Wird die Pille danach heute endlich rezeptfrei?

Während nahezu ganz Europa es geschnallt zu haben scheint und die Pille danach rezeptfrei in Apotheken oder sogar Online erhältlich ist, klammert sich Deutschland, zusammen mit dem, sagen wir mal, stark katholisch geprägten Italien und Polen noch immer an die Rezeptpflicht. Wenn also irgendetwas schiefgeht, muss hierzulande noch immer ein Arzt aufgesucht werden, was unter Umständen massive zeitliche Verzögerungen bedeutet, was wiederum nicht gerade die Effektivität des Mittels steigert. Heute berät der Bundestag über den Antrag der Opposition, den Wirkstoff Levonogestrel rezeptfrei zugänglich zu machen. Das Mittel kommt in Deutschland übrigens schon seit rund 40 Jahren zum Einsatz und sogar das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat sich gerade erst Mitte Januar ausdrücklich für die Entlassung des Präparats aus der Rezeptpflichtigkeit ausgesprochen.

Trotzdem meint Gesundheitsminister Gröhe mal wieder besser Bescheid zu wissen darüber, was das beste für Frauen und ihren Uterus ist und warnt bereits im Vorfeld vor einer „Debatte mit Schaum vor dem Mund“—klar, wir sind ja auch alle hysterisch. Stefanie Lohhaus, Chefredakteurin von Missy Magazin, hat eine Petition ins Leben gerufen und mir gestern Abend noch schnell ein paar Fragen beantwortet.

VICE: Hi Steffi, warum hast du die Petition gestartet?
Stefanie Lohaus: Ich finde, es ist total seltsam und fast schon lächerlich, dass die Pille danach hier immer noch rezeptpflichtig ist. In den USA ist sie ohne Rezept erhältlich, in allen EU-Ländern außer Italien und Polen und sogar in Ländern wie dem konservativen Libanon. Ich verstehe nicht, warum wir hier diesen Sonderweg gehen. Ich habe vor allem den Eindruck, dass sich hinter der Argumentation gegen die Freigabe ein konservatives Frauenbild versteckt, nach dem Frauen eben nicht verantwortungsbewusst mit der Notfallverhütung umgehen würden. Und das glaube ich nicht.

Gröhe behauptet ja, er setze sich ein für einen „zügigen und diskriminierungsfreien Zugang“ zur Pille danach. Denkst du, das ist eine scheinheilige Formulierung, wenn er sich im gleiche Atemzug, allen Expertenmeinungen zum Trotz, weiterhin für die Barriere des Arztbesuchs einsetzt?
Ja, klar ist das scheinheilig. Wenn es so bleibt, wie es bisher ist, dann ist das in der Großstadt zwar meistens weniger ein Problem, die Pille danach zu besorgen. Es ist vielleicht anstrengend, weil man ins Krankenhaus muss und da fünf Stunden warten muss, bis man drankommt. Aber es gibt auch Regionen in Deutschland, in denen es weniger Frauenärzte und weniger Krankenhäuser gibt, oder wo die Pille danach gar nicht erhältlich ist auf Rezept. Es gab ja Anfang 2013 den Skandal, dass in Köln im katholischen Krankenhaus einer vergewaltigen Frau die Pille danach verweigert wurde. Und selbst, wenn die katholische Kirche mittlerweile gesagt hat, sie dürfe verschrieben werden, gibt es immer noch Ärzte, die das nicht tun. Und man weiß nie, auf wen man im Notfall trifft. Zum anderen gibt es Frauen, die nicht gerne zum Arzt gehen, die sich nicht gerne untersuchen lassen, denen das unangenehm ist. Und das dritte ist natürlich das Problem der Wochenenden oder Feiertage. Das sind ja häufig genau die Tage, an denen man die Pille danach braucht.

Warum findest du, die Rezeptpflicht gehört abgeschafft?
Ich denke, es muss frei sein von dieser Willkür. Es kann auch jeder überall passieren. Stell dir vor, du kommst aus Berlin in die Pampa, besuchst deine Fernbeziehung oder dein Date von OKCupid, dann passiert dir ein Verhütungsunfall und dann? Hast du Pech gehabt. Die Pille danach wird in einigen Ländern seit 20 Jahren vergeben, es gibt viel Erfahrung damit. Bisher sind keine gravierenden Nebenwirkungen bekannt.

