Die MLS will Ultras an die Leine legen

Matt Parsons hat einfach nur das gemacht, was er schon seit Jahren macht. Seit 2004 geht er zu den Spielen von D.C. United, 2010 trat er dann den „District Ultras” bei. Mittlerweile ist er sogar zum Capo der Gruppe aufgestiegen. Seitdem hat der 30-Jährige nur ganz selten ein Heimspiel verpasst und war nach eigener Aussage bei so ziemlich jedem Auswärtsspiel dabei, was nicht mehr als zwölf Autostunden entfernt stattfand.

Bei einem groß angelegten Fanmarsch vor einem Heimspiel Ende März haben mehrere Fangruppen beschlossen, die Stimmung noch ein bisschen mehr anzuheizen. Parsons zündete daraufhin eine Rauchbombe, so wie er es in den letzten Jahren schon unzählige Male getan hatte. „Das ist—oder besser war—bei Spielen in unserem Stadion nie ein Problem. Und ich hätte nie gedacht, dass es irgendwelche Konsequenzen haben könnte, auf dem Stadionparkplatz eine Rauchbombe zu zünden”, so Parsons weiter. „Danach sind wir weiter zum Spiel und alles war so wie immer.”

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Eine Woche später erhielt Parsons eine E-Mail vom Verein, in der ihm mitgeteilt wurde, dass er für ein Jahr von allen Spielen mit D.C.-United-Beteiligung ausgeschlossen sei. Zudem informierte ihn die MLS, dass ein einjähriges Stadionverbot in allen Spielstätten der Liga gegen ihn verhängt wurde. Als Grund wurde angegeben, dass das Zünden einer Rauchbombe auf dem Parkplatz sowohl gegen das Gesetz als auch gegen die Stadionregeln verstoße. Parsons konnte seinen Augen nicht glauben. Sein Ausschluss hat in der aktiven Fanszene im nordamerikanischen Fußball einen kleinen Aufstand ausgelöst.

Die MLS warb in ihren Anfängen vor allem um Familien, so entstand auch der unsägliche Begriff der „Soccer Mums”. Erst im letzten Jahrzehnt begannen die Ligabosse, urbane Twens ins Visier zu nehmen—mit dem Ergebnis, dass die MLS endlich boomte. Und das nicht, weil jetzt nur noch junge Leute zu den Spielen kamen: Ein beträchtlicher Teil des Publikums waren noch immer Eltern mit ihren Kindern. Doch die vielen jüngeren Fans schufen eine Atmosphäre, die schon bald zu einem eigenen Spektakel wurde.

Organisierte Fangruppen im nordamerikanischen Fußball haben in der Vergangenheit stets große Freiheiten genossen, was mitverantwortlich für die gute Stimmung in den Stadien ist. Bestes Beispiel hierfür sind die „Sons of Ben” von Philadelphia Union, die nicht nur bei der Gründung ihres Vereins eine wichtige Rolle spielten, sondern auch beim Design ihres eigenen Blocks. Doch immer mehr Fans haben den Eindruck, dass die Vereine das Stadionerlebnis „säubern” wollen. Soll heißen, dass unflätige Banner und Aktionen aus den Spielstätten verbannt werden sollen. Aber ist die MLS wirklich bereit, eines ihrer besten Verkaufsargumente aufs Spiel zu setzen? Schließlich kann der in England, Spanien oder Deutschland gespielte Fußball noch so schön sein, echte Stimmung—weil nicht nur auf den Fernsehbildschirmen—gibt es nur in der heimischen Liga. Und genau diese Stimmung hebt die MLS auch von den anderen US-Ligen ab. Eine tolle Atmosphäre ist also die Essenz des Produktes. Eigentlich.

Parsons gibt zu, dass der Verein zuvor bekanntgegeben hatte, dass Rauchbomben innerhalb des Stadions verboten sind. Aber, so Parsons: „Es wurde niemals verdeutlicht, dass der Parkplatz zum Stadioninneren gehören soll.” Parsons, wie auch viele andere Fans, weist darauf hin, dass Feuerwerkskörper regelmäßig auf demselben Parkplatz abgebrannt werden, ohne dass sich der Verein darum scheren würde. Dabei seien diese im District of Columbia genauso verboten.

„Wenn ich etwas gemacht hätte, das ein Stadionverbot verdienen würde, würde ich es akzeptieren und nichts weiter machen”, sagt Parsons. Wie viele andere Ultras meint aber Parsons, dass er Rauchbomben viele Jahre lang ohne Folgen gezündet hätte. „Hier geht es doch eigentlich darum, dass die Liga an mir ein Exempel statuieren möchte. Mit einer klaren Botschaft: Fans sind nichts weiter als Kunden. Und wenn sie sich nicht so verhalten, wie wir das wollen, schmeißen wir sie einfach raus und füllen die Plätze mit Zuschauen auf, die keine Unruhestifter sind.”

