Die "neuen Nationalsozialisten" sind in Leipzig gescheitert

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Rechtsextreme

Die "neuen Nationalsozialisten" sind in Leipzig gescheitert

Die knapp 100 Neonazis wollten "nur" provozieren. Warum nicht einmal das geklappt hat.

Als die Neonazi-Truppe sich für die letzten Reden des Tages in Stellung bringt, ist eigentlich schon klar, dass ihr Plan für heute nicht aufgegangen ist. Umringt von Hunderten Polizisten mit schwerem Gerät und den Tausenden Gegendemonstranten dahinter wirken die knapp 100 Demonstranten der Partei "Die Rechte" auf dem Bayerischen Platz in Leipzig ziemlich verloren.

Die Redner geben sich trotzdem alle Mühe, Kampfgeist zu demonstrieren – sorgen damit aber vor allem für Lacher bei den umstehenden Journalisten. "Bei der Völkerschlacht bei Leipzig hat unser Volk schon einmal bewiesen, dass es sich gegen eine fremde Besatzung zu wehren weiß", wettert Parteikader Holger Niemann – ohne zu erwähnen, dass die Sachsen damals auf der Seite der Franzosen gekämpft haben. Für noch mehr Stimmung sorgt der Thüringer "Rechte"-Aktivist Michael Fischer, als er laut "Die Straße gehört uns, den neuen Nationalsozialisten!" ins Mikrofon ruft. Dabei hatte der Tag bisher vor allem eines gezeigt: Denen gehört die Straße sicher nicht.

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Holger Niemann bei seiner Rede

Andererseits war diese Demo auch nie als Machtdemonstration, sondern von Anfang an als pure Provokation geplant gewesen. Vor knapp anderthalb Jahren, als Christian Worch und seine rechtsextreme Kleinpartei das erste Mal durch den links-alternativen Stadtteil Connewitz marschierten, hatte das auch ziemlich gut funktioniert. Zwar kamen damals auch nicht mehr Teilnehmer zur rechten Demo, aber Teile der Gegendemonstranten lieferten sich an diesem 12. Dezember so heftige Straßenschlachten mit der Polizei, dass der Leipziger Bürgermeister entsetzt von "offenem Straßenterror" sprach. Auch wenn die Polizei an dem Tag selbst nicht zimperlich war – am Ende blieb das Bild von frustrierten Autonomen, die ihren eigenen Stadtteil sinnlos in Brand setzten, weil sie an die Rechten nicht herankamen. Für die Neonazis also ein PR-Erfolg, den sie am Samstag gerne wiederholt hätten.

Bevor es losgeht, erleichtern sich ein paar Rechte im Gebüsch

Im Vorfeld der Demo sah es dann auch durchaus so aus, als könnte sich der 12.12. wiederholen. Die Leipziger Polizei veröffentlichte eine Video-Mitteilung, in der der Pressesprecher Andreas Loepki einen Gewaltausbruch "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" vorhersagte und gleichzeitig warnte, dass die Polizei im Falle einer Eskalation hart durchgreifen würde – auch gegen Menschen, die sich nur in der Nähe möglicher Ausschreitungen befänden. "Wer mit dem Feuer oder in dessen unmittelbarer Nähe spielen muss," sagt Loepki im Video, "kann sich eben auch mal die Finger verbrennen." Nachdem mehrere Initiativen gegen diese Botschaft protestiert hatten, weil sie den Gegenprotest als Ganzes kriminalisiere und die Situation unnötig aufheize, ruderte die Polizei zurück und traf sich mit zwei Initiativen zum Gespräch.

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Schon am Samstagmorgen gab es zahlreiche Personenkontrollen

Die Stimmung in Leipzig blieb trotzdem angespannt. In der Südvorstadt tauchten gefälschte Zettel der Stadt auf, die die Anwohner aufforderten, ihren Sperrmüll am Samstag auf die Straße zu stellen – aus Sperrmüll kann man gut Barrikaden bauen. Die Stadt reagierte mit einer wütenden Richtigstellung und der Drohung, jeden Sperrmüllsteller mit Geldstrafen von bis zu 10.000 Euro zu bestrafen. In Connewitz tauchten die üblichen "Nazis jagen"-Graffitis auf, gleichzeitig setzte der offizielle Twitter-Account der Stadt noch am Samstag einen Tweet ab, in dem allen, "die hier von Gewalt fabulieren oder träumen", empfohlen wurde, diese infantilen Fantasien "mit ihrer Mutti" zu klären. Die Polizei bereitete sich mit einem Großaufgebot von Hundertschaften, Wasserwerfern, berittenen Einheiten und Räumpanzern auf den Tag vor.

Trotzdem verläuft die ersten Gegenkundgebungen am Samstag (insgesamt waren elf geplant worden) friedlich und sogar fröhlich. "Wir sind hier, um für Ruhe, Ordnung und Heimatliebe zu demonstrieren – und weil wir nichts Besseres zu tun haben", erklärt der Leipziger Vorsitzende der Partei Die PARTEI Thomas "Kuno" Kumbernuß gegenüber VICE. "Wir sind übrigens die einzige Veranstaltung, die heute Alkohol trinken darf!", wirft er noch stolz hinterher.

PARTEI-Genossen unter sich: Thomas Kumbernuß und Mathias Haschke

Auch die von der Linken-Politikerin Juliane Nagel angemeldete Gegendemo am Deutschen Platz, die am nächsten zu der Marschroute der Neonazis Stellung bezogen hat, bleibt friedlich. Das war nicht selbstverständlich: Anfangs war die Stimmung zwischen Polizisten und Demonstranten noch ziemlich angespannt, immer wieder schubsten Polizisten die Demonstranten in der ersten Reihe zurück.

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Als die Rechten schließlich auftauchen und bei den Linken immer noch kein Tumult ausbricht, lassen die Polizisten die Gegendemonstranten schließlich noch näher an die Neonazis heran, die die Linken mit lauten "Haut ab!" und "Ihr habt den Krieg verloren!"-Rufen bedenken. Ob die Rechten antworten, ist von hier nicht zu hören.

Später wird es noch einmal ein bisschen brenzlig, als die Rechten auf der Straße des 18. Oktober entlangziehen, die auf beiden Seiten von ihren Gegner gesäumt ist. Irgendwann fliegt aus der Menge der Protestierenden ein Böller mitten in die Rechten-Demo, ein älterer Teilnehmer erschreckt sich so, dass er stürzt. Und einmal schlägt auch ein einzelner, aber ziemlich großer Stein auf die Straße, ohne jemanden zu treffen. Die allermeisten sind erstmal zufrieden damit, den Rechten ausgiebig den Mittelfinger zu zeigen.

Ein Dreiviertelstunde später ist alles vorbei. Der Vorsitzende der rechtsextremen Mini-Partei, Christian Worch, wetterte in seiner Abschlussrede auch noch mal gegen die "Staatsfeinde" und "Anti-Demokraten" von links, vom "roten Pack", das vor anderthalb Jahren 69 Polizisten verletzt habe. Aber es ist jetzt schon klar, dass der 18. März anders in Erinnerung bleiben wird: als ein Tag, an dem die Leipziger dem Häufchen Neonazis mit überwältigender Mehrheit gezeigt haben, dass sie in der Stadt nicht willkommen sind – und das ganz ohne Ausschreitungen.

Christopher Zenker, Stadtratsmitglied für die SPD, auf der Gegendemo

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