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Die Mission Edward Snowden zu treffen

Ostromentsky / Flickr

„Es gab Zeiten, in denen ich dachte es würde niemals passieren,” sagt Coolen Rowley, eine ehemalige FBI Agentin, über ihre jüngste Reise nach Moskau: „Ich bin immer noch überwältigt.”

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Auch ich war ziemlich überwältigt, als ich morgens um 2 Uhr eine verschlüsselte E-Mail bekam mit einem Foto von Coleen und drei anderen Whistleblowern, die Seite an Seite mit einem der meistgesuchten Menschen dieses Planeten stehen.

Als Edward Snowden ein Haus in Hawaii, eine langjährige Beziehung und ein ansehnliches Gehalt als Regierungsangestellter hinter sich ließ, um die transnationalen Überwachungsaktivitäten seiner Regierung zu enthüllen, gab er auch so ziemlich jede Art von Sicherheit auf. Das us-amerikanischen Justizministerium hat den 30 jährigen ehemaligen „Infrastruktur-Analysten” der Entwendung von Regierungsmaterial und zwei gewichtiger Vergehen nach dem „Espionage Acta” angeklagt. Der ehemalige NSA-Direktor, Michael Hayden, hat sogar kürzlich während einer Konferenz für Cybersicherheit gewitzelt, Snowden auf die Kill Liste der USA zu setzten. Der Republikaner Mike Rogers, Vorsitzender des Geheimdienstausschusses, reagierte in erfreutem Gehorsam: „Dabei kann ich dir weiterhelfen.”

Es war auch für vier hoch-angesehene ehemalige Agenten, jeder mit einer eigenen Vorgeschichte als Whistleblower und Regierungsverfolgter, keine einfache Mission ein geheimes Treffen mit dem wohl meistgesuchten Menschen der Erde zu arrangieren. Anfang Oktober machten sie sich auf den Weg, um Snowden in die Reihen der Sam Adams Associates for Integrity in Intelligente aufzunehmen. Das ist eine Gruppe von ehemaligen Geheimdienstmitarbeitern, welche „Mut, Ausdauer und Aufopferung für die Wahrheit gezeigt haben, ohne sich um die Konsequenzen ihres Handels zu scheren.” Sie hatten Snowden als ihren Preisträger 2013 für den Sam Adams Integrity Ward ausgewählt. Und sie meinten es sei das Richtige den Preis—einen 3D gedruckter Kerzenleuchter—persönlich zu übergeben. Die Gruppe sollte zu den ersten bekannten Amerikanern werden, die Snowden seit seiner Ankunft in Moskau am 23 Juni traf.

Von links nach rechts: Coleen Rowley (pensionierte FBI-Agentin), Thomas Drake (ehemaliger leitender NSA-Mitarbeiter), Jesselyn Radack (ehemalige Beraterin im Justizministerium), Snowden, Sarah Harrision (WikiLeaks Journalistin), und Ray McGovern (pensionierter CIA-Analyst)

„Es wurden bestimmte Arrangements getroffen”, erzählt Thomas Drake, ein ehemaliger leitender NSA-Mitarbeiter, der als Teilnehmer der Reise äußerst vorsichtig über jegliche Details sprach. Drake wurde von Snowden als wichtige Inspiration genannt. Er hatte vor dem Missbrauch der Geheimdienste nach dem 11. September gewarnt hat, und wurde nach dem Espionage Act angeklagt, wobei die meisten Anklagepunkte fallgelassen wurden. Nach Snowdens Enthüllungen warnte Drake ihn öffentlich, „alles mehrfach zu überprüfen”—und sicherzustellen, genau zu wissen, wer hinter dir her ist. „Es ist klar, dass keine Kommunikation mit Snowden elektronisch ablaufen kann.”

Mir kommt der Ausdruck logistischer Alptraum in den Kopf—aber das wäre wohl noch untertrieben für das Unterfangen. Bei ihrer „Mission nach Moskau”, wie die Reisenden selbst es nannten, waren die Anforderungen hoch, um eine Kommunikation und ein Treffen mit Snowden zu erreichen, ohne seinen Aufenthaltsort an diejenigen zu verraten, deren technologische Fähigkeiten Snowden gerade so nachdrücklich enthüllt hatte. Als die Gruppe noch Anfang August bei einer Hacker Konferenz außerhalb von Amsterdam zu planen begann, schienen diese Herausforderungen unüberwindbar.”

