Um eine Zucchini-Blüte zu pflücken, ging Dailey Crafton in den Garten seiner Brooklyner Wohnung, eine kleine von einem Metallzaun umzäunte Fläche hinter dem Haus. Zwischen den Erdbeeren und dem dreckigen Boden fand er eine der orangen Blüten und nahm sie mit – die finale Zutat für seine neuestes Bier.
Doch auf dem Weg zurück in die Wohnung bemerkte er, wie Ameisen aus der Blüte herauskrabbelten. Dailey, ein Grafikdesigner und stämmiger Bierbrauer, gab die Zucchini-Blüte in sein noch ungegorenes Bier, in der Hoffnung, dass die wilden Mikroorganismen auf den Blütenblättern einen einzigartigen, leicht säuerlichen Geschmack kreieren würden.
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Dann kam ihm eine Idee.
„Ach, was soll’s”, dachte er sich. „Ich schmeiß’ die Ameisen auch rein.”
Er hatte gehört, dass Hummeln natürliche Mikroorganismen haben, die nicht nur für die Gärung des Biers, sondern auch für einen lebendigen, feinherben, manchmal sogar richtig saftigen Geschmack sorgen können.
Also dachte er sich, warum nicht auch bei Ameisen? Und er schmiss sie lebendig in seine Bierwürze.
Wer wie Dailey sogenanntes Sauerbier braut, für den können Insekten Gold wert sein. Dabei geht es nicht direkt um die Insekten, sondern vielmehr um Bakterien, die sich nicht nur in der Luft, auf Obst und Gemüse, sondern eben auch in und auf den Insekten befinden. Diese kleinen Organismen können zum Gären von Bier über Wein bis hin zu Brot und Käse benutzt werden und den Produkten am Ende eine säuerliche Note geben.
Der Hefestamm ist zwar immer unterschiedlich, Brauereien nehmen jedoch generell zwei Hefearten: untergärige oder obergärige Hefe. Die kaufen sie in großen Mengen, der genaue Hefetyp ist bekannt und für eine gleichbleibende Qualität laborgeprüft. Einige Brauereien kaufen auch Bakterien, um das Bier absichtlich zu säuern und ein paar wenige nehmen wilde Mikroorganismen zu Hilfe, indem sie das noch nicht gegorene Bier an der Luft stehen lassen.
Doch seit Kurzem haben Brauer eine neue interessante Möglichkeit entdeckt: Sie nehmen die Bakterien aus Insekten. Das hört sich zwar nach einer verrückten Idee von Marketingexperkten an, die ihnen bei ein paar Bier zu viel gekommen ist, doch auch Wissenschaftler haben mit dieser neuen Form der Biergärung erste Experimente gestartet.
Dailey Crafton, der auch Brauereikurse bei The Brooklyn Kitchen gibt, hat das erste Mal von Jeff Mello gehört, dass Insekten auf ihrem Körper und in ihren Mägen praktische Mikroben mit sich herumtragen. Jeff katalogisiert bei Bootleg Biology Hefen und Bakterien in den gesamten USA, dafür schicken ihm Hefefans Proben aus ihrer Stadt, die er sammelt und dokumentiert. Ein Hobbybrauer hatte ihm eine Probe geschickt, die er genommen hatte, nachdem er eine Biene in der Würze – dem ungegorenen Bier – eingelegt hatte.
„Ich nehme an, dass die Bienen den Nektar mit ihren Mundwerkzeugen verarbeiten, weshalb auch in Honig natürliche Hefen vorkommen”, meinte er. „Wir haben seine Bienen-Hefe vermehrt, die macht richtig gutes Bier.”
Wissenschaftler wissen seit Jahren, dass Insekten Organismen, die bei der Gärung helfen können, mit sich herumtragen, doch erst vor eine paar Jahren fragte sich jemand, ob man damit nicht auch Bier machen könnte.
2014 versuchten Forscher an der North Carolina die Hefestämme in Wespen zu identifizieren und zu isolieren. Wie Dr. Anne Madden beschreibt, haben sie dafür die Insekten zu Pulver gemahlen und die Überreste in eine Nährlosung gegeben, damit die Mikroben sich vermehren konnten.
Nachdem sie Hefen genetisch untersucht haben, um sicherzugehen, dass sie auch ungefährlich sind, gaben sie sie in die Würze. Doch damit auch zu brauen war einfacher gesagt als getan, erinnert sich Dr. Madden. Obwohl Hefe zu 50 Prozent zum Geschmack des Bieres beiträgt, kann man nicht mit allen Hefen gutes Bier machen, so die Forscherin. Mit den wenigsten sogar. Entweder sterben sie durch den Alkohol, den sie produzieren, bei 1 bis 2 Prozent ab oder sie sorgen für einen Geschmack nach Pferdedecke, den die meisten Biertrinker nicht wollen.
