Die verdammt vielen schönen Seiten von ‘Horizon Zero Dawn’

Alle Stills vom Autor aus ‘Horizon Zero Dawn’ (c) Sony Interactive Entertainment

Ihr kennt das vermutlich alle: Diese zynische Einstellung vor so manchem Film, bei dem man als alter Kinohase natürlich einen zu Unrecht gehypten Verhau befürchtet und der sich dann als unglaublich unterhaltend herausstellt.

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Da sitze ich arrogant und den Mund verziehend da, bevor eine Komödie wie The Heat oder ein Meisterwerk wie Mad Max: Fury Road oder Edge of Tomorrow beginnt, und mache mir Gedanken wie: “Das kenn ich doch schon alles. Ich hab jetzt schon alles durchschaut. Zuerst passiert das, dann das und fertig. Mein analytisches Genie ist nicht auszutricksen.” Und dann tut der Film genau das doch. Und dann ist nicht nur die Begeisterung unendlich viel größer, sondern auch die Überraschung darüber, doch überrascht worden zu sein. 

Genau so funktioniert Horizon Zero Dawn, nur eben in Videospielform. Als Open-World-Game mit Pfeil und Bogen ist Horizon Zero Dawn zuerst mal nicht wirklich etwas Neues. Es spielt mehrere 1000 Jahre nach einer mysteriösen Apokalypse und die Reste der menschlichen Zivilisation rosten zwischen Wiesen und Wäldern. I’m listening. Es gibt aggressive Maschinen-Tiere, die wie die Borg aus Schläuchen und High-Tech bestehen, während die Menschen in rückschrittlichen Stämmen und Glaubensgemeinschaften zusammenleben. OK, ich habe den Köder geschluckt. Plötzlich wurde aus meinem Vorhaben, vielleicht mal schnell durch die Main-Quests zu spielen, ein vollkommen einnehmendes und sich über Wochen spannendes Abenteuer.

Das essentielle Schlagwort in diesem Spiel ist “Balance”. Eine Geschichte, die dich wie gesagt ständig lockt, mehr herauszufinden, aber auch in Ruhe lassen kann, wenn du beispielsweise gerade lieber riesige kybernetische Trampeltier-Monster jagen möchtest – oder Waschbären. Die Felle der Letzteren habe ich für ein Waffentaschen-Upgrade gebraucht. Fragt nicht.

Die herausragend geschriebene Geschichte von Horizon Zero Dawn ist der Grund, warum man komische Side Quest über Sonnenpriester, verschwundene Töchter oder altvordere Untergrund-Bunker überhaupt bis zum Ende weiterverfolgt. In schön ausgeglichen Handlungsschritten lernt man die Hauptfigur Aloy kennen und findet sich langsam mit ihr in den weiten Regionen aus Wüsten, Gletschern und Sümpfen zurecht. Spätestens beim ersten Ritt auf einem Roboter-Hirsch ist man hoffnungslos verliebt.

Eine Balance besteht auch zwischen den Waffen von Aloy. Sie hat die gleichwertigen Optionen, entweder in einer wildgewordenen Panzer-Offensive die Lager der bösen Kultisten in Schutt und Asche zu legen, oder lautlos und unbemerkt als Ninja im Gebüsch die Headshots aneinander zu reihen. Das Spielgefühl im Kampf gegen die große und kleine Maschinenfauna ist ebenso schön ausgeglichen.

Mal fordert sie ein Thunderjaw über zehn Minuten hinaus aufs Extreme, bis er mit Aloys letztem gezielten Pfeilschuss im Angriffsgalopp doch gerade noch zusammenbricht und vor ihren Füßen erlegt zum Stehen kommt, mal killt ein schneller Schuss aus der Hüfte den lästigen Watcher. 

Das Schießen, das Ausweichen oder der Einsatz von kniffligen Seil-Bögen, mit denen man wie im Rodeo das Tech-Getier fesseln und ihm ein Bein stellen kann: Alles spielt perfekt zusammen. Und auch taktisch lässt einem Horizon Zero Dawn verschiedenste Herangehensweisen – Fallenstellen, Dauerfeuer mit Frostpfeilen oder Steinschleudern mit Schockbomben-Munition.

Die Karte und das üppige Spielsystem erinnern an die letzten Far Cry-Teile, ohne es aber mit dem zwangsneurotischen Sammlertrieb aus diesen Spielen zu übertreiben. Die ausufernden Hintergründe der Erzählwelt und die Figureninteraktionen haben einen Hauch von Skyrim, auch wenn ich die Naturvölker-Designs mit Unmengen an Dreads und Gesichtsbemalung zuerst ein bisschen grenzwertig fand. Dass das Entwickler-Team hinter The Witcher 3 – eines der best geschriebenen RPGs der letzten Jahrzehnte – vor Aloy und Horizon Zero Dawn ihren Hut gezogen haben, spricht jedenfalls für sich.

Obwohl die halbe Welt das neue Zelda oder Dark Souls III-DLCs zu spielen scheint, möchte ich euch allen Aloys “kleine” Geschichte wärmstens ans Herz legen. Matriarchen, eine Menge Twists und berghohe E-Dinosaurier erwarten euch. Und wer immer noch nicht wirklich überzeugt ist, soll sich einfach noch diese vielen anderen verdammt schönen Fotomomente des Spiel ansehen.

Josef auf Twitter: @theZeffo