Hussein Sharaffedine, alias Double A the Preacherman
Im Libanon scheint dieser Tage jeder ein bisschen paranoid zu sein—warum das der Fall ist, ist ziemlich offensichtlich. Innerhalb von knapp fünf Wochen gab es fünf Selbstmordattentate von Gruppierungen aus dem al-Qaida Umfeld wie Jabhat al Nusra und den Abdullah Azzam Brigaden, die im Land aktiv sind. Die meisten dieser Attentate richteten sich gegen Hisbollah-Hochburgen im Bekaa-Tal und dem südlichen Vorort von Beirut Dahiyeh—Vergeltung dafür, dass die militante schiitische Gruppe das syrische Regime weiter unterstützt.
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Als Reaktion darauf wurden auf den Straßen nach Dahiyeh Kontrollpunkte errichtet, unbekannte Autos werden mit Argwohn betrachtet und in öffentlichen Bussen wurden Schilder aufgehängt, auf denen freundlich darum gebeten wird, dass die Fahrgäste ihre Jacken ausziehen, bevor sie den Bus betreten.
All das war wahrscheinlich der Grund, warum der 32-jährige Hussein Sharaffedine, alias Double A the Preacherman, Moderator der wöchentlichen Open-Mic-Nacht auf Radio Beirut und Sänger der örtlichen Funkband The Banana Cognacs von den internen Sicherheitskräften in Handschellen abgeführt, 24 Stunden lang festgehalten und zur Anti-Terror-Einheit des Landes gebracht wurde.
Am 22. Januar—dem Tag seiner Festnahme und einen Tag nach einem tödlichen Anschlag im Beiruter Vorort Haret Hreik—wurden Fotos von Sharaffedine in Handschellen bei Twitter gepostet, die in der gleichen Gegend aufgenommen wurden. Der Rapper sieht darauf mehr nach Cholo als nach Salafist aus. Ich habe mich mit ihm getroffen, um darüber zu sprechen, wie es ist, als verdächtiger Terrorist verhaftet zu werden und habe herausgefunden, dass seine „moderne mexikanische Kleidung“ das war, was ihn überhaupt in Schwierigkeiten gebracht hat.
Noisey: Was ist passiert? Was hast du in Haret Hreik gemacht?
Hussein Sharaffedine: Ich bin aus Sidon nach Beirut gereist, wo ich lebe, und habe einen Mechaniker in Haret Hreik aufgesucht, um die Karosserie vom Auto meiner Mutter verschönern zu lassen. Das sollte eine Überraschung werden. Ich bin die Straße entlang gefahren, nachdem ich einen Kontrollpunkt passiert hatte—niemand hatte mich dort gebeten anzuhalten. Plötzlich sah ich diesen Typen im Rückspiegel, der mir mit einer Waffe in der Hand hinterherlief. Ich weiß noch, dass ich dachte „Was zur Hölle passiert hier?“ und mir auffiel, dass er eine militärische Uniform trug, also bin ich an die Seite gefahren und habe meine Hände über den Kopf gehalten.
Nachdem ich angehalten habe, hat er mich mit seiner Waffe gestoßen und versucht, mich aus dem Fenster zu ziehen. Ein weiterer Beamter kam und auch er schlug mich. Dann haben sie mir Handschellen angelegt und mich auf den Rücksitz eines Autos gezerrt, während sich bereits eine ziemlich große Menschenmenge angesammelt hatte. Niemand fragte nach meinem Ausweis. Später habe ich herausgefunden, dass der Typ, der mich verhaftet hatte—die Leute nannten ihn „Rambo“—in der Gegend durch vorherige Vorfälle schon ziemlich bekannt war und während einer Razzia bereits jemanden getötet hatte. Anscheinend wäre ich sein viertes Opfer geworden.
Wo haben sie dich hingebracht?
Sie haben mich auf die örtliche Polizeiwache gebracht. Zu dieser Zeit war die Geschichte schon überall in den Nachrichten. Ein Polizeibeamter zeigte mir eine Whatsapp-Nachricht auf seinem Handy, in der es hieß, dass ich ein bekannter Musiker bin und meine Festnahme keine gute Publicity für die Polizei wäre. Er hat gelacht. Die Leute auf der Station verhielten sich sehr entschuldigend; niemand hat mich angerührt. Sie haben mich gefragt, ob ich gegen den Beamten, der mich festgenommen hatte, Anzeige erstatten wolle. Mir wurde erlaubt mit Freunden zu telefonieren; wir haben Witze darüber gemacht wie verrückt die Situation war.
Aber es gab Komplikationen?
Ich dachte, die Ermittlung wäre zu Ende. Ich hatte meine Entlassungspapiere. Ungefähr um 13:30 Uhr hat mir der befehlshabende Polizist gesagt, dass ich auf den stellvertretenden Chefermittler warten müsse, um die Angelegenheit abzuschließen. Er war anscheinend in der Mittagspause. Um 17:30 Uhr war er immer noch nicht da, also rief der Polizist ihn an. Sie haben mir die Handschellen wieder angelegt und mir gesagt, ich solle mein Handy ausmachen.
