Eine vor Kurzem von mir durchgeführte Studie hat ergeben, dass 90 Prozent der Skateboard-Grafiken von 2014 scheiße sind. Ich bin jetzt seit 11 Jahren Besitzer einer Skateshops und musste in dieser Zeit leider miterleben, wie die Bilder auf der Unterseite der Boards sich von ausstellungswürdigen Kunstwerken zu etwas entwickelten, das wie eine Zwischenprüfung eines Grafikdesign-Grundlagenkurses einer Fachhochschule anmutet.
In den 90ern war das Skateboard wie eine Leinwand, auf der sich die Künstler ausdrücken konnten. Heutzutage verwenden die meisten Marken einfach nur immer und immer wieder ihr langweiliges, uninspiriertes Logo für die meisten ihrer Boards und bringen unsere Kultur damit zurück in die 70er-Jahre-Ära des Slaloms und Surfens. Traurigerweise wurde die jetzige Generation Skateboarder dazu erzogen, viel Geld dafür zu zahlen, als bewegliche Werbetafel für die Konzerne zu agieren. Die meisten Skateshops verkaufen zehn Mal so viele Boards mit Logos als das Gegenstück dazu, das Board mit einem handgezeichneten Design.
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Dem war nicht immer so. In den 80ern und 90ern waren die Designs und die Namen der Pros die Kaufgründe. Wenn du damals vor der Verkaufswand eines Skateshops standest, wurdest du geblendet und warst überwältigt—wie beim ersten Besuch im Louvre. Am Ende der 80er Jahre ging der Style des Skateboardens in eine urbanere, mehr auf die Straße fixierte Richtung. Die Designs mit Biker-Style-Totenköpfen, Schwertern und Drachen der Firma Powell Peralta verloren an Beliebtheit und World Industries übernahm das Zepter mit seinen aneckenden, satirischen Grafiken—dieser Umstand ist zum Großteil den meisterhaften Designern Marc McKee und Sean Cliver zu verdanken. Plötzlich waren Skateboard-Grafiken nicht mehr nur etwas für Kinder. Sie zeigten jetzt verruchte, dreckige, offen sexuelle und politisch motivierte Bilder, die den Eltern so gar nicht passten—dadurch wollten sie die Skateboarder nur noch mehr.
Der französische Autor Sebastien Carayol aus Narbonne hat einen Großteil seines Lebens damit verbracht, das Skateboarden der 90er in mehreren Büchern, Ausstellungen und mit seiner Kolumne und Website Memory Screened festzuhalten. Carayol gibt zu, dass er selbst kein großer Künstler ist, weshalb er sich auch dazu entschloss, genau diese Seite des Skateboardens zu dokumentieren. „Ich habe mich nur einmal wie ein Künstler gefühlt”, sagte er. „Damals, 1989, taggte ich das Wort ‚Zorlac’ mit dem O als Public-Enemy-Fadenkreuz-Logo auf alle Wände meiner kleinen Heimatstadt in Südfrankreich. Das darauf folgende ‚Lob’ der Kritiker überzeugte mich davon, meine künstlerische Karriere sofort abzubrechen und mit dem Schreiben anzufangen.”
Vor Kurzem brachte Carayol in seinem Buch Agents Provocateurs über 100 subversive Skateboard-Grafiken heraus. Ich setzte mich mit ihm hin, um über die Blütezeit des Skateboard-Designs zu reden.
VICE: Was veranlasste dich zum Schreiben von Agents Provocateurs?
Sebastien Carayol: 2011 bot sich mir die Gelegenheit, als Teil der „Public Domaine“-Kunstshow in Paris eine Ausstellung von Skateboards zu kuratieren. Ich wollte vermeiden, einfach nur Boards in chronologischer Reihenfolge zu zeigen. Deswegen entschied ich mich für das Thema „Provokation”—Skateboards, die etwas zu sagen hatten und sich mit klassischen Tabuthemen wie Sex, Religion, Gewalt, Rassismus, Politik und so weiter auseinander setzten. So konnte ich meine Bewunderung sowohl für die Größe der 90er (damals fing ich auch mit dem Skaten an) als auch für die Geschichte der Provokation im Allgemeinen zum Ausdruck bringen.
