Jai, der Epilepsie hat, während eines EEGs
Während einige Staaten Marihuana bereits legalisiert haben, es entkriminalisiert haben oder es nicht genau wissen, bleibt Australien hart. Letzte Woche wurde der größte australische Hersteller von medizinischem Cannabis, Tony Bower, zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt. Eine Berufung ist anhängig. Bower gehört die Firma, die Mullaways Cannabinoid Tincture herstellt, ein oral verabreichtes Öl, das kostenfrei an ca. 400 Kunden abgegeben wird, von denen die meisten Kinder sind. Ein weiterer Hersteller, der Inhaber von The Don Medical Cannabis, musste am 8. September vor Gericht erscheinen. Es sieht zurzeit also nicht gut aus für die Befürworter der Legalisierung von Cannabis. Und noch schlechter für epilepsiekranke Kinder.
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Zwei Fragen stellen sich hier: Wird medizinisches Cannabis wirklich für medizinische Zwecke verwendet? Und wenn ja, wird es kranken Kindern schaden, wenn sie es absetzen? Um das herauszufinden, haben wir mit Eltern gesprochen, die ihren Kindern die Mullaway-Tinktur verabreichen. Das haben sie uns geantwortet:
Melinda und ihr Sohn Mitchell
VICE: Wie hat das alles angefangen?
Melinda: Es hat angefangen, als Mitchell 19 Monate alt war. Er hatte seinen ersten Anfall und das Lennox-Gastaut-Syndrom, eine seltene Form von Epilepsie, wurde bei ihm diagnostiziert. Wir haben alle möglichen Medikamente ausprobiert, um etwas gegen die Krämpfe zu tun—Epilim, Keppra und Clobazam. Aber die Nebenwirkungen waren fast so schlimm wie die Anfälle selbst. Kopfschmerzen, übermäßiger Speichelfluss, unruhige Beine, Appetitlosigkeit, Zahnfleischschwund, weiche Knochen. Wenn Mitchell hingefallen wäre, hätte er sich alle Knochen gebrochen. Das hatten 10 Jahre auf Epilim aus ihm gemacht. Und außerdem ging es ihm immer schlechter. An schlechten Tagen hatte er 20 Krämpfe, die durchschnittlich je drei bis fünf Minuten dauerten. Ich konnte das einfach nicht mehr mit ansehen.
Wie bist du auf die Idee gekommen, Marihuana zu verwenden?
Ich war verzweifelt, deshalb habe ich im Internet nach Alternativen gesucht. Ich habe etwas über Marihuana gelesen, aber selbst hatte ich es noch nicht geraucht, und wusste deshalb nichts darüber. Ich brauchte über ein Jahr, um eine Entscheidung zu treffen. Schließlich dachte ich mir, OK, wenn das der einzige Weg ist. Tony gab mir die Marihuana-Tinktur. Ich habe Mitchell am Anfang aber nur ein kleines bisschen gegeben, weil ich nervös war und nicht glaubte, dass es wirken würde.
Und hat es gewirkt?
Ja, ich habe es sofort gemerkt. Mitchell war wegen der ganzen Medikamente immer ein bisschen wackelig auf den Füßen, aber nach dieser einen Dosis habe ich gemerkt, dass er sich anders bewegt. Also haben wir weitergemacht und jetzt hat er nur noch zwei oder drei Anfälle pro Tag und die dauern nur noch wenige Sekunden. Wer Mitchell nicht kennt, würde die Anfälle gar nicht als solche wahrnehmen.
Was machst du, wenn Tony Bower zu einer Haftstrafe verurteilt wird?
Ich werde nicht aufhören, die Tinktur zu verwenden. Sie können einsperren, wen sie wollen, aber ich werde tun, was nötig ist. Jedem, der mich davon abbringen möchte, kann ich nur sagen: „Tauschen wir doch die Kinder.“ Ich hätte gern das Kind, das ins Kino geht, zum Schwimmen, nach Dreamworld fährt, das groß wird und heiratet. Das ist alles, was ich will, und ich werde alles tun, was dafür notwendig ist.
Cheri mit ihrem Sohn Sean und ihrer Tochter Tara
Deine beiden Kinder leiden an Epilepsie?
Cheri: Ja. Bei Tara wurde die Krankheit im Alter von sechs Wochen diagnostiziert, Sean war neun Jahre alt. Wir wussten schon immer, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Er leidet an Autismus. Seine Lehrer dachten, er würde nur tagträumen, aber manchmal fiel er nachts aus dem Bett. Ich habe mich gefragt, was los ist. Schließlich hatte er einen Anfall in der Schule und da wussten wir, dass es sich um Epilepsie handelt.
Aber erst durch Taras Zustand habt ihr Cannabis in Erwägung gezogen?
