„Rattler Round-Up“ © Winston Smith, 2012
Ich bin eins dieser Arschlöcher, die am Flughafen in so einem piepsenden Golfmobil an dir vorbeipreschen. Die Limousine der Alten, Faulen und Unfitten. Selbst ich kann die vernichtenden Blicke spüren. Tut mir echt leid, aber ich tue es auch für euch. Flughäfen sind schon schlimm genug, ohne dass Leute wie ich die Herde noch mehr verlangsamen. So stellen wir uns das zumindest vor, während wir uns in unsere weichen Sitze lehnen und euch überfahren.
Da ich nichts sehe und ich nur das Piepen höre, bleibt mir zwischen den Gates nur eine Beschäftigung. Ich rieche den Terminal. Das ist ungefähr so spannend, wie es klingt. Der salzige, kohlenstoffreiche Nebel aus Frittierfett durch den wir im Flughafen von Dallas rollten, war allerdings tatsächlich beeindruckend. Ein Gleitmittel für die Nase. Texas sieht nicht nur groß aus, es riecht auch groß; es riecht wie ein großer, hungriger, öliger Ort.
Ich raste durch den Flughafen, um meinen Verbindungsflug nach Abilene zu erreichen, das eine Flugstunde westlich von Dallas im Herzen dessen liegt, was als der Texanische Westen gilt. Ein Staat ist wirklich groß, wenn sogar sein Westen ein Zentrum hat. Ich hab diesen Spruch bei meinem Golfmobilfahrer ausprobiert. Er drückte aber nur ein paar Mal auf seine kleine Hupe, als wir die nächste Wolke aus Körpergerüchen durchkreuzten, die uns in die Quere kam.
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Am Gate horchte ich nach einer vertrauten Stimme. Niemand rief meinen Namen. Ich starrte in die verschwommene Menge und hoffte, dass man mich erkennen würde. Es passierte aber nichts. Mein Bruder, Mykol, sollte mich eigentlich hier treffen. Sein Flugzeug aus Toronto war eine Stunde zuvor gelandet. Der Plan war, dass wir von hier aus gemeinsam nach Abilene weiterreisen würden. Das schien zu diesem Zeitpunkt aber nicht sehr wahrscheinlich.
Der erste Boarding-Aufruf kam. Ich rannte hin und her und rief Mykols Namen, ich winkte sogar mit meinem weißen Stock über meinem Kopf hin und her. Nichts. Der letzte Aufruf kam. Ich rief sein Handy an. Keine Antwort. Sollte ich einfach einsteigen und hoffen, dass er mit einem späteren Flieger nachkam? Ich hatte nicht vor, mich allein durch Texas zu schlagen. Dort haben sie Trucks. Eine Menge Trucks. Ich passe locker unter so ein Ding.
„Sind Sie denn sicher, dass er in dem Flugzeug saß …?“, fragte mich die freundliche Frau am Gate und drückte ein paar Tasten auf ihrem Computer.
„Keine Ahnung“, sagte ich.
„Machen Sie sich keine Sorge, Honey. Sicher hat er sich nur was zu essen geholt. Ein paar Pommes. Oder einen Burger, oder—“. Es hörte sich an, als lese sie am Horizont hinter meinem Rücken von einer Speisekarte ab.
Sie hatte wahrscheinlich recht, und ich hätte mir sonst auch keine Sorgen gemacht, aber Mykol passieren oft seltsame Dinge. Was für Dinge? Seht euch doch nur an, wie er seinen Namen buchstabiert! Noch so eine Sache ist, dass Eidechsen seine bevorzugten Mitbewohner sind. Ich kann auch nicht behaupten, noch jemand zu kennen, der Sand sammelt und bereits zweimal ein ganzes Glas Bleichmittel getrunken hat. Einmal hat er den Freund unserer Schwester grün und blau geschlagen, weil der Mann in Flammen stand. Nicht nur schlug er ihm Schlag für Schlag die Flammen aus, er erfüllte damit auch unseren geschwisterlichen Traum. Hatte er den Brand gar selbst entfacht? Wer weiß das schon. Ist es schlau, die Kabel einer Industriegeschirrspülmaschine mit seinem Taschenmesser zu reparieren? Mykol hat diese Art Fragen für mich beantwortet.
Was alles nichts anderes heißen soll, als dass er ein toller Typ ist, einer, mit dem man gern Zeit verbringt, solange er in einem Stück bleibt. Und sein Abenteuersinn ist unschlagbar, was ihn für diese Fahrt zu einem unentbehrlichen Reisebegleiter machte. Außerdem wäre außer ihm keiner mitgekommen.
„Bleiben Sie denn in Abilene?“, fragte die Dame am Gate. „Ich könnte hier eine Nachricht für ihn hinterlegen, wo er sie finden kann.“
„Nein, wir müssen heute Abend noch nach Sweetwater kommen. Das ist überhaupt nicht gut.“
„Sweetwater?“ Sie sprach den Namen aus, als täte er ihr körperlich weh. „Was in Gottes Namen wollen Sie denn dort?“
Ich lehnte mich betont locker und entspannt auf den Counter.
„Wir sind wegen der Klapperschlangen dort.“
„Klapperschlangen?“
Ein nervöses Grinsen brach sich in meinem Gesicht Bahn.
Es brauchte einen Moment, bis die Schwachsinnigkeit des blinden Mannes, der vor ihr stand, bei ihr eingesunken war. Im selben Moment tauchte dann schließlich mein Bruder auf. Er hatte Probleme mit dem Zoll gehabt.
„Die Beamtin war wirklich sehr freundlich“, begann er, während wir uns zum Flugzeug begaben, „aber auf ihrem Namensschild stand Powers. Ich weiß nicht, aber irgendwie hat mich das nervös gemacht, und ab dann wurden die Dinge etwas eng.“
„Eng?“
„Ich fing an zu lügen.“
„Lügen? Worüber? Und warum? Großer Gott, Mykol.“
„Was? Es ist ein Reflex. Ihr Name war Powers.“
„Aber du hast doch nichts zu verbergen.“
Bei meinem Bruder weiß man es nie genau. Er ist ein Archäologe, der einen Großteil des Jahres im Busch verbringt. Das macht etwas mit den Leuten. Eines Morgens sollte Mykol eigentlich Ausgrabungen betreuen, die sechs Stunden von unserem Heimatort entfernt lagen. Als meine Mutter in die Küche kam, stand er da und kochte in einem großen Topf einen Bärenschädel. Er mag Knochen. Worauf ich hinaus will ist, dass es nicht unvorstellbar wäre, dass wenn er beim Zoll seine Hosentaschen leert, ein Haufen Münzen, Bustickets, und ein halbes Dutzend Urmenschenzähne zum Vorschein kommen—und ihn ein Zollbeamter mit strenger Miene in einen Befragungsraum schickt.
„Worüber hast du denn gelogen?“, fragte ich.
„Nichts Schlimmes. Ich habe gesagt, dass du uns nach Sweetwater fährst“, begann Mykol, und sackte in seinem Sitz zusammen, „aber ich hatte wohl schon erwähnt, dass du blind bist. Es war ein ehrlicher Fehler.“
Man muss fairerweise dazusagen, dass Mykol mich wirklich manchmal fahren lässt. Aber das ist nichts, was eine Zollbeamtin wissen muss.
„Erinnerst du dich noch an die Straße zum Douglas Lake?“, fragte er.
