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„Vergewaltigungsdroge“: GHB feiert sein Comeback—alles, was du darüber wissen musst

GHB ist eine Droge, die Clubbesitzern und Veranstaltern auf der ganzen Welt Probleme bereitet—nicht nur, weil man mit ihr andere Menschen ausknocken kann. Als Montreals berühmter After-Hour Club Stereo letzten Monat mit seiner Null-Toleranz-Regelung gegenüber GHB an die Öffentlichkeit ging, hoffte Besitzer Tommy Piscardeli deshalb, damit eine größere Diskussion über eben diese Probleme anzustoßen. „Wir müssen das unterbinden, bevor etwas wirklich Schreckliches passiert. Hören wir damit auf, bevor jemand stirbt”, sagte er gegenüber THUMP.

Auch wenn die neue Regelung des Stereo, Gästen, die mit der Substanz erwischt werden, ein lebenslanges Hausverbot auszusprechen, am Ende vielleicht nicht den Einfluss haben wird, den man sich davon erhofft, zeigen sich andere Eigentümer und Promoter in Kanada und andernorts generell zurückhaltend, wenn es darum geht, in die Diskussion über Schadensminderung einzusteigen. Viele stimmen zu, dass es in den letzten Jahren vermehrt zu Vorfällen mit GHB (Gamma-Hydroxybuttersäure) gekommen ist. Die meisten wollten dazu aber keine offizielle Aussage machen, da sie ungewollte Aufmerksamkeit seitens der Behörden befürchten.

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„Die haben wahrscheinlich Angst”, sagt der in Toronto lebende House-Promoter Richard Brooks, der schon seit vielen Jahren in der Clubszene aktiv ist. „Die wollen nicht, dass irgendjemand denkt oder überhaupt in Erwägung zieht, dass in ihrem Club oder bei ihrer Veranstaltung solche Dinge passieren. Das Problem ist nur, dass man es nicht kontrollieren kann. Man kann die Gäste nur bis zu einem gewissen Grad durchsuchen. Ich finde es großartig, was das Stereo jetzt getan hat. Ich wollte selbst schon letztes Jahr so ein ‚NO GHB’-Ding auf meine Flyer packen.”

Und auch in der deutschen Clublandschaft scheint GHB—das hierzulande aufgrund der leichteren Beschaffung vor allem in Form seiner Vorläufersubstanz GBL (Gamma-Butyrolacton), einem vor allem in der Industrie genutzten Lösungsmittel (Stichwort: Graffiti-Entferner), konsumiert wird—zunehmend in den Fokus der Veranstalter gerückt zu sein. So können Gäste in manchem Berliner Club heutzutage auch mit einem lebenslangen Hausverbot rechnen, wenn sie mit der Substanz erwischt werden—früher beschränkte sich die Verbannung in der Regel noch auf einige Monate. Es ist auf der anderen Seite aber auch nicht selten, dass sich Clubs trotz bekanntgewordener Zwischenfälle aus Furcht um ihre Reputation weigern, Warnschilder vor der heimlichen Zumischung von GBL in Getränke durch Fremde aufzuhängen.

Doch mittlerweile gibt es mehr Menschen, die GHB freiwillig zu sich nehmen, als jene, die Angst vor der Droge und ihrer betäubenden Wirkung haben.

Wie ist GHB/GBL zu einer Partydroge geworden?

Foto mit freundlicher Genehmigung der Facebook-Seite des Stereo

Die Substanz erfreute sich zu Beginn vor allem unter Bodybuildern großer Beliebtheit, die sie aufgrund ihrer angeblichen Eigenschaften als wachstumsförderndes Mittel für den Muskelaufbau nach dem Training einnahmen. Schon bald aber wurde GHB auch als Freizeitdroge populär. In den Mainstreammedien ist die Substanz aufgrund ihrer potentiellen Eigenschaft, Konsumenten in tiefe Bewusstlosigkeit zu befördern und Gedächtnislücken hervorzurufen, vor allem als „Vergewaltigungsdroge” und „K.O. Tropfen” bekannt. GHB ist eine klare, relativ geruchsarme und salzige Flüssigkeit, die in der Regel verdünnt in einem alkoholfreien Getränk eingenommen wird. Manche User fügen der Substanz sogar Lebensmittelfarbe hinzu, um einen versehentlichen Konsum zu verhindern. Das hierzulande geläufigere GBL ist eine ebenfalls farblose Flüssigkeit, verfügt aber über einen stärkeren Eigengeschmack, der als sauer und seifenartig beschrieben wird, und einen starken, chemischen Geruch.