Bei „Public Domaine” habe ich 52 Boards gezeigt und ich dachte, dass es cool wäre, das Ganze zu einem Buch zu machen. Dank der großartigen Unterstützung durch Sean Cliver kam ich in Kontakt mit Gingko Press und die Sache stand. An dem Buch selbst habe ich ungefähr ein Jahr lang gearbeitet und war dabei noch mit anderen Ausstellungen und Projekten beschäftigt. Am Ende hat mir der Herausgeber erzählt, dass das mit die heftigsten Bilder waren, die er je in ein Buch gedruckt hat. Das löste ihr mir ein richtiges Glücksgefühl aus.
War es schwer, dich nur auf 100 subversive Skateboard-Grafiken zu beschränken?
Das war das Schwierigste von allem, denn ich glaube, wir hätten auch 1000 Designs auswählen können und hätten damit wahrscheinlich immer noch nicht alles abgedeckt. Ich wollte auch nicht, dass das Ganze nur ein Abklatsch der Bücher wird, die Sean „Category Killer” Cliver bereits veröffentlich hatte. Außerdem war meine Idee, über den Tellerrand der auf der Hand liegenden Vintage-World Industries/Antihero/Alien Workshop/Consolidated-Designs hinauszublicken, damit auch die eingefleischten Skateboard-Sammler ein paar Decks zu sehen bekommen, die sie vorher vielleicht noch nicht kannten. Deshalb habe ich auch weniger bekannte Firmen wie Witchcraft, Politic, Boom Art, Trauma und Yama mit dazu genommen. Ich habe ebenfalls versucht, so viele moderne Decks dieser Kategorie wie möglich zu berücksichtigen, aber das ist nicht wirklich einfach. Wenn man all das bedenkt, dann bin ich mit der Endauswahl sehr zufrieden und kann es kaum erwarten, wütende Mails nach dem Motto „Warum hast du dieses oder jenes Board nicht mit aufgenommen?” zu bekommen. Obwohl, ein Paar sind schon in meinem Postfach gelandet.
Hinter welcher Grafik steckt die beste Geschichte?
Ich würde sagen hinter „Napping Negro” von World Industries, das Marc McKee für Jovontae Turner gemacht hat. Das war vielleicht das kontroverseste Deck aus der ganzen „Reverse Racism”-Reihe. In einer Thrasher-Werbeanzeige hieß es: „Die Schwarzen haben mit den Weißen schon immer eine tolle und schillernde Geschichte geteilt. Am Anfang des 17. Jahrhunderts wurden sie aus ihrer Heimat geholt, gefesselt, auf Schiffe verladen und nach Amerika gebracht. Im Laufe der darauffolgenden drei Jahrhunderte wurden sie gekauft, versklavt, gefoltert, vergewaltigt und getötet. 1954 wurde ihnen schließlich eingeräumt, aus den selben Brunnen zu trinken und damit hat so ziemlich der ganze Spaß aufgehört.”
Ein Deck mit all den Klischees über Schwarze klingt zwar wirklich schrecklich rassistisch, aber die Kritiker vergessen auch immer, dass Jovontae Turner—ein afroamerikanischer Pro-Skateboarder—die Idee von sich aus vorschlug. „Als World Industries mich fragte, wie mein Design aussehen sollte, wollte ich so altes Sklaven-Zeug, weißt du? Irgendetwas aus diesem Zeitalter”, sagte Turner. „Im Grunde wollte ich etwas zurückgeben und mich irgendwie darüber lustig machen. Mein erstes Board hieß ‚Jovontae bei Nacht’. Ich traf mich mit ihnen und sagte: ‚Man behauptet doch, dass man Schwarze nachts nicht sehen kann, außer sie lächeln?’ Dann haben wir ein Design mit einem ausgebüxten Sklaven gemacht, der sich in einem Baum versteckt. Danach kam ‚Napping Negro’. Meine Mutter und ich gaben Marc McKee all diese Postkarten mit schwarzer Folklore—im Grunde nur richtig schlechte Zeichnungen, die die Schwarzen darstellen. Ich mochte es, als es rauskam. Ich mochte die Kontroverse. Es verärgert die Leute. Ich bringe Leute gerne auf die Palme und es hat tatsächlich funktioniert.”
Was denkst du über die moderne Ära der von Logos geprägten, langweiligen Skateboard-Grafiken?