Ja. Tara ging es immer schlechter. Dann 2012, nachdem sie achtmal wiederbelebt worden war, wurde uns gesagt, dass sie nicht mehr lange zu leben hat. Sie würde vermutlich innerhalb der kommenden 24 Monate einen letzten Anfall haben und das wäre dann das Ende. Wir waren verzweifelt. Wir wussten schon eine Weile über Marihuana Bescheid, aber hatten uns nie dafür entscheiden können. Bis uns Freunde, deren Tochter während eines Anfalls gestorben war, fragten, was wir denn zu verlieren hätten.
Du machst zwar nicht den Eindruck, aber ich frage trotzdem: Bist du ein Hippie?
Nicht im geringsten. Ich habe gerade eine Ausbildung zur Pastorin abgeschlossen. Das sollte dir einen ungefähren Eindruck davon geben, was ich von Drogen halte. Ich bin kein Hippie, ich bin auch alles andere als risikofreudig und meinem Mann geht es genauso. Als wir die Tinktur bekommen haben, dachte ich, jeden Augenblick würde jemand auftauchen und mir die Kinder wegnehmen. Aber dann dachte ich mir, was kann denn die Polizei schon tun? Die monatlichen Behandlungskosten für meine Tochter belaufen sich auf 1000 Dollar. Wenn sie sie mir wegnehmen, müssen sie das selbst bezahlen.
Was denkt deine Gemeinde darüber?
Sie unterstützen uns. Allerdings haben wir viele wütende Anrufe von anderen Menschen bekommen, in deren Familie es Todesfälle gab, die mit Drogen in Verbindung standen. Denen kann ich nur sagen, dass Tara jetzt 17 Monate lang keinen Anfall mehr hatte. Bei Sean sind es 14 Monate. Vorher waren es Tausende pro Jahr.
Was werden Sie tun, wenn die Anbieter zu Haftstrafen verurteilt werden?
Ich bin nicht sicher. Ich bin bereit, für meine Kinder das Gesetz zu brechen. Andererseits will ich meine Berechtigung für die Kinder- und Jugendarbeit nicht verlieren. Es ist ungerecht, dass ich mich dazwischen entscheiden muss.
Michelle und Andrew mit ihren fünf Kindern. Jai, im Rollstuhl, leidet an Epilepsie
Wie denkst du über Drogen?
Michelle: Ich habe nie Partydrogen genommen. Mein Mann ist Teil der australischen Streitkräfte und ich selbst habe einen Abschluss in Jura. Wir haben nie gegen das Gesetz verstoßen. Als siebenköpfige Familie waren wir immer gegen Drogen. Aber hier geht es ja nicht um Modedrogen, sondern um medizinisches Cannabis.
Wo siehst du den Unterschied?
Der Unterschied besteht darin, dass die Tinktur von Mullaways vom Gesundheitsministerium von New South Wales getestet wurde und sich herausgestellt hat, dass die Dosis von THC und THCA der eines Placebos entspricht. Was bedeutet, dass es bei Tests nicht nachgewiesen werden kann. Von einer Placebo-Dosis wird man nicht high. Außerdem wirkt es ja als Medikament. Unser Sohn Jai leidet an drei verschiedenen Formen von Epilepsie. Vor zwei Jahren war es soweit gekommen, dass er nur noch wie ein Zombie auf der Couch lag, sich nass machte und völlig hilflos war. Wir waren sicher, dass wir ihn bald begraben müssten. In Brisbane wurde ein EEG gemacht—also ein Gehirnscan, bei dem viele kleine Elektroden am Kopf angebracht werden. Das EEG zeigte 92 Prozent Anfallsaktivität. Bei 100 Prozent ist das Sterberisiko sehr hoch. Wir wussten also, dass wir nicht mehr viel Zeit hatten. Deshalb entschlossen wir uns, Jai vier Wochen lang Hanfsamen zu geben.
Weshalb Hanfsamen?
Wir dachten zuerst an die Tinktur, aber die ist nicht legal und deshalb haben wir uns für Hanfsamen entschieden. Hanfsamen dürfen verkauft werden, um Seife zu machen; es gibt bloß einen Aufkleber auf der Packung, der davor warnt, sie zu essen. Australien und Neuseeland sind die einzigen Länder, in denen es verboten ist, Hanfsamen zu essen. Jedenfalls haben wir Jai vier Wochen lang Hanfsamen gegeben und danach ein weiteres EEG machen lassen. Die Anfallsaktivität war auf 85 Prozent gefallen. Das war das erste Mal, das sie je gefallen ist.
Aber momentan bekommt er keine Hanfsamen?
Er befindet sich im Moment in Remission. Epilepsie kommt in Schüben und wir hoffen einfach, dass die Tinktur beim nächsten Schub legal sein wird.