörung ist der Exzess der Selbstsuche”, heißt es da treffend beim relativ unbekannten Autor Bernhard Steiner. Vielleicht ist Selbstzerstörung aber auch eine Weise, mit der Langeweile umzugehen, nachdem man sich selbst gefunden hat—hängt alles davon ab, mit wie viel Koketterie man sich selbst demontiert.

Die wirklich großen Meister der eigenen Dekonstruktion gehen leise zugrunde. Denn, wer meint, sich selbst egal zu sein, sollte es nicht nötig haben, es den Anderen zeigen zu müssen. Bei der eigenen Vernichtung ist kein Platz für Eitelkeiten. Und eine Selbstvernichtung auf Raten war definitiv das, was sich vor gut 27 Jahren im Kreuzberger Blechladen abspielte. Das Lokal in der Mittenwalder Straße startete einen Aufruf zum Kampftrinken in den eigenen Katakomben: “Alle fünf Minuten einen Tequila! Wer nicht mittrinkt, fliegt raus!”

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13 Feuerwasser-Gladiatoren gingen 1989 in Berlin an den Start, darunter auch Wolfgang Hogekamp. Als er und sein Regi-Kollege Rolf Wolkenstein von den lebernen Ritterspielen erfuhren, beschlossen sie, das Happening mit einer VHS-Kamera auf Film zu bannen: “Unser Plan: Wolfgang sollte erst mal mittrinken und dann später die Kamera übernehmen, um sozusagen ‘insight’ zu filmen”, erklärt Wolkenstein in einer Beschreibung zum Film.

Die Zwanzig-Shot-Marke haben damals gleich mehrere Trinkspezialisten spielend geknackt, aber was Wolfgang Hogekamp als vermeintlicher Beiläufer für eine Performance auf das Parkett legte, kann nicht anders als “legendär” bezeichnet werden. Ja, Wolfgang Hogekamp mähte sie alle nieder.

Ein Auto als Matratze zu benutzen, darauf muss man auch erst kommen. Sieht gar nicht mal so ungemütlich aus.

40 Tequila—gekommen, um zu bleiben. Mehr noch: Während es das übrige Teilnehmerfeld in Krankenwagen oder die eigene Kotze zerlegte, stand Hogekamp da wie eine Eins und versuchte noch, ein Siegerinterview zu führen. Last man standing. Die Personifizierung eines Panzers, zweifelsohne.

Aber dieses Video ist nicht nur eine Demonstration, wie Kampftrinken erster Leistungsklasse aussieht, es markiert auch den Tod einer Ära und den Übergang in eine andere. Was hier zelebriert wird, ist eine Ästhetik des Hässlichen, in einer Zeit, als das Negativschöne kaum eine Pose war. Es war das Berlin, wo der Lack noch nicht ab sein konnte, weil es noch überhaupt keinen Lack drauf hatte; wo noch die meisten Figuren verranzt rumliefen, weil sie verranzt waren und nicht bloß danach aussehen wollten—Phänomene wie der “Heroin Chic” existierten noch nicht und auch keine AC/DC-T-Shirts, die man sich als modisches Accessoire bei H&M kaufen konnte. Wenn das Unprätentiöse zur Attitüde wird, stirbt dessen Reiz.

Analog hierzu auch heute die Clubs und Bars in München, Hamburg oder Berlin: Es klingt paradox, aber der Glanz des Schmucklosen ist irgendwie dahin, eben weil man sich mit dem Schmucklosen zu schmücken versucht. Wenn ich auf dem Hamburger Schanzenviertel die Sofabar mit ihren unverputzten Wänden und löchrigen Polsterbezügen betrete, komme ich nicht umhin, an Phillip-Plein-Jeans im Used-Look für 400 Euro zu denken. Ähnlich ist es in jedem zweiten Technobunker Berlins—während mit viel Dunkelheit und einem industriellen Purismus der Charme einer entbehrende Härte zu erzeugen versucht wird, hört man an der Bar jemanden fragen, ob er seinen Gin auch mit Thomas Henry anstatt Schweppes-Tonic haben kann.

Anderseits, wer sind wir schon, wir mit unser ewig gleichen Litanei über die Ermangelung an Authentizität? Und was heißt überhaupt “authentisch”? Ist das nicht nur eine Worthülse für Werber und ein Begriff, hinter dem sich jede Generation vor ihrer nachfolgenden versteckt? Es manifestiert sich in diesem Gerede von den “guten, alten Zeiten”, die nicht wiederkommen und die wir, als die Jüngeren, nie mehr erleben werden. Wie oft hat mir nicht schon ein verklatschter Mittdreißiger zu erklären versucht, dass ich vom Feiern keine Ahnung habe—ja im Grunde Berlin als solches überhaupt nicht kenne—, weil ich die Zeit im alten Tresor und die Ostgut-Nächte verpasst habe. In München ist es dann das Ultraschall, in Hamburg der alte Tunnel Club—als ob man überhaupt eine Stadt “kennen muss”, und als ob diese Kenntnis ausgerechnet über den Exzess zu erreichen wäre.

Mit nüchternem Auge betrachtet wäre das Tequila-Schießen im Kreuzberger Blechladen tatsächlich kaum mehr als die Zusammenkunft von einigen traurigen Gestalten, die auf dem Weg ihrer Selbstfindung die falsche Abfahrt genommen haben. Auch kann ihre Aktion nicht damit geadelt werden, dass sie ihre Selbstzerstörung sehr still und damit uneitel und damit authentisch betrieben—es war eine Kamera dabei, die Vielzahl der Teilnehmer waren Punks und was schreit lauter die Lebensmaxime “Ihr seid mir alle egal” als Nieten und neonfarbene Haare? Umso großartiger ist der Siegeszug von Wolfgang Hogekamp: Er war einfach nur da. Gekleidet wie ein unscheinbarer Sparkassen-Angestellter, spuckte keine großen Töne und zerstört sich in seiner Konsequenz relativ leise. Ein Großmeister, chapeau.

Und was die Authentizität anbetrifft: Braucht man sie überhaupt? Ist ja ein unglaublicher Druck, der von ihr ausgeht. Wer sie sucht, findet vielleicht ja in Wolfgang Hogekamp ein lebendiges Bespiel. Ich selbst werde mich erstmal damit begnügen, keine AC/DC-T-Shirts bei H&M mehr zu kaufen, und versuche, den nachfolgenden Generation nicht den Spaß an ihrer Ära zu nehmen, indem ich ihnen weismachen will, dass sie vom Ficken und Techno nichts verstünden, weil sie etwa nie auf der Pornceptual waren. Wir alle kochen mit Wasser. …außer Wolfgang Hogekamp, der kocht mit Tequila.

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