„Du hättest mich ruhig noch ein paar Meilen länger steuern lassen können.“
„Agent Powers fand es nicht ganz so lustig. Dann fing ich zu stottern an, weil, na ja, die Uniformen und die ganze Geschichte mit dem blinden Mann und der Klapperschlangensache klang auch nicht sonderlich glaubwürdig.“
Neben anderen Auflagen, forderte Agent Powers Mykol auf zu erklären, wie ein blinder Mann Bücher und Geschichten schreiben kann, die er selber nicht lesen kann. Trotz all dieser Widrigkeiten hatte er es geschafft und wir waren auf dem Weg—in den sicheren Tod.
„Ich möchte dich was fragen“, sagte er, als das Flugzeug zu rollen begann. „Soll ich mir lieber einen Käsegrill anschaffen oder eine Armbrust? Ich kann mich nicht entscheiden.“
Der Highway zwischen Abilene und Sweetwater ist von Werbetafeln mit Reklame für All-You-Can-Eat-Steakrestaurants mit Namen wie Buck’s und Skeet’s gesäumt. Mykol und mir gefiel das insgemein. Wir mögen alles, was mit Cowboys zu tun hat. Je älter, trister und ledriger, umso besser.
Wenn man dieses Stück Straße entlangfährt, kann man gar nicht anders, als die endlosen Meilen aneinander gereihter Windfarmen zu würdigen, für die Texas bekannt geworden ist. Die Windstöße, die auf uns prallten, waren unglaublich stark. Ein paar davon hatten natürliche Ursachen, andere kamen von den Konvois der Sattelzüge und Diesel-Pick-ups, die unseren Mietwagen hin und her schleuderten, wie eine Katze, die mit einem Wollknäuel spielt. Mykol, der beim Fahren gern spricht, kam immer wieder auf die zwei Ziele unserer Reise zurück: eine wunderschöne Cowboykrawatte für ihn zu finden und es zu schaffen, dass mich keine Klapperschlange biss.
„Snake Bite“ © Winston Smith, 2012
Wir hatten die weite Reise von unseren jeweiligen Heimatorten an den sich gegenüberliegenden Enden Kanadas auf uns genommen, um beim Sweetwater Rattlesnake Roundup dabei zu sein, der jedes Jahr am zweiten Märzwochenende abgehalten wird. Angeblich ist es die größte Klapperschlangenjagd ihrer Art weltweit, obwohl man diese Aussage schwer überprüfen kann. Auf der Welt finden formell eh nur eine Handvoll dieser Spektakel statt, die meisten davon in Kleinstädten in Texas.
Vier Tage ländlicher Karnevalsspaß lagen vor uns, bei dem es sich ausschließlich um das Fangen, Häuten, Kochen und Untersuchen von Texas-Klapperschlangen drehen würde. Die Leute durchkämmen die Ranches und die Wüste rund um Sweetwater, um so viele Klapperschlangen—oder „Critters“, wie sie sie nennen—wie möglich einzusammeln. Dann wird getanzt, es gibt eine Parade, es wird gemeinsam um die Wette gekocht und weiß der Teufel, was alles noch.
Statistiken aus den letzten 50 Jahren zufolge, werden an einem Wochenende circa eineinhalb Tonnen der Tiere zur Strecke gebracht. Wie viele „Critters“ das wohl sind? Bei einer Länge von 1,20 bis 1,50 Metern wiegt so eine Texas-Klapperschlange an die fünf Kilo. Man kann sich das Ausmaß des Grauens also ausrechnen. Doch selbst trotz dieser jährlichen „Ernte“ lassen sich die Schlangen kaum im Zaum halten. Sie sind, buchstäblich, überall. „Laut der Website müssen wir einen speziellen Haken und einen Spiegel kaufen“, sagte ich zu Mykol. „Das mit dem Haken verstehe ich ja noch halbwegs, zumindest vom Prinzip her. Aber was es wohl mit dem Spiegel auf sich hat?“
„Den Haken krieg ich danach. Ich will ihn mit nach Hause nehmen.“
„Ich kann keinen Spiegel benutzen. Ich kann mir noch nicht mal vorstellen, wofür er gut sein soll, ganz zu schweigen von den Nachteilen, die mir dadurch entstehen werden.“
„Der ist da, um unter Sachen drunterzuschauen, ohne zu nahe heranzugehen“, sagte Mykol. „Damit man in ihre Höhlen schauen kann.“
„Sag das nicht.“
„Sag was nicht?“
„Höhlen.“
„Warum?“
„Tu es einfach nicht.“
„OK“
Meine Füße schwitzten. Es war nicht der Gedanke gebissen zu werden, der mir Sorgen machte. Oder zumindest nicht nur. Die Wahrheit ist, dass ich eine Mordsangst vor Schlangen habe, ja sogar vor allem, was einer Schlange auch nur ähnelt. Die Art, wie sie sich bewegen, wie sie klingen, ihre Form. Ich werde gar nicht erst damit anfangen, die Ängste zu analysieren, die von einer sich unvorhersehbar bewegenden Zunge ausgehen. Ich habe noch nie in meinem Leben eine angefasst—noch nicht mal die kleineren Nattern auf unserem Rasen, als wir Kinder waren. Und das war lange, bevor ich erblindet bin. Ich rannte schreiend weg, sobald ich eine sah.
Ich weiß, was ihr jetzt denkt. Warum setze ich mich etwas aus, das jeder Faser meines Nervensystems widerstrebt. Es ist eine berechtigte Frage und eine Frage, die ich mir am Flughafen, dann im Flugzeug und dann im Auto noch mal gestellt habe. Die einzige Antwort, die ich anbieten kann, und ich sage das mit einiger Überzeugung, ist dies: Die besten Erfahrungen ziehen einen zunächst nicht an.
Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann ich zum ersten Mal über die Jagd hörte, aber ich weiß noch, was mich aufhorchen ließ. Die Schlangen werden alle eine Zeit lang in dem örtlichen Rodeo-Amphitheater in einem Übergangsgehege eingesperrt, dass „die Schlangengrube“ genannt wird. Danach werden sie zu Forschungszwecken gewogen, man nimmt ihnen das Gift ab, häutet sie für den Lederhandel und kocht sie dann noch zum Abendbrot. Die ganze Zeit über warten hier Hunderte und Aberhunderte Schlangen, die ihre Körper in einem großen Knäuel umeinanderwinden. Als mein Ekel und Horror nachließen, wurde mir etwas klar, das meine Ohren zum Klingen brachte: Wenn ich dort hinfuhr, würde ich den Klang dieses Schlangengeheges hören können. Eines der Dinge, die man an keinem anderen Ort der Welt erleben kann.
Je mehr ich versuchte, mir den Klang in Gedanken vorzustellen, desto weniger konnte ich es. Ich wollte hören, was er zu sagen hatte. Warum auch nicht. Wenn es die Evolution so bestimmt hat, dass der primäre Abwehrmechanismus dieses Tieres sein einmaliges, berüchtigtes Klappern ist, dann werden wir von diesem Tier sicher etwas übers Zuhören lernen können. Und all das kommt von einer Schwanzrassel und einer Zuckung, die sie bewegt. Hunderte Rasselschwänze, die ein urtümliches musikalisches Arrangement von sich geben, das von einem unmissverständlichen Gedanken getrieben ist: „Fuck off.“ Das wollte ich hören. Und dann würde ich versuchen, eine zu fangen, und würde sie vielleicht, vielleicht anfassen.
