Foto von Jamie Taete
Es gab einmal eine Zeit, in der Arbeit etwas war, das du gemacht hast, um dir den Rest deines Lebens leisten zu können. Es war die Scheiße, die du, abgesehen von fünf Wochen Urlaub, das ganze Jahr über fünfmal pro Woche acht Stunden lang über dich ergehen lassen musstest, um Drinks, Drogen, Weihnachtsgeschenke, Abendessen und eine würdevolle Beerdigung bezahlen zu können. Arbeit war Arbeit, Freizeit war Freizeit, Leben war Leben. Von dem, woran ich mich aus Fernsehserien der Neunziger erinnere, waren wir halbwegs zufrieden mit dieser klaren Einteilung.
Videos by VICE
Gegenwärtig sieht es jedoch so aus, als ob diese Grenzen verschwimmen. Aufgrund von Konjunkturschwächen haben wir unsere einstündige Mittagspause eingebüßt, dank Facebook-Fotos und betrunkener Tweets wurden unsere „Zahnarzttermine” als Kater enttarnt und Smartphones verderben uns mittlerweile jeden Urlaub. Außerdem absolvieren wir erst monatelange unbezahlte Praktika, bis wir endlich für einen Hungerlohn und zu miesesten Arbeitsbedingungen angestellt werden—wenn überhaupt. Unsere Arbeit putscht gegen unser Privatleben.
Wenn du nur mal die Zeitungen durchblätterst, stößt du auf reihenweise Horrorstatistiken, die dich zur Flucht nach Goa veranlassen, bevor du überhaupt zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurdest.
In Österreich nehmen arbeitsbedingte Depressionen und Burnouts zu und treffen selbst Männer, die teilweise für den finanziellen Kollaps mitverantwortlich sind, wie zum Beispiel den britischen Finanzaufseher Hector Sants. Sicherlich ist dies ein Beweis dafür, dass es sogar Dreckskerle nicht mehr leicht haben.
Im Jahr 2012 leisteten in Österreich knapp 170.000 Personen 68 Mio. unbezahlte Überstunden. Und Überstunden machen dumm. Wenn der Trend so weiter geht, gehören Überstunden bald zum Normalzustand. Überstunden sind eine Sache, wenn du ein Start-up gründest, Menschenrechtsanwalt bist oder als freiberuflicher Streetstyle-Fotograf arbeitest. Wenn du dich für eine dieser Professionen entschieden hast, weißt du natürlich, dass du nicht jeden Tag pünktlich nach Hause gehst oder um 17:01 Uhr in deinem Stammbeisl sitzt.
Irgendwas stimmt hier nicht. Um mich herum sehe ich überall Leute, die sich in verspannte Fleischbehälter verwandeln und ihre Venen so sehr mit Koffein vollpumpen, dass jede soziale Interaktion ist, als würde man sich mit einem PTBS-Leidenden unter einem Feuerwerk unterhalten. Man könnte meinen, dass Alkohol eine Art Entspannung darstellt, doch nun droht sogar dieser uralte Fluchtweg, beispielsweise in Großbritannien und den USA, durch Alkoholtests am Arbeitsplatz verbaut zu werden—in Österreich gibt es das zwar noch nicht und dein Chef kann nur einen Alkoholtest mit dir durchführen, wenn du freiwillig einwilligst. Aber wir wissen ja zu gut, dass viele Trends in den USA anfangen und irgendwann auch Österreich erreichen …
Foto von Jake Lewis
Die Zielpersonen dieser Aktion scheinen nicht nur Leute zu sein, die sich tagsüber betrinken—die sind häufig leicht genug zu identifizieren—, sondern auch Menschen, die es wagen, nach Feierabend ein paar Drinks zu sich zu nehmen. Immerhin stellt die vorgeschlagene Maßnahme insofern einen sozialen Ausgleich dar, als sie darauf ausgerichtet ist, wirklich jedem Arbeitnehmer Angst einzuflößen, egal, ob es sich um den Gerüstbauer auf Bewährung handelt, um den Medienstrategie-Manager oder den Gleichstellungsbeauftragten von einer großen Bank.
Die Unternehmen wollen den Test offensichtlich deshalb, weil verkaterte Leute ihren Job noch beschissener machen als Mormonen.
Der Test mag sinnvoll sein, wenn du Kranführer oder Nachtflugpilot bist. Aber was bleibt dir noch, wenn du am Ende des Tages nicht mal mehr etwas trinken gehen kannst, um deine bürobedingten Schmerzen zu betäuben? Letztlich ist es nichts anderes als Profitsteigerung mittels praktischem Puritanismus.
Mir ist klar, dass meine Ausführungen keine marxistische Analyse darstellen und dass draußen irgendwo Optimisten herumlaufen, die sagen, dass man es nicht nötig haben sollte, sich jeden Abend bis zur Besinnungslosigkeit zu besaufen, um die schmerzvolle Schufterei zu verdrängen, die unsere tägliche Existenz prägt. Aber ich versuche, realistisch zu sein, und hier haben wir einen soliden Beweis dafür, dass Arbeitgeber versuchen, unser Privatleben ebenso zu beherrschen wie unser Berufsleben.
Dann kommt es soweit, dass wir teilweise unter der Woche freiwillig nicht mehr trinken, weil wir es nicht mehr aushalten, am nächsten Tag verkatert im Büro zu sitzen, aus lauter Angst, zu versagen und den Job zu verlieren. Ein totaler Freizeitkiller.
