Foto via Flickr | Simon Lesley | CC BY 2.0
„Das Problem bei Musik ist heutzutage, dass niemand mehr sein eigenes Zeug schreibt. All diese Produzenten und Rapper und DJs stehlen einfach nur die Klänge anderer Leute“—das ist eine Meinung, die du vielleicht manchmal in den Kommentarspalten unter YouTube-Videos liest, oft in Verbindung mit einer unheimlichen Aussage darüber, dass Frauen in den 80ern viel attraktiver waren. Tja, scheiß auf diese Leute, sie haben Unrecht. Selbstverständlich ist Sampling heute so grundlegend für die populäre Musik des 21. Jahrhunderts wie das Waschbrett für populäre Musik in den 1930ern. Das gilt natürlich besonders für House-Musik.
Vor Kurzem hat uns die Nachricht erreicht, dass Music Radar auf ihrer Webseite kostenlos über 54.000 Samples anbieten. Dieses Angebot, ein paar Hooks kostenlos abzugreifen, konnten wir uns nicht entgehen lassen und so haben wir uns zur Seite aufgemacht und mit einigen der Samples herumgespielt, nur um herausfinden zu müssen, dass die Auswahl ziemlich unbeeindruckend ist und wir überhaupt nicht produzieren können—warum wir das vergessen hatten, weiß ich auch nicht. Um die Lücke also zu füllen, die durch diese beschissenen Hooks gerissen wurde, haben wir eine Liste unserer Lieblingssamples in der House-Musik zusammengestellt. Hier sind sie…
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1. David Morales – Needin’ U
Samples: The Chi-Lites – My First Mistake
Würdest du deinen Opa bitten, dich auf den Schoß zu nehmen und dir von der Geburt von House zu erzählen, würde er sagen: „Tja, mein Sohn, es fing alles an, als Disco angesagt war, weißt du…“. Du würdest schon mal die Werthers Original hervorholen und eine Stunde später würde er noch immer dort sitzen, mit verschleiertem Blick in Träumereien schwelgend und bei dem Teil angelangt, in dem er „My First Mistake“ zum ersten Mal hörte. Und du würdest sagen: „Was, Opa, der Song, den David Morales für seinen legendären Club-Klassiker ‚Needin’ U’ in absolut zerstörerischer Manier gesampelt hat?“ Er würde auf dich herablächeln, einen kleinen Schein aus seiner Tasche ziehen und zu dir sagen: „Komm, geh und gönn dir ein Bier…behalt das Wechselgeld!“ Danke Opa. (Josh Baines)
2. Black Box – Ride on Time
Samples: Loleatta Holloway – Love Sensation
Als „Ride on Time“ veröffentlicht wurde, gab es einige Kontroversen bezüglich der Tatsache, dass das italienische House-Projekt sich nicht die Rechte gesichert hatte, um Loleatta Holloways prägnanten Gesang zu nutzen. Es ist ziemlich klar, warum sie darüber verärgert gewesen sein mag, dass sie nicht erwähnt wurde. Das Geld, die beeindruckenden Verkaufszahlen und die kulturelle Dominanz beiseite: Kannst du dir vorstellen, ein Gesangsstück aufzunehmen, das vor absoluter, unnachahmlicher Frechheit nur so trieft, von dem aber niemand weiß, dass es von dir stammt? Das wäre so, als hätte James Joyce Ulysses geschrieben und auf dem Cover würde „von einem irischen Typen (wahrscheinlich)“ stehen. (Angus Harrison)
3. Daniel Wang – Like Some Dream (I Can’t Stop Dreaming)
Samples: Anita Ward – Ring My Bell