Auch wenn der Gebrauch GHB/GBL nicht ansatzweise so weit verbreitet ist wie der von anderen illegalen Drogen, so scheint es in speziellen Kreisen und Regionen immer wieder zu einem sporadischen Konsumanstieg zu kommen. Studien haben suggeriert, dass der Gebrauch in den frühen 2000er zurückgegangen war, leider mangelt es aber an neueren Untersuchungen in diesem Feld, wodurch sich ein eventueller Aufschwung oder Abschwung in der Beliebtheit der Substanz weder nachweisen noch widerlegen lässt. Laut Torontos Centre for Addiction and Mental Health gibt es momentan kaum Zahlen zum Konsum in Kanada. Die Droge ist außerdem nur schwer im Blut von Patienten nachzuweisen, die bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert werden, was die Bemühungen nach verlässlichen Zahlen weiter erschwert.

Wenn man den Ruf der Droge, ihre Konsumenten unberechenbar in die Bewusstlosigkeit zu befördern und die damit verbundenen Assoziationen zu sexuellen Übergriffen, in Betracht zieht, kann es für Außenstehende ziemlich schwer sein, die Beliebtheit von GHB/GBL als Partydroge zu verstehen. Diejenigen, die die Substanz bewusst einnehmen, geben oftmals an, dass die Droge gesünder als andere illegale Hilfsmittel sei, der Konsum würde keinen Kater verursachen und das High sei das Risiko wert.

„Für mich war das Gefühl der Euphorie bei G dem von MDMA weitüberlegen”, so ein anonymer User und Gelegenheitsdealer (nennen wir ihn „John”). Laut eigener Aussage konsumiert er die Substanz seit drei Jahren regelmäßig, allerdings bevorzuge er aufgrund der sexuell stimulierenden Wirkung den Gebrauch zuhause beim Sex mit seinem Partner. „Ich habe Menschen gesehen, die es auf Partys nehmen, und dann gerät es schnell außer Kontrolle. Zuerst einmal messen sie die Mengen nicht korrekt ab, was eigentlich ein unglaublich wichtiger Aspekt des Konsums ist. Als erfahrener G-User verwendest du eine Plastikspritze mit Markierungen, um die richtige Dosierung sicherzustellen.”

John sagt, dass einer der Hauptgründe für Negativreaktionen auf GHB bei Partys darin besteht, dass Menschen die Substanz vielleicht mit Alkohol mischen oder vergessen, nach der Initialdosis des Abends auf halbe Dosen runterzuschrauben. Unterschiedliche Chargen der Substanz könnten sich außerdem stark im Wirkstoffgehalt unterscheiden.

Ein weiterer Aspekt, der die Droge für manche Menschen und Dealer attraktiv macht, ist der günstige Preis. Laut John ist ein Milliliter an der amerikanischen Westküste für etwa einen US-Dollar zu haben—beim Erwerb größerer Mengen sinkt dieser Preis dann noch einmal dramatisch. Die Gewinnspanne für Dealer kann dementsprechend hoch sein, gerade wenn man auf Veranstaltungen Einzeldosen verkauft. Obwohl er den Rausch der Droge liebt, hat seine Nervosität über die Unvorhersehbarkeit der Wirkung John dazu gebracht, mit dem Verkauf von kleineren Dosen aufzuhören. Er hat Angst davor, dass ein neuer und unerfahrener Kunde durch ihn in Schwierigkeiten geraten könnte. Er verkaufe jetzt nur noch größere Mengen an andere Dealer und lässt sie damit das Risiko tragen.

Prohibition oder Risikominimierung?

