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Dieser Cyborg verkauft Kompass-Implantate, um unsere Wahrnehmung zu erweitern

Es ist erst zwei Jahre her, dass Liviu Babitz unter dem Namen „Carlos” lebte. Babitz arbeitete undercover als Chief Operating Officer der Menschenrechtsorganisation Videre Est Credere. Dort entwarf und vertrieb er speziell angefertigte Kameras, mit denen Bürger gerade in besonders repressiven Staaten heimlich Menschenrechtsverletzungen aufzeichnen konnten.

Heute entwickelt Babitz künstliche Sinne für die Firma Cyborg Nest, die er 2015 mitgegründet hat. Die Firma ist eines der ersten Unternehmen, die das Biohacking, das eigentlich als DIY-Hackerbewegung gestartet ist, zu einem Geschäft macht. Babitz’ Ziel: Mit seinen Entwicklungen Phänomene wie Magnetfelder und Geräusche außerhalb des Hörbereichs, die für Menschen eigentlich nicht wahrnehmbar sind, erfahrbar zu machen.

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Im Dezember 2016 ließ Babitz sich den North Sense, den ersten künstlichen Sinn von Cyborg Nest, an zwei Brustpiercings befestigen. Das Tool fungiert als digitaler Kompass, der vibriert, wenn er in Richtung des magnetischen Nordpols zeigt. Inzwischen haben schon hunderte sich das wasserdichte, per USB aufladbare Gerät für 350 Dollar bestellt und werden es sich demnächst anbringen lassen. Babitz ist überzeugt: In einer nicht allzu fernen Zukunft werden wir alle Cyborgs sein können.

Motherboard: Ich habe einen Kompass in meinem Handy. Warum sollte ich mir einen am Körper befestigen?
Liviu Babitz:  Bisher war ein Kompass ein Werkzeug: Wenn du ihn brauchst, benutzt du ihn. Wenn nicht, dann nicht. Der North Sense ist aber durchgehend ein Teil von dir. Du lässt ja auch nicht deine Augen oder Ohren zu Hause liegen. Sie sind immer da und schicken Eindrücke an dein Hirn. Da ist ein ständiger Informationsfluss. Und darin liegt der Unterschied. Deine Erinnerung basiert auf dem, was du siehst und riechst, doch bald wirst du dich auch basierend auf deinem Verhältnis zum Magnetfeld der Erde an Dinge erinnern. Das Gehirn wird diese Informationen in unsere Wahrnehmung der Realität integrieren.

Kann das die Wahrnehmung auch über die Erinnerung hinaus beeinflussen?
Manche werden ein physischeres Verständnis ihrer Umgebung entwickeln. Bei anderen beeinflusst es vielleicht die Art zu träumen. Das ist das erste Mal, dass es so viele Leute mit einem neuen Sinn geben wird, also wird sich das noch zeigen. Die Technologie steht hier nicht im Mittelpunkt, sondern die Art, wie sie eingesetzt wird.

Mit unseren Augen und Ohren können wir aber viele verschiedene Informationen aufnehmen, während der North Sense binär ist.
Das ist mit ein Grund, warum wir mit dem North Sense angefangen haben: Es ist eine recht simple Art des Inputs. Wenn du einen bionischen Arm bekommst, wird sich dein Gehirn anfangs furchtbar dagegen sträuben. Bei Sinnen ist es dasselbe, doch du bekommst ja per North Sense keinen kompletten Stadtplan ins Hirn geladen. Es ist aber trotzdem ein Prozess, an den sich dein Hirn gewöhnen muss. Wenn du das Gerät ständig abnimmst, fängst du immer wieder bei null an.

Ihr vermarktet den North Sense als eine Art „sechsten Sinn”, eine evolutionäre Technologie, die Menschen der Natur näher bringen kann. Ist das die Richtung, in die sich die Tech-Industrie deiner Meinung nach entwickelt?
Ständig fragen mich Leute: „Ihr wollt also Menschen zu Robotern machen?” Die Antwortet lautet Nein. Ich liebe den menschlichen Körper, die menschliche Existenz und vor allem das menschliche Gehirn. Wir wollen verstärken und erforschen.

Denkst du, die Menschen haben Angst vor Technologie?
Unsere Generation sieht Technologie noch als etwas, das eines Tages die Welt zerstören wird. Aber langsam geht uns auf, dass sie uns vielleicht sogar helfen, retten, verbessern kann. Manche Technologien setzen wir zu viel ein, aber so lernt man aus Fehlern. Ich glaube, früher oder später werden die Leute aufhören, Biohacker als durchgeknallte Tüftler zu sehen und erkennen: „Oh, die machen tatsächlich wichtige Experimente.”

Vor ein paar Monaten hat das Weltwirtschaftsforum einen Artikel veröffentlicht, in dem es heißt, bis 2020 werde es normal sein, dass Menschen Antennen-Implantate im Kopf haben. Die meisten dieser Ideen sind sehr einfach umzusetzen – es geht nicht um Unmögliches oder Wunschträume. Diese Dinge existieren. Wir müssen nur entscheiden, wie wir sie einsetzen.

Bei Videre Est Credere hast du Überwachung eingesetzt, um die Mächtigen zur Rechenschaft zu ziehen, doch sie kann auch gegen uns verwendet werden. Könnte der Cyborgism nach hinten losgehen?
Ein Computer oder Handy hat eine Kamera, GPS, Mikrofon, Lautsprecher … es kann jede deiner Bewegungen verfolgen. Der North Sense hat keinen Speicher und keine Netzwerkverbindung. Ich kann keine Verantwortung dafür übernehmen, was in der Branche passieren wird, sondern nur für unsere eigenen Werte. Wir sollten uns bei jedem Schritt vor Augen führen, dass sich Dinge immer zum Negativen entwickeln könnten. Eine Art Monster zu erschaffen, das Regierungen helfen könnte, ist das Letzte, was wir wollen. Genau dagegen habe ich jahrelang gekämpft.

Dieser Artikel stammt aus der VICE-Issue „The Future of Technology”. Alle Artikel der Ausgabe findet ihr hier.