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Dieser 70-Jährige ist in wenigen Jahren zum gefragten DJ aufgestiegen

Clubszene in Berlin: Dieser 70-jährige DJ erklärt, wie du vom Atmen high wirst

Der ziemlich sicher älteste DJ Berlins wohnt in einer Altbauwohnung voller Teppiche, Schnickschnack und Akustik-Gitarren. Es sieht nicht so aus, als ob hier ein Typ zu Hause ist, der auf Dark-Techno-Parties in den größten Clubs Berlins auflegt. Und der souverän in Jeans und T-Shirt in Läden an der Schlange vorbeiläuft, vor denen du – als man noch durfte – endlos rumgestanden hast.

Wer ist dieser Typ? 

Mit 60 war Robert Bennett noch ein netter älterer Herr, ein unbekannter Liedermacher, der Abends in gediegenen Jazzclubs Jimi-Hendrix-Cover sang. Mit 70 ist er der “Robot”.

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“Ich kam auf diese Welt und fand sie richtig, richtig scheiße”, sagt der “Robot”.  Und er hat Recht. Als er in Randfontein, einer kleinen Stadt bei Johannesburg, geboren wurde, herrschte in Südafrika noch die Apartheid. Sein Vater war Goldminen-Arbeiter, ständig zogen sie um.

Johannesburg war zur Zeit der Apartheid ein rassistischer Moloch. Zwei Dinge machten Robots beschissenes Leben ein bisschen schöner: Musik und Meditation.  Auf einem sehr alten Plattenspieler hörte er als Kind die Platten-Sammlung seiner Eltern, vor allem Opern und Ballette gefallen ihm. “Ich liebe Carmen und Madama Butterfly und mein Lieblingsmusikstück für alle Zeiten ist Strawinskys ‘Le sacre du printemps’”. Wenn er nicht Musik hörte, meditierte Robot mit seiner Oma, die zum Buddhismus konvertiert war: “Sie stand echt auf Zen.”

Rassismus und Briefbomben

Aber die beschissene Welt, die rassistische Diktatur, verschwand nicht von allein. Also verteilte der Schüler Robot heimlich Flugblätter und Poster. Regelmäßig bekam seine Familie Besuch vom BOSS, dem Büro für Staatssicherheit, das Dissidenten aufspürte, um sie einzuschüchtern. Robot blieb trotzdem dabei. Als Student trat er einer linken Studierendenorganisation bei, meldete Demos an und spielte dort Jimi Hendrix auf seiner Gitarre. Für den ANC, der nach dem Ende der Apartheid ab 1994 an die Macht kommen sollte, schmuggelte er Nachrichten von der Elite im Exil an die Untergrundkämpferinnen im Land. 


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Endlich hatte Robot das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Aber die Beschissenheit der Welt holte ihn wieder ein. Anfang der 90er öffnete eine Ex-Freundin von Robot, ebenfalls Aktivistin, einen Brief mit einer Bombe darin. Er stammte vom südafrikanischen Geheimdienst, glaubt Robot. Die Freundin und ihre kleine Tochter werden bei der Explosion getötet. Sie sind nicht die einzigen, die Robot im Kampf gegen das Regime verliert. 

Bei einer Demo wurde Robot schließlich verhaftet und bedroht, sagt er. Um seine Familie zu schützen habe er beschlossen, auszuwandern.

“Alles war fucked. Ich war in diesem widerlichen, schrecklichen Land aufgewachsen. Ich war echt wütend auf das Regime, ich wollte Menschen töten.” Sein Plan war, nach Angola zu gehen und dort an der Front gemeinsam mit dem ANC gegen die Apartheid zu kämpfen. In einer Wohnung in Braamfontein traf er heimlich einen ANC-Gesandten, der ihm ausrichten ließt: An der Front nehmen wir keine Weißen.

LSD und Hedonismus

Robot steigt in ein Flugzeug nach London. Er schuftet auf Baustellen und in Restaurants und überlegt, was er mit dieser beschissenen Welt anstellen soll. Dann gibt ihm jemand LSD und nimmt ihn mit auf ein Konzert.

“Ich hab mich gefragt, warum die Leute so schrecklich zueinander sind, warum sie Rassisten sind und Krieg machen und Frauen scheiße behandeln. Und dann bin ich zu den Hippies gegangen.”

