Wissenschaft ist was Tolles. Ohne sie gäbe es keine Mikrowellengeräte und auch keine Smartphone-Apps, die uns sagen, wann für uns der beste Zeitpunkt zum Aufwachen oder Kacken gekommen ist. Wissenschaft kann uns im Alltag eine große Hilfe sein, aber in dem Moment, wo man sich von ProSieben 14 Frauen anhand von “wissenschaftlichen Methoden” auf ihre Liebestauglichkeit berechnen lässt, hat man definitiv und endgültig die Kontrolle über sein Leben verloren.
Sich den Body-Mass-Index von TV-Ernährungsexperten taxieren zu lassen und einen 14-tägigen Ernährungsplan zum Verbrennen der eigenen Fettreserven serviert bekommen, das geht noch klar, aber Frauen als Kalkulationsmaterial? Und doch ist dies das ungefähre Prinzip der neuen Quotenhoffnung von ProSieben: Matchfactor.
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Ein TV-Hengst bekommt bei der neuen Dating-Show ganze 14 Frauen zugewiesen, jedoch mit einem eingebauten Clou: Nur Sieben der Damen passen laut den wissenschaftlich fundierten Tests zum Angebeteten wie Arsch auf Eimer—die übrigen Sieben sind ein so genanntes “No-Match”. Der Traummann weiß natürlich nicht um den jeweiligen Match-Status seiner potenziellen Herzensdamen.
In der ersten Folge der ersten Staffel war es am Donnerstagabend Single-Mann Felix aus Rostock, der Spielrunde um Spielrunde Frauen aus seinem Harem eliminieren durfte, bis schließlich nur noch eine von ihnen übrig blieb; und mit ihr die Frage, ob sein Bauchgefühl mit der Match-Prognose deckungsgleich war.
Übrigens bekommt Felix laut eigener Aussage sehr, sehr, sehr häufig zu hören, dass er wie Ashton Kutcher aussehe. Recht hat er, der Felix, doch sollten er und ich uns über den Weg laufen, wird er sein Doppelgänger-Repertoire um den Namen “Mario Gomez” ergänzen müssen. Aber der Reihe nach.
Das erste Highlight bildete bereits die Anmoderation von Thore Schölermann, der eine Brücke vom Konzept der Sendung zu uns, den Zuschauern, schlagen wollte: “Was sind Sie für ein Typ bei der Partnersuche? Sind Sie eher so der theoretische Typ, der sich von irgendwelchen Internetportalen seine Partner vorschlagen lässt, oder sind Sie eher so der Typ, der von morgens bis abends durch den Supermarkt tingelt und sich dort die ganze Zeit an der Wurst- oder Gemüsetheke aufhält und darauf wartet, dass sie vor einem steht: die Liebe des Lebens!”
Frage: Gibt nur diese zwei Optionen bei der Suche nach Liebe, Thore? Wenn ja, na gut, dann bin ich auch so eher der Wursttheken-Typ. Die Wursttheke, lieber Thore, mag ich auch deshalb so gern, weil ich mir dort, immer wenn es mit dem Finden der großen Liebe nicht klappt, einfach 60 Kilo Hackepeter kurz vor Ladenschluss kaufen kann, die ich mir dann in der heimischen Badewanne zu meiner ganz eigenen Traumfrau zurechtmodelliere. Aber zurück zur Sendung:
Nach Thores Top-Anmoderation ging es dann auch schon mit der ersten Wettkampfetappe los: “Eye contact”.
Was an einen Dekontaminationscontainer erinnert oder diese Gänge, in denen Schweine zum Schlachter getrieben werden, nennen die Macher von Matchfactor den “Tunnel of Love”. Die Idee dahinter: Liebe auf den ersten Blick. So wurden die Frauen reihenweise durch den Tunnel geführt, wo nach einigen Sekunden Gesichtsbeschau Felix entschied, ob das jeweilige Exemplar eine Runde weiter oder aus dem Rennen war.
