​Die Polizei versteht immer noch nicht, warum man gegen Neonazis demonstrieren muss

Pegida-Demos stehen nicht nur in Wien und Linz an der Tagesordnung, auch in deutschen Städten ist einiges los, wenn Demonstranten verschiedener Gruppierungen zusammenkommen. Vor einiger Zeit trafen in Wuppertal Neonazis, Pegida-Anhänger, Salafisten und Hooligans aufeinander. Weil die meisten Wuppertaler auf beide Gruppen keinen Bock hatten, haben sich schnell Bündnisse dagegen gebildet. Sogar der Wuppertaler Oberbürgermeister Peter Jung (CDU) forderte alle „guten Demokraten” dazu auf, ihren Protest auf die Straße zu bringen.

Als Signal waren die Gegenproteste erfolgreich. Insgesamt versammelten sich fast 2.000 Menschen gegen die 500 Pegida-Hooligans und die knapp 100 Salafisten. (Falls ihr das verpasst habt, hier ist unser Artikel zum Samstag.) Man könnte also meinen, dass jeder normal denkende Mensch den Demonstranten von Wuppertal für ihr demokratisches Engagement dankbar sein würde. Aber dann hätte man die Rechnung ohne die Polizei gemacht.

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Der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Erich Rettinghaus, nutzte eine Pressemitteilung nicht nur, um die Arbeit der Polizei an dem Tag zu loben, sondern auch, um den CDU-Bürgermeister für seinen Aufruf scharf zu kritisieren: „Wuppertals Oberbürgermeister hatte nichts Besseres zu tun, als auch noch zur Demo aufzurufen, mit der Gefahr, dass Linksextremisten die Stimmung aufheizen und wie so oft gewalttätig ausufern lassen.”

Aha. Man sollte also am besten keine Gegendemonstrationen abhalten, auch nicht gegen Rechtsradikale oder Fundamentalisten (die sich auf der Bühne die Vernichtung aller Juden wünschen) oder beide gleichzeitig, weil ja immer die Gefahr besteht, dass „Linksradikale die Stimmung aufheizen”.

Gut aufgeheizt: Hooligans, die Gegendemonstranten angreifen wollten. Foto: Felix Huesmann

Wenn man der Logik des Polizeigewerkschaftlers folgt, dann sollte es eigentlich überhaupt keine Gegendemonstrationen mehr geben. Wenn also das nächste Mal ein Haufen Neonazis durch eine Stadt marschiert und vor einem Flüchtlingsheim rumschreien will, sollte man sie einfach laufen lassen. Hauptsache, die Stimmung wird nur von einer Seite aufgeheizt!

Das Problem ist, dass Rettinghaus mit der Meinung nicht alleine steht. Es gibt zwar keine Erhebungen dazu, aber trotzdem wenig Zweifel, dass sehr viele Polizisten das ganz genau so sehen. Aus eigener Erfahrung, überhörten Gesprächen von Polizisten und den Berichten anderer wird immer wieder deutlich, dass viele Beamte ziemlich wenig Verständnis dafür haben, warum Gegendemonstrationen eigentlich sein müssen.

Im ersten Moment ist das nicht schwer zu verstehen: Gegendemonstrationen machen der Polizei sehr viel Arbeit. Ohne Gegendemonstrationen würden die meisten rechtsradikalen Demos zweifellos erstmal deutlich friedlicher ablaufen—schließlich wäre niemand da, der die Neonazis herausfordert und provoziert. Wenn die dann auf die Gegendemo losgehen, muss die Polizei sich den aufgeregten Jungs in den Weg stellen.

Dazu kommt noch, dass die zuverlässigsten und engagiertesten Gegendemonstranten nunmal die Jungs von der Antifa sind. Darunter sind auch viele Linksradikale, die ein durchaus gespanntes Verhältnis zur Polizei haben und den Beamten gerne am laufenden Band vorwerfen, sie würden die Neonazis schützen oder wären gleich selber welche.

