Wer Lebensmittel aus Supermarkt-Abfällen holt, macht sich strafbar. Das deutsche Bundesverfassungsgericht bestätigte Urteile aus Vorinstanzen gegen zwei Studentinnen aus Bayern: Die beiden Frauen fischten Obst, Gemüse und Joghurt aus dem Abfall eines Supermarktes. Dafür wurden sie im Januar 2019 wegen Diebstahls zu jeweils acht Sozialstunden sowie einer Geldstrafe von 225 Euro auf Bewährung verurteilt.
Das Problem ist: Laut Schätzungen der EU verschwendet jede europäische Person durchschnittlich 173 Mahlzeiten pro Jahr. Gleichzeitig werden Menschen, die essbare Lebensmittel vor der Vernichtung retten, zu Kriminellen.
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VICE hat mit Madeleine Alizadeh alias Dariadaria über Konsumkritik gesprochen und darüber, warum wir Containern als Gesellschaft entstigmatisieren müssen.
Die 31-Jährige Wienerin zählt zu den reichweitenstärksten Influencerinnen im deutschsprachigen Raum und beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit Klimapolitik und Gleichberechtigung.
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VICE: Wie stehst du zum Container-Verbot?
Madeleine Alizadeh: Einerseits kann ich verstehen, dass weggeworfene Lebensmittel reglementiert werden müssen. Da gehts ja auch viel um Haftung: Was, wenn jemand zum Beispiel krank wird, weil er oder sie weggeworfene Lebensmittel isst?
Auf der anderen Seite verstehe ich nicht, was ein Container-Verbot an der Lebensmittelverschwendung ändern sollen. Containern ist ja vor allem eine Kritik an Konsum und Lebensmittelverschwendung.
Die EU schätzt, dass 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel weltweit jährlich weggeworfen werden. Das ist rund ein Drittel aller weltweit produzierten Lebensmittel.
Wen trifft das Container-Verbot?
Das Verbot trifft diejenigen am meisten, die aufs Containern angewiesen sind. Menschen, die sich gewisse Lebensmittel nicht leisten können. Aber auch Menschen, die ein politisches, konsumkritisches Statement setzen wollen, in dem sie containern gehen.
In der Zeit, in der ich containern war, tat ich das vor allem mit jungen Menschen, viele von ihnen Studierende. Einige von ihnen hätten vielleicht auch beim Discounter einkaufen gehen können. Aber natürlich waren da trotzdem Menschen dabei, die sich das einfach nicht leisten konnten und aufs Containern angewiesen waren.
Kannst du dich an dein erstes Mal containern erinnern?
Ja, sehr gut. Da waren so viele teure, gut erhaltene Lebensmittel dabei. Lebensmittel, mit denen man eine WG oder eine kleine Familie wirklich lange hätte versorgen können. Das war für mich unfassbar, ich habe dazu auch ein Video und einen Blogbeitrag gemacht.
Containerst du noch?
Ich containere inzwischen nicht mehr, aus praktischen Gründen. Ich habe im Alltag nicht wirklich Zeit dafür. Ich muss auch dazu sagen, dass ich nicht darauf angewiesen bin. Ich verdiene genug Geld, um mir Lebensmittel kaufen zu können. Dennoch finde ich das politische Statement dahinter weiterhin richtig.
Ist Containern stigmatisiert?
Ja, weil wir damit Schmutz und Abfall verbinden. Vielleicht auch, weil wir den Bezug zu Mindesthaltbarkeitsdaten verloren haben. Wir denken, dass ein Produkt schlecht ist, wenn es das überschritten hat.
Ich denke aber auch, dass viele, die vom Containern abhängig sind, nicht wollen, dass andere wissen, dass sie Lebensmittel aus dem Müll essen. Dabei sind das vollwertige Lebensmittel drin.
Es ist aber sicher auch stigmatisiert, weil es in Österreich rechtlich problematisch ist. Containern wird kriminalisiert; Essen aus dem Abfall zu holen ist mit einem kriminellen Akt assoziiert.
Wie gehen wir als Gesellschaft mit Essen um?
Es ist nicht in Ordnung, wie wir mit Lebensmitteln umgehen – besonders mit jenen Lebensmitteln, die eine sehr hohe Öko-Bilanz haben: Tierische Produkte, Fleisch oder Käse etwa. Bei der Produktion gehen viele Ressourcen drauf und sowas dann wegzuschmeißen, ist auch aus ökologischer Sicht sehr problematisch.
Und viel wird ja schon weggeworfen, weil es nicht die richtige Farbe, Form oder Größe hat. Landwirtschaftliche Betriebe sind in prekären Lagen, weil sie Lebensmittel produzieren sollen, die in einer standardisierten Massenware gleichen.
Wo siehst du weitere Schwierigkeiten?
Wenn ich mir anschaue, wie weite Wege Lebensmittel teilweise zurücklegen. Wir Menschen im globalen Norden können uns leisten, Lebensmittel wegzuschmeißen – während die Menschen im globalen Süden, die auf den Feldern arbeiten, nicht genug oder nichts zu essen haben. Daran merkt man auch, dass Lebensmittelverschwendung ein Wohlstandsproblem ist.
Hier bei uns können sich reiche Menschen leisten, Essen wegzuschmeißen, während prekäre Lebende Geld an der Supermarkt-Kasse zusammenkratzen müssen.
Wir können uns da viel von anderen Ländern abschauen. In Frankreich wurde ein Verbot veranlasst, dass Supermärkte Lebensmittel nicht mehr wegschmeißen dürfen.
Österreich müsste sich zum Ziel setzen, dass wir bis 2030 die Lebensmittelverschwendung um 50 Prozent reduzieren.
Was müsste sich bei den Supermärkten tun?
Es sollte für Supermärkte leichter sein, Lebensmittel weiterzugeben. Oft sind denen die Hände gebunden und sie müssen Essen wegwerfen, weil es entweder eine nationale oder EU-Richtlinie besagt.
Es müsste erleichtert werden, karitative Zwecke zu unterstützen, zum Beispiel die Wiener Tafel, die das toll macht.
Wenn man bedenkt, wie viele Menschen abends kein Essen auf dem Teller haben, muss es doch möglich sein, gute, intakte Lebensmittel so zu verteilen, dass sie Menschen kostenlos konsumieren.
Wie kann man den schlechten Ruf vom Containern aufbessern?
Es braucht eine Bildungsoffensive. An den Schulen sollte man etwa über Lebensmittelverschwendung sprechen und dabei auch im Kleinen beginnen. Zum Beispiel, dass ein Apfel verzehrbar ist, auch wenn er eine kleine braune Stelle hat, nicht aber, wenn Schimmel dran ist.