„Wir können uns nicht vollkommen sicher sein, aber es scheint so als wäre es uns gelungen, Snowden zu treffen ohne verfolgt zu werden oder seinen Aufenthaltsort preiszugeben”, sagte Drake, der die Planung der Reise anführte. „Wir kamen in Russland an ohne zu wissen, wo wir ihn treffen sollten—und natürlich trafen wir ihn nicht in seinem aktuellen Zuhause. Diese Niveau an Vorkehrungen war seine Bitte, und wir stimmten gerne zu, um seine Sicherheit zu gewährleisten.” Sie trafen sie schließlich in einem geheimgehaltenen Ort, von dem Rowley meinte, dass „es sich wohl um eine dritte Räumlichkeit” in einer Reihe von möglichen Orten für das Rendezvous handelte, die jeden möglichen Verfolger abschütteln sollten, und wohl auch die eigentlichen Besucher um Ungewissen lassen sollte.

Moscow, via Flickr/apurturismo

Wenn man die Risiken und Probleme von Anreise, Unterbringung und Kommunikation zwischen Snowden und seinen Besuchern bedenkt, so scheint es nicht vollkommen unwahrscheinlich, dass der russische Geheimdienst mitverantwortlich für den angesehenen Asylanten ist, wie einige Beobachter spekuliert haben. Einige Berichte, die im Nachhinein erschienen, sprachen von Metalldetektoren und der Anwesenheit von russischen Offiziellen bei dem geheimen Treffen. Die Besucher sagten, dass Snowdens Anwalt, Anatoly Kucherena, und ein russischer Übersetzer bei dem Treffen zugegen waren. Und selbstverständlich war auch Sarah Harrison vor Ort, die Wikileaks Journalistin die laut Radack für Snowden, „seine fürsorgliche Begleitung, Freundin, Beschützerin und andauernde Begleitung seit Hong Kong ist.” Ed’s Vater, Lon, kam am nächsten Tag zu Besuch. Über mutmaßliche weitere Anwesende bei den Treffen wollte aber niemand sprechen. „Russland ist verpflichtet Ed als im Asyl lebenden zu beschützen.” erklärte mir Drake. „Das sollte dir alles sagen, was du darüber wissen musst.”

Die Schwierigkeiten mit jemandem wie Snowden in Kontakt zu treten, könnten sich zumindest etwas erleichtern, wenn du dich bereits auskennst mit den Details der Fähigkeiten von Regierungen und Geheimdiensten; so wie es die Sam Adams Associates bestimmt tun. Den Preis, den sie nun verliehen haben, ist benannt nach einem CIA-Analysten, der 1967 entdeckte, dass es mehr als eine halbe Millionen Bewaffnete vietnamesische Kommunistin gab, doppelt soviel wie das US-Kommando in Saigon damals zugab. Adams legt innerhalb der behördlichen Strukturen Protest ein, und wies auf seine Informationen hin, welche die öffentlich erzählte Armeegeschichte von Fortschritten im Kampf widerlegte. Nach seiner Pensionierung vom CIA 1973, schrieb er einen Artikel über das, was er die Harper Verschwörung nannte, sagte vor dem Kongress aus, und half CBS News eine Dokumentation zu drehen. Bis zu seinem Tod infolge eines Herzinfarkts 1998, nagte aber dennoch der Gedanke an ihm, dass er noch mehr hätte tun können. Die neuen Whistleblower sind entschlossen dieses Bedauern zu vermeiden.

„Die USA haben sich selbst von ihrer Verfassung losgesagt,” sagte Drake, der die vergangenen Jahre damit verbracht hat, gegen die massenhafte Sammlung von Daten amerikanischer Bürger zu kämpfen, die er als Verstoß gegen die Prinzipien des vierten Verfassungsartikels bewertet. Auch Snowden ist ein strenger Anhänger der Verfassung, und als er in einem digitalen Q&A nach seiner Meinung zu anderen potentiellen Whistleblowern gefragt wurde, verlieh er seinem spezifischen Patriotismus in aller Deutlichkeit Ausdruck: „Dieses Land ist es wert, dafür zu sterben.”

Snowdens Entscheidung die Praktiken der NSA zu enthüllen, welche er als Dienst an der amerikanischen Öffentlichkeit verstanden wissen will, bringt erhebliche persönliche Kosten mit sich. Sein einjähriges Asyl schützt ihn momentan in Russland, aber außerhalb dieser Grenzen, riskiert er Strafverfolgung, oder schlimmeres. Es ist leicht sich ein Leben vorzustellen, welches ausgehöhlt und in eine unbekannte Umwelt verbannt wurde; deine alltägliche Existenz scheint andauernd in der Schwebe durch die unvermeidbare Verfolgung.

