Oimjakon in Russland ist der kälteste dauerhaft bewohnte Ort der Welt. Die durchschnittliche Temperatur fällt hier auf bis zu -50 Grad Celsius, die kälteste jemals gemessene Temperatur lag sogar bei -71 Grad. Anders als in der Antarktis gibt es in Oimjakon ganz normales Leben: Schule, einen Supermarkt und Menschen, die mit der Jagd ihren Lebensunterhalt verdienen. Man sagt, dass in diesem Dorf mit 500 Einwohnern selbst die Vögel im Flug sterben – sie erfrieren.
Anshu Saxena ist 37 Jahre alt und Accountant Manager bei der Food Corporation of India. Er wollte herausfinden, wie kalt es auf der Erde werden kann. Zum Kältepol zu reisen ist allerdings kompliziert, besonders im Winter.
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Man muss an vieles denken: an Kleidung, in der man nicht direkt erfriert, den Transport des Gepäcks, die Sprachbarriere und spezielle Medikamente wie ein Gel, das bei Erfrierungen hilft. Außerdem muss man die Pinkelpausen einplanen und sich mental darauf einstellen, tagelang nur gesalzenes Fleisch ohne Ballaststoffe zu essen.
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Wer es auf besondere Fotomotive abgesehen hat, wird enttäuscht sein, wenn die Kameralinse einfriert und der Akku aufgrund der niedrigen Temperaturen nicht funktioniert. Saxena hat einmal versucht, ein paar Fotos auf dem gefrorenen Fluss Lena zu schießen. Nach wenigen Sekunden waren seine Finger blaugefroren und er musste sie im Auto an der Heizung wieder aufwärmen. Wenn die nächste ordentliche medizinische Versorgung eine Tagesreise entfernt ist, ist man besser vorsichtig.
Saxena hat uns von seinen Erfahrungen an diesem kalten Reiseziel ohne Hotels erzählt – und warum man überhaupt dorthin will.
VICE: Warum reist du freiwillig an einen Ort, an dem sogar Bakterien erfrieren?
Anshu Saxena: Ich liebe die Kälte, die Berge und das Abenteuer, das einen draußen erwartet. Es ist einfach etwas sehr besonderes, so einen verlassenen Ort zu entdecken.
Wie kommst du dorthin, wenn die Straßen gefroren sind und kein Flieger dort landet?
Es gibt ein paar Touristenverbände, die nur ein paar Hunderttausend Rupien für einen Trip verlangen. Die würde ich aber nicht empfehlen. Ich habe viel recherchiert und dann selbst meine Flüge über Moskau nach Nowosibirsk gebucht. Dort habe ich mich mit ein paar Leuten getroffen, die ich über Tinder kennengelernt habe, und mir mit ihnen die Stadt angeschaut. Von Nowosibirsk bin ich nach Jakutsk gereist und von dort aus mit einer Gruppenreise drei Tage die 1.000 Kilometer nach Oimjakon.
Wie reist es sich 1.000 Kilometer durch gefrorene Landschaften?
Die Straßen mit diesen endlosen Wäldern und zugefrorenen Flüssen sind wunderschön. Man teilt sich ein Taxi und überquert die Kolyma Fernstraße, auch Straße der Knochen genannt. Sie wurde während der Sowjet-Ära von Hunderttausenden Gulag-Inhaftierten gebaut.
Wie touristisch ist Oimjakon?
Extremreisende lieben es! Insgesamt ist es aber wenig erschlossen. Selbst Russen kommen nicht hierher. Dabei bekommst du sogar ein Zertifikat, auf dem die Tagestemperatur festgehalten ist. Als ich da war, hatte es -53 Grad. Laut meinem Zertifikat war ich der 947. Besucher überhaupt in Oimjakon und laut meinem Reiseleiter erst der dritte Inder.
Wie sieht der Alltag bei -50 Grad aus?
So ziemlich alles gefriert bei diesen Temperaturen. Quecksilber gefriert schon bei -38,83 Grad. Deshalb nutzen die Menschen hier Alkohol für ihre Thermometer. Handybatterien geben nach 30 Sekunden den Geist auf und um ein Foto zu machen, musst du Batterien und Handy in deiner Kleidung nahe am Körper tragen, sie schnell rausholen und abdrücken. Wenn du hier irgendwas Metallisches ohne Handschuhe anfasst, bleibst du kleben und deine Haut reißt ab. Und wer sein Auto nicht in einer beheizten Garage parken kann, muss den Motor die ganze Zeit laufen lassen.
Was macht man so in Oimjakon, abgesehen von überleben?
Die meisten Bewohner hier jagen oder gehen Eisfischen, einige züchten auch Rentiere und Pferde. Es gibt eine Grundschule, aber wer mehr lernen will, muss wegziehen. Der nächste Zahnarzt ist 750 Kilometer entfernt.
Was isst man an einem Ort, an dem nichts wächst und kochendes Wasser in Sekunden gefriert?
Hauptsächlich Rentier- und Pferdefleisch. Gewürze gibt es dort eigentlich keine. Roher Eisfisch mit Salz ist ein beliebtes Gericht, aber hat mir nicht wirklich geschmeckt. Wodka ist extrem günstig und sehr stark. Eiscreme hat nur -15 Grad, deshalb machen sie dort Witze, dass sie Eis essen, um sich aufzuwärmen.
Und wie genau stirbt man bei diesem Wetter nicht?
Du ziehst ganz viele Lagen an, doppelte Socken und Mützen und bedeckst Nase und Augen. Mit entsprechendem Budget kannst du dir eine russische Eisbärfelljacke kaufen. Ich habe mir in Indien besorgt, was ich dort kriegen konnte, und das hat auch gereicht. Ich würde empfehlen, Fleece-Kleidung, Socken und Schuhe direkt in Russland zu kaufen.
Wie pinkelt man, wenn selbst das Wasser sofort gefriert?
Die Häuser haben alle Außentoiletten, weil die Rohre sofort zufrieren würden. Eigentlich ist das nur ein Verschlag mit einem Loch im Boden. Du erledigst dein Geschäft so schnell wie möglich. In einer einer Minute solltest du fertig sein, ansonsten können dir deine Genitalien abfrieren. Es gibt dort keine Duschen, weil sie kein fließend Wasser haben – stattdessen gibt es Dampfbäder, sie heißen Banjas.
Würdest du anderen empfehlen, hierher zu kommen?
Nur denen, die die Kälte wirklich mögen. Es ist so abgeschieden. Man merkt, wie der Körper gegen das Erfrieren ankämpft. Man sieht, wie die Natur um ihr Überleben kämpft, wo es eigentlich kein Leben geben kann.