Diese Frau ist dafür verantwortlich, dass ‚Akte X’ wissenschaftlich Sinn ergibt

Bild von Twentieth Century Fox, alle anderen Fotos mit freundlicher Genehmigung von Anne Simon

Anne Simon ist die Tochter des Hollywood-SciFi-Autoren Mayo Simon, der Kultklassiker wie Futureworld und Phase IV geschrieben hat. Er durfte auch die Apollo-Astronauten interviewen und einige der größten Wissenschaftler seiner Zeit kennenlernen. Es ist nur passend, dass die jüngere Simon nicht nur eine der besten Wissenschaftlerinnen ihrer Zeit wurde, sondern auch als Beraterin bei der TV-Serie Die Akte X tätig war. Es war Anne Simon, die dem Produzenten und Drehbuchautoren Chris Carter half, Akte X ein wissenschaftliches Grundgerüst zu verpassen, vor dem sich die bizarren und paranormalen Ereignisse der Serie abspielen konnten. (Meistens, zumindest. Das berühmte schwarze Öl war komplett erfunden, wie Simon zugibt.)

Simon kam durch ihre Freundschaft mit Carter zu der Stelle, denn Carter war zur Zeit der ersten Staffel mit einer Freundin ihrer Mutter zusammen, und er brauchte Hilfe dabei, die Serie in der Realität zu verankern. „Sein Bruder unterrichtete am MIT, also hatte er schon mal einen Physiker”, sagte sie. „Aber er hatte niemanden für Biologie.” Simon, die damals als Biochemikerin an der University of Massachusetts arbeitete, war für diesen Posten perfekt geeignet.

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Simon ist zur Zeit die Leiterin des Graduiertenprogramms in Virologie der University of Maryland und ist auch bei dem anstehenden Mini-Revival von Die Akte X, das im Januar auf Fox laufen wird, wieder mit von der Partie—diesmal sogar mit einem Credit als Autorin. Sie hat auch viel mit den besessenen Fans auf Twitter zu tun und live-tweetet manchmal Folgen, wobei sie Kommentare und Insider-Infos hinzufügt. Wir haben uns mit Anne darüber unterhalten, wie Akte X die öffentliche Wahrnehmung der Wissenschaft beeinflusst hat und warum manche Fans so besessen von der Vorstellung von Mulder und Scully beim Sex sind.

VICE: Warum hast du dich zu Die Akte X hingezogen gefühlt?
Anne Simon: Scully war die erste Wissenschaftlerin im Fernsehen, die positiv dargestellt wurde. Sie glaubte nicht einfach an Dinge. Sie wollte Fakten. Sie wollte ihre Hypothesen testen und Experimente durchführen und nicht einfach irgendetwas erzählen, das nicht Hand und Fuß hatte. Es gibt den Scully-Effekt—es gibt viele Fans, die sagen, sie seien wegen der Serie zu Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geworden.

Anne Simon mit Chris Carter

Wie hast du zu einem Drehbuch oder einer Folge beigetragen?
[Chris Carter] wusste, wohin er wollte. Bei der letzten Folge der ersten Staffel fragte er mich also zum Beispiel: „Wir würdest du einen Mikroorganismus untersuchen? Was wäre das erste, das du tun würdest?” Also sagte ich ihm: „Ich würde mehr davon züchten.” Dann sagte er: „Wie lange würdest du das machen?” „Tja, es würde zehn Jahre dauern …” Aber du weißt ja, wie es im Fernsehen ist, also wären sie eben schon am züchten. Was würde man als Nächstes tun? Also, man würde sie unters Mikroskop legen und dann einen Teil seiner ribosomalen DNA entschlüsseln … Damals gab es bestimmte Gene, die alle entschlüsselten und verglichen. Also sagte er: „Was könnten sie finden, das sofort eindeutig darauf hinweisen würde, dass es sich um ein Alien handelt?” Ich schlug vor: „Wie wäre es mit einem zusätzlichen Paar Nukleotide?” Ab diesem Zeitpunkt schickte er mir die Drehbücher und ich korrigierte sie. Und er setzte all meine Korrekturen um. Ich tat das ungefähr fünf Jahre lang, bevor ich jemanden davon erzählte.