Im Angesicht dieser Umstände geht es Snowden „erstaunlich gut”, sagte Drake, der auch seinen „spezifischen Humor” bemerkenswert findet. Rowley sagte mir fast beiläufig, dass es Snowden scheinbar vollkommen in Ordnung gehe. Sie beschrieben einen Mann der im Asyl und nicht als Flüchtling lebt—und, wie auch Snowden betont, nicht als Faustpfand der russischen Regierung. Sein Pass wurde von den US-Behörden für ungültig erklärt, als er sich auf dem Weg nach Ecuador befand, während Sarah Harrison von Wikileaks auf jeden seiner Schritte aufpasste. Die größten Sorgen von Snowden, bestätigten seine Besucher, gehen alle weit über seine eigenes Wohlergehen hinaus.

„Er hat ein Pokerface”, sagt Rowley. „Er spricht viel über den Bedarf grundlegender Reformen der USA—persönliche Themen kamen nicht zur Sprache.” Und wie sieht es mit den spärlich versteckten Morddrohungen des ehemaligen NSA-Direktors aus? „Wir haben ihn dazu gefragt. Es schien ihn nicht zu beeindrucken; er schüttelte das einfach ab.”

Rowley selbst zeichnet sich durch einen erstaunlichen resoluten Charakter aus, und wurde schon als Time Person of The Lear 2002 ausgezeichnet für ihr Whistleblowing über den FBI. Sie beschreibt Snowden als „einen der stärksten und stabilsten Menschen, denen ich jemals begegnet bin.” Sie fügte hinzu, dass er pragmatisch und fokussiert sei, und mit einem stoischen Charakter sein Leben so gut es geht weiterlebt, während er gelegentlich Moskau erkunde und, laut seines Anwaltes, auch arbeiten gehe. Rowley beschrieb Snowdens neuen Job als „Arbeit bei irgendeinem Internet Service.” Es ist nicht weiter überraschend, dass auch Snowdens neue Tätigkeit zumindest vorerst ein gut gehütetes Geheimnis bleiben werden.

Edward Snowden beim Sam Adams Associates Dinner, via Wikileaks/The Daily Conversation

Ein Sam Adams Mitarbeiter zu sein, gibt vielleicht keine zusätzliche Sicherheit, aber es kann ein angenehmes Gefühl von Solidarität schaffen. Nach der zweistündigen Preisverleihung, mit einzelnen Vorträgen, dem Austausch von Menschenrechtstexten und russischer Literatur, verliessen der Anwalt und der Übersetzer die Whistleblower, welche noch bis in die frühen Morgenstunden blieben. Eine weitere Besucherin, Jesselyn Radack, eine ehemalige Rechtsanwältin im Justizministerium und selbst eine Whistleblowerin, die Thomas Drake und andere verteidigt hat, las der Runde aus Texten von Albert Camus vor.

„Wir haben nichts zu verlieren, außer allem”, rezitierte sie. „Also lasst uns weitermachen. Das ist die Wette unserer Generation.” Sie zog Parallelen zwischen Camus „Wette” und Snowden Aussage über „die Arbeit einer Generation”, die er vor kurzem an den Ausschuss für Bürgerrechte des Europäischen Parlaments schickte. Radack erinnerte Snowden auch daran, dass Camus das ablehnte, was er „die armseligen Privilegien für diejenigen, die sich dieser Welt anpassen,” nannte: „Die Personen, die sich weigern zu geben, sind kein Teil des Ganzen, und das müssen sie akzeptieren.” Stoizismus, keine Wut, so scheint es, ist das konsequente Motiv der Whistleblower des US Geheimdienstes.

Ray McGovern, der 73-jährige Gründer der Sam Adams Associates, ist nicht Teil von Snowdens Generation, aber er unterstützt die „Wette”. McGovern ist ein ehemaliger, hochrangiger CIA-Analyst und hat unter sieben Präsidenten gedient hat. Er sagte, dass er besonders davon beeindruckt war inwiefern Snowden zeigte, dass die jungen Menschen heute mit dem Internet aufwachsen, und demzufolge über technische Fähigkeiten und ein entsprechendes Gewissen verfügen, dass sie automatisch dazu motiviert, für den Erhalt des Internets als freien Raum zu kämpfen.

