Popkultur

Filme mit gigantischen Problemen, aber grandiosen Protagonistinnen

Offizieller Still ‘Ghost in the Shell’ © Paramount Pictures Germany GmbH

Es ist doch eher selten, dass man nach einem Film den Schluss zieht: Irgendwie war das gerade echt mies, aber die Hauptfigur war trotzdem super. Meistens gehen ein schlechtes Drehbuch und allgemeine Inkohärenz gerne Hand in Hand mit schlechten Charakteren. Selten liebt man, wen man sieht, während man das, was man sieht, zum Kotzen findet.

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Komischerweise gibt es derzeit aber gleich drei Filme, die diesen ungewöhnlichen Umstand aufweisen. Und in diesen drei Negativbeispielen sind die Hauptfiguren weiblich und stechen positiv heraus. Spoiler: Es folgen Verrisse.

Ghost in the Shell (2017)

Zugegeben, ich bin gar nicht erst mit großen Erwartungen in diesen Film gegangen. Vor allem, weil es ihn bereits in einer nahezu perfekten Version gibt – in der Form des Animes aus 1995. Aber dass der Reboot, die Neuinterpretation oder wie auch immer man es nennen möchte, so unfassbar schlecht würde, konnte ich trotzdem nicht erahnen. 

Die überstilisierte Asia-Tech-Welt mit ihren Menschmaschinen und die Logik hinter Major Motoko Kusanagi, die bis auf ihr menschliches Gehirn vollkommen künstlich ist, wirkt in der Real Life-Adaption wie eine unglaublich dämliche Studentenidee, die sich selbst nicht nur viel zu clever findet, sondern noch dazu zwei Jahrzehnte zu spät kommt. Die seltsame Erzählweise, die CGI-Effekte und die beschränkten künstlerischen Freiheiten Hollywoods machen das Ganze nicht besser.

Die coolsten Szenen aus dieser Leinwandkatastrophe sind beinahe 1:1 vom animierten Original kopiert. Aber das Schlimmste ist, dass aus der ursprünglich genialen, meta-philosophischen Handlung rund um eine Künstliche Intelligenz, die aus “der Masse an Information eines Netzwerks” geboren wird, im Remake eine tausend Mal gesehene Selbstfindungs-Schnulze gemacht wurde. 

Scarlett Johansson rettet das Desaster knapp nicht; vielleicht auch, weil die Whitewashing-Debatte dem Film noch zusätzlich einen fahlen Beigeschmack gibt, auch wenn Johansson selbst im Interview mit i-D anmerkt, dass es für sie immer mehr um Feminismus als um Ethnien ging.

Die coolsten Szenen aus dieser Leinwandkatastrophe sind beinahe 1:1 vom animierten Original kopiert.

Durch Schreckmomente wie “Keanu Reeves spielt vielleicht Akira” und diesem kunstkulturlichen Griff ins Klo hier sind die Vorwürfe der Cultural-Appropriation natürlich aufgelegt. Der neue Ghost in the Shell setzt sogar noch eins drauf, indem versucht wird, das Whitewashing von Motokos Figur zu legitimieren: “Immerhin, ihr Gehirn ist ja noch Japanerin!” Kein Witz, das passiert wirklich in diesem Film.

Aber Scarlett Johansson, die muss man einfach lieben. Sie würde selbst ein Festival-Dixi-Klo mit ihrer Anwesenheit zu einer ästhetisch erträglichen Attraktion aufwerten und ist eindeutig der Lichtblick in dieser filmischen Dunkelheit. Ihre coole Bomberjacke, die Frisur und ihr entwaffnend hübsches Gesicht, das bei genauer Betrachtung der Anime-Vorlage erschreckend nahe kommt, funktionieren; in einigen der Nahaufnahmen, in denen sie traurig Existenzialistisches murmelt, bekommt man wirklich Gänsehaut.