Robot Bennett macht eine Yogapose bei der sein Gewicht auf den Händen balanciert
Der Robot beim Yoga | Foto: Robert Rieger​​

Robot gefallen die Ideen von einer bunten, friedlichen Welt. “Ich hab nie einen rassistischen Hippie getroffen. Nur homophob waren manche von denen. Verrückt eigentlich.” Und wie so viele Hippies, beschließt Robot eines Tages, über Land nach Indien zu reisen. Mit 150 Pfund und seiner Gitarre. “Ich wusste, dass ich die vermutlich hier und da zu Geld machen kann.”

Robot landet in einem Stripclub in Bangalore. Mit zwei Indern und einem Amerikaner spielt er als Lückenfüller zwischen den Nummern der Frauen. Robot lernt ein paar Hindi-Songs, aber meistens spielt er Grateful Dead oder Bob Dylan. Geld gibt es für die Auftritte nicht – aber sehr gutes Essen und manchmal einen Schlafplatz. “Das war großartig. Wenn wir frei hatten, hingen wir in die Opiumhöhlen und sie rauchten Opium, ich Hasch.”

Aus den 150 Pfund wird ein kleines Vermögen, denn als lukratives Nebengeschäft schickt Robot indisches Haschisch an die Hippies zu Hause in London – und bekommt dafür LSD, das er den Hippies in Goa verkauft. Er lebt eine Weile in Ashrams, in denen er, zur Abwechslung wochenlang komplett nüchtern, Yoga und indische Philosophie lernt. “Ein total paradoxes Leben war das.

Dann wird eine der Hippies, in die er sich verliebt hat, von ihm schwanger. Robot, die Frau und das Baby reisen zurück nach Großbritannien.

In Wales studiert er Psychologie. Und langsam wird aus Robot, dem jungen Hippie, ein alter Hippie.

Techno im Untergrund

Anfang der 80er zieht Robot nach Berlin. “Es war diese verrückte Insel

voller junger Leute.” Robot ist Therapeut und gibt Yogastunden, Abends singt er mit seiner kleinen Band in Kneipen. Er führt ein Leben, wie es einem alten Hippie angemessen ist.

In den Ferien besucht ihn sein ältester Sohn, oft hat er einen Stapel Kassetten dabei, die er im Auto einschiebt. Einmal, Ende der 80er, ist ein Mixtape mit neuem Zeug aus Detroit und Chicago darunter: elektronische Musik.

“Ich meinte zu meinem Sohn: Sam, ich mochte deinen Musikgeschmack noch nie, aber das ist echt der Tiefpunkt. Das ist verfluchte Computermusik, das ist furchtbar”, sagt Robot.

Immer wieder spielt sein Sohn die Musik auf voller Lautstärke, bis Robot eines Tages merkt, dass sich einer der Bässe in seinem Kopf festgefressen hat. “Ich höre ihn schon wieder, jetzt, wo ich drüber rede.” Robot überspielt sich das Tape und ein paar andere, der Techno zieht in sein Leben.

Robot ist fast 50, da erzählt ihm jemand von einer Party am Ku’damm mit 5000 Leuten. Er fährt rüber, betrachtet die jungen, bunten, highen Menschen auf der Loveparade und denkt: Das sind meine Leute. 

“Wenn du zu einer Bewegung gehörst, magst du die nicht, die danach kommen. Wir Hippies waren bunt und relaxed, die Punks schwarz gekleidet und schlecht gelaunt. Ich habe die Punks gehasst. Dass nach ihnen wieder bunte Leute kamen, war genau mein Ding.”

Robot lernt auf der Loveparade ein paar Leute kennen, die ihn mitnehmen in die explodierende Berliner Technoszene. Als die Mauer fällt und es in den leeren Hallen in Ostberlin geheime Raves und illegale Parties in Parks gibt, tanzt mittendrin Robot, fast 60, mit grauen Haaren. “Einmal haben wir in einer alten Fabrik gefeiert, voller Müll und Schrott. Ich meinte zu meiner Freundin: Das wäre ein guter Club. Heute ist es das Sisyphos.”

Atmen statt Speed

Dann geht alles ziemlich schnell. Als Liedermacher hat Robot ein Aufnahmestudio zuhause. Er mischt ein paar elektronische Tracks und spielt sie bei einem seiner Meditationskurse. Ein Clubbesitzer spricht ihn darauf an – und bucht Robert, der sich jetzt Robot nennt, für einen Gig: drei Stunden in der Rummelsburger Bucht. 

Robot ist 67.

“Ich werde echt nervös, wenn ich auftrete, ich fange an zu zittern”, sagt Robot. Den Abend vor dem ersten Set verbringt er im Bett, um ein bisschen zu schlafen, aber er ist zu aufgeregt. Um vier Uhr rollt er mit seinem Auto voller Equipment im Club vor.