Es war also eine Überraschung für Dr. Madden, als ihr Bier nicht nur trinkbar, sondern sogar richtig gut wurde. Bei einigen Biersorten, die sie brauten, produzierten die Hefen Aromaverbindungen, sogenannte Ester, die an Apfelsaft oder Honig erinnerten.
„Es hat überraschend spritzig geschmeckt, ohne einen komischen Beigeschmack, den man sonst bei Bier aus Wildhefen erwartet”, meinte Madden. „Als wir das erste Wespen-Bier beim World Beer Festival in Raleigh in North Carolina präsentiert haben, konnten die Leute nicht genug davon bekommen und wir hatten schon bevor das Festival zu Ende war alles verkauft.”
Doch die Wespen-Hefe ist auch deshalb so interessant, weil sie das Bier ansäuert. Es schmeckte feinherb und nach reifen Früchten. Sogenannte Sauerbiere werden normalerweise aus einem Bakterien-Cocktail gemacht, das kann Monate oder auch Jahre dauern. Doch die Wespen-Hefe konnte das Bier in nur ein paar Wochen allein ansäuern, sodass das Risiko, dass andere Bakterien oder „verunreinigende” Hefen eindringen können, sinkt.
Dr. Madden meinte, dass sie auch in Ameisen Hefen gefunden haben, bis jetzt allerdings nur mit Hefestämmen von Hummeln oder WespenBier gebraut haben. Zusammen mit einem Professor für Bioprozesstechnik von der Uni hat sie die Hefe patentieren lassen und verkauft sie über eine Firma an andere Brauer.
Doch renn jetzt nicht einfach los, sammle Insekten und brau dir damit Bier, warnt Dr. Madden. In ihrem Labor kann sie mit genetischen, biologischen und chemischen Texts sicherstellen, dass die Hefen keine gefährlichen Erreger enthalten.
„Auf mikroskopischer Ebene sind Insekten wie ein Dschungel: In ihnen könne Hunderte verschiedener Mikroorganismen leben”, meinte sie.
Dailey Craftons Bier hat noch niemanden umgebracht, aber er weiß auch nicht ganz genau, was drin ist. Letztes Jahr hat er sein Ameisen-Bier – Funky Fresh – bei Brooklyn Kitchen an ein paar Leute verkauft, die unbedingt etwas anderes, etwas Neues probieren wollten. Das Bier war trüb, orange und sehr fruchtig und mal abgesehen vom Kater am nächsten Morgen war die einzige Überraschung, wie gut es am Ende doch schmeckte: frisch und leicht pfeffrig.
Daileysieht sich selbst als Teil einer Nischenbewegung innerhalb der Brauerszene: die Hobbybrauer, die ihre Zutaten selbst in der Natur sammeln. Die meisten befinden sich doch in ländlichen Gegenden, wie die Scratch Brewing Company aus Illinois auf einem Hof in der Nähe des Shawnee Nationalforsts, die alle Zutaten per Hand pflücken. Dailey Crafton jedoch lebt in Brooklyn.
Trotzdem holt er sich Wildhefen aus der Luft oder packt ein Stück Holz, das er in einem Park in Brooklyn gefunden hat, in die Würze. Er macht das nicht, weil er kein Geld, keine Mittel oder keine Ahnung hat. Dailey liebt es einfach. „Ich gehe noch einen Schritt weiter als viele Läden, mein Bier wird vollkommen unkontrolliert gebraut.”
Er will ab jetzt nur noch mit dem Stück Holz brauen, außerdem hat er sich vor Kurzem Fässer von einer Brauerei in der Nähe gekauft und will seine eigene Brauerei in Yonkers nördlich von New York eröffnen.
„Ich will ja nicht träumerisch wirken, aber dieses Unvorhersehbare, darum geht es mir”, erzählte er mir, als wir kürzlich ein paar seiner Holz-Biere bei sich zu Hause verkostet haben. Zwischen den Abfüllungen lagert er das Holz im Kühlschrank, damit die Hefen auf der Oberfläche sich vermehren können. Jetzt ist es ganz weiß, als wäre es mit Reif bedeckt, während es eins mit den Mikroben wird.
„Wenn ich anderen Brauern erzähle, dass ich Bier mit einem Stück Holz mache, fragen sie mich nur: Wovon zur Hölle laberst du? Wenn ich auf einer einsamen Insel ausgesetzt werden würde und einen Gegenstand zum Überleben mitnehmen dürfte, würde ich ein Stück Holz nehmen.”