Im Laufe der ersten Spielrunde fiel zudem ein besonderes Gimmick der Sendung auf: Ich weiß nicht wie, aber man konnte die Gedanken der Kandidatinnen immer mal wieder hören. Eine Art Bewusstseinsstrom à la James Joyce. Vermutlich im Anschuss zu den Dreharbeiten nachträglich vertont. Hier ein Auszug aus ihren Köpfen: “Mach dir keine Sorgen, mehr als hinzufallen, kann nicht passieren.” “Ich hab ein gutes Outfit. Man sieht meine Schultern. Gut gewählt.” “O Gott, o Gott, o gottogottogott!” “Einatmen, ausatmen.” “Bitte, bitte, nimm mich!” “Ja mega. Richtig cool.”
Bei Moderator Thore dagegen bedurfte es keines Zaubertricks, um seine Gedanken lesen zu können. Er trug sein Herz beziehungsweise Penis auf der Zunge: “Die will dich, Junge!” “Was glaubst du, wenn sie erstmal im Ganzen vor dir stehen: Dann werden sie richtig Gas geben!”
Nach der Grobselektion wurden die verbliebenen Kandidatinnen uns Zuschauern und natürlich auch Felix etwas genauer vorgestellt. Dazu liefen sie mit ihrem Namensschild einen einstudierten Weg auf und ab, während eine Narratorin die entsprechenden Eckdaten zum präsentierten Modell vortrug.
Der Text zur hier gezeigten Person lautete: “Sina ist 26. Eine Perfektionistin. Seit drei Jahren alleine. Sie ist ein No-Match. Ein neuer Mann steht ganz oben auf ihrer To-do-Liste.” Anschließend war Felix selbst war an der Reihe. In einem kleinen Einspieler erklärte er, dass er gerne auch mal Schwimmen gehe, wenn das Wasser nicht zu kalt sei und dass er gerne die Welt erkunde: “Ich verreise auch mal gerne mit Freunden, aber ich glaube auch nur, weil ich keine Freundin habe.”
Felix kam mir plötzlich vertraut vor; ich entdeckte zwischen uns viele Gemeinsamkeiten, nur bei dem, was uns an Frauen störte, lagen wir zwei dann doch etwas auseinander. Während ich mit Geiz, Humorlosigkeit und Untreue nur schwer umgehen kann, sind es bei Felix andere Dinge: “Ich mag keine Stofftiere auf der Couch. Und ein rosa Kleid—schwierig. Ganz, ganz schwierig.”
Doch bevor mir noch weitere Ausführungen die Illusion einer Freundschaft mit Felix zerstören konnten, fing glücklicherweise das nächste Spiel an. “Like or dislike”. Anhand von drei mitgebrachten Fotos und Bildern sollten die Damen sich Felix noch ausführlicher vorstellen. Das alles spielte sich am “Dating-Barren” ab, wo auch ein bisschen Smalltalk betrieben werden sollte.
Wer kennt sie nicht, die Situationen im Alltag, wenn man an der Busbarrenstelle wartet und mit einer Person, die ganz zufällig ihr Fotoalbum unter dem Arm trägt, ins Gespräch kommt. Das sind immer ganz magische Momente. Auch zwischen Felix und seinen Auserwählten sprühten die Gespräche nur so vor leidenschaftlicher Eloquenz:
Felix: Wie geht’s dir?
Shapo: Bin sehr aufgeregt. Wie geht’s dir?
Felix: Ja, ich bin auch aufgeregt. Aber so positiv.
Shapo: Ja.
Felix: Ja.
Shapo: Ja. Bisschen warm auch.
Felix: Ja.
Nochmal Felix: Von wo kommst du?
Shapo: Ich komm aus Essen.
Felix: Aus Essen?
Shapo: Ja. Und du?
Felix: Ich komm’ aus Rostock.
Shapo: Ok. War noch nie da. Würde ich gerne mal hin.
Felix: Genau. Ich bin auch ein sehr guter Reiseführer, würde ich auch mal behaupten.
Shapo: Sehr gut. Ich reise auch sehr gern.
“Das ist schön. Jetzt aber mal zu den Fotos”, intervenierte schließlich eine Stimme aus dem Off, bevor die ersten Zuschauer Gefahr liefen, aus ihrem Koma nie mehr aufzuwachen.
Und die Verbalerotik zwischen den beiden Turteltauben nahm weiter ihren Lauf:
Felix: Kanada.
Shapo: Genau. Ich komme aus Kanada.
