Einen Blick in fremde Schlafzimmer zu werfen, haben sich schon viele von uns mal gewünscht. Mit diesem Vorsatz geht auch Roxy Hervé ihr neues Projekt “Lovers” an. Allerdings handelt es sich bei ihr nicht um Voyeurismus – Hervé schaut nicht nur, sondern fotografiert. Was dahinter steckt? Ihr unbekannte Pärchen laden die Fotografin zu sich nach Hause ein und haben dann Sex vor der Kamera. Es entstehen ästhetische Schwarzweißbilder. Hervé beschreibt ihr Vorgehen selbst als akkurate Erkundung des menschlichen Körpers und der dazugehörigen Umgebung.
Ein solches Projekt wirft aber auch viele Fragen auf. Deswegen haben wir uns mit Roxy getroffen, um Antworten zu bekommen.
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VICE: Wie kam dir die Idee für “Lovers”?
Roxy Hervé: Eine Frau aus Paris schrieb mir, dass sie meine Fotos super fände und ein Foto-Shooting mit ihrem Freund machen wolle. Ich sagte direkt zu und dachte mir, dass sich der Rest schon irgendwie ergibt.
Wie lief das Treffen mit dem Pärchen ab?
Ich besuchte die beiden in ihrer Wohnung. Sie fingen sofort an, über ihre Beziehung zu reden. Wir haben dann den ganzen Abend zusammen getrunken und sie haben mir total intimes Zeug erzählt, obwohl sie mich eigentlich gar nicht kannten. So brach das Eis und ich fotografierte sie schließlich im Schlafzimmer, als sie miteinander schliefen. Das hat mir total gut gefallen und ich habe einfach weitergemacht.
Ist es nicht ziemlich schwierig, Menschen zu fotografieren, die sich auf einem Bett räkeln?
Ja, vor allem dann, wenn ich über ihnen stehe. Wenn das Bild es wert ist, dann weise ich sie manchmal auch an, in einer bestimmten Position zu bleiben. Normalerweise rate ich aber, welche Stellung als Nächstes kommt, um im richtigen Moment auf den Auslöser zu drücken. Natürlich redet man auch miteinander, es ist ja eine Kollaboration.
Glaubst du, dass sich deine Models anders verhalten, weil sich eine dritte Person mit Kamera im Schlafzimmer befindet?
Am Anfang schon. Ich spüre da immer ein wenig Unbehagen, aber ich lockere die Stimmung dann mit einem Witz oder so auf. Dadurch kommt das Vertrauen. Nach den Shootings sind alle immer total begeistert.
Wie genau baust du das Vertrauen zwischen dir und den Pärchen auf?
Das dauert immer am längsten. Ich rede mit jedem meiner “Models”, nehme das Gespräch auf und frage: “Kannst du dich an den Moment erinnern, in dem dir klar wurde, dass du deinen Partner oder deine Partnerin wirklich magst? Also nicht, dass du ihn oder sie attraktiv findest, sondern wirklich magst.” Das schafft Vertrauen. Außerdem hilft es sehr, dass ich eine Frau bin. Da sind dann meistens nur die Jungs ein bisschen schüchtern.
Hast du schon mal Leute beim Sex fotografierst, die du privat kennst?
Ja, zweimal. Ich hatte sie vorher auf Partys kennengelernt, aber das war kein Problem. Bald steht allerdings ein Shooting an, vor dem ich ein wenig Bammel habe: Weil ich gerne auch mal ältere Menschen fotografieren würde, habe ich meine Eltern gefragt, ob ihnen da jemand einfällt. Die beste Freundin meiner Mutter, die ich schon seit meiner Kindheit kenne, kontaktierte mich daraufhin. Sie ist total nett, deswegen sollte das schon klappen.
Was unterscheidet ein künstlerisches Foto von einem pornografischem Foto?
Ich finde, dass meine Fotos nichts Pornografisches an sich haben – du siehst ja keine erigierten Penisse oder Vulven. Brüste sind für mich nichts Erotisches, sondern einfach Brüste. Mir geht es mehr um die Stellungen und das Verschmelzen zweier Menschen als um bestimmte Körperteile.
Hast du durch das Projekt etwas Neues über die menschliche Sexualität gelernt?
Ich weiß nicht, denn eigentlich geht es bei “Lovers” gar nicht wirklich darum. Meine Fotos sind nicht sehr erotisch, aber das ist unwichtig. Was wichtig ist: der Moment, in dem die Körper verschmelzen, und die Formen, die dabei entstehen. Ich fotografiere zwar menschliche Körper, aber wie ich die Bilder dann zuschneide, lässt diese Körper etwas unmenschlich wirken.
Und was hast du über dich selbst gelernt?
Normalerweise bin ich im Umgang mit anderen Leuten eher ungeschickt und es fällt mir nicht leicht, Freunde zu finden. Für mein Projekt baue ich zu mir unbekannten Menschen aber genug Vertrauen auf, dass sie sich vor mir ausziehen und sich von mir beim Sex fotografieren lassen. Dadurch wurde mir bewusst, dass ich doch recht selbstbewusst bin. Das spüre ich auch immer, wenn sich die Pärchen nach dem Shooting gut fühlen.
Verfolgst du mit dem Projekt ein bestimmtes Ziel?
Ein paar Gallerien haben schon angefragt, das freut mich natürlich. Mein Traum wäre es aber, die Tonaufnahmen und die Bilder für eine Ausstellung zu kombinieren: Man betrachtet die Fotos und hört dabei gleichzeitig die Geschichte, die die dazugehörigen Pärchen mit ihren Worten und ihren Körpern erzählen.
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