Diese Tokio Hotel Fan-Doku steckt immer noch voller Angst, Schrecken und Spaß

Die Frage, was die Jungs von Tokio Hotel heute machen, wird regelmäßig beantwortet. Die vier Magdeburger sind momentan mit englischsprachigem Elektropop unterwegs. Doch was ist eigentlich mit den Horden an Fans, die damals selbst die Backstreet Boys-Groupies in Sachen Obsession und Liebe in den Schatten stellten und deren Nachfolger – die Justin Bieber-Fans – nur ein Schatten ihrer Vorläufer sind?

Ganz besonders ist hier “Koffer-Vany” zu erwähnen, die mit ihrem Reisekoffer zu allen Konzerten der Band fuhr. Die damals 17-Jährige wurde durch die Pro 7-“Doku”-Reihe U20 – Deutschland, deine Teenies bekannt, denn Vanessa war Tokio Hotels größter Fan. Und das ist noch untertrieben. Vanessa war im wahrsten Sinne des Wortes Chefin aller ernstzunehmenden Fans und eine Person, der man nicht in die Quere kommen sollte.

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Teil 1:

Was beim Rewatch von U20 auffällt: Die unglaubliche Mühe, die man sich bei Pro 7 gab, die Fankultur rund um Tokio Hotel in ein schlechtes Licht zu rücken. Jeder Satz der 17-Jährigen wird sofort von einer Voice Over-Stimme eingeordnet, die Vanessa als unberechenbar, außer Kontrolle und hysterisch darstellt. Doch wenn man sich nicht davon beeindrucken lässt, fällt die Hingabe und außerordentliche Detailarbeit auf, die hier quasi ehrenamtlich geleistet wird.

Vanessa hat nicht nur auf dem Schirm, wann jedes einzelne Konzerte der Band ist, sie hat sogar den Ferienkalender anderer Bundesländer auf dem Plan. Das ist auch nötig, denn bei einem Konzert in Luxemburg haben die Fans aus Niedersachsen früher frei – also muss Vanessa die Leute aus ihrer Crew so organisieren, dass sie trotz alledem ihre Plätze in der ersten Reihe sicher haben. Wenn man dafür drei Wochen die Schule schwänzen muss, dann ist das halt so. Egal was andere sagen: Genau diese Einstellung – das ist die Definition von Punk.


Thump-Video: “Footwork in Tokio (Trailer)”


Weniger Punk, mehr BWL hingegen ist die Organisationsstruktur, die Vanessa und der Rest ihrer Mannschaft aufgebaut haben, um sicher zu gehen, dass der Platz in der ersten Reihe wirklich immer sicher ist. In Luxemburg sind ihre Leute 72 Sunden vor Konzertbeginn an der Halle. Selbst bei Regen werden keine Plätze aufgegeben. Vanessa darf als Chefin 48 Stunden später kommen und muss nicht draußen bei den anderen schlafen. Auf sie und ihre rechte Hand Mara wartet ein trockener Schlafplatz in einem Auto. Als Mara vorschlägt, die Koffer draußen bei den anderen zu lassen, damit sie nicht auf ihnen schlafen müssen, kommt von Vanessa nur: “Klar schläfst du auf Koffern. Mein Koffer steht nicht draußen bei den Fans.” Wer ist hier jetzt der Boss, Kollegah?

Teil 2:

Doch das ist noch lange nicht alles. Eine kleine Splittergruppe folgt dem Nightliner von Tokio Hotel, damit jederzeit klar ist, wo die Band sich aufhält. Während vor der Halle in Luxemburg Sanitäter heiße Brühe verteilen, damit die wartenden Fans sich nicht unterkühlen, erklärt Vanessa, dass das noch gar nichts sei. Bei dem Konzert in Dortmund würden sie und ihre Crew mehr als 20 Tage vorher ihre Zelte aufschlagen. Der Kampf um die erste Reihe ist härter als der ums neue iPhone.

“Klar schläfst du auf Koffern. Mein Koffer steht nicht draußen bei den Fans.” Wer ist hier jetzt der Boss, Kollegah?

Nach der Tokio Hotel-Show in Luxemburg geht es nach Dortmund. Vanessa hat nicht viel Zeit, denn es muss bestimmt werden, wer aus der Crew dieses Mal in die erste Reihe darf. Die Gruppe, die Vanessa anführt, passt nämlich nicht komplett in eine Reihe. Es gibt klare Regeln: Wer schon da ist, hat sehr viel bessere Chancen als die, die erst später anreisen. Doch in Dortmund gibt es reichlich Probleme für die Gruppe.

