Dr. Levi Harrison ist Orthopäde und Chirurg in Los Angeles. Sein Spezialgebiet ist die sensible Behandlung wertvoller Hände und oberer Gliedmaßen, weshalb Hochleistungssportler verschiedenster Disziplinen, von Hockey über Volleyball bis Tischtennis zu seinen Stammgästen zählen. Am häufigsten kommen seine Patienten aus den Mixed Martial Arts (MMA). Die Kämpfer, die sich in Käfigen schlagen, treten und gerne auch mal gegenseitig strangulieren, hinterlassen nicht selten blutgetränkte Matten und bei den Athleten schwere Verletzungen.
Direkt hinter den MMA-Kämpfern stehen die professionellen eSportler ganz oben auf der Behandlungsliste von Dr. Levi. Eigentlich sitzen die eGamer bei ihren Schlachten zwar nur am Schreibtisch— tatsächlich verlassen sie die riesigen Tuniere aber inzwischen nicht mehr nur mit Preisgeldern in Millionenhöhe, sondern tragen teilweise auch drastische Verletzungen davon. Manchmal sind diese so schlimm, dass sie ihre Karriere zu zerstören drohen.
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„Ich kann meine Handgelenksverletzung nicht weiter ignorieren. Es schränkt meine Möglichkeiten ein, so viel zu spielen, wie ich muss, um mithalten zu können”
„Die Körper der Gamer leiden unter den sich ständig wiederholenden Bewegungen”, erklärt Dr. Levi. „Wenn du deinem Körper keine Pause gönnst, hat er keine Chance, sich selbst zu heilen. Ob du nun nonstop am Zocken oder beim MMA-Training bist, der Körper fordert einen Tribut.”
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Unter eSportlern gibt es verschiedene, besonders berüchtigte Leiden: Das Karpaltunnelsyndrom klemmt den mittleren Nerv in der Brust ein und verursacht Schmerzen und Taubheit. Der Tennisarm lässt den Ellbogen schmerzhaft weich werden. Und dann ist da noch die stenosierende Sehnenscheidentzündung, die deinen Finger in einer verkrümmten Position verharren lässt, auch bekannt als schnellender Finger.
Dass eGamer unter Verletzungen zu leiden haben, ist nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, welches Trainingspensum die Keyboard-Athleten alleine abspulen.
Changing Lanes, a documentary series that follows Jimmy “DeMoN” Ho, shows the intense training leading up to an eSports tournament.
„Wenn wir für die großen Turniere trainieren, stehen wir um 09:00 Uhr morgens auf und spielen durchgehend bis nachts um 02:00 Uhr. Und das ist nur das Training im Team”, erzählt mir Jimmy „DeMoN” Ho, der für das Team Champions of Summer’s Rift professionell Dota 2 zockt. „Danach gibt es noch die Replay-Analyse, die wir entweder individuell machen oder als Solo Queue [getrennt vom Rest des Teams], um bestimmte Heroes zu trainieren. Das kann auch noch mal bis zu sechs Stunden dauern. Du wachst auf, wäschst dich und legst wieder los.”
Hai Lam ist einer der prominenteren eSportler, der seinem Körper zu lange zu viel zumutete. Im April verkündete der erst 22-Jährige seinen Rückzug aus dem eSport. Grund: Handprobleme. Lam hatte zuvor League of Legends im Team Cloud9 gespielt.
„Ich kann meine Handgelenksverletzung nicht weiter ignorieren”, lautete Hams offizielles Statement. „Es schränkt meine Möglichkeiten ein, so viel zu spielen, wie ich muss, um mich zu verbessern. Ich kann nicht mehr mit der Anzahl an Solo Queues mithalten, die meine Teamkollegen absolvieren. Es ist ihnen gegenüber nicht fair.”
Andere Spieler, wie Heo “PawN” Won-seok (League of Legends bei Edward Gaming) und Clinton „Fear Loomis” (Dota 2 bei Evil Geniuses) litten unter derart starken Hand- und Armschmerzen, dass sie abrupt aussteigen mussten und entscheidende Spiele verpassten.
