In einem kürzlich erschienen Interview mit der britischen Zeitung Metro sprach Sängerin LeAnn Rimes über Britney Spears und ihre extrem in der Öffentlichkeit breitgetretenen psychischen Probleme. LeAnn sagt, dass sie selbst „in diesen Schuhen gesteckt“ habe. Obwohl sich die Country-Sängerin nicht gerade umgeben von einem Mob sabbernder Paparazzi die Haare abrasiert hatte und die Bilder jede Boulevardzeitung dieses Planeten zierten, hatte auch Rimes ihre Momente.
„Ich verstehe das total“, sagte sie. „Bei mir ist es nie soweit gekommen, aber ich hatte definitiv das Gefühl, dass es passieren könnte.“
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Natürlich sind daraufhin diverse Artikel mit Überschriften a la „LeAnn Rimes Almost Had a Breakdown Like Britney Spears“ erschienen. Menschen können einfach, ähm, ziemlich scheiße sein.
Im Februar 2017 wird es zehn Jahre her sein, dass Britney bei einem Friseur in Tarzana, Kalifornien, einen Zusammenbruch erlitt, bevor sie sich dann mit einem Schirm am Auto eines Fotografen ausließ—und eine hysterisch jolende Menge zusah.
In den Nachrichten hieß es damals, dass ihr die Extensions zu eng gewesen seien. Als sie von einem Angestellten des Friseursalons gefragt wurde, warum sie es getan habe, antwortete sie: „Ich will nicht, dass mich irgendjemand anfasst. Ich bin es Leid, dass mich alle anfassen.“
Es braucht keine besonders große Vorstellungskraft, um nachvollziehen zu können, warum jemand nach einem derartig fremdkontrollierten Leben, unnachgiebigen Terminplänen und einem erschreckenden Mangel an Privatsphäre früher oder später durchdreht. Es ist keineswegs „verrückt“ oder „wahnsinnig“ für jemanden in Britneys Position zu sagen, „Scheiß drauf, ich pack das einfach nicht.“ Wenn überhaupt, dann ist es verwunderlich, dass so etwas nicht schon viel früher oder öfter passiert ist. Andererseits war sie allerdings auch so etwas wie die erste ihrer Art.
Britneys Probleme mit ihrer psychischen Gesundheit, die etwa 2007 und 2008 zu Tage traten, wurden dermaßen in der Öffentlichkeit ausgetragen, wie es die Welt und die Popkultur bis dahin noch nicht erlebt hatten. Auf dem Gipfel ihrer Popularität konnte Britney nicht einmal mehr auf Toilette gehen, ohne verfolgt zu werden. Jede einzelne ihrer Bewegungen, jeder Atemzug wurde in Paparazzi-Fotos, Perez Hilton-Artikeln und einer endlosen Abfolge von Boulevard-Titelblättern seziert. Überall, wo man hinschaute, konnte man sehen, wie Britney ihrer Privatsphäre beraubt wurde. Man machte sich über sie lustig, sie wurde gejagt, beschimpft, bloßgestellt, belästigt und diffamiert. Ein grenzüberschreitendes Foto ihres Schambereichs, das ein Paparazzo unter ihren Rock durch gemacht hatte, geisterte Wochenlang über sämtliche Kanäle.
Da war sie 26 und zweifache Mutter.
Die Welt schaute zu und erfreute sich an ihrer Labilität. Wir feuerten den Wahnsinn weiter an. Was ist auch reizvoller, als dem größten Popstar der Welt dabei zuzuschauen, wie er unter dem Druck zusammenbricht? Womit lassen sich mehr Ausgaben des People–Magazines verkaufen als mit einer Britney Spears, die langsam aber sicher ihren Verstand verliert?
Nichts. Denn mit Skandalen und persönlichem Elend lässt sich eine Menge Geld verdienen. In Vanessa Grigoriadis Rolling Stone-Titelstory von 2008 „The Tragedy of Britney Spears“ lud uns die Autorin dazu ein, die echte Britney kennenzulernen. Aber schon im Titel wird die Künstlerin behandelt wie ein Theaterstück und nicht wie ein vielseitiges und komplexes menschliches Wesen.