Meinst du die, die Skateboards wie Skier aussehen lassen? Es ist meiner Meinung nach eine Schande, dass dieser billige Trick immer noch funktioniert. Aber in letzter Zeit fällt mir auch auf, dass einige Firmen wie Polar, Welcome, Palace oder $lave den Wert von richtigen Grafikdesigns weiterhin zu schätzen wissen. Ich finde es total verrückt, dass einige der Firmen mit den höchsten Verkaufszahlen die sind, die auch die langweiligsten Designs haben: „Ach, bei uns sind die besten Pros, der Rest ist egal. Die Kids scheißen drauf.”
Die Decks, die du aus den 90ern, also vor dem Internet-Zeitalter, ausgewählt hast, waren damals schockierend. Denkst du, dass die Teenager von heute, die im Internet leicht an entsetzliche Bilder von Enthauptungen, Fistings und so weiter kommen, überhaupt von irgendetwas in dem Buch schockiert sein werden? Glaubst du, dass die Teenager von 2014 überhaupt noch irgendetwas schockieren kann?
Darüber denke ich manchmal nach, aber es ist sehr schwer für einen 40-Jährigen, der im ländlichen Frankreich vor dem Zeitalter des Internets aufgewachsen ist, sich vorzustellen, was einen Teenager heute noch schockt. Das ist aber OK für mich—ich bin mir nicht sicher, ob sich ein moderner Teenager überhaupt noch ein Buch kaufen würde, oder? Es gibt ja immerhin die Street League, die ist viel aufregender!
Ich glaube wirklich, dass das einzige noch nicht vom Skateboarden aufgegriffene Tabuthema Homosexualität ist. Obwohl sich in den letzten Jahren endlich ein paar Leute geoutet haben, traut sich immer noch niemand, das Ganze anzusprechen—und das ist traurig. Eine offen schwule Skateboard-Firma, die zu ihrem Unterschied steht, fände ich richtig gut. Das wäre toll und würde die Kids weltoffener machen.
Marc McKee und Sean Cliver hatten in den 90ern im Bereich der aneckenden Skateboard-Grafiken die Nase vorn. Wer ist deiner Meinung nach 2014 an der Spitze?
Ich denke, dass das immer noch Sean ist. Aber auch Marc McKee und ein paar andere Veteranen wie Todd Francis enttäuschen nie. Was die Neulinge betrifft: Ich stehe total auf die Arbeiten von Ben Horton für $lave und die gelegentlichen skandalösen Geniestreiche von zum Beispiel SkateMental oder enjoi. Ach ja, beim Aufschrei wegen des „Gooks of Hazzard”-Decks von Baker aus dem Jahr 2012 (hier der TMZ-Artikel) musste ich alter Knacker ein paar Tränchen verdrücken—die Kids kriegen es auch heute noch hin! Es ist wirklich ein Wunder, dass Provokation in einer Zeit noch immer funktioniert, in der man dachte, dass die Leute schon alles gesehen hätten.
Welches ist die beste Geschichte, die dir beim Zusammenstellen dieses Buchs von den Künstlern erzählt wurde?
Einige Geschichten sind natürlich Klassiker und wurden hier und da auch schon gehört—zum Beispiel, dass nicht-rassistische Skinheads das Real-Team bei einer Demo beschützen, nachdem Jim Thiebauds „Hanging Klansman”-Board rausgekommen war. Ich fand Folgendes sehr schön: Mike Hill hat ein altes Alien Workshop-Deck entworfen, auf dem eine Puppe erstochen wird. Der Beweggrund dafür war der Wunsch, eine Grafik zu machen, „die so aussieht, wie Dinosaur Jr.s Album You’re Living All Over Me klingt.”