Wangs „Like Some Dream (I Can’t Stop Dreaming)“ von der sampellastigen Look Ma No Drum Machine-EP, die 1993 auf seinem eigenen Label Balihu veröffentlicht wurde, ist ein tolles Beispiel dafür, wie dich ein Sample, das vernünftig verwendet wird, dazu bringt, deine lange bestehenden Vorurteile zu überdenken. Ich habe immer gedacht, ich würde Anita Wards „Ring my Bell“ hassen, einfach aufgrund „des schrecklich aufdringlichen Drumbeats der Pollard Synthdrum, der sich auf ungewöhnliche Weise seinen Weg in in jede erdenkliche Ritze des Songs bahnt“, aber wenn Wang es ein wenig runterpitcht, wird es einfach eine weitere schöne Ebene in einem Track voller Samples, der auch nach 23 Jahren noch frisch wie eh und je klingt. Also danke/fick dich Danny Wang, denn jetzt höre ich mir „Ring my Bell“ mit ganz anderen Ohren an und es ist irgendwie… perfekt!? (JB)
4. Michael Mayer – Falling Hands
Samples: Kylie Minogue – Falling
Kompakt-Chef Mayer ist ein Mann, der die Wichtigkeit der direkten emotionalen Verbindung auf dem Dancefloor versteht. Er ist Lieferant und Produzent von einigen der klagendsten House- und Technosachen, die jemals auf tränengetränktes Vinyl gepresst wurden und „Falling Hands“ von der immer noch fantastischen Total 4 Compilation ist das platonische Ideal von sanftem, traurigem Techno. Es hilft auch, dass der Kylie-Track, bei dem er sich bedient, selbst schon ein makelloser, klarer, elegischer Kracher ist. „Falling“ wurde von Neil Tennant und Chris Lowe von den Pet Shop Boys geschrieben und von Peter Heller und Terry Farley produziert und ist genauso opulent wie Deep House. Mayer nimmt gekonnt den kaum spürbaren, beatlosen Breakdown und vergräbt ihn unter eisblauen Synthies und einer monumentalen Bassline, wodurch er eine Platte erschafft, die gleichzeitig auf dich einprügelt und wehklagt. Vollständige Perfektion und eine Lehrstunde in Sachen Gesangssampling. (JB)
5. Essence – Moments in House
Samples: Art of Noise – Moments in Love
Meinst du, dass unser alle Lieblingsgast bei Newsnight Review, Paul Morley, jemals gedacht hätte, für eine der am meisten gesampelten Platten überhaupt verantwortlich zu sein? Wahrscheinlich hat er das und ich wette, dass er etwas wirklich langatmiges und übertriebenes darüber gesagt und sich dabei wahrscheinlich auf sechzehn Kulturtheoretiker bezogen hat. Dieser verdammte Paul Morley und sein Pseudo-Pop-für-Pseudos-Projekt namens Art of Noise. Die beste Form der Verwendung dieses Zeitlupen-Monsters findet sich wohl in diesem Strictly-Rhythm-Klassiker. Es ist House-Musik auf intimste, zarteste und fremdartigste Weise. Was eine Kombination ist, nach der alle Kunst streben sollte, wenn du uns fragst. (JB)
6. Outlander – Vamp
Samples: Yazoo – Bring Your Love Down
„Vamp“ ist wahrlich eine der seltsamsten und wildesten Platten aus den frühen 90ern und ein Relikt von Acid House, das immer noch schockiert, wenn diese Klavierakkorde loslegen. Davon abgesehen ist der Track als Ganzes ein totales Frankenstein-Monster—zum Teil Roland-Sampledisk, zum Teil Todd-Terry-Song und, am interessantesten, zum Teil Yazoo. Dieses kleine „Didn’t I“-Geräusch, das im Percussion-Breakdown in dein Ohr zwitschert, stammt aus diesem Stück 80er-Powerpop. Was bedeutet, dass es die beste Verwendung von Yazoo überhaupt ist. Also abgesehen vom The Office-Weihnachtsspecial natürlich. (AH)
7. Together – So Much Love to Give
Samples: The Real Thing – Love’s Such a Wonderful Thing
