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Wenn es für mich als queere Frau darum geht, Mainstream-Pornografie anzuschauen, dann stoße ich immer wieder auf visuelle Landminen, die mein doch recht gesundes Körperbild zu zerstören drohen: lange French Nails, die dem Intimbereich einer Frau normalerweise nur Schaden zufügen würden, nicht existentes Schamhaar, das wohl mit einem Schweißbrenner entfernt wurde, oder die Augen einer leckenden Frau, die “Das ist wohl besser als Wäschewaschen” zu schreien scheinen.
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Eine Zeit lang habe ich es dann aufgegeben, nach echten queeren Frauen mit kurz geschnittenen Fingernägeln zu suchen. So begnügte ich mich mit Tumblr-Seiten, die jedoch nicht ganz das zeigten, was ich eigentlich sehen wollte: Junge, spitze Männer, die sich auf öffentlichen Toiletten gegenseitig einen runterholen. Wie gesagt, das waren zwar nicht ganz die Süßigkeiten, die ich naschen wollte, aber immerhin waren es Süßigkeiten.
Zum Glück gibt es inzwischen immer mehr queere Porno-Regisseurinnen sowie Leute, die ihre eigenen Sexvideos drehen und hochladen. Diese Entwicklung hat bei den Mitgliedern der LGBTQ-Community auch zu einer Veränderung in Sachen Körperwahrnehmung geführt, weil queeren Menschen nun eine Stimme gegeben wird und sie außerdem mehr Kontrolle darüber haben, wie man sie sieht.
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Der Wert dieser Filme hängt natürlich davon ab, wie sie kuratiert werden und wie sie den queeren Zuschauer durch die unverfälschten Inhalte führen. Jiz Lee, eine Darstellerin und Marketingleiterin bei Pink & White Productions (die Produktionsfirma hinter der Queer-Porno-Reihe CrashPad), arbeitet an Filmen, die ein weites Spektrum an queeren Sexarbeitern und Amateur-Porno-Darstellern aus San Francisco umfassen.
Lee, die in der Emmy-prämierten Serie Transparent als Sarah Pfeffermans genderqueere Domina auftritt, weiß zu schätzen, dass Pink & White Productions eine ganze Reihe an queeren Darstellern anstellt und sie gleichzeitig nicht in irgendwelche Gender-Schubladen steckt oder nach Alter, Ethnie oder Fähigkeiten einteilt. Des Weiteren bleiben dort viele der oftmals unter den Teppich gekehrten Aspekte des Liebesspiels (zum Beispiel die Kommunikation bezüglich des Einverständnisses oder die Verwendung von Gleit- und Verhütungsmitteln) im Endprodukt erhalten. Gemeinsames Lachen und Neugierde—was ja alles zur sexuellen Erfahrung gehört—werden in den Filmen ebenfalls nicht herausgeschnitten.
“ CrashPad-Mitglieder erwarten inzwischen immer das Unerwartete: Sie schätzen unsere offenen Castings und unsere dokumentarähnliche Herangehensweise an das Filmen von Sex, weil das alles deren eigene Communitys besser widerspiegelt”, erklärt Lee. “Aus den Reihen der abgeschiedeneren Queer/Trans-Gemeinschaften bekommen wir immer wieder gesagt, dass sie sich repräsentiert fühlen und dass dieser Umstand sie auf eine ‘queere Zukunft’ hoffen lässt.”
Queere Pornografie mit einer größeren Portion Bewusstsein könnte dabei helfen, dass sich LGBTQ-Menschen wieder mehr zu dieser Art der Pornos hingezogen fühlen. Der Umstand, dass das gerade nicht so ist, führt nämlich möglicherweise zu negativen gesundheitlichen Auswirkungen auf die Körper dieser Menschen. Morgan Ray, eine ausgebildete Sexualtherapeutin aus Charlotte, North Carolina, arbeitet viel mit der LGBTQ-Community zusammen und ihr ist dabei aufgefallen, dass ihre Patienten zwar viele Homosexuellen-Pornos anschauen können, die Darsteller und Darstellerinnen körperlich jedoch immer anders aussehen. Vor allem schwule Männer und Pärchen sind von diesen unrealistisch “perfekten” Körperdarstellungen sowie von der Unaufrichtigkeit der gezeigten Gefühle betroffen.
“Die Schwulen-Pornos, die sie sich anschauen, verursachen bei ihnen in Bezug auf ihre Körper ein Gefühl der Minderwertigkeit. Außerdem setzen sie sich so einen gewissen Standard, den sie erreichen müssen, um gut auszusehen: gut in Form sein und einen großen Penis haben”, sagt Ray. “Wenn es sich also nicht gerade um ein bestimmtes Genre handelt, fühlen sie sich aufgrund der durchtrainierten und hübsch aussehenden Darsteller nicht gut genug.”