Aber das Hauptproblem liegt im schleichenden Eindringen der Unternehmen in dein Privatleben und ihrem mangelnden Respekt davor. Ich habe alle möglichen persönlichen Anekdoten gehört, von Callcentern, die deine Pinkelpausen kontrollieren, bis hin zu eingefrorenen Gehältern von Leuten, die ernsthaft krank waren—sie alle entlarven eine schockierende Unmenschlichkeit im Herzen der Arbeitskultur. Da fallen uns auch die Mitarbeiter bei Amazon ein, die mit Minilöhnen und knallharten Bedingungen am Arbeitsplatz zu kämpfen hatten.
Die genauen Gründe für den Rückzug der Menschlichkeit aus der Arbeitswelt sind nicht ganz klar. Doch meiner Meinung nach hat es etwas mit dem Moment zu tun, in dem Computer billiger als Menschen wurden und Arbeitgeber ihre Angestellten nicht mehr als Menschen, sondern als sauerstoffbetriebene Gadgets wahrnahmen, die erfunden wurden, um ihre eigenen, größenwahnsinnigen Ideen umzusetzen.
In der Medienbranche, wo es seit jeher an Jobs mangelt und die Arbeitnehmer bereit sind, bis zum Limit zu gehen, um letzten Endes—als Lohn für die Erosion ihres richtigen Lebens—eine Art Ruhm zu erlangen, war das immer schon der Fall. Aber nun, da Leute für einen Job in einem Elektronikmarkt „Get Lucky” tanzen müssen und 4.000 Leute vor einem neuen Einkaufszentrum in der Hoffnung auf einen Arbeitsplatz Schlange stehen, ist es plötzlich in Ordnung, Leute wie Dreck zu behandeln, denn, hey, wenn du es nicht machen willst, wird sich schon jemand anderes finden, der die Arbeit für ein viel niedrigeres Gehalt erledigt.
Vielleicht ist die Art und Weise, wie Angestellte und Arbeitsplätze gegeneinander ausgespielt werden, das schrecklichstes Vermächtnis des Neoliberalismus. Während Chefs bei Paintball-Wochenenden vielleicht noch immer über „Teamwork” sprechen, werden die Leute bei jeder Gelegenheit dazu ermuntert, einander zu hintergehen.
„Lass uns einfach nur ein bisschen Geld verdienen und dann sehen wir weiter”: Ironischerweise befindet sich Ehrgeiz in dieser erbittert kapitalistischen Gesellschaft im Rückzug.
Es ist jedoch nicht so, dass wir besonders scharf darauf sind, uns an dieser Art Messerkampf zu beteiligen. Offensichtlich rast unsere Generation auf ein Massen-Burnout zu—ihrem Todesstern, wenn man so will. Es gab einmal eine Zeit, in der man dachte, dass nur die Gestresstesten, die mental Labilsten sowie die Drogen- und Alkoholismusanfälligsten ihre Jobs aufgeben, um in ländlicher Einöde Bio-Tomaten anzubauen.
Mittlerweile scheint das jedoch der Traum fast aller zu sein, die ich kenne. Vielleicht sind meine Freunde letztlich doch zu sehr von ihrem Ego und ihrem Hedonismus eingenommen, als dass sie so einen Traum tatsächlich umsetzen würden, aber ich denke, dass ein großer Anteil junger Angestellter so desillusioniert von den Zukunftsperspektiven und der Arbeitsumgebung ist, dass er nicht einmal mehr Chef werden möchte. „Lass uns einfach nur ein bisschen Geld verdienen und dann sehen wir weiter”, scheint heutzutage die Devise zu sein. Ironischerweise scheint sich Ehrgeiz in dieser erbittert kapitalistischen Gesellschaft im Rückzug zu befinden.
Unsere Arbeitsumstände machen uns nicht nur zu grundlegend unglücklichen und gestressten, sondern uns auch zu leicht verrückten Menschen. Vollgetankt mit schlechten und billigen Drogen und mit Bier, das mehr Chemikalien enthält als der Pazifik, verbringen wir unsere Wochenenden damit, uns in Bars anzupöbeln.
Noisey: So verstehst du einen verkaterten Arbeitstag
Wenn du dir die Freizeitbeschäftigungen der meisten Arbeitnehmer ansiehst, bekommst du den Eindruck, dass die Leute sich am Wochenende nicht einfach entspannen, sondern versuchen, sich zu befreien. Früher haben wir uns über den Büroangestellten im schweißgetränkten Anzug lustig gemacht, der in der Bar durchdrehte, weil er in der letzten Woche dreimal so viele Stunden gearbeitet wie geschlafen hatte. Jetzt muss es nur Freitag werden, und wir alle sind dieser Typ, fest entschlossen, Falling Down mit Alkohol anstatt mit Uzi nachzuahmen.
Die Menschen müssen ihr richtiges Leben zurückfordern und ihre Arbeitgeber daran erinnern, dass sie nur für die Stunden bezahlt werden, die in ihrem Vertrag stehen. So eifrig sie als neuere Angestellte auch sein mögen, müssen sie ihnen trotzdem klarmachen, dass sie nicht so gut sein werden wie jemand, der schon mit allem vertraut ist. Es geht nicht darum, Unmögliches zu verlangen, sondern nur eine gewisse Fairness bei der Beurteilung nach der Probezeit.
Vor allem aber müssen wir aufhören, uns nur über unsere Arbeit zu definieren. Wenn du im Krankenhaus am Beatmungsgerät hängst, werden deine Freunde und Verwandte nicht über die großartige Präsentation reden, die du irgendwann mal aus der Tasche gezogen hast. Im Jenseits gibt es keine Xing-Kontakte. Ich will damit nicht sagen, dass du umgehend in das Büro des Geschäftsleiters stürmen und ihn in ein sibirisches Arbeitslager schicken sollst, sondern nur, dass du dich an eine Sache erinnern sollst: Arbeit ist Arbeit und Leben ist Leben. Und falls du gefeuert wirst, verklagst du deine Firma einfach wegen einer ungerechtfertigten Entlassung.