„Mach dir keinen Kopf, großer Bruder. Ich habe einen Plan“, sagte Mykol und fuhr vom Highway ab. „Die Jagd läuft ganz einfach ab: Erst findest du eine Schlange. Die größte in der Höhle—“
„Du sollst mit den Höhlen aufhören!“
„Dann näherst du dich. Du lenkst sie mit deinem Stock ab, oder so etwas. La-la-la. Dann wird sie frech. Dann—und hör jetzt genau zu—wenn wir die Überraschung auf unserer Seite haben, peng! Dann schlägt Mykol zu.“
„Und was heißt das?“
„Ich haue ihr ins Gesicht.“
Je näher wir unserem Ziel kamen, umso überwältigender und realer wurde die Vorstellung dieser gruseligen Idee. Er tätschelte mir den Arm. „Ich erwische sie garantiert.“
Es war dunkel, als wir auf den Parkplatz unseres Motels fuhren.
Dem Geräuschpegel nach zu urteilen, konnte man aus den Motelfenstern auf den Highway spucken. Ich öffnete die Beifahrertür, um mich endlich zu strecken, aber ich hielt inne, als mein Fuß schon halb aus der Tür ragte. Warme Luft stieg vom Pflaster aus an meinem Hosenbein hoch. Ich lauschte. Schlangen konnten überall da draußen sein. Ich erinnerte mich, dass sie es mögen, am Abend die Hitze des Asphalts in sich aufzusaugen. Langsam ließ ich meinen Zeh herab und wackelte ihn, wie einen Köder, ein wenig hin und her. Es biss nichts an.
Wir checkten ein, beide kaputt und am Verhungern. Unser Hotel roch wie ein Flughafen.
„Hey“, freute sich Mykol, als wir den Korridor zu unserem Zimmer hinabgingen. „Hier haben sie eine riesige ausgestopfte Schlange an die Wand gehängt.“ Er blieb stehen, um sie sich anzusehen. Ich ging eilig weiter.
„Willst du sie nicht anfassen?“, fragte er.
„Nein“, sagte ich und ging rasch noch ein Stück weiter den Korridor hinunter.
„Komm schon, sie lebt doch nicht mehr. Heb einfach nur die Hand und—“
„Nein.“
„Sie ist immer noch direkt neben dir, du musst einfach nur nach oben greifen und—“
Die Schlange war an der Wand festgemacht, tot und ausgestopft und dennoch konnte ich ihr nicht entkommen.
Wie uns der verschlafene Typ an der Rezeption erklärt hatte, hatten wir Glück gehabt, überhaupt noch ein Zimmer zu bekommen. In Anbetracht der Tatsache, dass unser Auto das einzige auf dem Parkplatz war, schien dieser Gedanke aber eher seinem sonnigen Optimismus entsprungen zu sein. Er bestand aber dennoch darauf, dass sich die Stadt morgen für die Eröffnungsparade und den Tanz in der Scheune füllen würde, und dass auch das Amphitheater, wo man sich für die Schlangenjagd registriert, offiziell eröffnet werden würde. Als wir fragten, wo wir etwas essen könnten, war die Auswahl groß: Buck’s oder Skeet’s.
„Rattlesnake Ranch“ © Winston Smith, 2012
Am nächsten Morgen traten Mykol und ich in unseren pflichtmäßigen kniehohen Stiefeln aus dem Hotel. Das grelle Licht des blauen Himmels stach in meine Netzhaut.
„Ah, Sweeeeetwater“, säuselte Mykol. „Wo das Wasser gelb und ein bisschen butterig ist.“
Wir fuhren ein bisschen herum und Mykol beschrieb mir, was er sah. Es dauerte nicht lange. Sweetwater war, wie sich bald herausstellte, nur ein paar Minuten breit.
„Hier ist noch eine Kirche und daneben eine Pfandleihe und daneben ein Kautionsbüro, und, ach ja, wenn du Geld für den Kautionsagenten brauchst, ist daneben praktischerweise gleich noch ein Money Martxx“
Jedes zweite Haus war anscheinend mit Brettern vernagelt und stand zum Verkauf. Auf den Rasen rosteten eine Menge Autos vor sich hin. Benzin war teuer, aber junge Welpen und Kätzchen bekam man umsonst. Wir hielten unsere Erkundungstour kurz. Ich konnte es mir ungefähr vorstellen. Die Rezession sieht überall gleich aus. Allerdings hieß es in dem Spruch der lokalen Handelskammer auch: „Wenn dir in Sweetwater langweilig wird, bist du selber Schuld.“
„Cowboys!“, quietschte Mykol. „Großer Gott! Sie sind überall. Und auf Pferden. Und manche von ihnen sind alt!“
Bei dieser kleinen Stadt stellte ich mir vor, dass wir ein paar Dutzend waren, die miteinander Haken und Handspiegel verglichen. Aber je tiefer wir uns auf das Veranstaltungsgelände begaben, desto größer wurden die Maßstäbe. Ein Meer aus Wohnanhängern und Campingmobilen. Geländewagen zogen einen Grill und Räucherofen nach dem anderen auf den Platz. Zu unserer Rechten war ein improvisierter Jahrmarkt aufgebaut, und in der Wüstenlandschaft zu unserer Linken befand sich ein Shantytown aus Kiosken und Schaukästen. Durch all das drängten sich Scharen von Männern und Frauen auf Pferden und über allem dröhnte klebriger Country-Pop aus den Lautsprecherboxen und formte sich zu einem Zeltdach aus Klang. Ich leierte die Scheibe herunter und roch den Pferdegeruch. Mein Kopf füllte sich mit den Bildern der Farm meiner Großeltern, als ich acht Jahre alt war.
Wir parkten am Straßenrand, wo ich wieder mit dem Fuß wackelte, bevor ich aus dem Auto stieg. Mein Bruder nahm mich beim Ellbogen und führte mich. Das Gras formte knisternde Büschel und der Boden war größtenteils Sand. Es klapperte nichts.
Die Tore waren offen, also kauften wir unsere Eintrittskarten. Bevor wir hineingingen, hielt Mykol kurz an, um ein Foto von einem Schild zu machen, das den Gebrauch von Feuerwaffen innerhalb des Theaters verbot.
„Sollte das nicht eigentlich selbstverständlich sein?“
Er hängte meine Hand in seinem Ellbogen ein. „Nun, wir habe noch nicht gesehen, wie es da drinnen aussieht.“
Unsere Stiefelschritte hallten, als wir im Amphitheater den langen Betonflur zum Mezzanin entlanggingen. Ich hörte nichts Besorgniserregendes, nur das Schwatzen der Leute, einen in der Ferne gelegenen Springbrunnen und Ansagen, die aus der Anlage des Stadions ertönten. Mykol hielt abrupt an, als wären wir fast mit jemandem zusammengestoßen.
„Ich glaube, die Registrierung ist bei der hinteren Wand“, sagte ich.
Ich wollte weiterlaufen, aber mein Bruder schien festgefroren.
„Was? Was siehst du—?“
„Gib mir eine Sekunde.“
„Wofür? Lass uns losgehen und—“
Er schnauzte mich an: „Ich brauche einen Moment, OK? Es ist einfachxx ein bisschen viel.“
„Was ist da draußen los?“
Während ich die Frage stellte, merkte ich, wie ich mich an meinen Bruder drückte. Seine Starre hatte den Horizont des Unbekannten plötzlich sehr, sehr viel nähergeholt.