Schwule Männer haben Ray aber auch erzählt, dass sie sich als minderwertig ansehen, weil sie nicht so maskulin bzw. aggressiv auftreten wie die Darsteller in den Pornos. Solche durch Mainstream-Erotikfilme ausgelöste Unsicherheiten können sich dann in Form von Erektionsstörungen, Orgasmusproblemen oder mentaler Abwesenheit beim Sex manifestieren.
Aber auch queere Frauen laufen Gefahr, körperliche Unsicherheiten zu entwickeln, weil sie sich auf dem Bildschirm nicht authentisch repräsentiert sehen. Zwar äußeren diese Frauen Rays Erfahrung nach nicht das Bedürfnis nach einem perfekten Körper, aber es trifft sie trotzdem, wenn Frauen in Pornos hypersexualisiert werden. Trans-Frauen fallen in Mainstream-Pornos oftmals der Fetischisierung zum Opfer: Sie werden dann als Objekte der sexuellen Befriedigung dargestellt und haben nicht den gefühlvollen, “normalen” Geschlechtsverkehr, den man aus dem eigenen Leben kennt.
Solche Darstellungen können langfristige Folgen haben—zum Beispiel entscheiden sich manche Leute dazu, ihren Körper zu verstecken. Sie fühlen sich dann beim Daten wertlos. “Wenn wir hier gezielt von der LGBTQ-Gemeinschaft reden, dann heißt es oft: ‘Wäre ich hübscher, würden sie mehr von mir wollen’”, erklärt Ray.
Während Queer-Porno-Schmieden damit anfangen, in ihren Filmen ein breiteres Spektrum an queeren Darstellern zu zeigen, versucht eine Website schon seit 2009, das Paradigma komplett zu verändern. “Make Love Not Porn” ist eine Plattform, auf der echte User ihre Sexvideos hochladen können—das heißt, dass sie nichts vorspielen, sondern echten Sex mit ihren echten Partnern haben. Die Gründerin und Vorsitzende Cindy Gallop entwickelt derzeit eine neue Kategorie namens “Social Sex”, in der die User aus der ganzen Welt Videos zum Verleih und nicht zum Verkauf anbieten. Zwar reichen derzeit noch mehr heterosexuelle als queere User Inhalte ein, aber das ändert sich langsam, weil die Seite sich auch sehr dafür einsetzt, Gender-Vielfalt zu fördern. Und das schließt Trans-Menschen mit ein.
Sarah Beall, die sogenannte Madam Curator von Make Love Not Porn, fände es toll, wenn noch mehr Mitglieder der LGBTQ-Community Videos hochladen würden.
“Transsexualität wird in Mainstream-Pornos total fetischisiert. Deshalb schaffen wir auch einen Raum, in dem die Leute ganz sie selbst sein können, ohne ihre Identität fetischisieren oder in irgendeine Nische passen zu müssen”, sagt sie. “Bei uns muss sich niemand definieren. Wir wollen einfach, dass die User bei Make Love Not Porn ganz ungezwungen verschiedene Arten der Sexualität erforschen können.”
Zu den “Make Love Not Porn Stars” gehört dabei auch Von Bettie, eine 27-jährige, selbsternannte Alternativ-Femme und Queer-Porno-Darstellerin, die Videos von sich und ihrer Partnerin Ember beim alltäglichen Bettport präsentiert. In den “Romantic”- und “Joyful”-Kategorien kann ich einer Frau mit blau-lila Haaren dabei zusehen, wie sie ihren Körper vollkommen akzeptiert und mit ihrer Partnerin sowohl zart als auch hart umgeht. So rollen die beiden zuerst zusammen auf einem Bett voller Rosenblätter umher, bevor Von Bettie einen Ballknebel in Embers Mund steckt und sie anschließend mit einem Strap-On-Penis befriedigt.
Und all das wird immer wieder von fast schon lustigen Szenen aufgelockert: So wird zweimal versehentlich die Flasche Gleitgel fallen gelassen, beim Ausziehen herzhaft gelacht und pausiert, als besprochen wird, wie es weitergehen soll. Ray ist ebenfalls der Meinung, dass es gesünder ist, sich realistisches Sexualverhalten anzuschauen: “Das normalisiert sowohl die Menschen als auch die Körperwahrnehmung.”
Queeren Frauen beim echten Sex zuzusehen, ist besser, als ich es erwartet habe. Ich feuere die beiden fast schon an und bekomme dazu noch Tipps, die ich auch mal mit meiner Freundin ausprobieren kann. Ich kann mich nun mental von den am Anfang erwähnten Typen auf den öffentlichen Toiletten verabschieden, die mir bis dato einen schnellen Kick verschafften. Ich kenne jetzt nämlich etwas, das mein eigenes Sexleben viel besser widerspiegelt.