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„Ich weiß, dass einige Pro-Gamer aufgrund von Handproblemen ausgestiegen sind”, erklärt Dr. Levi. „Ich wünschte, sie wären zu mir gekommen. Vielleicht hätten wir eine Strategie ausarbeiten können, einen dezidierten Therapieplan, um ihnen zu helfen. Viele Ärzte raten den Gamern, einfach mit dem Spielen aufzuhören, damit sie wieder okay sind. Aber das stimmt nicht. Sie haben bereits ein gesundheitliches Problem entwickelt.”
Viele der professionellen eSportler reisen aus allen Teilen der Welt an, um sich von Dr. Levi behandeln zu lassen.
Viele der professionellen eSportler, die Dr. Levi behandelt, reisen aus allen Teilen der Welt an, nur um sich von ihm behandeln zu lassen. So kamen bereits Spieler aus Australien, Südafrika, England, Kanada und Asien in seine Praxis.
Dr. Levi bittet jeden Patienten, seine Tastatur und seine Mouse oder seinen Controller mitzubringen. Er schaut dann zu, wie die Spieler ihn benutzen und empfiehlt ihnen zwischen fünf und zehn spezielle Übungen und ergonomische Positionen für ihre Hände auf der Basis, was und wie sie spielen. Levis Behandlung für einen League of Legends Spieler sieht anders aus als für einen Super Smash Bros. Spieler.
Indem er den Spieler erklärt, wie sie funktioneller agieren, hofft Levi nicht nur Entzündungsgefahr und Schmerzen zu hemmen, sondern auch, dass die Spieler ihre Actions Per Minute (APM) verbessern.
Dr. Levis Videotutorial für eSportler
Dr. Levi weiß, dass nicht jeder eSportler das Geld hat, um persönlich in seiner Praxis vorbeizukommen. Er veröffentlichte deshalb im vergangenen Jahr ein Video mit einigen grundlegenden Übungen wie Massage- und Druckpunkttechniken sowie dem Hinweis, alle zwei Stunden eine drei- bis fünfminütige Pause einzulegen. Das kann zwar keine persönliche Behandlung ersetzen, doch ist es zumindest mal ein Ansatz, den eSportlern ein grundlegendes Hilfsangebot zu machen, das sie sonst nirgendwo finden.
Selbst bei den großen Events und Turnieren im eSport gibt es keinerlei medizinische Betreuung oder Aufsicht. Auf meine Frage an Ho, ob es in der eSport-Szene überhaupt irgendeinen Offiziellen gebe, der vor gesundheitlichen Schäden warne, lacht er nur.
Spieler sollten langfristig denken und durch pausenloses Training nicht ihre Karriere gefährden.
Stattdessen unterschreiben professionelle Spieler Verträge, die es Unternehmen erlauben, ihren Namen und ihr Image zur Bewerbung von Produkten zu benutzen und einen Teil ihrer Einnahmen einzubehalten—Versicherungen jeglicher Art sind aber unüblich.
„Es ist ein Problem, dessen Ausmaß den Leute noch immer nicht klar ist. Aber es wird der Zeitpunkt kommen, an dem sie etwas dagegen tun müssen”, erklärt mit „Brax” Paulson, Dota 2-Spieler von Champions of Summer’s Rift. „Man denkt, es würde einem niemals passieren, aber dann steht man auf einmal da und weiß nicht, was man tun soll.”
Wie Dr. Levi mir erzählt, hat er aus diesem Grund bereits mehrere eSport-Verbände angeschrieben, mit der Bitte, die Gründung eines Ausschusses zu überdenken, der mit seiner ärtzlichen Hilfe die Events überwache:
„Ich denke, dass sie in geraumer Zeit zumindest ein paar Handspezialisten auf den Events haben müssen, die kontrollieren, dass die Spieler ihre Hände und Arme nicht erheblich schädigen.”
Und von den eSportlern selbst fordert Dr. Levi, dass sie langfristiger denken und durch pausenloses Training nicht ihre gesamte Karriere gefährden.
„Ich habe großen Respekt für sie, und sie werden als Sportler oft unterschätzt. Ich denke, das liegt daran, dass sie die ganze Zeit sitzen, aber ihre Hände und Bänder bewegen sich trotzdem. Sehr viel sogar. Es ist ein Sport. Es ist echt.”