„Komm schon Mykol, was siehst du?“
„Es ist nurxx“, flüsterte er, als suche er nach dem richtigen Wort. „Ich will nicht, dass du denkst, dass ich übertreibe, aber es besteht alles, alles da unten einfach nur aus Schlangen.“
Sein Flüstern machte alles noch schlimmer, als ob er keinen erschrecken wolle. Meine Fantasie ging mit mir durch. Zu sagen, dass ein Stadium nur aus Schlangen besteht, ist ziemlich gemein.
„Was zum Teufel meinst du damit, dass es alles nur aus Schlangen besteht?“
„Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.“
„Fang mit dem an, was direkt neben mir ist!“
„OK. Circa drei Meter von uns entfernt ist ein alter Mann und er schüttelt eine Klapperschlange, als wäre sie ein Spielzeug, mit dem er mit einem Baby spielt.“
„Nein.“
„Doch, und die andere Schlange, die er hält, die schüttelt er nicht.“
Irgendwo in dem Gebäude kam eine Stimme aus einem Körper, der in einem Gehege voller Klapperschlangen stand. Der Typ, halb Biologe, halb Zirkusartist, war gerade mitten in einer von der Anlage übertragenen Demonstration. Er schwätzte weiter über die raubtierhaften Gewohnheiten der Grubenotter, als wäre nichts dabei—trocken wie ein Chemielehrer—während die Schlangen ihn in die Stiefel bissen. Seine Anwesenheit, und die anderer Infogehege und -buden, deutete auf einen kürzlichen Wechsel in der PR-Strategie der Veranstaltung hin. Wissenschaft und Information standen nun im Vordergrund, um mit den Vorwürfen der Tierquälerei umzugehen. Ich weiß nicht, ob ihre Bemühungen fruchteten, oder auch nur ernst gemeint waren. Ich war zu sehr damit beschäftigt, zu hoffen, dass mich jemand vom PETA retten würde.
Wir stiegen die Stufen zur Arena herunter, deren festgetretener Sand von den Narben jahrelanger Huftritte und Traktorspuren überzogen war. Die Geräusche der Schlangenausstellung folgten uns und durchstachen die Luft mit ihrem Zischen und Rasseln und den Lehrbuchpassagen über die Tiere, die ich danach nicht mehr aus dem Kopf bekam.
Während wir uns durch das Labyrinth aus Buden schlängelten, stießen wir auf Verkäufer von so ziemlich allem—von Schlangenhaut zu Schlangenfleisch, von Erste-Hilfe-Sets und Rasselschlüsselanhängern zu Gläsern mit konservierten Schlangenteilen und einer Wand nach der anderen voller schlangensicherer Cowboyhosen. Mykol entdeckte jede erdenkliche Form von Schlangentrophäen, darunter einen Schlangenkopf und -schwanz, die auf den leeren Panzer einer Schildkröte geklebt waren. Man konnte Gürtel und Stiefel anfassen, die mit Schlangenköpfen—inklusive Giftzähnen und Glasaugen—besetzt waren, oder für sein Vieh Gegengift kaufen, oder einen Handspiegel erstehen. Alle paar Meter rasselte es neben mir, manchmal so weit unten, dass es hätte möglich sein können, dass eine entkommen war oder vielleicht in einem Käfig oder Eimer lag. Ich wusste nicht, wohin mit mir.
„Du darfst nicht aufhören, mit mir zu sprechen“, sagte ich. „Bin ich hier sicher?“
„Du bist ganz grau“, flüsterte Mykol, der seine Taktik beibehielt. „Und deine Hand hat mir schon das Hemd durchweicht.“
Wieder rasselte es, diesmal direkt neben meinem Kopf. Ich duckte mich. Dann zog das Geräusch weiter, als trage jemand eine Schlange für eine Besichtigungstour durch die Luft.
„Ich pack das nicht“, sagte ich. „Wir müssen gehen. Ich komme mit dem hier nicht klar.“
„Es ist OK, alles OK. Wir lassen uns nur kurz für die Jagd registrieren und dann bringe ich dich wieder raus.“
Bis wir den Tisch mit der Registrierung gefunden hatten, hörte ich zu viele Leute Dinge sagen, die bei einer Schlangenveranstaltung eigentlich nicht zu hören sein sollten, darunter „Scheiße“ und „Kannst du das mal halten“, und „Zurücktreten, zurücktreten“, und, was das Schlimmste war: „Siehst du, so schnell kann es passieren.“
Der Tisch mit der Registrierung war bis auf einen Mann leer. Jeb war, laut Mykols Beschreibung, ein hochgewachsener Mann mit einem ZZ-Top-Bart. Er trug eine Sonnenbrille, obwohl er drinnen arbeitete, und einen Cowboyhut von der Sorte, die Lyndon B. Johnson berühmt gemacht hat. Jeb war ein „JC“, einer der Organisatoren des Events. In Anbetracht des evangelikalen Klimas in Sweetwater nahm ich an, „JC“ würde bedeuten, dass man ein Mitglied der Jesus-Christus-Gang ist, aber in Wirklichkeit steht die Abkürzung für Junior Commissioner. Das waren Kleinunternehmer und engagierte Bürger, und keine mystischen Schlangenbeschwörer.
„Einen hübschen Tag, Jungs“, grüßte er uns, „einen hübschen Tag.“
„Serpent Serenade“ © Winston Smith, 2012
Ich wollte ihn sofort umarmen.
„Hi. Er ist blind“, fing Mykol an, „und wir sind aus Kanada hierhergekommen, um bei der Schlangenjagd mitzumachen.“
Jebs Reaktion war bürokratisch und nonchalant, als hätte er diesen Morgen schon eine Busladung solcher wie mir abgefertigt. Alles was wir tun mussten, war, unsere Lizenzen zu erwerben und die Gebühr zu berappen. Dann waren wir drin. Unser Team würde morgen früh in die Wüste ziehen. Das war soweit OK. Ich hatte für den Tag genug. Jeb sagte uns, dass wir uns zu morgendlicher Stunde an einem Lebensmittelgeschäft treffen würden, um dann von dort aus gemeinsam loszuziehen.
„Können Sie mir sagen, ob schon mal jemand gebissen worden ist?“, fragte ich.
„Wann?“, fragte er.
Das war natürlich die falsche Antwort.
„Ist in letzter Zeit jemand gebissen worden?“, versuchte ich es.
„Junge, dir wird nichts passieren“, sagte er. „OK?“
Ich fühlte mich besser. Es klang, als wisse er, wovon er sprach.
„Aber vergesst nicht sicherzugehen, dass ihr eure Erste-Hilfe-Sets dabei habt.“
Eine Frau drängte sich vor uns, die Jeb ganz dringend fragen musste, wie viele Schlangen sie fange müsse, um ein paar Pumps anzufertigen.
„Oh, ich habe mal gehört, dass man für Damenschuhe vier Schlangen braucht“, sagte Jeb.
„Wie ist es mit dreien? Reicht das, wenn ich nur ganz einfache Riemensandalen will?“
„Das kann ich nicht sagen, Ma’am.“
„Aber ich möchte wirklich nicht zahlen, wenn ich sie nicht bis Mittag fangen kann.“
Es klang, als wolle sie die Anzahl der Lottolose verhandeln, die sie bräuchte, um den Pandabären zu gewinnen. Wir flüchteten schließlich in Richtung des nächsten Ausgangs. Dabei kamen wir an dem Springbrunnen des Amphitheaters vorbei. Sein Rauschen, fast war es ein Zischen, war laut genug, das es in jede Ecke des Raumes drang, aber er kühlte uns trotzdem kein bisschen ab. Dann, als wir bis auf zehn Meter an ihn herangekommen waren, erkannten meine Ohren die ersten Anzeichen eines Rasselns.