Einen weiteren tollen Einblick verschaffte uns Eli Gesner, das Mastermind hinter dem frühen Zoo York-Zeug der 90er und Illuminati Skateboards. Zu jedem Board schickte er mir per Mail eine drei Seiten lange Erklärung. So fand ich einige Sachen heraus, zum Beispiel diese kaum bekannte Tatsache über das Ende von Illuminati Skateboards, die nicht mehr ins Buch gepasst hat:
„Wir haben mit Zoo York ein gewisses Limit erreicht und wollten expandieren. Wir waren uns nicht sicher, ob wir uns darauf konzentrieren sollten, Zoo York zu einer Klamottenmarke zu machen, oder uns ‚breiter zu fächern’ und mehr Skateboard-Marken zu erschaffen. Ricky Oyola und wir alle von Zoo York hielten das Gründen von Illuminati, die erste Ableger-Firma, für den richtigen Schritt. Im Rückblick haben ich es konzeptuell gesehen mit Illuminati vielleicht übertrieben. Ich hoffe, dass dem nicht so ist. Es macht mich wirklich richtig traurig, dass die Skater solche intelligenten Dinge wie unser Zeug von Illuminati gut fanden, aber dann letztendlich solche Sachen wie ‚Jackass’ und ‚Rob’s and Big’s Fun Factory’ die Oberhand gewinnen … Das ist blanke Ironie! Unser Ende war dann eine Abmahnung mit Unterlassungsaufforderung von diesem beschissenen Nerd-Kartenspiel ‚Illuminati’. Es stellte sich heraus, dass ‚Spiele und Sportzubehör’ in den USA im gleichen Copyright- und Trademark-Bereich geführt werden. Laut unserer Regierung sind ‚Dungeons and Dragons’ und die NFL quasi dasselbe. Stell dir das mal vor. Bis zum heutigen Tag werde ich noch gefragt: ‚Warum habt ihr Illuminati aufgegeben? Das war eine coole Firma!’ Das waren nicht wir, mein Freund. Das Kartenspiel hat uns zur Aufgabe gezwungen. Oder? Ich glaube, dass da tiefer gehende, dunklere Machenschaften am Werk waren! Zuerst stellen uns die ganzen Kids diese Fragen und PLÖTZLICH wird ‚Jackass’ auf MTV ausgestrahlt? Zufall? Ich glaube nicht!”
Was ist dein persönliches Lieblings-Skateboard-Design?
Da eins rauszusuchen, das wirklich in die Läden kam, ist zu schwer—ich liebe sie alle. Deshalb entscheide ich mich für das Einzelstück, dass Alyasha Moore 2012 geschaffen und bei einer Auktion verkauft hat. Er nahm dieses alte, kaputte 50er-Jahre-Skateboard mit Metallrädern her und schrieb einfach „Colored Only” (Nur Farbige) auf die Unterseite—er wollte damit zeigen, dass die ach so coolen 50er nicht nur eitel Sonnenschein waren. Das ist simpel, knallhart und erzählt mit einem Wort eine Geschichte. Perfekt. Tut mir Leid, dass das jetzt etwas Ernstes ist (ich stehe genau so wie jeder Andere auch auf nackte Rentner, die Volleyball spielen), aber für mich ist das Provokation in Perfektion: Mit einer cleveren Idee wird eine clevere Geschichte erzählt.
Wir diskutieren hier über Künstler, die seit Jahrzehnten die gesamte Optik des Skateboardens gestalten. Ihre Arbeit inspiriert viele zukünftige Künstler und Skater. Was denkst du über die Tatsache, dass nach all den Jahren und nach all dem Geld, das diese Künstler den Unternehmen eingebracht haben, die durchschnittliche Bezahlung für eine in Auftrag gegebene Board-Grafik immer noch nur magere 150 bis 300 Dollar beträgt?
Und dann denkt man darüber nach, wie viel der Designer eines Staubsauger-Logos verdient, oder? Ich finde das ziemlich unfair, aber es sagt auch einiges über übereilte Grafiken aus. Wenn man bedenkt, dass Sean Cliver für ein handgezeichnetes Design mindestens eine Woche braucht, dann kannst du ja mal durchrechnen, was für ein Stundenverdienst das dann ist. Ich weiß nicht genau, wie man das ändern könnte; ich weiß nur, dass ich durch dieses Buch—oder Clivers oder jedes andere Skateboard-Design-Buch—zumindest dabei helfen will, den Grafiken einen Namen zu geben, die mehr verdient haben als ihr dreiwöchiges Leben im Regal eines Skateshops. Dadurch werden die Jungs wohl nicht besser bezahlt werden, aber sie werden zumindest bekannter—und so kriegen sie mehr dieser fantastischen 150-Dollar-Aufträge rein!