Foto mit freundlicher Genehmigung der National University of Singapore

John weist außerdem daraufhin, dass Menschen, die die Substanz täglich konsumieren, unter heftigen Entzugserscheinungen leiden können. Diese sogenannten „Heavy-User” werden immer sicherstellen, dass sie einen gewissen Vorrat bei sich haben—egal, was für eine harte Linie die Clubs auch gegen die Droge fahren. Er hält es deswegen für einen besseren Ansatz, sich auf Risikominimierung und Aufklärung zu konzentrieren, und vergleicht die Situation mit sicheren Spritzräumen für Heroinkonsumenten.

„Ich glaube nicht, dass ein Verbot zur Lösung des Problems beitragen wird. Das Unterstützen eines echten Bewusstseins, Aufklärung und einer Kultur des sicheren Konsums wäre sicherlich besser”, stimmt auch Nicholas Boyce zu, der für das Ontario HIV und Substance Use Training Program arbeitet und außerdem einer in Toronto ansässigen Forschungsgruppe zum Drogengebrauch angehört. „In Montreal gibt es eine Gruppe namens GRIP, die das Stereo auf seiner Website zumindest verlinken könnte. Sie könnten diese Gruppe damit aktiv unterstützen und Aufklärung innerhalb und/oder außerhalb des Clubs erlauben.”

„G ist nichts Neues und wir sind innerhalb der letzten Jahrzehnte schon oft an diesem Punkt gewesen. Ich bin also etwas [von der neuen Regelung des Stereo] überrascht. Ich glaube, dass die meisten Drogen verschiedene Beliebtheitsphasen durchmachen. Sie gelangen in bestimmte Kreise und entfernen sich auch wieder aus ihnen, während Personengruppen sie für sich entdecken oder wiederentdecken.”

Warum die Panik um GHB/GBL?

Foto: Cara Salma / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0

Was den Clubbesitzern und Veranstaltern die meisten Sorgen bereitet, ist der komaähnliche Zustand, den die Droge verursachen kann. In Kombination mit Alkohol oder bereits bei einer kleinen Überdosierung kann GHB seine Konsumenten total außer Gefecht setzen. Wie vorhin schon erwähnt, ist es so gut wie unmöglich festzustellen, wie weit das Problem tatsächlich verbreitet ist. Aber auch Brooks stimmt zu, dass sich das Mittel in letzter Zeit zunehmender Beliebtheit erfreut.

„Ganz offensichtlich gibt es ein Comeback. Das läuft hier jetzt schon seit etwa fünf Jahren so. Ich bin lang genug in der Szene dabei, um schon mehrere Wellen dieser Art miterlebt zu haben. Als das Ende der 90er passierte, herrschten ähnliche Zustände. Die Leute kippten vor den Clubs um, Rettungswagen wurden gerufen, Menschen schissen sich buchstäblich in die Hose.”

Auch wenn solche unfreiwilligen Verdauungsvorgänge relativ selten sind, machen es gerade die Eigenheiten einer GHB-Überdosis Helfenden schwer, sich um das Opfer zu kümmern.

„Sie fallen zu Boden oder sacken für eine Sekunde zusammen, nur um sich dann im nächsten Moment mit fuchtelnden Armen wieder kerzengerade aufzurichten”, sagt Adam Hobbs, der Teil eines Torontoer Teams freiwilliger Sanitäter ist. „Wenn man dazu noch die Tatsache bedenkt, dass einige der User massiv Bodybuilding betreiben, erhöht sich das Risiko noch einmal ungemein. Die Situation kann schnell außer Kontrolle geraten, wenn so ein muskelbepackter 100 Kilo-Typ plötzlich versehentlich oder aus einer Verteidigungshaltung heraus um sich schlägt.”

Hobbs und sein Team arbeiten sei 2001 bei Veranstaltungen und auch wenn er zustimmt, dass seine Leute in den letzten Jahren vermehrt mit GHB-Situationen zu tun haben, verweist er auch darauf, dass das stark vom Publikum abhängt. Seiner Meinung nach liegt weniger ein massiver Anstieg des Konsums vor, viel mehr seien die damit verbundenen Vorfälle besonders schwer zu behandeln.

