Die Theatralik, die sich im Kopf eines Menschen abspielt, auf die Bühne zu bringen, ist eine der größten Herausforderungen der Dramaturgie. Wie zeigt man einem Publikum, das sieben Meter entfernt im Dunkeln sitzt, was sich in der Psyche einer einzelnen Person zuträgt? Für den Theaterregisseur David Woods liegt die Lösung auf der Hand: Man nehme einen Pappkarton.
Woods ist der künstlerische Direktor der experimentellen britischen Theatergruppe Ridiculusmus, die für etwas bekannt ist, das sie selbst als „ernste Komödie” bezeichnet: anarchische Theaterstücke, die sich mit ernsten Themen wie geistiger Krankheit beschäftigen. Dafür betreibt Woods akribische Recherche, die ihn von psychiatrischen Anstalten in Indien zu Schizophrenie-Workshops in Lappland führt.
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Für das neueste Stück von Ridiculusmus, Give Me Your Love, haben sich Woods und sein Regiepartner Jon Haynes dem Thema der MDMA-gestützten Therapie bei posttraumatischen Belastungsstörungen zugewandt. Woods spielt die Figur des Zach, eines Kriegsveteranen, der sich in einem schmuddeligen Pappkarton in seiner Küche im walisischen Port Talbot vor der Außenwelt zurückzieht.
Das Stück ist das zweite aus einem theatralischen Triptychon von Ridiculusmus, das sich komplett um Drogen, geistige Krankheit und die manchmal positive, manchmal zerstörerische Beziehung zwischen diesen beiden Dingen dreht. Das erste Stück, The Eradication of Schizophrenia in Western Lapland, war ein surrealer und komischer Einblick in die Methode des Offenen Dialogs—eine radikale Therapie bei Psychosen, die pharmazeutische Abhilfe komplett überflüssig machen könnte, wenn sie konsequent zu Ende geführt wird. In ihrem nächsten Stück, das den Arbeitstitel The Grief Play trägt, wird sich die Gruppe damit beschäftigen, wie die offizielle Einstufung der Trauer als geistige Krankheit im psychiatrischen Klassifikationssystem DSM-IV zu Medikamentenverkäufen in Milliardenhöhe führen wird, weil wir beginnen werden, in kleinen Pillen einen Ausweg aus dem einzigen unausweichlichen Schicksal eines jeden Menschen zu suchen.
Wir haben uns mit David Woods über Angstzustände, sogenannte „moralische Verletzung” und das Potential von MDMA zur Erhellung der dunkelsten Ecken unserer Psyche unterhalten.
VICE: Hi, David. MDMA-gestützte Therapie für posttraumatische Belastung ist ein Thema, das wie geschaffen fürs Theater wirkt. Habt ihr es deswegen ausgewählt?
David Woods: Bei dem Stück ging es darum, dem System eine Einladung vor den Latz zu knallen, sich Gedanken um alternative Behandlungsmethoden zu machen. Wir haben nicht versucht, diese Therapieform auf die Bühne zu bringen, sondern ein Stück gemacht, das sich dem Thema nähert, um die Kultur zu zeigen, die um Veteranen herum existiert.
Letzten Endes ist unsere Lösung, wie bei den meisten derartigen Problemen, der soziale Anschluss. Also haben wir diese Form des extremen sozialen Ausschlusses auf der Bühne erschaffen. Das Publikum sieht einfach nur einen Karton mit Beinen in einem Zimmer, aber in diesem Karton mache ich im Grunde dasselbe wie Ryan Reynolds in Buried — Lebendig begraben.
Inwiefern hilft MDMA Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung?
Therapeuten in den USA wie Michael und Annie Mithoefer, die eine solche Behandlung anbieten, kümmern sich in einem sehr bequemen Haus in der Vorstadt um die Patienten fast wie um Gäste. Sie sind rund um die Uhr bei ihnen. Die Patienten liegen auf einem Futonbett, tragen eine Augenbinde und hören über Kopfhörer psychedelische Musik. Diese Behandlung ermöglicht es der Person, die chemische Wirkung des MDMA zu genießen.
Was dabei im Gehirn passieren soll, ist Folgendes: Der präfrontale Cortex wird stimuliert, wodurch das logische Denken gestärkt wird. Gleichzeitig werden Angst und Fight-or-Flight-Reaktionen in der Amygdala unterdrückt. Das Gehirn wird auch mit sehr positiven Hormonen wie Oxytocin—dieser Botenstoff ist hauptsächlich dafür bekannt, dass er bei Frauen postnatal ausgeschüttet wird—und Serotonin geflutet, also geht man sehr schnell eine gute Bindung zu dem Therapeuten oder der Therapeutin ein. Es geht nicht so sehr um passives Zuhören, sondern eher darum, den Traumata eine Stimme zu geben, beziehungsweise sie zu verstehen und aufzulösen.
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Ist die Stimme der Traumata das, was letztendlich zu dem Stück geworden ist?
In gewisser Weise, ja. Wir wollten kein Stück machen, das dem Format eines Familiendramas folgt, wo ein großes Geheimnis ans Licht kommt. Achtung, jetzt kommt ein Spoiler: Die Figur in unserem Stück ist eigentlich gar keinen traumatischen Ereignissen ausgesetzt gewesen. Er ist stattdessen davon traumatisiert, von Menschen umgeben zu sein, die verletzt worden sind. Es ist eine Art „Passivtrauma”. Also fühlt er sich unter Druck, so zu tun, als habe er etwas erlebt, das seine Krankheit hinreichend erklärt. Er erfindet Geschichten, aber letztendlich erlebt er dann doch etwas Schlimmes.