Findest du, dass Film und Fernsehen im Laufe der Zeit besser darin geworden sind, Wissenschaft visuell darzustellen?
Es hat sich in Filmen definitiv gebessert. Ich habe Der Marsianer noch nicht gesehen, aber Wissenschaftler sind sehr zufrieden mit diesem Film. Ich denke, bei Filmen nehmen sie sich Zeit, die Wissenschaft richtig zu darzustellen. Aber im Fernsehen ist das sehr problematisch. Sie haben nicht die Zeit und sie nehmen sich die Zeit auch nicht. Chris nimmt sich die Zeit. Deswegen gebe ich auch immer Autoren meine Visitenkarte und biete ihnen meine Dienste an.

Fällt dir ein Beispiel ein, wo sie deinen Rat nicht angenommen haben, weil sie eine eindrucksvollere Szene haben wollten oder so?
Die Sache ist die: Es ist alles fantastisch. Ich bin ein Fan von Science-Fiction. Es soll nicht real sein. Doch wir wollten, dass das, was die Wissenschaftler machen, real wirkt. Ich habe so einen Spruch, den ich dazu immer sage: „Aliens können fast alles.” Wenn du dir also etwas ausdenkst, dann sagst du einfach: „Ach, die Aliens sind richtig intelligent, die können das.” Es gab eine Folge, die „Redux” hieß, in der Chris wollte, dass Scully dahinter kommt, wie sie mit einem Alien-Virus infiziert wurde. Das Virus war meine Idee. Also haben wir sie für die damalige Zeit sehr fortschrittliche Methoden anwenden lassen. Heute wäre es etwas anderes. Es hieß „Southern Blot”. Damals wandte ich diese Untersuchungsmethode ständig an … und dann machte Scully das in der Serie. Fast jeden einzelnen Schritt. Also fragte er mich: „Wie lange würde das bei dir dauern?”, und ich sagte, ich würde drei Tage brauchen. Er sagte, sie hätte drei Stunden.

Du hast also für die Mini-Serie geschrieben. Wie kam es dazu?
Ich versuche immer, Chris Ideen zu geben. Jetzt ist es viel einfacher, weil man einander einfach Artikel per E-Mail schicken kann. Ich erzählte ihm, dass meiner Meinung nach homöotische Fliegen ein tolles Monster wären—wie wäre es, wenn ihnen aus dem Kopf oder aus dem Mund Beine wachsen würden?—und er sagte: „Großartig!”

Für das Revival habe ich mehr beigetragen als je zuvor. Meine beste Freundin, Margaret Fearon, ist Ärztin für infektiöse Krankheiten in Kanada. Sie gibt mir also viel medizinischen Rat und ist auch als Autorin aufgeführt. Chris hatte die Idee und ich habe die beste wissenschaftliche Arbeit meiner Karriere abgeliefert, um sie umzusetzen. Und er hat alles davon verwendet. Es ist wahrscheinlich die gruseligste Wissenschaft, die es jemals bei Akte X gab. Die Leute werden … hoffen wir einfach, dass sie keine scharfen Gegenstände herumliegen haben.

Stört es dich, dass Leute wie ich bei dir anrufen, oder dass dich die Leute an der Uni ständig nach Akte X fragen?
Es ist witzig, dass das jetzt wieder passiert. Als Akte X auf dem Höhepunkt seiner Beliebtheit war, wollte David Letterman mich in seiner Sendung haben, ich war im kanadischen Fernsehen, im US-Frühstücksfernsehen, und es gab eine ganze Seite in der New York Times. Dann sollte ich ein Buch schreiben. Und ich denke, das hat sich gelohnt. Ich kriege viele E-Mails von jungen Leuten, die sagen, sie hätten sich nicht für Wissenschaft interessiert, doch sie hätten mein Buch nicht weglegen können und nun wollen sie auch Wissenschaftler werden. Ich habe einen TED Talk gehalten. Es ist verrückt.