In den meisten Fällen wachen Menschen, die durch eine Überdosierung bewusstlos geworden sind, von selbst wieder auf, nur haben die Sanitäter keine Möglichkeit, das akkurat festzustellen. Manche schlafen vielleicht in einem Moment noch friedlich und hören im nächsten plötzlich unvermittelt auf zu atmen. Bewusstlose Gäste in die stabile Seitenlage zu bringen, kann dabei helfen, einen Erstickungstot durch Erbrechen zu verhindern, allerdings garantiert das nicht, dass die Person nicht jeden Moment einen Krampfanfall bekommt. Diese vielen Unsicherheiten lassen den Ersthelfern nur wenige Möglichkeiten.

„Wenn sie bewusstlos sind—also nicht aufwachen, wenn man ihnen ins Ohr brüllt oder feste den Muskel zwischen Hals und Schulter drückt—, dann braucht es wirklich medizinische Hilfe”, so Hobbs. „Es kann sein, dass sie jede Minute wieder aufwachen oder aber erst in Stunden. Die Leute wollen ihre Freunde natürlich nicht ins Krankenhaus schicken, aber wenn man das unterlässt und etwas passiert, kann man persönlich dafür haftbar gemacht werden.”

Hobbs macht sich vor allem Sorge um das hartnäckige Gerücht, dass man einen bewusstlosen GHB-Konsumenten mit der Verabreichung von aufputschenden Substanzen wie Kokain oder Speed wieder auf die Beine bekommt. Auch wenn manche davon überzeugt sind, dass die Wirkung die narkotisierende Wirkung des GHB/GBL wieder aufhebt, ist diese Praxis in der Realität sehr gefährlich.

„Während eines Krampfanfalls, atmet ein Mensch nicht, aber Kokain kann dazu führen, dass das Herz und andere Organe mehr Sauerstoff benötigen. Man erhöht also den Sauerstoffbedarf, während sich die Atmung gleichzeitig verlangsamt oder ganz aussetzt. Das ist nicht besonders gut.”

Was steht dem Ansatz der Risikominimierung im Weg?

Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass die Probleme um den GHB-Konsum in der Clubszene auch nur Ansatzweise die Ausmaße der aktuell aufkeimenden Heroin- und Fentanyl-Krise in Nordamerika annehmen—letztere Substanzen werden allerdings kaum mit der Partyszene in Verbindung gebracht. Während vielleicht auch nur eine vergleichsweise geringe Zahl von Todesfällen auf das Konto von GHB geht, so ist bei nur minimal-leichtfertigem Gebrauch oder Mischkonsum mit anderen Substanzen schnell eine Überdosis erreicht, die ärztlicher Aufsicht bedarf.

Es ist dieses vielleicht unrühmliche aber potentiell lebensrettende Rufen eines Krankenwagens, das die Droge bei Veranstaltern so unbeliebt macht—und dafür gibt es, abgesehen davon, dass ein Rettungswagen vor dem Club selten einen guten Eindruck macht, auch gute Gründe. Torontos berüchtigter After-Hour-Club Comfort Zone hat die Polizei wegen der anhaltenden Belästigung seiner Gäste und wiederholten Razzien verklagt, zu denen es nach dem GHB-Tod von Adam Fazio 2008 immer wieder gekommen war. Fazio hatte den Club vor seiner tödlichen Überdosis besucht.

VICE: Wie GHB von einem Serienkiller als Mordwaffe benutzt wurde

Reaktionen wie diese haben ein Klima erschaffen, in dem sich Betreiber und Veranstalter derartig eingeschüchtert fühlen, dass sie Maßnahmen zur Risikominimierung eher vorsichtig gegenüberstehen. Nicht weniger fürchten sie sich aber auch vor den möglichen Konsequenzen, sollte es tatsächlich mal zu einem Todesfall im Club kommen. Es ist dieser Catch-22, der weltweit eins der größten Hindernisse für effektive Risikominimierungsansätze darstellt—und das nicht nur in Bezug auf GHB/GBL. Speziell was G angeht, muss man also vielleicht nicht unbedingt von einer schweren Krise reden—in Bezug auf unseren allgemeinen Umgang mit Drogen lässt sich das jedoch leider nicht sagen.

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Benjamin Boles ist bei Twitter. THUMP ebenfalls.