Diese Studie untersucht, was bei Black Lives Matter in Deutschland schief lief

BLM-Deutschland

Der Protestbewegung Black Lives Matter geht die Puste aus. Das zeigte sich spätestens vergangenen Freitag, vor dem Brandenburger Tor. Eine BLM-Demonstration war angekündigt. 25 Grad, kein Regen, perfektes Demowetter. Es sollte um koloniale Verantwortung gehen, um die Rechte Schwarzer Sexarbeiter und Impfgerechtigkeit – so war auf Instagram angekündigt.

Nur interessierte das fast niemanden. Die Veranstalter hatten – nicht einmal besonders zuversichtlich – 2.500 Menschen erwartet. Es versammelten sich etwa 300, berichtet der rbb. Keine Promis traten auf, keine Influencer machten Selfies. Selbst BLM-Fan Stefanie Giesinger ist schon ein Thema weiter: Geschlechter-Gerechtigkeit. 

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Noch vor einem Jahr sah das anders aus. Black Lives Matter war überall, Instagram voller Schwarzer #BlackOutTuesday-Quadrate, in deutschen Großstädten wurde George Floyds Gesicht an Wände gesprüht. Und  zu den großen Demos kamen deutschlandweit Hunderttausende. 

Was ist schiefgelaufen?

Eine gerade erschienene Studie gibt ein paar Antworten. Das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DEZIM) hat untersucht, wie sich Black Lives Matter in Deutschland geschlagen hat. Wer waren die Organisatorinnen hinter der Bewegung? Wie gut wurden die Forderungen aus den USA in den deutschen Kontext übersetzt? Und was bleibt? 

Dafür haben die Forscherinnen Medien ausgewertet, mit Aktivistinnen und Aktivisten gesprochen und die Situation in Deutschland mit der in Italien, Dänemark und Polen verglichen. Die Unterschiede sind groß: In Italien kamen zur bestbesuchten Black Lives Matter-Kundgebung nur 5.000 Menschen, die meisten Demos fanden in Ballungszentren statt. In Deutschland kamen mal 15.000 mal 20.000, es wurde in jedem Bundesland demonstriert, in Großstädten und Kleinstädten. 

Viel mehr Menschen gingen auf die Straße, als nach dem grausamen Tod von Oury Jalloh oder nach der Aufdeckung des NSU, den Anschlägen in Halle und Hanau. Wenn auch weniger, als die Viertelmillion Menschen, die sich 2018 zur Unteilbar-Demo mobilisieren ließen. 

Puff, vorbei

Im Unterschied zu Italien war die Deutsche Black Lives Matter-Bewegung aber eine Eintagsfliege. Schnell war der Elan verpufft. Und während in Italien weiter demonstriert wurde – insgesamt mehr als 150 mal – kommt Deutschland nur auf etwas mehr als die Hälfte der Demos.

Auch wer die Bewegung anführte, unterschied sich. In Polen hartgesottene, weiße Aktivisten, in Deutschland junge Schwarze Frauen. Einige deutsche BLM-Gruppen weigerten sich sogar, überhaupt weiße Aktivistinnen zu beteiligen, berichten die DEZIM-Forschenden. 

Während in Italien und Dänemark oft auf die Situation von Migrantinnen Bezug genommen wurde, wurde in Deutschland diese Gruppe selten erwähnt, um nicht zu sagen: Vergessen.

Obwohl das Schwarze und afrodiasporische Deutschland so divers ist, waren die wichtigsten Aktivistinnen Deutsche. Afrikanische Migrantinnen und migrantische Selbstorganisationen blieben außen vor, schreiben die Forscher. 

Die Schwarze Bewegung wollte ihre Kinder fressen

Ziemlich schnell gab es in der deutschen Black Lives Matter-Bewegung die ersten Konflikte. Es begann damit, dass Black Lives Matter Berlin überhaupt keine Black Lives Matter-Demos angemeldet hatte. Die Gruppe hatte sich angesichts der Pandemie entschieden, auf Versammlungen zu verzichten.