Was hat der stellvertretende Chefermittler gesagt?
Dass er meinen Fall an die Anti-Terror Spezialeinheit weitergeleitet hätte. Der Polizist versuchte ihm zu erklären, dass bereits ein Bericht angefertigt wurde und ich ein bekannter Musiker bin, aber das interessierte ihn nicht. Mein Bruder hat mir mitgeteilt, dass ich über Nacht festgehalten werde und dass ich am nächsten Morgen zur Befragung zur Anti-Terror-Einheit gebracht werden würde.
Wie hast du dich gefühlt, als dir klar wurde, dass sie dich nicht freilassen würden?
Ich war wütend. Ich wäre gern ausgeflippt, aber ich wusste, dass es das Beste wäre, ruhig zu bleiben. Ich komme aus einer schiitischen Familie. Es ist nicht wichtig für meine Identität; ich bin nicht besonders religiös. Aber Familie und Herkunft sind im Libanon sehr wichtig. Das ist unsere Kultur. Der Beamte, der mich festgenommen hat, war Schiit und hat mich aufgrund meines Aussehens als abtrünnigen Salafisten bezeichnet. Das war für mich ein neuer Begriff. Mir ist bewusst, dass die Spannungen stark sind—und wenn man sich unsere Geschichte als Libanesen ansieht, sind wir daran gewöhnt—aber es gibt gewisse Vorgehensweisen. An Kontrollpunkten verhalte ich mich immer sehr respektvoll, aber ich wurde überhaupt nicht respektiert. Ich meine, die Sicherheitskräfte sagen uns, dass wir mit unserem Alltag weitermachen sollen, aber ich werde dafür bestraft, dass ich genau das tue.
Sie wollten mich in eine Zelle stecken, aber dank der Argumente von meinem Bruder und der Tatsache, dass den Polizisten bewusst war, dass ein Fehler vorlag und sie das wieder gut machen wollten, durfte ich in der Unterkunft der Beamten schlafen. Ich war aber immer noch in Handschellen.
Wie waren deine Erfahrungen mit der Anti-Terror-Einheit am nächsten Tag?
Die Leute bei der Anti-Terror-Einheit waren eigentlich ziemlich großartig. Sie waren sehr höflich, eine Seite, die ich von Sicherheitsbeamten noch nicht kannte. Als ich mit dem Chef sprach, sagte er zu mir: „Hassan, die Leute, die dich verhaftet haben, sind Idioten.“ Ich fragte: „Warum?“ Er sah mich an—ich hatte die gleiche Kleidung an wie am vorigen Tag—und sagte: „Weil das kein Afghanen-Stil ist, sondern du eher wie ein Cholo aussiehst.“ Ich konnte es nicht glauben. Im Bericht, den die Anti-Terror-Einheit angefertigt hat, steht, dass die Kleidung, die ich trug, nicht mit afghanischer Kleidung vergleichbar wäre, sondern „moderne mexikanische Kleidung“. Ungefähr um 17 Uhr wurde ich freigelassen.
Wie fühlst du dich, wenn du von dieser Erfahrung erzählst?
Danach haben lokale, regionale und internationale Zeitungen angefangen, mich zu kontaktieren—Anwälte, Menschenrechtsgruppen usw. Politiker haben ihre Bestürzung zum Ausdruck gebracht und die Polizisten am Kontrollpunkt in Saida haben sich für das, was passiert ist, entschuldigt. Ich denke das Rampenlicht war unvermeidbar. Die Leute kennen mich jetzt aufgrund dessen, was passiert ist, und nicht aufgrund meiner Musik und das gefällt mir nicht unbedingt. Aber wenn dadurch mehr Interesse entsteht, dann hat das auch eine gute Seite.
Ich hatte immer das Gefühl, dass HipHop als ein Aufruf gegen Rassismus und Engstirnigkeit dienen und auf Fälle von Ungerechtigkeit und Misshandlung aufmerksam machen kann. Wir leben in einem sektiererischen Staat, in dem die Sicherheitslage sehr instabil ist, die Grenzen nicht bewacht sind und den Leuten das Vertrauen in die Sicherheitskräfte und Gerichte fehlt. Eine Menge libanesischer HipHop ist politisch geprägt. Manchmal denke ich, dass das ein Nachteil ist. Musik sollte auch ein Ventil sein. Wenn ich auftrete, äußere ich mich zu den Angelegenheiten der Bürger, aber ich möchte es auch genießen und dadurch entspannen, genauso wenn ich Musik höre. Ich will weiter rappen. Vielleicht habe ich jetzt ein bisschen Spielraum, um über die Polizei zu sprechen. Das habe ich schon vorher gemacht. Ich bin sogar überrascht, dass sie dazu nichts gesagt haben. Ich glaube nicht, dass sie zugehört haben.