„Ist das—?“, war alles, was ich herausbrachte.
Es war. Eine brusthohe Umzäunung aus Sperrholz, randvoll mit Klapperschlangen. Die Schlangengrube. Mykol war zu ihr rübergegangen, um sie sich genauer anzusehen, und er wusste nicht, dass ich bisher gedacht hatte, dass es ein Springbrunnen sei. Wir bewegten uns unaufhaltsam auf diese Geräuschmauer zu.
Der Klang hat eine außergewöhnliche physische Präsenz. Er hatte Masse, ein spürbares Gewicht. Er wirkte in der Luft fort. Das machte mir sofort wieder bewusst, dass Lärm ja nichts anderes ist als Vibration. Hören ist ja nichts anderes als die sanfteste Form der Berührung. Es ist so leicht, das zu vergessen. Was die Schlangengrube ausstrahlte, war aber noch auf eine andere Art etwas Außergewöhnliches. Es fühlte sich nicht abstrakt an, oder so, als wäre es von einem entfernt. Für mich sind Geräusche oft nichts anderes als eine Bildunterschrift für ein Bild, das ich nicht sehen kann. Eine verminderte Form der Sicht. Es funktioniert, wenn es auch unvollständig bleibt. Stellt euch meine Perspektive vor. Ein Geräusch verdeutlicht eine bestimmte Sache an einem bestimmten Ort. Die Tür der Geschirrspülmaschine knallt zu und das Geräusch definiert, was da ist und wo es ist. Der Effekt ist wie der eines raschen Blicks. Oder sagen wir, ein Kind klingelt mit der Fahrradklingel. Nun weiß ich, dass da ein Fahrrad ist und anhand des sich bewegenden Klangs erkenne ich dessen Bahn, und meine zweidimensionale, verschwommene Wahrnehmung bekommt etwas Tiefe und Dynamik. Andere Klänge sind eher Umgebungsgeräusche, weniger genau definiert. Das nichtssagende Summen elektronischer Geräte in einem Büro. Das Geräuschpanorama in der Ferne fahrender Autos.
Diese beschwören weniger starke Bilder herauf und sie helfen einem sicher auch nicht besonders gut, zu verorten, wo die Dinge sind. Aber ihre Geräusche sind da, so unbestimmt und unfokussiert wie „Autos“ oder „Verkehr“. Man könnte sagen, es ist wie Farbe.
Mit Ausnahme von Musik teilen Geräusche eine durchweg frustrierende Eigenschaft. Sie deuten für mich lediglich auf etwas hin. Das ist in meinem Körper ihre kognitive Funktion. Sie zeigen, benennen und deuten auf etwas, das nicht zu sehen ist. Sie sind so substanziell oder eben nicht substanziell wie ein Wort. Aber das Rasseln der Schlangen war mehr. Es war etwas ganz Eigenes. Ihre Bewegungen in der Umzäunung schwollen zu etwas Körperlichen und klar Umrissenen an, wie das Gefühl der Hitze, die über dem Asphalt aufsteigt. Wie ein Ding. Der Klang schob uns körperlich von sich weg, während er uns gleichzeitig zum Näherkommen einlud. Wir begaben uns in seine Vibration. Ich konnte das Rasseln auf meinem Gesicht spüren. Ein Zucken ging durch die Luft, wenn noch mehr zu rasseln begannen und ihre Zuckungen intensivierten, und wenn einige aufgaben und ruhiger wurden, dünnte das Ganze, wie eine sich leerende Lunge, aus. Ein saurer Geruch, eine Art Feuchtigkeit, schwebte durch die Luft, wenn die Bewegungen stärker, schneller, lauter und wütender wurden, wenn die Schlangen merkten, dass die Anzahl der Schaulustigen anwuchs.
Klapperschlangen bekommen selbst winzigste Temperaturunterschiede mit. Die kleinste Veränderung kann ihre Schwänze alarmieren, die im Übrigen aus Knorpel, nicht aus Knochen bestehen. Also spielten unsere sich nähernden und entfernenden, angezogenen und abgestoßenen Körper auf den Schlangen wie auf einem prähistorischen Theremin.
Obwohl es mich faszinierte, war es zu viel. Die Grube war zu seltsam und unnatürlich für mich. Ein zu perverses Spektakel. Mykol schaute weiter zu, aber ich begann meinen Stock zu schwenken, um mir einen Weg zurück durch die Massen zu bahnen. Keiner bewegte sich. Ein paar rasche Schläge auf das Sperrholz zogen ein paar Augen auf mich. Die Leute traten zur Seite, manche starrten mich an—ich gab wohl ein seltsames und etwas einschüchterndes Bild ab. Ich schlug mit dem Stock vor und zurück, um mir den Rückzugsweg freizuklopfen, und hinter mir winkten Hunderte Schlangenschwänze auf dieselbe Weise hin und her.
Weil ein paar Teilnehmer unseres Jagdteams sich verspätet hatten, saßen Mykol und ich auf dem Parkplatz des Lebensmittelladens in unserem Wagen und aßen die Sandwichs, die wir uns fürs Mittagessen mitgebracht hatten. Es war acht Uhr morgens. Keiner von uns hatte die Absicht, je wieder zu rauchen. Wir hatten beide vor acht Jahren aufgehört. Das war, bevor wir herausfanden, dass Erste-Hilfe-Sets in jedem einzelnen Laden der Stadt ausverkauft waren.
„Tut deine Hand weh?“, frage ich Mykol. Ich konnte kaum mein Sandwich halten.
„Ich habe eine Blase so groß wie eine Münze.“
Nach der Registrierung im Amphitheater waren Mykol und ich nach Abilene gefahren, um ein bisschen runterzukommen. Dort hatte er mit dem Spruch experimentiert: „Hi, mein Bruder ist blind und wir sind aus Kanada hierhergekommen. Können wir—?“ Dieser Satz lässt sich mit jedem erdenklichen Blödsinn vervollständigen. Denn wer sagt zu einem Behinderten schon gerne Nein. Meine grenzenlose Macht war Mykols neuestes Lieblingsspielzeug.
Also hatte er diesen Satz in Abilene bei ein paar Typen in einer Schießhalle ausprobiert. Binnen Minuten hatten sie eine .44 Magnum geladen und mir in die Hand gedrückt. Natürlich half mir Mykol dabei zu zielen, aber seltsamerweise schien keiner mein Recht infrage zu stellen, überhaupt dort zu sein. Tatsächlich war das Einzige, was sie sagten, dass ich nicht vergessen sollte, Ohrenschützer zu benutzen. Um nicht auch noch das Gehör zu verlieren. Die Schützen waren überhaupt sehr höflich und aufmerksam, wenn man von ihrer Vorliebe absieht, Dinge vollzuballern.
„Wir warten nur noch auf zwei. Wir geben ihnen noch fünf Minuten, Leute“, rief Jeb in Richtung Parkplatz hinaus. „Dann machen wir los.“
Ich hörte, wie jemand aus unserem Team hinzufügte. „Wird ja auch Zeit.“
„Warst du überrascht, wie gut du dich geschlagen hast?“, fragte mich Mykol. Er hatte meine Zielscheibe sorgsam zusammengefaltet, damit ich sie mit nach Hause nehmen und meinen Studenten (ich unterrichte an der Capilano University) zeigen—und damit vermutlich meinen Job verlieren konnte.