„Sie ist nicht das gute Mädchen“, schrieb Grigoriadis. „Sie ist nicht Amerikas Sweetheart. Sie ist ein inzestuöses Wesen aus dem Sumpf, das Kette raucht, sich nicht um ihre Fingernägel kümmert, unhöflich zu Journalisten ist und Menschen anschreit, die Fotos für ihre kleine Schwester haben wollen.“
Zwischen Grigoriadis belanglosen Verkürzungen und einer Auflistung von Britneys vielen ungewöhnlichen Geschäftsbeziehungen, die mit manipulativ und toxisch noch halbwegs wohlwollend umschrieben sind, fördert der lange Artikel allerdings auch Geschichten einer Britney zu Tage, die zur Arbeit gezwungen wurde, wenn sie körperlich erledigt war, und erzählt vom emotionalen Missbrauch durch ihren Vater und seiner Drogensucht, die Britney als junge Frau miterleben musste. Nichtsdestotrotz bringt Grigoriadis keine Empathie für den Star auf.
Stattdessen ist Britney bei ihr der arrogante und verbitterte, aufmerksamkeitsgeile Popstar, der uns zu ihrem eigenen Vorteil ausgenutzt hat. Wir waren die Opfer und sie hatte uns enttäuscht.
Etwas gab uns die Rolling Stone-Coverstory dann allerdings doch, nämlich einen Haufen Warnsignale. Der Text ist gespickt mit offensichtlichen Hinweisen darauf, dass Britney nach und nach die Fähigkeit verlor, mit ihrer überlebensgroßen Berühmtheit umzugehen. Es sind Berichte über eine allmähliche Veränderung ihres Verhaltens—vom unfassbar höflichen, amerikanischen „Good Girl“, mit dem man gerne zusammenarbeitete, zu einer bissigen, verschlossenen und zunehmend paranoiden Frau, die noch nicht einmal Zeit für ihre Fans hat. Sie hatte das Gefühl, und das ist definitiv nachvollziehbar, niemandem vertrauen zu können.
Nichtsdestotrotz heißt es in Grigoriadis letztem Absatz—keine hundert Wörter nach dem Abschnitt über Britneys mutmaßlichen Selbstmordversuch, als sie 2007 eine Überdosis verschreibungspflichtiger Medikamente eingenommen hatte: „Nachdem sie alle anderen für ihre Probleme verantwortlich gemacht hat, beginnt Britney endlich zu merken, bis zu welchem Grad sie es selbst verbockt hat. Ihr Anspruchsdenken hält sie allerdings davon ab, sich das gegenüber sich und jedem, der ihr zu helfen versucht, einzugestehen.“
Im November 2008 wurde die Welt dann dazu eingeladen, einen noch intimeren Einblick in Britneys Innenleben zu bekommen. Die Dokumentation Britney: For the Record, eine Sammlung von Interviews und Behind the Scenes-Material, zeigte uns eine Seite von Britneys Ruhm, zu der wir noch gar nicht bereit gewesen waren.
Sie zeigte uns, was es tatsächlich bedeutet, Britney zu sein. Nicht das Mädchen von nebenan, die „Hit Me Baby One More Time“-Britney. Sondern die Britney, die durch eine furchtbare Scheidung ging. Die Britney, die versuchte, nach einer schweren psychischen Krise wieder auf die Beine zu kommen. Die Britney, der von rücksichtslosen Fotografen ihr Kind aus dem Arm geschlagen worden war, nur um auf allen Titelseiten ein Foto davon, wie sie „ihr Baby fallen lässt“, wiederzufinden.
In einer besonderen Szene (der einen, über die alle immer reden) sehen wir eine Britney, die versucht irgendeinen Schluss aus den Ereignissen der letzten Monate zu ziehen—die zerbrochen Ehe mit Federline, der Sorgerechtsstreit, die Haar-Geschichte. Sie bricht zusammen, weint und sagt: „Ich bin traurig.“ Eigentlich sollte das hier ihr großer Comeback-Film sein.
