Alkohol ist geil, das verheimlicht die Doku Alkohol – Der globale Rausch gar nicht. Und doch gibt sie sich alle Mühe, dem unbedarften Zuschauer die Lust auf Alkohol zu nehmen. Im Begleittext zur Doku steht: “Alkohol – Der globale Rausch erhebt keinen Zeigefinger, wird aber die Trinkgewohnheiten jedes Zuschauers nachhaltig verändern.” Ob das stimmt, wird sich zeigen.
Das Spannende ist aber auch gar nicht, dass die Doku versucht, kreativ zu zeigen, wie das flüssige Glück unsere Hirne und Beziehungen zersetzt. Spannend ist viel mehr, dass sie uns mitnimmt auf eine Reise um die Welt. Zumindest die westliche Welt – mit einem kleinen Abstecher nach Nigeria.
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Eine einfache Regel gegen die Sucht?
In sechs Ländern sehen wir Menschen, die auf verschiedene Weisen mit Alkohol zu tun haben und für unterschiedliche Aspekte des globalen Charakters des Rauschmittels stehen. Denn, das macht die Doku deutlich: Alkohol ist ein psychoaktives Rauschmittel, nicht nur Kulturgut, sondern auch Droge, erklärt ein Suchtexperte aus Deutschland. Und ein britischer Hirnforscher sagt, dass Drogen zu nehmen menschlich sei. Kaum jemand nehme keine Drogen. Das zu hören, tut gut.
Wir sehen aber auch zwei Menschen, denen die Droge zu viel wurde. Die Engländerin Sarah Halpin und der Österreicher Lorenz Gallmetzer sind beide trockene Alkoholiker. Halpin ist Mitte zwanzig und erinnert sich an die Zeiten des Suffs reichlich negativ. Als sie tagelang nicht nach Hause kam, an ihrem 18. Geburtstag mehrmals mit dem Gesicht auf Kopfsteinpflaster aufschlug oder als ihre Familie befürchtete, sie sei tot und ihre Leiche in den umliegenden Feldern suchen ging. Gallmetzer ist da abgeklärter. Er sagt, es gehe ihm heute gut, weil es ihm nicht schlecht geht, aber das Gut heute sei nicht so geil wie das Gut damals, als er noch trank.
Alkohol hat also trotz seiner Geilheit auch negative Seiten. Okay, das wusste ich. Auch in meiner Familie gab es Alkoholiker, das war manchmal nicht schön anzusehen. Gallmetzer zitiert auch eine Regel, mit Hilfe derer man Sucht verhindern könne: Ein Tag pro Woche abstinent, eine Woche pro Monat und einen Monat pro Jahr. Aber er sagt auch: Wer das schafft, ist nicht süchtig. Ich weiß nicht, ob ich das schaffen würde, weil ich es nicht versuchen werde.
Was tut die Politik?
Wir sehen aber auch, welche Maßnahmen Regierungen gegen Alkoholsucht treffen. Einer der nachhaltigsten Punkte sei, offensichtlich, Prävention. Je später Menschen beginnen, Alkohol zu trinken, desto unwahrscheinlicher sei es, dass sie ein gefährliches Trinkverhalten entwickeln. In Island zum Beispiel hat eine breite Koalition aus Politik, Wissenschaft und Bildung der Jugend ein neues Lebensgefühl verpasst. Vor zwanzig Jahren habe es dort zum guten Ton gehört, ständig randvoll zu sein. Damals sei fast die Hälfte der 15-Jährigen noch regelmäßig betrunken gewesen. Heute seien es nur noch fünf Prozent.
Wie das geht? In Island werden Kinder heute schon früh in Strukturen eingebunden, die ihnen mehr Selbstwertgefühl vermitteln sollen. Allen voran Sportvereine, die einen Schwerpunkt auf soziales Miteinander legen. Auch in den USA gibt es Alternativkonzepte. Zum Beispiel Natural Highs. Die Idee ist, dass Drogen nur Neurotransmitter sind, die der Körper auch selbst produzieren kann. Also könne man Jugendliche davon abhalten, Drogen zu nehmen, indem man ihnen zeigt, wie sie Dopamin, Serotonin und GABA selbst herstellen können: durch Bewegung, Körperkontakt und ein Gefühl von Sicherheit. All das üben die Jugendlichen dann in Workshops.