Denkst du, die öffentliche Wahrnehmung der Wissenschaft hat sich in den USA geändert, seit du hiermit angefangen hast?
Es steht außer Frage, dass sie sich verschlimmert hat. Ich werde hier nur ungern politisch, aber es hilft nicht gerade, wenn die Vertreter einer ganzen Partei behaupten,dass Tausende Klimawissenschaftler alle lügen. Wenn erst einmal der Eindruck entstanden ist, dass Tausende Wissenschaftler lügen, dann denken sich die Menschen: „Bei welchen Dingen lügen sie noch?” Dann sagen sie, Evolution sei eine Lüge. Das Fundament der Biologie. Es ist, als würde jemand behaupten, es gäbe keinen Sauerstoff. Wir versuchen nicht, die Leute zu täuschen. Wir versuchen nur, Hypothesen aufzustellen und sie zu überprüfen. Und das ist unser Weg, das der Gesellschaft mitzuteilen. Wir wollen keine Kinder mit Impfungen umbringen. Wir wollen keine Menschen mit Essen krank machen. Wir wollen, dass alles für alle Menschen besser wird. Vielleicht glauben daran ja Leute, wenn Menschen wie ich es ihnen sagen, immerhin habe ich zum Beispiel mit der Lebensmittelindustrie nichts am Hut.

Irgendwie versucht Akte X, Leute zu Freunden der Wissenschaft zu machen.
Ich bekam früher Hassbriefe von Leuten, die sagten, ich sei an der Verbreitung von Pseudowissenschaft beteiligt. Aber Akte X ist Science-Fiction. Akte X versucht nicht, Wissenschaft weniger echt wirken zu lassen. Wenn die Menschen an solche Verschwörungstheorien glauben, dann tun sie mir leid. Wenn sie mich fragen: „Warum gab es dann Aliens?” … Tja, was kann man da schon antworten.

Gibt es zu dem schwarzen Öl irgendeinen wissenschaftlichen Hintergrund?
Nein. Wir entwickelten das schwarze Öl, und ich dachte an Schleimpilze. Ich wünsche mir immer noch, dass sie das irgendwie aufgreifen. Schleimpilze haben verschiedene Stadien. Zuerst sind sie Individuen, dann kommen sie zusammen und formen eine große „Schnecke”, und dann bilden sie Fruchtkörper. Das sind wirklich coole Organismen. Aber nein, in diesem Fall war das noch so ein „Aliens können alles”-Ding.

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Was ist wirklich mit Mulders Schwester passiert?
In der neuen Serie wird die Wahrheit gezeigt. Wir werden enthüllen, was wirklich vor sich geht. Das war meine Idee, und [Chris Carter] hat das so angenommen. Bis zum Ende der sechsten Folge werdet ihr wissen, was damals wirklich geschehen ist und wie alles zusammenpasst. Wie der Krebskandidat da reinpasst. Was mit Scully bei ihrer Entführung passiert ist. Deswegen war ich auch so aufgeregt, denn ich bin auf etwas gekommen, wie alles zusammenpasst.

Ich wette, die Fans werden dankbar sein.
Ich beantworte Fragen zu Mulders und Scullys Beziehung, weil David [Duchovny aka Mulder] und Mitch [Pileggi aka Skinner] enthüllt haben, dass sie nicht zusammen sind, und die Mulder/Scully-Shipper [Leute, die sich eine Romanze zwischen den beiden wünschen] sind ausgeflippt. Mulder arbeitet nicht länger beim FBI und ihm ist es nicht gut ergangen. Ihm sind nichts als Verschwörungstheorien geblieben. Wenn du in der Wissenschaft nichts als lauter Informationsstücke hast, die aber nicht zu deiner Hypothese passen, dann ist es sehr frustrierend, auf eine vernünftige Erklärung zu kommen. Du weißt, dass deine bisherige Annahme falsch war. Mulder ist kein glücklicher Mensch und am Anfang ist er nicht bei Scully. Chris versucht, Spannung in die Mulder/Scully-Beziehung zu bringen, indem er ihr Raum zur Entwicklung gibt.

Fühlst du dich wie eine Akte-X-Insiderin?
Ich bin Insiderin und Außenseiterin. Ich bin eine Insiderin der Serie, aber als Fan bin ich Außenseiterin. Ich weiß unheimlich viel, aber ich kann nichts verraten.