“Wenn du mit einer Gitarre auftrittst, konsumieren die Leute dich. Wenn ich Techno auflege, ist es, als wären wir alle – das Publikum und ich – eine Gemeinschaft.” Robot hat seine Leute gefunden. 

Nahaufnahme von Robot Bennett, er hat ein faltiges Gesicht und strahlend blaue Augen
Defokussieren macht High | Foto: Robert Rieger​​

Manchmal erwischt er sich, wie er die jungen Menschen, die jetzt seine Freunde sind, über ihren Drogenkonsum belehrt. Seine Freunde sagen dann, er sei alt und konservativ.

“Ihn finde, die Leute nehmen zu viele Drogen und ich mag den Mix nicht, den sie konsumieren”, sagt Robot. 

“Wir Hippies haben Acid genommen und wenn wir runterkamen ein bisschen Cannabis geraucht, aber wir haben nicht gemischt. Ich finde LSD noch immer sehr nützlich. MDMA auch, aber ich nehme kein Speed und ich habe nie Ketamin probiert.” 

Robot wartet mindestens drei Monate, bis er wieder konsumiert. “Ich nehme was und bin high für eine Woche, das ist herrlich.” Außerdem werde der Kater mit dem Alter nicht unbedingt besser. 

Alt aber high

“Einige meiner besten Freunde sind Mitte 50 und gehen regelmäßig in Clubs”, sagt Robot. Aber 50 ist nicht 70 und ab und zu ist er doch ein bisschen einsam, als ältester Mann im Club. Und manchmal, ganz selten, ist es hart. An solche Momente erinnert sich Robot genau und wirkt dabei ein bisschen verletzt. 

“Ein Brite meinte mal: ‚Hey Opa, was machst du denn hier?’ Und einmal sagte ein besoffener Deutscher, als ich mich mit einem Freund unterhielt: ‚Ist das hier der Rentnerclub?‘Die meisten jungen Menschen im Club seien aber nett zu ihm. “Sie fragen ganz höflich, wie alt ich bin, dann umarmen sie mich ganz fest, und dann sagen sie, wenn sie in meinem Alter sind, wollen sie auch so sein.”

Wenn Robot im Club ist, sagt er, passiere es ihm ziemlich oft, dass junge Leute zu ihm kommen und sagen: 

Hey Mann, kannst du mir bisschen Speed verkaufen?

Nein, er habe keins, sage Robot dann.

Klar, Mann, ich seh das doch in deinen Augen!

Dann erkläre Robot, dass er oft auf Drogen verzichte und stattdessen durch

Atmen high werde. Seine eigene Mischung: buddhistische Meditation,  Hippietum, indische Philosophie. Wenn man mit 70 etwas gefunden hat, das einen die Beschissenheit der Welt vergessen lässt, ist ein Technoclub der beste Ort, um dieses Wissen weiterzugeben.

Robot erklärt seine High-durch-Atmen-Technik so:

“Schritt eins: Sei in der Gegenwart. Denk nicht daran, ob jemand deine Jacke klaut oder wo deine Freunde sind. Sei nicht durstig, fühl dich sicher.  

Schritt zwei: Atme tief. Und ich meine: tief. Das gute an Technomusik ist, dass sie so laut ist, dass das keiner das komisch finden wird. 

Schritt drei: Schließ die Augen, oder nicht. Aber defokussiere deine Augen. 

Schritt vier: Mache eine akzentuierte, rhythmische Bewegung. So wie Derwische in der Türkei oder Metaller mit dem Headbanging, aber nicht zu sehr, weil das Kopfschmerzen verursachen kann. 

Schritt fünf: Stampfe mit den Füßen, das gibt Halt, wenn du dir schummrig ist. 

Zwei Minuten, dann bist du high.”

“Die Menschen sagen: Das ist doch Eskapismus. Aber ich sage, es ist das Gegenteil: Ich komme zu mir, bin still und weiß, die Welt um mich herum bewegt sich weiter.”

Denn leider, sagt Robot, ist die Welt noch immer ziemlich beschissen. Da ist die Pandemie, wegen der er schon ein paar Wochen nicht im Club gewesen ist. Und natürlich gibt es immer noch Rassismus und Ungerechtigkeit. Aber so wie andere in die Kirche gehen, gehe er eben Sonntags in den Club, um den Glauben an das Gute nicht zu verlieren. 

Irgendwann würde Robot gern im Berghain auflegen, nicht nur dort tanzen. Und eigentlich auch sonst überall auf der Welt. Auf seiner Facebookseite hat er seinen Slogan aufgeschrieben: Bucht mich, bevor ich sterbe!

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