Was die Doku auch zeigt, sind die Maßnahmen, die die Politik auf der legislativen Ebene trifft. Gesetze, Präventionsprogramme, Verbote. Und hier knallt die Doku besonders, denn wir sehen: Es gibt in den meisten Ländern so gut wie keine Maßnahmen. Dabei sei es nachweisbar, dass Preiserhöhungen, Einschränken der Verfügbarkeit oder ein Werbeverbot einen Einfluss auf das Trinkverhalten haben.
Die Industrie ballert
Besonders auf Social Media seien die Regeln für Werbung besonders schwach. Dabei sei das der Ort, wo sich besonders Kinder und Jugendliche herumtreiben. Einer Studie zufolge könnten Kinder in Großbritannien heute mehr Alkoholmarken erkennen als die von Schokoriegeln oder Eiscreme.
Der Grund? Spoiler Alert: Die Lobby. Und auch die kommt zu Wort, ein Brauerei-Repräsentant, ein Wein- und ein Schnaps-Lobbyist erzählen, worin sie ihre Verantwortung sehen, wie sie diese wahrnehmen und zeigen, wie sie mit Kritik umgehen. Nämlich indem sie ihre Verantwortung anerkennen und vorgeben, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Was sie dann tatsächlich täten, erfahren wir, sei aber halbherzig so angelegt, dass es scheitern muss.
Überhaupt, die Industrie. Während der Alkoholkonsum in Europa sinkt, steigt er insgesamt. Und wo das passiert, ist klar. In Ländern, deren Wirtschaft schnell wächst. Als Beispiel wählen die Macher Nigeria. Eine wachsende Mittelschicht hat Geld für Alkohol, die Gesetze sind lasch bis nicht existent. Während die Hälfte der Bevölkerung abstinent lebt, weil sie muslimisch ist, trinkt die andere exzessiv – und schafft so herrliche Profite für die Alkoholunternehmen aus dem globalen Norden. Denn in Nigeria gibt es kein Mindestalter, keine Regeln. Easy Money für die globalen Player. Wir sehen dazu Party-Szenen vom Strand und Balkonen, Luftaufnahmen von Laos, kleine Ladenlokale voller glitzernder Alkoholflaschen und ab und an eine Person, die auf einer der Partys ein bisschen zu wackeln scheint.
Und, funktioniert das?
So furchtbar das also ist, gelingt es der Doku nicht, wirklich zu schocken. Zumindest nicht so, dass jeder Zuschauer sein Trinkverhalten überdenken wird. Das weiß ich aus erster Hand, weil ich die Doku gesehen habe und noch nicht darüber nachgedacht habe, das zu tun. Woran liegt das?
Vielleicht ist es die Prämisse. Am Anfang stellt der Macher Andreas Pichler, der auch schon eine Doku über Milch gemacht hat, sich selbst in den Mittelpunkt. Er wolle herausfinden, warum wir trinken und so weiter. Für die nächsten etwa 60 Minuten verschwindet er, um dann am Ende wieder aufzutauchen und aus dem Off zu erzählen. dass er erst auf seiner Recherchereise für die Doku gemerkt habe, dass Alkohol kein reines Genussmittel sei, sondern eine Droge. Und das ist doch sehr durchschaubar. Wenn er das nicht gewusst hätte, wäre er gar nicht auf die Reise gegangen.
Außerdem trägt die Doku uns eher fröhlich durch die globalen Abgründe des Alkoholkonsums. Die Bilder sind dabei fast ausschließlich höchst ästhetisch. Drohnenaufnahmen von bunten Lagerstätten, Partybilder, sizilianischer Winzer-Lifestyle. Da wäre man schon gern dabei und mit man meine ich mich selbst.
Trotzdem schlägt die Doku den Bogen von der persönlichen Fragestellung: Warum trinke ich?, über verschiedene Aspekte des Alkoholkonsums hin zu mehr oder weniger konstruktiven Lösungsvorschlägen. Das ist schon alles interessant. Und sie sieht dabei wirklich sehr gut aus, auch nüchtern. Schauen könnt ihr sie bis 4. April in der ARD Mediathek.
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