„Es ist die Art von Idealismus, die es jemanden erlaubt, solch herrlichen Akt des zivilen Ungehorsams auszuüben. Es ist ein Idealismus, der an die Demokratie glaubt, die er einst kannte, die sich dem Überwachungsstaat entledigen kann, wenn nur die Öffentlichkeit wüsste, was vor sich geht” 

Drake, hat in den letzten Jahren viel über Bürgerrechte im digitalen Zeitalter nachgedacht und glaubt, dass eine Internet-Generation, die auch die Welt vor dem 11. September kannte, „vielleicht neue Prinzipien einer Demokratisierung der Information und des Schutzes der Freiheit in sich tragen, die uns helfen werden, dem dystopischen Alptraum standzuhalten.” Vielleicht ist schon ein Blick auf den Anstieg der Nutzer, die das anonyme Surfen mit dem Internet-Browser Tor seit den Enthüllungen Snowdens bevorzugen, ein erster hoffnungstimmender Beweis für die These von Drake.

Wird diese Generation es schaffen, die Massenüberwachung in irgendeiner Form einzugrenzen—sei es durch politische kollektive Anstrengungen oder durch das Verfügbarmachen neuester Verschlüsselungstechnologie? Wollen sich Amerikaner einer ausspionierten Welt widersetzen, von der Snowden sagt, nicht in ihr leben zu wollen?

Radack beschrieb Snowden als „idealistisch—im besten Sinne des Wortes. Es ist die Art von Idealismus, die du brauchst, um solch herrliche Aktionen des zivilen Ungehorsams zu unternehmen. Es ist ein Idealismus, der an jene Demokratie glaubt, die er einst kannte, und die sich dem Überwachungsstaat entledigen könnte, wenn nur die Öffentlichkeit wüsste, was vor sich geht.”

In ihrer Sitzung gab es aber auch eine gute Portion Realismus. „Er sprach die ganze Zeit davon, was wir als nächstes tun können, und wie wir eine Reform erreichen können”, sagte Rowley. Zunächst möchte er, dass Abschnitt 215 des umstrittenen PATRIOT Act, und insbesondere Abschnitt 702 der FISA Amendments Act aufgehoben werden. Damit würden zwei zentrale Elemente der Gesetzgebung, die die Sammlung von Metadaten und Abhöraktionen ohne rechtlichen Beschluss legalisieren, beendet werden.”

Snowden bekräftige auch, dass der Electronic Communications Privacy Act (ECPA) geändert werden solle, da dies die Gesetzgebung sei, welche die Überwachung und Speicherung von privaten elektronischen Kommunikation, überhaupt ermöglicht. Drittens forderte er, dass ein unabhängiges Gremium eine gründliche und breit angelegte Untersuchung der Überwachungspraktiken der US-Geheimdienste durchführt. Rowley erinnerte mich daran, dass die NSA nur eine von sechzehn US-Geheimdiensten ist, und dass es rund 2000 private Sicherheitsfirmen gibt. „Da passiert soviel, davon weiß selbst Snowden nichts,” sagte sie.

Glenn Greenwald, der die Dokumente von Snowden erhielt, (Snowden sagt, dass er sie nicht mehr hat), schätzt, dass er und andere Journalisten vielleicht erst durch die Hälfte der von Snowden weitergeleiteten Dokumente durchgegangen seien. Und einige der schockierensten Enthüllungen, so wurde es mir gesagt, stünden uns erst noch bevor.

Die Ex-Agenten erzählten mir außerdem, ohne weitere Details zu nenen, dass sich inzwischen weitere Whistleblower gemeldet hätten. Man könnte das hoffnungsvolle Gefühl einer Morgendämmerung des Informationszeitalter haben.

Wenn Informationen Macht bedeutet, dann hat Snowden vielleicht zum Beginn eines Jahrzehntes einer beispielosen Ermächtigung der Nutzer beigetragen. Er mag ein Idealist sein, ein Utopist einer besseren vernetzten Welt. Aber in den Augen seiner Anhänger und vor allem in den Augen derer, die es gewagt haben, einen ähnlichen Weg zu beschreiten, hat er bereits viel erreicht.

„Es geht nicht sofort um die Überzeugung der Mehrheit der Menschen”, sagte Drake über die Kämpfer für die öffentliche Freiheit; „das war nie der Gang der Dinge in unserer Geschichte.”