Der Kleingartenverein, vor dem sich etliche Zelte und wesentlich mehr Teenagerinnen versammelt haben, ist mit den Wildcampern nicht einverstanden. Im Morgengrauen wird die Gruppe von der Polizei geweckt und verscheucht. In Deutschland im allgemeinen – und in Kleingartenvereinen im Speziellen – herrscht halt Zucht und Ordnung. Wo kommen wir denn hin, wenn ein Haufen Kids draußen übernachtet, statt vor der Glotze zu hängen? In einer späteren Nacht werden die Fans von Betrunken angegriffen, die mit Messern die Zelte aufschneiden, während die Mädchen in ihnen schlafen.

Im Morgengrauen wird die Gruppe von der Polizei geweckt und verscheucht. In Deutschland im Allgemeinen – und in Kleingartenvereinen im Speziellen – herrscht halt Zucht und Ordnung.

In einem Moment, in dem Mara ohne ihre Freundin/Chefin in den Supermarkt geht, wird auch geklärt, wie Vanessa ihre Macht etabliert und hält: “Ich mache oft was Vany sagt, das stimmt. Aber auch nur, weil sie einem relativ gut drohen kann. Und einen auch gerne mal schlägt oder sowas.”

Doch selbst das ist für U20 – Deutschland, deine Teenies nicht genug Drama. Als erstes wird ein Moment genutzt, in dem Mara alleine ist. Vanessas Vater und ihre Stiefmutter kommen am Hauptbahnhof an und schon gibt es Ärger. “Da sind sie. Wie die Penner. Das gibt’s doch nicht. Das ist das Letzte”, kotzt Vanessas Vater, noch bevor er seine Tochter begrüßt. Vorher wurde schon gezeigt, wie die Jugendlichen extra einen Mietwagen organisierten, um jeden Tag zu Duschen fahren zu können und auch sonst wird sehr auf Sauberkeit und Äußerlichkeiten wert gelegt. Auf jedem Festival ist es am zweiten Tagen dreckiger, als bei diesem Haufen Tokio Hotel-Fans nach circa einer Woche.

Teil 3:

Vanessas Eltern versuchen trotzdem, sie zum gehen zu bewegen. Doch die erste Reihe ist wichtiger und der Zusammenhalt der Truppe auch. Ihre Eltern ziehen enttäuscht ab, aber nicht ohne ihr Essen (zwei Packungen Toffifee) und 150 Euro zu überlassen, weil sie Angst haben, Vanessa würde sonst kriminell werden, da sie schon seit Tagen pleite ist. Am Anfang der “Dokumentation” (ich kann nicht genug Anführungszeichen um dieses Wort setzen) äußerte der Vater schon seine Bedenken, dass Vanessa sich im Zweifel auch prostituieren würde, um Tokio Hotel sehen zu können. Diese Sorge konnte ihm Vanessa auch nicht ausreden, als er sich haarklein von seiner 17-jährigen Tochter erklären ließ, mit wem aus der Band und ihrem Umfeld sie denn jetzt schlafen würde.

Auf jedem Festival ist es am zweiten Tagen dreckiger, als bei diesem Haufen Tokio Hotel-Fans nach circa einer Woche.

Nachdem das Zeltlager schon wieder wegen Wildcamperei vom Ordnungsamt geräumt wurde, bietet die Stadt Dortmund eine Messehalle als Unterkunft an. Doch dieser ganze Aufwand lohnt sich am Ende noch nicht mal. Bill ist krank, das Tokio Hotel-Konzert muss ausfallen. Außerdem wird Vanessa von Mara hintergangen, die ihr Konzertkarten klaut. Und an diesem Punkt rastet sie auf eine Art aus, die jeden Klischee-Mafiaboss vor Neid erblassen lassen würde. Vanessa wird so sauer, dass der Satzanfang komplett unverständlich ist, aber “Ich würde meiner eigenen Mutter aufs Maul schlagen, wenn ich Tokio Hotel nicht demnächst sehe” kommt dann doch deutlich artikuliert beim Zuschauer an.

Eigentlich lässt sich sagen, dass Vanessa nur zur falschen Zeit in der falschen Musikrichtung unterwegs war. Im HipHop wäre es wirklich okay gewesen, wenn sie auf ihre Ausbildung geschissen hätte. Denn da hätte sie es mit ihrer Attitüde, Disziplin und Durchsetzungskraft bis ganz nach oben schaffen können. Doch ihr einziger Ausflug in die Musik scheiterte leider. Sie wählte einfach das falsche Genre:

Aber vielleicht ist jetzt, sieben Jahre später, die Chance für ein Comeback Vanessas gekommen. Mit der Verurteilung von Schwesta Ewa ist ein Platz freigeworden, den “Koffer-Vany” besetzen könnte, um die neue starke Frau im deutschen Rap zu werden. Das Potenzial hat sie auf jeden Fall.

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