Doch es ist wirklich nicht einfach, dieses Thema mit dem gebührenden Respekt zu behandeln. MDMA-Therapie ist so erfolgreich, dass die Ergebnisse eigentlich alles andere als dramatisch wirken. Sie neutralisiert Konflikte, anstatt neue Konflikte zu erschaffen.
Nimmst du selbst jemals MDMA?
Nein. Niemals. Ich bin Sportler auf einem ziemlich hohen Leistungsniveau—ich sprinte regelmäßig 400 Meter—und ich weiß aus meiner Erfahrung mit anderen berauschenden Mitteln, dass MDMA der mächtigste Stoff ist, der mir jemals untergekommen ist.
Doch wenn man so viel recherchiert und Leute, die unter MDMA-Einfluss stehen, zuhört und sich ausgiebig mit ihnen unterhält, dann hat man reichlich, um diesen Zustand als Schauspieler darzustellen.
Im Zuge deiner Recherchen für das Stück hast du mit vielen Veteranen gesprochen, die an Traumata gelitten haben oder leiden. Wie hat diese Erfahrung deine Umsetzung des Stücks und auch seine Handlung beeinflusst?
Wir haben durch Organisationen wie Save our Soldier und Poppy mit Kriegsveteranen geredet. Dabei hatten wir mit Menschen zu tun, die in verschiedenen Konflikten waren, darunter in Nordirland und den Falkland-Inseln.
Eine der ursprünglichen Inspirationen für das Stück war, dass wir etwas von einer kleinen Box mitbekamen, die an einem Kriegsschiff angebracht worden war, um chemische und atomare Angriffe aufzuspüren. Diese Box war versiegelt und am Schiffskörper befestigt, sodass die darin befindliche Person gleichzeitig verletzlich und sicher war. Wir haben uns dann mit einer Frau unterhalten, die in den Falkland-Inseln auf einem Schiff gedient hatte. Sie sagte, unsere eingeengte Inszenierung käme ihrem Gefühl, „Frühstücksfleisch in der Dose” gewesen zu sein, sehr nahe.
Ich kenne nur eine Person, die im Militär gedient hat—ein alter Schulfreund von mir. Ich bin in der Recherchephase auf ihn zugegangen, doch er hat mich schnell auf Distanz gehalten. Er sagte, das sei ein heikles Thema, und niemand würde darüber sprechen wollen.
Es muss eine große Herausforderung gewesen sein, Veteranen zu finden, die bereit waren, über derartige Traumata zu sprechen.
Natürlich braucht es bei Veteranen ein gewisses Feingefühl, denn du weißt nicht wirklich, was dabei an die Oberfläche kommen wird. Wir sind keine Therapeuten und oft werden die Leute ziemlich emotional. Einer der Männer, mit denen wir uns in Salford unterhalten haben, war anfangs ziemlich wütend, weil er das Gefühl hatte, wir würden die Geschichte nicht mit genug Gewalt umsetzen, und das spiegelte nicht seine Erfahrung wider. Zum Glück hatten wir einen Psychologen da, der unsere Entscheidung, ein relativ unbeschriebenes Blatt als Protagonisten zu haben, verteidigte. Wir wollten jemanden, auf den das Publikum etwas projizieren kann.
Viele moderne Konflikte, darunter auch die aktuellen Luftangriffe in Syrien, werden auf große Entfernung ausgetragen, entweder mit Drohnen oder besetzten Luftfahrzeugen. Entsteht dadurch eine andere Art Trauma als bei Bodentruppen?
Die Bezeichnung „moralische Verletzung” wird in diesem Zusammenhang recht häufig verwendet, und das wird auch in Filmen wie American Sniper und Good Kill behandelt. Wir bilden Soldaten dazu aus, auf gefährliche Situationen aggressiv zu reagieren, doch sie werden nicht darin ausgebildet, aus diesem Zustand wieder herauszukommen. Selbst ein Werk wie Homeland befasst sich mit diesem seltsamen Zwiespalt: die Kameradschaft, die Ehrung von Soldaten, Feierlichkeiten in Uniform, doch sobald du nach Hause kommst, sollst du all das einfach wegpacken und dich wie ein Zivilist verhalten. Wir können dieses Thema nicht auf dieselbe Weise angehen wie diese großen Filme, aber wir hoffen, dass wir eine Art unbeschriebenes Blatt bieten können, mithilfe dessen die Leute etwas über diese neue Therapiemethode lernen können.
Theater über geistige Krankheit zu machen, verlangt ein Gleichgewicht zwischen der Vermittlung einer universellen Erfahrung und ziemlich spezifischer Leiden. Findest du das schwierig?
Posttraumatische Belastung ist zwar unser Startpunkt, doch das ist gleichzeitig ein sehr allgemeiner Begriff für verschiedene Arten des psychischen Leidens. Give Me Your Love handelt fast genauso viel von Angstzuständen wie von Trauma. Ich schätze, das ist unsere Metapher für Angstzustände: ein Leben eingeschlossen in einem Karton.
Dieses Stück ist das wohl verstörendste, das wir jemals produziert haben. Es ist ein universeller, existentieller Horrorfilm auf der Bühne. Doch wir haben unsere Figuren auch noch nie auf so eine große Reise geschickt. Ich hoffe, es wird ein wenig Licht in diese äußerst düstere Situation bringen.
‚Give Me Your Love’ wird vom 12. bis 30. Januar 2016 im Battersea Arts Centre in London aufgeführt.