Denkst du die Argumentation, dass die Pille danach die Abtreibungsrate senken könnte—wozu es ja auch recht unterschiedliche Studien und Meinungen gibt—ist in dieser Debatte überhaupt wichtig?
Ich denke, es ist schon ein wichtiges Argument, dass sie Abtreibungen verhindern kann und dass sie auf keinen Fall negative Auswirkungen hat. Das widerspricht nämlich der Argumentation von Gröhe, der impliziert, es würde dann mehr Abtreibungen geben. Wie das passieren soll, kann ich mir nicht vorstellen. Es kann ja nur so sein: sie wirkt oder sie wirkt nicht. Viel falsch machen kann man nicht. Auch wenn ich sie beim Arzt verschrieben bekomme, gehe ich danach in die Apotheke und nehme sie dann unbeaufsichtigt ein. Wenn ich doch schwanger werde, macht es keinen Unterschied, ob man sich dabei von einem Arzt oder Apotheker hat beraten lassen. Die Beratung fällt nicht komplett weg.

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Warum gehen dann alle Konservativen so unreflektiert auf die Barrikaden, wenn es um den selbstbestimmten Umgang mit dem eigenen Uterus geht, egal ob Pille danach oder Abtreibung?
Ich finde es wichtig, da zu differenzieren, denn auch aus einer Pro Choice-Perspektive, also dass man sich für das freie Reproduktionsrecht und freie Abtreibungen einsetzt, möchte man ja Abtreibungen verhindern. Man kann durchaus das Argument bringen, die Pille danach steht dafür, dass es weniger Abtreibungen gibt, weil keine Frau gerne abtreibt. Eine Abtreibung kann eine OP bedeuten, Stress, psychische Belastung oder eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben, mit der Beziehung und so weiter. Und wenn man das verhindern kann, dann ist das doch durchaus positiv aus jeder Perspektive.

Das scheinen leider viele Menschen immer noch anders zu sehen … Wurdest du auch schon mit Kritik konfrontiert aufgrund deiner Initiative?
Ich hab zum Teil Emails bekommen von Leuten, die die Petition ablehnen und da schwingt durchaus ein „anständige Frauen brauchen sowas nicht“ mit. Also, dass man „selbst schuld ist, wenn man in die Situation kommt“. Außerdem wird argumentiert, dass Frauen die Pille danach dann als Verhütungsmittel missbrauchen würden. Obwohl überall steht, dass es ein Notfallverhütungsmittel ist, wird unterstellt, dass Frauen anfangen würden, sie wie Smarties einzuwerfen. Ich verstehe nicht, warum man Frauen nicht zutraut, dass sie damit verantwortungsbewusst umgehen. Wir sind ja nicht dumm. Die Botschaft kommt sehr wohl an. Auch Teenager sind heutzutage aufgeklärt, wissen Bescheid. Das ist entmündigend.

Wie entkräftest du diese völlig dämlichen Smarties-Vorwürfe?
Selbst wenn man die Pille danach als Verhütungsmittel verwenden wollen würde, wäre es nicht besonders praktisch. Ich müsste nach jedem Sex zur Apotheke rennen, um mir diese eine Pille zu besorgen. Die gibt’s ja nicht im 10er Pack. Hinzu kommt, dass sie auch nicht so billig ist. Alleine diese pragmatischen Hindernisse sprechen dagegen, dass man Angst haben muss, dass jemand sie als reguläres Verhütungsmittel verwendet.

Weißt du, wie teuer sie ist?
Ca. 16-18 Euro. Wenn man zwei, drei Mal die Woche Sex hat, wäre das ein teurer Spaß.

Wie denkst du, wird die Debatte ausgehen?
Ich hoffe natürlich, dass Minister Gröhe sich umstimmen lässt. Aber selbst wenn nicht, bin ich froh, auf das Thema aufmerksam gemacht zu haben, weil eben nicht medizinische Fakten verhandelt werden, sondern eine bestimmte Moral und ein bestimmtes Bild von weiblicher Sexualität. Wir denken immer, wir würden in einem liberalen und aufgeklärten, modernen Land leben, aber in solchen Punkten merkt man dann, dass Deutschland doch sehr viel konservativer und spießiger ist.

Stefanie Lohaus verteilt zusammen mit den Missy-Gründerinnen und dem feministischen Flügel der Piratenpartei heute vor dem Bundestag Smarties, um auf die Absurdität der Argumentationsführung für die Rezeptpflicht hinzuweisen. Die Petition unterschreiben könnt ihr hier.