Auf der Welt gibt es 40 Millionen Sklaven – und manche davon arbeiten für dich. Zumindest, wenn du Schokolade, Orangen, Kaffee oder Tomaten in deutschen Discountern einkaufst. Dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass für die Produkte Menschen ausgebeutet wurden – bis hin zur Sklaverei. Weil die Supermärkte das wissen, aber immer noch nicht genug dagegen tun, ruft eine Gruppe von Aktivisten jetzt dazu auf, es ihnen heimzuzahlen – indem du Lidl, Aldi, Rewe und Edeka beklaust. Und das gesparte Geld dann direkt an die Produzenten spendest.
Ausgedacht haben sich die Aktion Aktivisten vom Berliner Kollektiv “Peng!”. Die Kampagne läuft unter dem Motto “Deutschland geht Klauen”, inklusive Webseite, einem putzigen Waschbären als Maskottchen und einem Kampagnen-Video:
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“Die Discounter führen einen Preiskampf um die billigsten Lebensmittel und klauen dafür den Menschen, die die Produkte herstellen, ihre Würde”, heißt es auf der Webseite. Die Lösung von “Peng!”: “Wir klauen gezielt Produkte und geben das Geld dafür dorthin, wo es hingehört: an Gewerkschaften im globalen Süden.” Damit weisen sie auf ein Problem hin, das wir in Deutschland gerne verdrängen: Lebensmittel sind bei uns billiger als in den meisten anderen EU-Staaten. Doch die niedrigen Preise in unseren Supermärkten verursachen enormes Leid für die Menschen, die Bestandteile der Produkte in den Erzeugerländern ernten oder produzieren.
Ein paar Beispiele:
- Die meisten Bananen in unseren Geschäften stammen aus Ecuador. Um ihren deutschen Abnehmern konstant billige Preise garantieren zu können, bezahlen die Plantagenbesitzer ihren Arbeitern Löhne unter dem Existenzminimum, verhindern teils mit Gewaltandrohung die Bildung von Gewerkschaften und zwingen sie, in pestizidverseuchten Plantagen zu arbeiten. In einer 2017 für Oxfam angefertigten Studie berichten die Prüfer von “katastrophalen Zuständen” nach Stichproben auf fünf Plantagen, die an Lidl liefern.
- Noch schlimmer ist es beim Kakao: 60 Prozent aller Kakaobohnen auf der Welt kommen aus zwei westafrikanischen Ländern, Ghana und der Elfenbeinküste. 2015 kam die groß angelegte Studie einer US-Universität zu dem Schluss, dass in den beiden Ländern insgesamt 2,1 Millionen Kinder unbezahlt auf den Plantagen beschäftigt sind – und nicht wenige davon wurden gegen ihren Willen aus noch ärmeren Nachbarländern wie Mali und Burkina Faso verschleppt.
- Sklaven gibt es aber auch in Europa: In Süditalien schuften Migranten aus Afrika und Rumänien für 15 bis 21 Euro am Tag, um Tomaten für den europäischen Markt zu ernten. Verträge oder Sozialversicherung gibt es nicht, stattdessen nehmen ihre Vorarbeiter, die “Caporali”, ihnen große Teile des Lohns für Essen, Transport zu den Feldern und Unterkünfte wieder ab. Die Frauen werden, so Recherchen des Guardian, teils geradezu systematisch vergewaltigt.
Solche Zustände finden sich fast überall, wo billig Essen für den europäischen Markt hergestellt wird: bei der Weinernte in Südafrika, der Kaffeeernte in Honduras oder der Produktion von Orangensaft und Hühnerfleisch in Brasilien. Schuld daran sind auch deutsche Konzerne, die im Wettbewerb untereinander die Preise drücken, wie sie nur können. “Ganz klar: Die deutschen Supermärkte müssen den Lieferanten höhere Preise bezahlen, damit eine menschenwürdige Arbeit möglich ist”, sagt Barbara Sennholz-Weinhardt von Oxfam Deutschland zu VICE.
Boykottieren bringt nichts
Soll man die Waren in den Discountern also einfach boykottieren? Nein, sagt die Oxfam-Sprecherin. “Die Menschen, die dort produzieren, wollen ihre Jobs ja nicht verlieren, sie wollen Jobs, in denen sie nicht in ihren Rechten verletzt werden.”
Die Lösung: Insekten essen?