Das Deleted-Scenes-Material der Dokumentation zeigt eine noch verstörtere Britney. „Wenn ich nicht die ganzen Einschränkungen hätte, die ich jetzt habe“, sagte sie über ihren komplett durchgeplanten Alltag: „Ich würde mich so befreit fühlen. Und wenn ich ihnen sage, wie ich mich fühle, ist es, als würde sie mich hören … Aber sie hören mir nicht wirklich zu.“
„Selbst im Gefängnis weißt du immer, wann du rauskommst und alles vorbei ist. Aber das hier”, sie beginnt zu weinen, „hört einfach niemals auf.“
Seitdem kursieren Storys in den Zeitungen und Online-Magazinen, dass Britney und ihr Team zu jener Zeit von einer ganzen Reihe Unrechtmäßigkeiten geplagt wurden—darunter auch, dass ihr ehemaliger Manager Osamah „Sam“ Lufti sie unter Drogen gesetzt und kontrolliert habe. Dem populären Muster des unerfahrenen Managers an der Seite eines beeinflussbaren Superstars folgend (Brian Wilson und Anna Nicole Smith lassen grüßen), geriet Britneys Leben von dem Augenblick an, an dem sie Lufti traf, immer weiter außer Kontrolle.
Britney lernte Lufti über einen gemeinsamen Freund in einem Club kennen. Er war damals „Berater“ für eine Gas-Firma. Lufti sagte zu Britney, er würde sich für schlappe 15% ihrer monatlichen Einnahmen von 800.000 US-Dollar um all ihre Belange kümmern. Das sind 120.000 US-Dollar im Monat. Den Vertrag dafür suchte er sich im Internet zusammen.
Britneys Vater erwirkte schließlich eine einstweilige Verfügung gegen ihn. Er befürchtete, dass Lufti ihr Vermögen, ihren Zeitplan und ihre Musik—damit also quasi ihr Leben—kontrollieren würde. Ihr Manager war in ihr Haus eingezogen und hatte die Telefonleitungen gekappt. Diverse Menschen aus Britneys näherem Umfeld glauben bis heute, dass Lufti dem Popstar Medikamente ins Essen mischte. Insgesamt liefen drei einstweilige Verfügungen gegen Lufti.
Er wiederum versucht bis heute Britney vor Gericht zu bringen. Er verlangt finanzielle Wiedergutmachung und nennt sie eine „Meth-Abhängige“.
Wenn man sich anschaut, was Britney passiert ist—was Britney immer noch passiert—, könnte man meinen, wir hätten unsere Lektion gelernt. Aber wenn Amanda Bynes und Lindsay Lohan irgendwie als Indikatoren gelten können, sind wir immer noch die gleichen Raubtiere wie früher. Und das ist verdammt deprimierend.
LeAnn Rimes sagte außerdem in ihrem Interview mit Metro, dass sie Britney bewundern würde. „Ich schaue sie mir an und denke, dass es wirklich großartig ist, was sie alles überwunden hat. Es ist schön, mitanzusehen, wenn jemand auf der anderen Seite rauskommt und wieder erfolgreich ist.“
Das ist das Zitat, das der Anschlussartikel verdient hätte. Genau das hier. Denn Britney Spears ist immer noch eine der erfolgreichsten Frauen im Pop.
Meinetwegen kannst du auch den Mut übersehen, den sie gebraucht hat, wieder ins Rampenlicht, wieder auf die Bühne zu steigen, wohlwissend, dass Spott und Spekulationen nicht lange auf sich warten lassen werden—dass manche Menschen wahrscheinlich nur darauf warteten, sie scheitern zu sehen. Diese Form von Mut und Stärke ist ziemlich unglaublich, aber darum geht es hier noch nicht mal.
Seit 2008 hat es DREI Alben von Britney Spears gegeben und mit Glory ist jetzt das Nächste auf dem Weg. Sie hat zwei Welttourneen absolviert. Und sie hat ihre Piece of Me Bühnenshow, a.k.a. ihre Vegas-Residency, fünfzig Mal pro Jahr aufgeführt—die letzten drei Jahre lang. Das ist einfach nur unfassbar.
Sie saß auch zwei Staffeln lang als Jury-Mitglied bei der amerikanischen X Factor-Ausgabe und war das bestbezahlteste Jurymitglied bei einer Castingshow aller Zeiten. Sie wurde von Forbes 2012 als die Topverdienerin der Musikindustrie genannt.
Viel wichtiger ist aber noch, dass sie People-Magazine gegenüber sagte, dass sie „so glücklich wie nie“ ist. Glaubst du nicht? Schau dir mal ihren verdammten Instagram-Account an.
Egal, wie sehr die Welt auch wollte, dass Britney zugrunde geht, sie tat es nicht.
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