Es ist also verständlich, dass Polizisten grundsätzlich dazu neigen, Gegendemonstrationen als zusätzliche Belastung ansehen—weil sie das ja auch sind. Heißt das, man sollte das mit den Gegendemonstrationen einfach lassen?

„Muss das sein?” – „Ja, das muss sein.” (NPD-Kundgebung in Berlin 2014). Foto: Björn Kietzmann

Auch viele Nicht-Polizisten glauben, dass man Neonazi-Aufmärsche am besten einfach ignoriert. Sie verstehen nicht, warum man den Rechten noch zusätzliche Aufmerksamkeit schenken muss und sehen Gegendemonstrationen als einen linke Reflexhandlung, die im Grunde nichts erreicht außer noch mehr Lautstärke, Stress und Gewalt.

Das ist falsch. Wenn man Rechtsradikale ungestört marschieren lässt, erklärt man sie für gesellschaftsfähig. Wenn die Gegenproteste wegfallen, sinkt auch die Hemmschwelle für „gemäßigtere” Bürger, die dann die Reihen der Neonazis stärken (Pegida zum Beispiel hat es geschafft, unter dem Radar eine bestimmte kritische Masse zu erreichen, bevor ernsthafte Gegenproteste organisiert wurden. Als es dann zu spät war, konnten sich die „besorgten Bürger” in der Mehrheit wähnen).

Zweitens hätten die Rechten viel mehr Entfaltungsmöglichkeiten: Sie können ihre Dummheiten ungestört an den Mann bringen, Leute auf der Straße oder in ihren Häusern ansprechen und Infomaterial verteilen. Sie können auch direkt vor Synagogen, Moscheen oder Flüchtlingsheimen demonstrieren, um die maximale Provokation zu erreichen. Je krasser die Aktionen werden, desto größer wird der Ruhm der Gruppe, und desto mehr Sympathisanten reisen an, um sich ihnen anzuschließen. Die Polizei könnte nichts dagegen unternehmen—abgesehen davon, dass das nicht ihre Aufgabe ist.

Dass oft nur so wenige Teilnehmer zu rechten Demos kommen, liegt an den Gegendemonstrationen. Es ist für einen unbescholtenen Alltagsrassisten sehr unangenehm, sich den Beschimpfungen, dem Outing und dem öffentlichen Stigma auszusetzen, für die die Gegendemonstrationen sorgen.

Foto: Björn Kietzmann

Ein gutes Beispiel dafür sind die alljährlichen „Trauermärsche” am 13. Februar in Dresden. Da sie anfangs weitgehend ignoriert wurden, entwickelten sie sich in wenigen Jahren zum größten Neonazi-Treffen in Europa. Dann begannen entschlossene Antifaschisten, dem „Trauermarsch” auf jede erdenkliche Art und Weise mit Gegenprotesten zu begegnen und ihn zu blockieren, und nach einigen Jahren waren die Märsche effektiv lahmgelegt—immer weniger Rechte nahmen die lange Anreise auf sich, nur um dann stundenlang hinter einer Polizeiblockade herumzustehen.

Dresden ist das beste Beispiel für das, was Gegenproteste erreichen können. Hätte man die Neonazis damals einfach mit ein paar Polizisten allein gelassen, würden die Demos wohl heute immer noch wachsen. Mit jedem Schritt, den Neonazis gehen können, ohne Widerspruch zu ernten, verschieben sie die Grenze ein bisschen, verändern sie ein Stück die Gesellschaft. Das Ziel, das sie dabei im Auge haben, ist ein ganz anderes Land. Eines, das sich kein Polizist wünschen sollte.

Dass sie das verhindern, dafür sollten Polizisten den Gegendemonstranten also genauso dankbar sein wie wir alle. Und auch wenn es mehr Stress bedeutet: Das ist ihr Job. Manchmal ist Ruhe auf den Straßen eben nicht das höchste Gut.