Aber auch Zertifizierungen wie “Fair Trade” oder “Rainforest Alliance” (die mit dem grünen Frosch) sind keine echte Lösung, sagt Sennholz-Weinhardt: Erstens sei es eigentlich pervers, dass die Konzerne die Entscheidung auf Konsumenten abwälzen. “Der Skandal fängt ja schon da an, wenn Supermärkte sagen: Der Konsument soll sich entscheiden, ob er das Produkt mit der Ausbeutung kauft oder das ohne.” Oxfam empfiehlt trotzdem, im Zweifel Produkte mit dem “Fair Trade”-Siegel zu kaufen. Bei industrienahen Siegeln wie der “Rainforest Alliance” hat Oxfam hingegen erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit und spricht sogar von “Etikettenschwindel”.
Überhaupt reicht es nicht aus, Druck auf die Konzerne auszuüben – denn der Druck durch die Konkurrenz der Unternehmen untereinander wird immer stärker sein. Denn eigentlich, erzählt Friedel Hütz-Adams vom Südwind-Institut, das zu Nachhaltigkeit forscht, wüssten zum Beispiel alle Schokoladen-Firmen, dass die niedrigen Preise, die sie für den Kakao zahlen, nicht nachhaltig sind und auf Dauer den Nachschub gefährden. “Wenn aber ein einzelnes Unternehmen beschließt, einen höheren Preis für den Kakao zu bezahlen, wird es vom Markt gekickt – auch wenn die anderen wissen, dass es richtig ist”, sagt der Experte. Können sich dann nicht alle gleichzeitig einigen, einen höheren Preis zu zahlen? Unmöglich, sagt Hütz-Adams: Das europäische Kartellrecht verbietet Preisabsprachen. “Jeder, der seinen Konkurrenten so etwas vorschlägt, riskiert damit Gefängnis.”
Die Regierung muss ran
Gil Schneider von “Peng!” glaubt sowieso nicht daran, dass die Konzerne an einer Lösung ernsthaft interessiert sind. “Alle Wehklagen, Bitten, Drohungen prallen bei ihnen ab. Anstelle aufzuklären und transparente Informationen zu liefern, tun sie das Gegenteil”, sagt er. “Sie mauern, wenn es um Transparenz geht. Und sie versuchen mit allen Mitteln, ein Gesetz zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht zu verhindern.”
Die einzige Lösung, darin sind sich fast alle NGOs einig, ist deshalb eine gesetzliche Regelung. Das Problem ist nur: Die deutsche Regierung traut sich nicht, die Konzerne zu besserem Benehmen zu zwingen. Und das, obwohl sie genau wüsste, was zu tun ist: Im Dezember 2016 verabschiedete sie mit einer groß angelegten Kampagne den “Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte”. Für den Plan hatten NGOs wie Oxfam die Regierung jahrelang beraten und immer wieder empfohlen, verbindliche Regeln für die Industrie festzulegen – nur um am Ende zu erfahren, dass die Bundesregierung genau das nicht machen wird. Stattdessen verlässt sich der Plan auf “freiwillige Selbstkontrolle”. Was wohl auch daran liegt, dass Vertreter von Siemens und den Arbeitgeberverbänden daran mitgeschrieben haben, wie der Spiegel berichtet. “Aus unserer Sicht ist der Aktionsplan absolut unzureichend”, sagt Barbara Sennholz-Weinhardt von Oxfam deshalb.
Was kann man tun?
Wer etwas dagegen hat, dass für seine Bananen und Schoko-Crossies Männer, Frauen und Kinder in den ärmsten Ländern der Welt ausgebeutet werden, der kann etwas tun: Die Gewerkschaften in diesen Ländern unterstützen, zum Beispiel über die “Peng!”-Webseite (man muss nicht unbedingt was klauen, man kann auch einfach so spenden).
Damit die deutschen Discounter endlich faire Preise für die Produkte zahlen, hilft aber nur eins: Druck auf die deutsche Regierung machen. Dafür kann man zum Beispiel seinen Abgeordneten schreiben, sich an den Aktionen der NGOs beteiligen, oder ihre Petitionen unterschreiben.
Und: Man muss verstehen, dass Dinge wie Schokolade, Kaffee oder Bananen dann ein paar Cent teurer werden könnten. Aber vielleicht ist es das wert, wenn dafür niemand mehr versklavt, ausgebeutet oder vergiftet werden muss.
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