Black Lives Matter-Demos fanden trotzdem statt. Von den Organisatorinnen hatte man in Antirassismus-Kreisen noch nie gehört. Als die die ersten Interviews gaben, verbreitete sich das unter Schwarzen Aktivistinnen wie ein Lauffeuer. Wer sind die? 

Schnell tauchten weitere Probleme auf. Die neuen Organisatorinnen legten Wert auf konfliktfreie Demonstration. Der Polizei sollte Friedfertigkeit signalisiert werden, auf Schwarze Kleidung möglichst verzichtet werden, weil die eine Nähe zur Antifa suggerieren könnte. Antirassistische Gruppen hielten von dieser Abgrenzung nicht viel. Die “Silent Demos”, also Schweigemärsche passten vielen nicht. Also wurden Gegendemos veranstaltet, namens “Break the silence” und “silence is not the answer”. 

Manchmal gerieten die Lager aneinander. Auf einer kleineren Black Lives Matter-Demo im Juni 2020 gab es einen kleinen Tumult vor der Bühne, berichtet der Tagesspiegel.  Einer der Veranstalter hatte um einen Applaus für die Polizei gebeten, als Dank für die gute Zusammenarbeit unter Coronabedinungen. Eine Aktivistin stürmte daraufhin zur Bühne, verlangte das Mikro und rief:

“Die deutsche Polizei ermordet unsere Geschwister!”

Es reagierte Vanessa Henke, ebenfalls eine Veranstalterin: „Wir dürfen uns nicht von Hass leiten lassen!” Bei dieser Demonstration ginge es darum, Menschen zusammenzubringen. Es bringe nichts, nur radikale Parolen zu schreien, habe sie gesagt, so der Tagesspiegel

Es brodelt noch immer

Dass die antirassistische Bewegung an Rückhalt verliert, ist auch diesem Konflikt zuzuschreiben. Natürlich konnten sich 2020 alle darauf einigen, dass “Rassismus” verabscheuungswürdig ist. Ein angemessener Anlass für einen schweigenden Spaziergang oder ein Rechteck auf Instagram. Gegen Rassismus zu sein wirkte nicht wie eine besonders streitbarer Standpunkt. 

Das hat sich geändert. Denn die Debatte über Rassismus ist komplexer geworden und der kleinste gemeinsame Nenner schwindet. In der Erhebung der Forscherinnen des DEZIM ist die größte Errungenschaft der BLM-Bewegung, dass über strukturellen Rassismus diskutiert wurde. Erstmals wurde breit thematisiert, dass Rassismus nicht nur von Individuen und rechtsextremen Gruppen ausgeht, sondern auch in Institutionen stecken kann. 

Aber an diesem Punkt gehen die Meinungen auseinander. Innerhalb von antirassistischen Bewegungen –  und in der Bevölkerung sowieso. Steckt Rassismus überall drin und ist unüberwindbar? Ist jeder Weiße Mensch rassistisch? Jedes Schulzeugnis, jede politische Wahl, jede Meinung von der Identität der Betroffenen verzerrt? 

Ein SPIEGEL-Essay argumentierte gerade, dass die Critical Race Theory – also die Theorie, dass Gesellschaften zutiefst von Rassismus geprägt sind – sogar der Untergang der liberalen Ordnung sein könnte. 

Rassismus ist unübersichtlich geworden und der schöne, redliche Anlass für den Demobesuch ist plötzlich ein Minenfeld. Vielleicht sind deshalb 42 Prozent der Deutschen der Meinung, dass es jetzt mal reicht. Sie glauben, Schwarze Menschen seien zumindest teilweise zu empfindlich, wenn von Rassismus in Deutschland die Rede ist. Das hat die diesjährige Mitte-Studie erhoben

Am Brandenburger Tor bleiben die Black Lives Matter-Aktivistinnen wohl erstmal unter sich. 

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