Wir hätten für diese Liste beinahe alles auswählen können, was Roulé veröffentlicht haben, so beständig ist die Kraft ihres oft imitierten Ansatzes: LASST UNS EIN SAMPLE ÜBER EINE BASSDRUM KNALLEN UND EINE WEILE MIT DEN FILTERN HERUMSPIELEN, aber dieser Track von Thomas Bangalter und DJ Falcon ist der einzig wahre. Auf bestmögliche Weise ist es eine der am wenigsten intelligenten Dance-Platten, die je gemacht wurden: Es gibt eine Gesangsspur, eine wuchtige Bassdrum, eine nette Sequenz mit Synthie-Akkorden. Das wars. Es gibt nichts anderes. Aber es ist diese Einfachheit, die es zur Arbeit eines schlichten Genies macht, ein herrlich kompromissloser Lobgesang auf die Freuden des Ausgehens. Es klingt wie dieser magische Moment, wenn dein gesamter Körper der Rausch und das Hochgefühl dessen überkommt, was auch immer du in dieser Nacht eingenommen hast, und du dich selbst transzendierst. Nur für eine Sekunde oder zwei. Mach das zu Hause nach, indem du drei Flaschen Energiedrinks in dich reinschüttest, ein bisschen headbangst und das hier voll aufdrehst. (JB)
8. Armand Van Helden – You Don’t Know Me
Samples: Carrie Lucas – Dance With You
Viele Beispiele in dieser Liste zeigen, wie ein Sample es schafft, in einem Track zu verschwinden, sodass dir beinahe nicht bewusst ist, dass ein Element eines großen House-Tracks eigentlich woanders herstammt. In diesem Fall gilt das Gegenteil. In diesem Fall gehört das Sample der Neubearbeitung und nicht dem Original. Hör dir den Carrie-Lucas-Track an und du hörst eine stramme, glitzernde Disco-Platte, bis jemand bei der Zwei-Minuten-Marke auf einmal anfängt, „U Don’t Know Me“ von Armand Van Helden zu spielen. (AH)
9. Floorplan – Never Grow Old
Samples: Aretha Franklin – Never Grow Old
Wenn es einen Track gibt—ein Denkmal für menschliche Leistung—der immer unseren Puls beschleunigen, unsere Fäuste ballen und unsere Köpfe vor und zurück bewegen wird, dann ist das „Never Grow Old“ von Robert Hood. Oder eher von Robert Hood und Aretha Franklin, wenn man bedenkt, wie wichtig sie für den Song ist. Ich meine, im Prinzip ist es nur der Franklin-Song, bloß mit dieser komplett verrückten Hi-Hat, die Hood nach genau einer Minute einstreut und die klingt, als würde das Universum auseinandergerissen. (AH)
10. Esther Silex – Oskar
Samples: Beverly Craven – Promise Me
Vor einer Weile saßen wir an einem Samstagmorgen da und haben einen Mix von Kornel Kovacs angemacht, was unser Leben für immer veränderte. „It’s four o’clock in the morning, and it’s starting to get light“, sang eine Stimme immer und immer wieder, während wir dabei zusahen, wie die Sonne über der schäbigen Straße aufging, in der wir horrende Mieten zahlen. Ich sage, dass die Sonne aufging, aber was wirklich passierte, war, dass der Himmel von blutrot zu beige überging und ein weiterer Tag im Paradies anbrach. „It’s four o’clock in the morning, and it’s starting to get light“, sang die Stimme. Wieder. Und wieder. Wer war das? Wer sagte das zu uns? Wer sagte uns, dass es vier Uhr morgens ist und es anfängt, hell zu werden? Wer war es? Anscheinend war es Beverly Craven. Nein, von der hatten wir auch noch nicht gehört. Auch Scooter haben ihr irrsinnig komisches „Promise Me“ für ihr heiseres „4AM“ benutzt, aber ich finde, die zum Studio Barnhus gehörende Producerin Esther Silex nutzt es mit einer Art zarter Sensibilität, die perfekt zu DJs passt, die in vollen Clubs spielen, vor mit offenem Mund glotzenden Leuten, die vergnügte Grimassen schneiden, wenn ihnen klar wird, dass es wirklich vier Uhr morgens ist! Ich liebe es! (JB)
Dieser Artikel ist zuerst auf THUMP erschienen.
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