Ich hatte noch nie auf etwas geschossen. Ich werde es auch nie wieder tun. Die Explosionen waren fürchterlich, obwohl ich sie selber ausgelöst hatte, und ihren Zeitpunkt daher selbst bestimmen konnte. Der Rückstoß von Dirty Harrys .44 war auch nicht gerade angenehm. Es fühlt sich an, als versuche man den Huf von einem sehr angepissten Esel zu fangen. Außerdem ist es langweilig, wenn man nichts sieht. Knall. Was hab ich getroffen? Knall. Was hab ich getroffen? Es ist für mich nicht anders als Golf.
Ein Pick-up-Truck fuhr auf dem Parkplatz vor und gesellte sich zu unserer kleinen Runde. Ich wusste, dass es ein Pick-up war, weil es in Texas immer ein Pick-up ist.
„Viper Ride“ © Winston Smith, 2012
„Sorry, dass wir zu spät sind, Jeb“, rief eine Männerstimme aus dem Fenster. „Ist OK, Bill“, sagte Jeb. „Wie lief es gestern?“
„Gar nicht schlecht, gar nicht schlecht. Ich habe auf der Weide im Süden 20 geholt. Ich hab auch eine hübsche Kornnatter erwischt, aber sie ist mir irgendwo hier im Auto entwischt und ich finde das Scheißvieh nicht.“
„Verstehe“, sagte Jeb.
Mykol erzählte mir später, dass Bills Frau, oder Freundin, oder Gefangene, lächelte und den Leuten schüchtern vom Beifahrersitz aus zuwinkte—ein wenig wie die Queen—während Bill zugab, dass hinter ihren Füßen eine Schlage lauern konnte.
Jeb und seine zwei Söhne fuhren voran und Bills Truck bildete das Ende des Konvois. Circa eine halbe Stunde außerhalb der Stadt fuhren wir auf einen Feldweg ab, der von Huf- und Reifenspuren durchfurcht war. Unser Ziel war eine 3.600 Hektar große Ranch, auf der wir uns verteilen sollten. Für Jeb und seine Söhne und für Bill und die Besitzer der Ranch war das kein Spaß, keine Kuriosität. Es war Arbeit. Ein Dienst an der Stadt und den Farmern. Die Verbreitung der Schlangen einzudämmen, war und blieb eine jährliche Pflicht für die Gesundheit der Gemeinde und ihres Viehs. Wenn ahnungslose Touristen bezahlen wollten, um dabei mitzumachen, nur zu.
Jeb gab uns seine Überlebenstipps, seine einzige Einführung, am Straßenrand. Wir zehn hörten ihm zu wie Soldaten ihrem Offizier, jeder von uns bewaffnet mit einem Eimer mit sehr, sehr sicher schließendem Deckel, einem Handspiegel und einem Haken, wobei „Haken“ es nicht wirklich trifft. Mykol und ich hatten jeweils einen umgebauten Golfschläger in der Hand. Der Kopf war abgesägt und stattdessen war dort ein kleines Metallstück angeschweißt, das an einen Inbusschlüssel erinnerte. Ich hatte mir über meinen stundenlang Gedanken gemacht. Jeb würde uns nun Gott sie Dank endlich verraten, wie man mit einem Ikea-Werkzeug kiloschwere, wütende Schlangen fängt.
„Alle gut zuhören, dann machen wir’s kurz“, sagte Jeb. „Ihr werdet mit eurem Partner die ganze Zeit aufmerksam auf den Boden schauen. Ihr haltet nach Felsenanhäufungen, umgefallenen Bäumen und Baumstämmen, altem Holz und hohem Gras Ausschau. Was wir suchen, sind schattige Plätzchen. Aber, und das kann ich nicht oft genug sagen, eure Augen müssen die ganze Zeit auf dem Boden sein.“
Ein Paar hinter uns öffnete ploppend ein paar Coors für einen leichten Vormittagsschwips.
„Wenn ihr eine Schlange gefunden habt“, fuhr Jeb fort, „ist erst mal wichtig, dass ihr den Fuß dabei oben habt.“
Ich hörte, wie er sich mit dem aufgebesserten Ikea-Schraubendreher an die Schuhsohle tappte.
„Dann heißt es, mit dem Haken ein wenig hin und her winken—die Idee ist, dass ihr sie provozieren wollt.“
„Siehst du“, flüsterte Mykol. „Hab ich dir doch gesagt.“
Sein Witz im Auto, dass die Methode in Wirklichkeit darin besteht, dass ich sie mit meinem Blindenstock herausfordere, war wahr. Laut Jeb war das eigentliche Ziel der Übung, die Schlangen dazu zu kriegen, sich auf uns zu schmeißen. Sobald sie entrollt waren, waren sie auch verwundbar. Verwundbar genug, so die Theorie, dass man sie mit dem Inbusschlüssel am Hals festpinnen kann. Dann hebt man sie einfach auf, tut sie in den Eimer, packt den Deckel drauf und, presto, schon ist man ein Überlebenskünstler und ein zweifelsfreier Vollidiot.
Jeb sprang direkt von „sie provozieren“ zu „sie in den Eimer tun“, als würde dazwischen nicht viel passieren. Es schien mir aber doch, dass wir ein bisschen mehr Zeit mit den Zwischenschritten hätten verbringen sollen. Wie genau hebt man eine Schlange zum Beispiel auf? Und wie lässt man sie in einem Eimer los und—wo wir einmal beim Thema sind—wie kriegt man den Deckel zu, bevor sie ihre berechtigte Rache an deinem Hals ausübt? Oh, und wie wiederholt man diese Übung, wenn eine in deinem winzigen Mietauto aus dem Eimer ausbüchst?
Eine der beiden Coors-Fans wollte aber etwas anderes wissen. „Ich habe gelesen“, sagte sie, „dass man seine Hosenbeine in die Stiefel stecken soll, weil sie einen meistens am Fußgelenk oder Unterschenkel beißen, was ja nicht so schlimm ist, wenn man Stiefel anhat, aber wenn einem das Hosenbein über die Schuhe hängt, verbeißen sie sich im Stoff und dann hängt dir eine verdammte Schlange am Bein. Stimmt das denn?“
Jeb dachte einen Moment, aber einen recht kurzen Moment darüber nach.
„Ich würde sagen, das kommt in etwa hin.“
Rundum wurden emsig Hosenbeine in Stiefel gestopft.
„Alles klar. Und jetzt, frohes Jagen, Leute“, sagte Jeb. „Ruft, wenn ihr was braucht. Und Augen auf den Boden, nicht vergessen!“
Mykol und ich verließen die Straße und liefen in die mit Büschen überzogene Wüstenlandschaft. Unsere Schritte waren langsam und bestimmt, so wie wir als Teenager immer betrunken nach Hause getappt waren.
„Ich werde dir die größte Schlange aller Zeiten fangen“, sagte er, nun wieder im Flüsterton. „Warte hier.“
Er tastete mit seinem Haken das Innere kleiner Löcher ab, die ich noch immer nicht als Höhlen bezeichnen wollte.
„Anspannung“ ist nicht das richtige Wort für das, was uns ausfüllte. Schritt, horchen, Schritt, horchen. Gelegentlich haute Mykol mit dem Stock auf knisternde Büschel Gras. Ich zuckte jedes Mal, machte einen Schritt zurück oder sogar einen kleinen Sprung, wenn mich das Rascheln an das Klappern der Schlangen erinnerte.