D.C. United hat erklärt, dass die Fans die Regeln kannten und dass ihnen jetzt die Hände gebunden seien. „Der District hat strenge Gesetze, was Feuerwerkskörper betrifft”, erklärt die Vereinspressesprecherin Lindsay Simpson. „Es gibt da keinen Spielraum für uns. Auf dem Stadiongelände sind Rauchbomben nun mal verboten.”

Der Verein meint, er habe auch in der Vergangenheit Strafen verhängt. Und die insgesamt wenigen Bestrafungen hätten nichts mit Wegschauen zu tun, sondern mit der Tatsache, dass man oft Schwierigkeiten habe, die Täter zu identifizieren.

Fans der Portland Timbers. Foto: imago

Doch Parsons ist bei weitem nicht der einzige, der sich von der MLS schikaniert fühlt. Auch andere langjährige Fans behaupten, dass die MLS versucht, ihre Fan-Aktivitäten zu kontrollieren und einzuschränken—mit dem Unterschied, dass Parsons das bekannteste Opfer ist. „Das Ganze hat nur wenig mit meiner Person zu tun, weswegen sich auch Fans in ganz Nordamerika gegen meine Strafe aussprechen”, so Parsons weiter. „Keinen würde es kümmern, wenn ich aus berechtigtem Grund gesperrt worden wäre. Doch die anderen Fans in der MLS verstehen, dass das nur der Beginn einer Entwicklung ist, die vorsieht, die Ausdrucksfreiheit der Fans zu beschneiden.”

Der Knackpunkt liegt im schwierigen Spagat zwischen Sicherheitsverbesserungen—weil sich die Anzahl der Teams in den letzten zwei Jahrzehnten verdoppelt hat und immer mehr Fans in die Stadien strömen—und dem Bewahren der aktiven Fanszenen, der vielen Ultras zufolge immer schlechter gelingt.

Simpson kann die Kritik nicht nachvollziehen: „Wir unterstützen absolut unsere Fankultur. Wir machen spezielle Ausnahmen, sodass unsere Fans ihre Trommeln und alles, was sie für ihre Choreos brauchen, ins Stadion bringen dürfen. Wir tun alles dafür, um ein dynamisches Fanerlebnis zu fördern. Doch wenn es um Rauch geht, sind unsere Hände gebunden. Es geht schließlich auch um die Sicherheit der Fans.”

Srdan Bastaic ist nicht überzeugt. Er ist seit 2004 Ultra von D.C. United. Aufgewachsen ist er auf den chaotischen Tribünen des Balkans der 80er. „Das ist immer noch die erste Generation von Ultra-Support. Noch wächst sie, auch wenn die MLS ihr Bestes gibt, sie zu zerstören”, sagt er. „Je mehr Kameras, Kontrollen und Sicherheitspräsenz da sind, desto kleinlauter wird das Publikum.”

Mitte April hat die MLS ihre Taschenpolitik verschärft, indem sie Kühl-, Akten-, Kamera- und Laptoptaschen sowie Rucksäcke verboten hat. Die Fans liefen gegen diesen Beschluss Sturm und sahen es als weiteren Indiz für den Versuch der Liga, aus Fans Kunden zu machen. Die Liga hingegen verweist auf Sicherheitsaspekte und meint, man habe zuvor intensiv mit Experten gesprochen.

Devon Rowcliffe ist Fan von den Vancouver Whitecaps, doch hat weitgehend die Lust auf Stadionbesuche verloren, seit man an den Eingängen so umfassend abgetastet wird und es im Allgemeinen so schwer geworden ist, eine Ultra-Fankultur zu leben. Besonders habe ihn geärgert, dass sein Verein die Eintrittspreise erhöht hat und versucht, aus der guten Atmosphäre, für die Fans wie Rowcliffe sorgen bzw. gesorgt haben, Kapital zu schlagen.

„Die meisten MLS-Vereine begrüßen eine aktive Fanszene, aber nur weil sie von der guten Stimmung profitieren. Im Herzen sehen sie uns Fans nur als Kunden an. Mitglieder der aktiven Fanszene haben oft das Gefühl, dass sie von ihren Klubs als eine Art Cheerleader benutzt werden. Und zwar solche, die für ihr Anfeuern auch noch zahlen müssen, anstatt bezahlt zu werden.

„Die meisten Vereine zensieren die Botschaften, die von Fans in den Stadien gezeigt werden. Mittlerweile wird von den Fans verlangt, dass sie ihre Banner vor Betreten des Stadions vorzeigen”, so Rowcliffe weiter. „Die Vancouver Whitecaps beziehen sich in ihrem Marketing speziell auf die vereinseigene Fankultur—so lautet ihr Slogan „Be a part of the best sporting atmosphere in Vancouver!”—, gleichzeitig jedoch unternimmt der Verein unzählige Schritte, um genau diese Fankultur zu kontrollieren und zu beschneiden. Das führt dazu, dass einige Fans das Gefühl haben, dass es deutlich entspannter wäre, sich passiv zu zeigen und so zu tun, als säßen sie im Theater und nicht bei einem Fußballspiel.”

Wenn die MLS nicht ihre Ultras verlieren will, sollte sie wieder mehr mit anstatt gegen ihre treuesten Fans arbeiten.