© Paramount Pictures Germany GmbH

Trotzdem schafft es Regisseur Rupert Sanders, dass sogar eine Spitzenschauspielerin wie Johansson auffällig schlimm gespielte Szenen abliefert. Ihre Körperhaltung wirkt an Stellen gekrümmt und so natürlich wie in einem Helge-Schneider-Film. Dasselbe gilt auch – oder erst recht – für die Kostüme.

Anstelle des nippelfreien Nackt-Anzugs, der als gar nicht so unterschwelliger Publikumsköder fungiert, hätte man die Referenzen auf das Anime-Original auch anders ins Spielfilm-Format übertragen und sowohl der Geschichte als auch ihrer Darstellerin die Würde lassen können. Aber die verdammt noch mal interessante Story erstickt im Body-Suit des neuen Plots – wer auf Atmen steht, sollte lieber einen anderen Film schauen.

Elle

© 2016 SBS Productions, Twenty Twenty Vision Filmproduktion, France 2 Cinéma & Entre Chien et Loup

Hier muss ich gleich sofort vorauswerfen, dass Isabelle Huppert diesen Film regiert wie eine thespische Göttin der Coolness. Sie ist bad-ass, laissez-faire, sexy-fies, aber auch liebenswert als die Figur der Michèle. Diese wird am helllichten Tag von einem Mann mit Schimaske in ihrem eigenem Zuhause überfallen und vergewaltigt. Was darauf folgt, ist ein Mix aus blöder Familienkomödie, Krimi mit Tatort-Level und eine höchst verwirrende Sexualdynamik. Regie führte Paul Verhoeven (Total Recall, Basic Instinct, RoboCop, Show Girls und so weiter).

Auch bei Elle ist das Hauptproblem die filmische Struktur und deren Zusammenspiel mit der Charakterisierung der Figuren. Die Thematik – ein Revenge-Movie mit einer extrem coolen, mächtigen, nicht nur sexuell starken Frau fernab jeder Opferrolle, mit der sich besser niemand anlegen sollte – ist schließlich im Prinzip unglaublich spannend. 

Aber dieses vielversprechende Fundament zerläuft zwischen unrealistischen Charaktermotivationen und eigenartigen, nicht nachvollziehbaren Handlungspunkten. Besonders die erzählerischen Entscheidungen im letzten Drittel von Elle und Michèles Haltung gegenüber dem Täter sind für mich komplett unverständlich. Das Ganze nickt – ziemlich sicher unfreiwillig, aber trotzdem ungeschickt – in eine “Sie will’s ja doch ein bisschen”-Richtung.

© 2016 SBS Productions, Twenty Twenty Vision Filmproduktion, France 2 Cinéma & Entre Chien et Loup

Als der Film auf einmal bricht und es um das schwarze Baby der Freundin von Michèles Sohn geht, versucht Elle plötzlich lustig bis klamaukig zu sein: Weil der Sohn nicht checkt, dass das Kind wohl eher nicht von ihm ist, bekommen wir einen Comic-Relief-Moment gesponsert, der sich sehr deplatziert anfühlt. Auch die Klischeebilder in Michèles Videospiele-Firma helfen nicht unbedingt bei der figürlichen Abrundung des Films: Da gibt es den verdächtig tätowierten Programmierer, den gedemütigten Nerd und den Mann der Firmenpartnerin, mit dem Michèle eine langweilige Affäre hat. Wie weltfremd die Gaming-Industrie dargestellt wird, spreche ich jetzt gar nicht erst an.

Anstatt auf Michèles Härte und resolute Art im Umgang mit sexualisierter Gewalt einzugehen, driften wir irgendwann in Office-Mobbing und eher flache “Wer ist der Täter”-Muster ab, sobald der Film billige falsche Fährten legt, wer denn wohl der Vergewaltiger gewesen sein könnte.

Diesen Film solltet ihr zwar definitiv schauen, aber einzig und alleine wegen Huppert. Und falls ihr das Gefühl habt, dass ich völlig daneben liege und mich mit dieser Review ins Nirvana mansplaine, freu ich mich ehrlich über jeden sachdienlichen Hinweis darauf, was ich wo genau falsch verstanden habe. Der Film hat schließlich Golden Globes und Critic’s Choice Movie Awards gewonnen; vielleicht bin ich einfach verrückt.