„Jesus, Mykol, du musst mir Bescheid sagen, bevor du das machst“, flüsterte ich.
„Wir sind so toll. Wir suchen nach einer tödlichen Schlange.“
Wir fanden einen großen Haufen Steine und altes Holz.
„Ich fühle es“, flüsterte er. „Mach dich bereit.“
Ich machte mich bereit wegzurennen.
Er hob einen großen Felsbrocken an, sprang in Sicherheit und unterdrückte ein Kichern. Wir horchten. Etwas in dem Haufen bewegte sich.
„Ich habe so einen Schiss“, flüsterte er.
Er griff nach einem anderen Stein.
„Keine Hände, Jungs!“, rief Jeb uns über das stoppelige Feld zu.
„Haltet eure verdammten Hände fern davon!“
Mykol schob einen weiteren Felsen beiseite—diesmal mit seinem Stock. Dann noch einen. Ich tat es ihm nach. Wir hatten einen neuen Sport erfunden, eine Kombination aus russischem Roulette und Landschaftsarchitektur.
Und wieder bewegte sich etwas. Wir konnten es in einer Spalte rascheln hören.
Dann kam es heraus, anscheinend genug provoziert.
„Verdammt. Es ist eine Maus. Oder eine Ratte“, sagte Mykol.
„Kann ich dich etwas fragen?“
Die Stimme kam von hinter mir. Sie bat mir ein Coors an. Ich lehnte höflich ab, während Mykol zu einem nahe gelegenen Haufen Baumstümpfe eilte.
„Bist du, na ja, bist du blind? Ich meine, wirklich blind?“, fragte mich Mr. Coors.
„Yep.“
In ein paar Metern Entfernung schrie Mykol auf und machte einen Sprung, bevor er merkte, dass nur der Wind im Gras geraschelt hatte.
„Also ganz und gar blind?“
„Ja. Völlig blind.“
„Dann hol mich der Teufel!“, trötete er und schlug sich auf die Schenkel. „Du bist der mutigste Motherfucker, den ich je getroffen hab! Hey Connie! Komm mal her, Baby! Das hier ist der mutigste Mann der Welt!“
Er schüttelte mir die Hand und lobpries Kanada dafür, mich zu dem „son-ah-bitch“ gemacht zu haben, der ich war, und zog dann los, um nur für mich eine Schlange zu fangen. Ich sagte es sei OK, mir ginge es gut, aber er bestand darauf, dass Connie und er mir helfen würden und dass sie ein Nein nicht akzeptieren konnten. Wie nett, mir bei meiner Selbstzerstörung zur Seite zu stehen. Mykol schnappte neben ein paar Holzstämmen nach Luft, während er sie mit dem Haken zu Seite zog. Dann fluchte er sie an.
„Dieser idiotische Scheißwind!“, sagte er. „Los, lass uns das Gras da drüben probieren. Ich spür’s im Urinxx“
Nach etlichen Stunden in der Sonne war nichts weiter passiert, als das Mr. Coors jedem, der es hören wollte, Lobeshymnen über mich sang. Jeb beschloss, dass wir einpacken und es an einem anderen Ort ein paar Meilen weiter versuchen sollten.
„Weißt du was, Mykol“, sagte ich, während unser Auto durch eine Staubwolke rumpelte. „Lass uns einfach umkehren und für heute Schluss machen. Ich meine, ich habe sie gehört. Das reicht mir schon.“
„OK, ich will mich da unten nur kurz umschauen“, sagte er. „Dann verschwinden wir. Nur ein paar Minuten.“
„Ich habe wirklich genug.“
„OK, nur einen ganz kurzen Blick.“
Ich kannte den Ton. Eine ruhige, automatische Stimme. Er war gerade dabei seinen Verstand auszuschalten, sich in den Kopf zu setzen, etwas zu fangen, komme was wolle. War es für mich? War es für ihn? Zu diesem Zeitpunkt hätte ich liebend gern einfach die Schlangenhaut im Hotel angefasst und wäre nach Hause gefahren.
„Toll“, rief er und parkte das Auto rasch. „Es gibt ein altes Haus und Holzhaufen und leere Karosserien. Los, schnell.“
„Miss Snake Bite“ © Winston Smith, 2012
Wir sprangen aus dem Wagen und er zerrte mich voran, um schneller als der Rest der Truppe bei den reichen Jagdgründen zu sein, die ohne Zweifel in dieser verfallenen Hütte und ihrem Schatten versteckt waren. Andere teilten diese Hoffnung, wie es schien, denn sie liefen uns hinterher oder rannten uns schon voran. Wir holten Mr. Coors und Connie ein. Wie wir, hatten auch sie es auf das Haus abgesehen. Es war eine verlassene, aus nur einem Zimmer bestehende Hütte, 20 Meter vom Straßenrand entfernt.
Connies Stimme hatte einen spitzen, fast keifenden Ton, als wir bei den Gräsern an der Ecke der alten Veranda ankamen, bei der wir anhielten.
„Hank“, sagte sie, „schnapp sie.“
„Ich schnapp sie nicht, du sollst sie schnappen“, antwortete er.
Ich machte einen Schritt an Connie vorbei, und, ohne es zu wissen, auf den Schwanz eines „Critters“ zu, der wie Feuerwerk in die Höhe schoss. Die Schlange war einen Meter von mir entfernt. Ich erstarrte, nicht wissend in welche Richtung ich fliehen sollte.
„Du hast den verdammten Haken, Hank!“, sagte sie ihm.
„Dann nimm du ihn doch!“
Der Schwanz der Schlange schlug jetzt, wie es klang, doppelt so schnell.
Jebs Jungs brüllten: „Daddy, sie ist riesengroß!“
Und wo eine ist, sind sicher noch mehr. Mir war es egal, ich hüpfte eilig rückwärts in die Sicherheit des Unbekannten, oder die Deckung aus irgendetwas.
„Hank! Schnapp sie, schnell!“
„Wie denn?“
„Seh’ ich so aus, als wüsste ich das?!“, brüllte sie.
Das Rasseln hörte auf und für den Bruchteil einer Sekunde, waren meine Welt und ihre Bilder komplett ausgelöscht, während die Schlange, wie man mir erzählte, in Richtung von Connies Gesicht lossprang.
„Gütiger Gott!“, brüllte Jeb und kam herübergerannt.
Die Schlange hatte Connie verfehlt und sich neben uns schnell wieder zusammengerollt. Mykol riss mich zurück und rief: „Sie ist echt, sie ist echt.“ Bevor Jeb sein Ikea-Werkzeug anheben konnte, machte die Schlange, die mindestens eineinhalb Meter lang und so dick wie ein Feuerwehrschlauch war, einen Satz nach hinten und rettete sich unter das Haus, wobei ihr Schwanz gegen die Bretter klopfte und ihre Rückzugsrute markierte. Es klang, wie wenn man einen Stock über einen Lattenzaun rattern lässt.
Alle standen, wenn auch in sicherem Abstand, um die Öffnung des Loches herum, während Jebs Jungs Werkzeuge holten, um die Schlange wieder herauszuzwingen.
„Ich gehe da sicher nicht mit einem Handspiegel in die Nähe“, sagte ich zu Mykol.