Felix: “Ordnung ist das halbe Leben”. Finde ich sehr, sehr spannend.
Shapo: Ja.
Felix: Und Delfine. Also du bist tatsächlich, würde ich mal schätzen, sehr häufig unterwegs.
Sehr gut, messerscharf kombiniert von Felix. Shapo ist viel unterwegs. … auf den Rücken von Delfinen reist sie um die Welt. Wundersamerweise schaffte es Shapo dennoch in die nächste Runde, während sich die bevorstehenden Kandidatinnen über die gesamte Dauer dieses verbal geführten Todeskampfes nur noch eins dachten: “Ach du dicke Scheiße.”
Allmählich ging es mit allen Beteiligten auf die Zielgerade. Beim nächsten Spiel mussten die Frauen zu ihrem Lieblingslied tanzen. Die Idee hinter der Aufgabe war eigentlich, dass diejenige weiterkommt, die sich besonders aufreizend vor Felix zur Musik zu bewegen weiß. Die These der Produzenten lautete offensichtlich: Der beim Tanzen eingesetzte Bewegungsapparat lässt gleichfalls Rückschlüsse auf das Geschick der Probandin beim Geschlechtsakt zu.
Nur leider entpuppte sich Felix dann vollends als Luftpumpe und eliminierte genau jene Frauen, die mit ihrem Feuer im Arsch als sichere Halbfinalistin erschienen. Jedes Mal, wenn eine JLo-würdige Performance von der Trennwand aus Rostock mit einem Rauswurf honoriert wurde, entglitten Moderator Thore die Gesichtszüge.
Thore blieb nur übrig, die weiblichen Gäste in Thomas-Gottschalk-Manier selbst anzugraben: “Shapo, lass dich noch mal drücken. Also, ich glaube, da sitzen sehr viele zu Hause, die dich gerne kennenlernen wollen.”
Die letzten drei Kandidatinnen mussten sich dann jeweils nacheinander mit Felix in ein Bett legen und in nichtmal zwei Minuten versuchen, vor dem Studiopublikum und Abertausenden Fernsehzuschauern einen intimen Moment zu verleben. Weil das ja auch schon so gut am Dating-Barren geklappt hat, sparen wir uns hier weitere Beschreibungen. Nur so viel: Alle drei Bettsituationen wiesen die Intimität einer Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin auf.
Anders verlief es beim Showdown. Die Herausforderung war so schlicht wie effektvoll: Jede der beiden Finalistinnen sollte Felix zwei Minuten lang schweigend in die Augen schauen. Dabei musste sich das Paar die ganze Zeit über an den Händen halten, während im Hintergrund “The Way” von Zack Hemsey lief. Dieses Lied war der Endgegner. Man könnte mir einen Vileda-Wischmob in die Hände legen und bereits nach 30 Sekunden mit diesem Lied würde ich beginnen, mich auszuziehen und nach wärmendem Massage-Öl in meinen Schubladen zu suchen.
Die Luft zwischen Felix und der nur 19 Jahre alten Marie war rasch so mit sexueller Anspannung geladen, dass man dem Raum zwischen ihnen eigentlich ein Kondom hätte überziehen müssen.
Danach war davon auszugehen, dass die Messe für die nachfolgende Alina längst gelesen war—keine Chance, sorry. Doch als ihre zwei Minuten anliefen, legte die Fee in Menschengestalt noch eine Schippe drauf und penetriert sich vor laufenden Kameras die Hände an den Fingern ihres Liebespartners fast schon blutig.
Als schließlich beide mit Brecheisen voneinander getrennt werden mussten, bestand kein Zweifel, bei wem Felix mehr Lusttropfen in seine H&M-Slimfit-Boxershorts abgeladen hatte. Alina holte den Sieg.
Und was ist mit uns, den Zuschauern? Ende gut, alles gut? Nein. Denn leider reichen 2 x 2 Minuten Tantrafinale einfach nicht aus, um uns über den Rest der komatös-sexistischen Show hindurch zu tragen. Wer aber nächsten Donnerstag mit Schlafproblemen zu kämpfen hat, dem sei dieses TV-Format wärmstens ans Herz gelegt. “Gute Nacht” schon mal im Voraus.
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