The Handmaiden

Park Chan-wooks wunderschöner koreanischer Historienfilm und dessen Problematik sind im Vergleich ein bisschen komplexer. Die Erzählung weist zig Twists und verspielte Ideen auf und jede Kameraeinstellung ist faszinierend detailliert inszeniert, perfekt wie ein Mandala. Die Geschichte handelt von einer Trickbetrügerin, die als Magd eine reiche Familie, einen japanophiler Onkel, und besonders dessen Nichte, abzocken will.

Eine wirre, intrigante Beziehung zwischen der wie im Käfig gehaltenen Porzellanfrau und der falschen Magd entsteht – sie werden Geliebte, was man in ausgestalteten Sexszenen vermittelt bekommt. 

Der Onkel betreibt schon länger psychisch-körperlichen Missbrauch mit seiner Nichte, indem er sie zwingt, im Geisha-Outfit vor einer geheimen feinen Gesellschaft von notgeilen Männern perverse Sexgeschichten aus uralten Büchern vorzulesen. Heiraten will er sie übrigens auch. Am Ende räumen die beiden Mädels richtig auf und rächen sich an Onkel Perverso.

© Filmladen Filmverleih

Oberflächlich gesehen klingt das alles sehr nach Empowerment. Ein lesbisches Pärchen sprengt die Ketten der heteronormativen, sexuellen Tyrannei und kickt dabei selbstbestimmt Ärsche, symbolisiert durch die Vernichtung der versauten Bücher über Tintenfisch-Sex. 

Die Nichte lässt sich nicht mehr zu erotischen Unterhaltung von Geilos nötigen und legt den elitären Fetisch hinter der auf Kunst frisierten Fassade bloß. Und genau an diesem Punkt widerspricht sich The Handmaiden selbst. Die perversen Anzugträger, die sich rauchend an der “sinnlichen” Vorleserin aufgeilen und sich dabei hinter dem Kulturgedanken verstecken – das sind wir.

Die Sexszenen zwischen den beiden Hauptdarstellerinnen sind sicherlich geschmackvoll und genau so schön wie der restliche Film gestaltet – was den Schauspielerinnen bestimmt einiges an Professionalität abverlangt hat und bereits für sich Grund zum Applaus ist. Aber letztlich sabbern bei diesen extrem langen erotischen Sequenzen genau dieselben alten, horny Zuschauer am stärksten, die gerne schlanken sexy Asiatinnen beim Schmusen und Heavy Petting zusehen.

Die perversen Anzugträger, die sich rauchend an der “sinnlichen” Vorleserin aufgeilen und sich dabei hinter dem Kulturgedanken verstecken – das sind wir.

Der Film macht damit genau das, was er verurteilt. Die zwei dominanten, einnehmenden Figuren werden zur Bums-Abendunterhaltung runter degradiert, und hinter vorgehaltener Hand und mit Ständer in der Hose kann man sagen: “Künstlerisch sehr anspruchsvoll!”

Falls The Handmaiden tatsächlich eine Metaebene beabsichtigt hat und mir diesen Widerspruch beziehungsweise Spiegel bewusst vorhalten will, dann ein großes Chapeau. Aber ich fürchte, da spricht eher eine wohlmeinende Positivdiskriminierung aus mir.

Nach diesen drei Filmen möchte man fast einen blöden polemischen Spruch hinrotzen wie: “Hinter jeder großartigen Schauspielerin steht ein schlechter Regisseur.”  Das stimmt natürlich nicht und filmemacherisches Talent am Geschlecht festmachen zu wollen, halte ich für großen Schwachsinn. Ich weiß nur, dass wenn man Ana Lily Amarpours oder Diablo Codys Filme und Frauencharaktere betrachtet, kommt in mir der dringende Wunsch nach mehr Chancen für smarte Nachwuchs-Regisseurinnen auf – und weniger Ghost in the Shell-Neuverfilmungen.

Josef auf Twitter: @theZeffo