„Das war toll“, flüsterte er. „Sie hat versucht Connie zu fressen.“
Obwohl Jeb und Bill ihr Bestes gaben, war die Schlange nicht so dumm, noch einmal zum Vorschein zu kommen. Sie verharrte einfach still in der Dunkelheit, eine Strategie der Stasis, in Millionen Jahren der Evolution perfektioniert. Duck dich, roll dich zusammen und halte dich von den Fressfeinden fern. Wir hingegen waren anders gepolt. Irgendwie hässlich und ohne jede Eleganz. Hier in der Wildnis, in Horden mit Autos und mit Inbusschlüsseln, Stiefeln und Eimern bewaffnet, müssen wir immer mehr Land räumen und leeren, bis wir uns unter der Weite des Himmels sicher fühlen.
Mykol und ich suchten noch eine Weile weiter, fanden aber nichts. Es war schon später Nachmittag und wir waren beide hungrig, dreckig, müde und entmutigt. Ich war aber, um ehrlich zu sein, auch ein wenig erleichtert. Ich hatte überhaupt nichts dagegen, die Klapperschlangen Sweetwaters in Frieden zu lassen und von ihnen in Frieden gelassen zu werden. Ich hatte ihnen zugehört. Alles was sie wollten, war, dass man sie in Ruhe ließ. Das Paradox ihrer Schwänze wurde mir klar: Verhalte dich ruhig, und es tritt jemand auf dich; mach die Welt auf dich aufmerksam und schon wirst du zum Angriffsziel. Ich kapier’s. Ich habe eine Behinderung. Während der Rückfahrt zur Stadt hielt Mykol alle paar Hundert Meter an und sagte, er käme gleich zurück. Dann preschte er in die Wüste zu irgendeinem in der Ferne gelegenen Felshaufen oder Grasbüschel und flehte das Universum an, uns doch noch zu unserem Moment kommen zu lassen. So ist Mykol. Ich hörte ihm zu, wie er glückselig an ein paar faulen Stämmen kratzte, einem falschen Alarm hinterherlief, und dachte dabei staunend über die Tatsache nach, dass wir uns so ähnlich waren.
Während Mykol seinen Haken auf den Rücksitz warf, und sich unsere endgültige Niederlage eingestand, stieg eine warme Welle der Liebe in mir auf. Ich schaute auf das verschwommene Ende seines Schlangenhakens. Er würde alles für mich tun.
Obwohl wir an dem Tag keine Schlange gefangen hatten, nahm Mykol bei der Messe in der Stadt noch jeden anderen Spaß mit, den er auf meine Kosten bekam.
„Hi, mein Bruder ist blind und ist extra aus Kanada gekommen. Kann er Schiedsrichter beim Klapperschlangenkochwettbewerb werden?“
Wir probierten von 20 verschiedenen Tellern. Und ja, es schmeckt wie Hähnchen, nur knochiger und fischiger. Das Vergnügen wurde von dem Bier, mit dem wir zwischen den Gängen unsere Gaumen reinigen sollten, etwas beeinträchtig—oder vielleicht doch eher erhöht?
„Komm“, lallte Mykol. „Ich habe noch eine letzte Idee.“
Und schon gingen wir noch einmal ins Amphitheater zurück. Er zog mich an den Kuriositätenkabinetten und an der vor sich hin schnurrenden Schlangengrube vorbei, bis wir bei einer anderen Sperrholzumzäunung angekommen waren.
„Hi. Blind. Kanadier. Kann er probieren?“
Es war die Bude, wo die Schlangen gehäutet wurden, und sie war voller Frauen, die, wie ich wenig später erfuhr, um den Titel der „Miss Snake Charmer“, oder etwas in der Art, wetteiferten. Anscheinend ist ein offenherziger Badeanzug und ein Wunsch nach Weltfrieden für diesen nicht genug. Man muss auch die Fertigkeit haben, einer Schlange die Epidermis abzuziehen. Nachdem die letzte Schlange enthäutet war, zogen lächelnde Gesichter und hohe Frisuren an uns vorbei. Die Teilnehmerinnen zogen zu einer weißen Wand, an der sie zunächst einen blutigen Händeabruck hinterließen, den sie anschließend mit einem blutigen Finger signierten. Eine Frau, die Keri hieß, kritzelte sogar noch ein Herz über das „i“. Die Welt ist ganz offensichtlich, offiziell und erwiesenermaßen so schlecht.
Die Tür zu dem Verschlag öffnete sich und ein großer Mann führte mich hinein, damit ich loslegen und buchstäblich meine größte Angst berühren konnte.
„Bist du bereit, mein Sohn?“, sagt er. „Hier ist das Messer. Dir passiert nichts. Sie ist schon tot. Das Schlimmste ist schon vorbei. Jetzt musst du einfach nur weitermachen, OK?“
Das, woran ich mich am genausten erinnere, ist nicht die Kälte und Schleimigkeit der Haut und des Fleischs. Wegen der sich aufrollenden und wieder entrollenden Zuckungen des kopflosen Körpers, bedurfte es all meiner Kraft, um die Schlange straff zu halten. Ich erspare euch die Einzelheiten, denn was mich am meisten beeindruckte, war ein kleines Detail.
Nachdem ich fertig war, legte ein JC namens Mark mir etwas in die offene Hand. Es war das Herz der Schlange. Es fühlte sich wie eine Mandarine an. Dann schlug es. Und dann schlug es noch mal. Ich gebe es nicht gerne zu, aber es fühlte sich wunderbar an—der primitive Rhythmus, der uns alle am Leben erhält. Und da war er nun, jeder Schlag auf’s Neue eine Überraschung. Noch ein Schlag. Wann hörte es wohl auf? Noch ein Schlag. Ich wartete, aber es schlug einfach weiter. Sich vorzustellen, dass das Leben auf so etwas gänzlich Unspektakulärem beruht. Eine Zuckung, nichts mehr.
Als unser Flugzeug von der Startbahn abhob, blickte ich aus dem Fenster auf das verschwommene Texas. Ich dachte an die Tausenden und Millionen von Schlangen, die dort unten innerhalb meines Blickfeldes zu Hause waren, und es wärmte mir das Herz zu wissen, dass sie davongekommen waren.
Obwohl er sich wirklich redlich bemüht hatte, war es Mykol nicht gelungen, den Schlangenhaken in seinen Koffer zu bekommen. Einen Schlangenhaken mit ins Handgepäck zu nehmen, kam uns auch nicht sehr vernünftig vor. Die Schmauchspuren an unseren Händen zu erklären durfte schon schwierig genug werden, besonders an den Händen eines Blinden. Uns blieb keine andere Wahl, als die Haken im Kofferraum des Mietwagens zurückzulassen, während wir losrannten, um unseren Flug noch zu erwischen.
„Ist dir klar, was wir gerade gemacht haben?“, kicherte Mykol. Ich wendete mich vom Fenster ab: „Mit den Teilnehmerinnen eines Schönheitswettbewerbs Blut vergossen?“
„Ich meine, jetzt gerade eben“, sagte er. „Als wir die Schlangenhaken im Kofferraum liegen lassen haben.“
„Ja, und?“
„Das heißt, dass die nächste Person, die den Kofferraum öffnet da drin einen verschlossenen Eimer findet, auf dem zwei Schlangenhaken liegen.“ Das Bild stieg vor meinem geistigen Auge auf. Was für eine Postkarte. Was für ein Anblick.
„Würdest du ihn öffnen?“, fragte er mich.
Um mehr von Winston Smiths Kunst zu sehen, solltet ihr euch die neueste Episode von VICE meets… auf VICE.com anschauen.
Illustrationen von Winston Smith