Dieser Mann trainiert Österreichs Prepper für den Ernstfall

Mann greift nach Gasmaske

Ein kalter Bunker. Die Decke hängt tief über unseren Köpfen. Die Wände sind grau und schroff, sechs harte Metallbetten stehen im matten Licht der Lampe. Hier sollen Menschen im Ernstfall überleben. Nach der großen Katastrophe. Aber wer erwartet hier, im beschaulichen, hügeligen Süden Niederösterreichs, eine Katastrophe?

Martin Mollay rechnet damit. Schon deshalb, weil er mit der Angst vor ihr sein Geld verdient. Der schlanke 43-Jährige mit den blonden Haaren ist Survivaltrainer, er erklärt Leuten, wie sie im Notfall überleben: ohne Strom, ohne Wasser, ohne Dach über den Kopf. Wenn ein Hackerangriff das Energienetz lahmlegt, eine feindliche Armee über die Grenze kommt, oder ein Meteorit den Großteil der Menschheit vernichtet – Martin ist darauf vorbereitet. Seine Kunden auch. Sie nennen sich “Prepper”, vom englischen “to be prepared”, und überlassen nichts dem Zufall.

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“Ich denke, mir wurde das in die Wiege gelegt”, sagt Martin, als er das Wohnzimmer seines Hauses betritt. Eigentlich ist es eine Baustelle, in der er lebt, “bis vor ein paar Jahren hatte ich noch nicht einmal Türen”, lacht er, und stellt einen bauchigen Krug Wasser auf den kargen Tisch in der Mitte des Raumes. Ein Holzofen steht da, ein Sofa, ein Bett. Und eine Baustellenleiter. Das ist Martins Prinzip: nur das Nötigste.

Ein Notebook gehört auch dazu. Im Zweitberuf ist Martin Softwareentwickler. Ein Widerspruch? “Sicher”, sagt er, und legt etwas Holz nach. “Aber Einatmen und Ausatmen sind auch Widersprüche. Sie gehören trotzdem zusammen.” Martins Haus funktioniere autark: Wasser aus dem eigenen Brunnen, Strom von der Photovoltaikanlage auf dem Dach, im Garten steht ein Kompost-Klo. Er lebt hier allein.


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Nach der Schule sei er zum Bundesheer gegangen, erzählt Martin, und wandert im Raum umher. Still zu sitzen, scheint ihm nicht leicht zu fallen. Er wurde Ausbildner beim Jagdkommando, schon da war das Überleben in der Wildnis sein Thema. “Aber mit dem herben Beigeschmack des Militärischen”, sagt er. Das Heer ließ er bald hinter sich, machte sich selbständig, erst als Trainer für Rafting und Klettergärten, und kam doch wieder zurück zu dem, was er eigentlich machen wollte: überleben. Zu abhängig sei der moderne Mensch geworden. Vom Strom. Vom Handy. Auch von anderen Menschen.

Er entwickelte sein eigenes Survival-Programm. Keines, dass er aus Büchern zusammengekratzt habe, sagt er, sondern rein aus der Erfahrung. In der warmen Jahreszeit sind seine Workshops fast ausgebucht.

“Du kannst zwar 200 Kilogramm Nahrung einlagern, aber was, wenn du plötzlich fliehen musst?”

Das Wichtigste beim Überleben nach einer Katastrophe, dann, wenn nichts mehr funktioniere, sei es, Prioritäten zu setzen. “Du kannst zwar 200 Kilogramm Nahrung einlagern, aber was, wenn du plötzlich fliehen musst? Dann bist du mit dem nackten Leben konfrontiert und musst mit dem umgehen, was du hast”, sagt Martin.

Ein Prepper aus Österreich
Martins Haus funktioniere autark: Wasser aus dem eigenen Brunnen, Strom von der Photovoltaikanlage auf dem Dach, im Garten steht ein Kompost-Klo

Die Leute dächten immer zuerst darüber nach, wo sie etwas zu essen herbekommen, sagt Martin und schüttelt den Kopf, als er die verwinkelte Treppe in den Keller hinunter steigt. Dabei sei Essen in der Liste das Unwichtigste. Trinken, ein sicherer Ort – das müsse zuerst geklärt werden.

In seinen Kursen geht es deshalb um die sogenannte Dreier-Regel, die die Gewichtung der Bedürfnisse verdeutlichen soll: drei Sekunden ohne Aufmerksamkeit, drei Minuten ohne Sauerstoff, drei Stunden unter extremen Bedingungen, drei Tage ohne Wasser, drei Tage ohne Nahrung. Wer drei Sekunden unachtsam sei und von einem Auto überfahren werde, habe nichts mehr von seinen Essensvorräten. Drei Wochen, gibt er zu, hat er zwar selbst noch nicht ohne Nahrung gelebt, “aber nach zehn Tagen ist das schon egal, da merkt man dann, der Körper hat sich angepasst.”

Martin geht nur selten in den Supermarkt. Er selbst ist Veganer. “Männer glauben, wenn sie Fleisch essen, seien sie mehr Mann. Aber die Natur bietet alles, was der Körper braucht, um gesund zu sein.” Bei ihm gebe es statt Fleisch Brennnesseln und Brennnesselsamen, da seien genügend Proteine drinnen.

Prepper, sagt Martin, seien eben ängstliche Menschen

Martin ist im Keller angekommen. In einem der niedrigen Kellerräume steht ein großer Metallschrank mit Vorräten: Konservenbüchsen, Sauerkraut, Getreidesamen, Energieriegel. Genug, um sechs Leute über zwölf Tage zu bringen, sagt Martin, aber er schränkt gleich ein: Viele Prepper würden sich auf das Anlegen von Vorräten versteifen, aber das sei zu wenig. Deshalb möge er auch den Begriff “Prepper” eigentlich nicht, selbst wenn er gleich nebenan ein “Prepper-Hostel” führt. “Der Name ist mehr ein Marketing-Gag”, sagt er.

Sind Prepper eigentlich alle Freaks, die nur darauf warten, dass ein Komet auf die Erde kracht? Naja, meint Martin, die meisten Prepper seien eben ängstliche Menschen, die sich auf einen fiktiven Katastrophenfall vorbereiten, ohne genau zu wissen, wofür. Auch Psychologen bestätigen das. Sie unterstellen den Preppern ein Ideal absoluter Kontrolle, das es nicht gebe. Das könne bis ins krankhafte Verhalten gehen. Obendrein, sagt Martin, seien die Prepper misstrauisch. Die wenigsten würden ihre Vorräte Fremden zeigen. Oder gar ihren Bunker.

Die Angst vor der Gefahr aus Russland

Martins Bunker liegt gleich einen Raum weiter. Hier hält er spezielle Bunkertrainings ab. Für etwa einen Tag lassen sich seine Kunden, zum großen Teil Männer zwischen 30 und 40 Jahren, hier einsperren, um den Ernstfall eines Atom- oder Chemieangriffs zu simulieren. In dem Raums sieht es aus wie in einer Kommandozentrale. Auf einem großen Tisch steht ein Funkgerät, um den Kontakt zur Außenwelt zu bewahren, in einem Schrank liegen Landkarten von Österreich und den Nachbarländern. Die hat Martin immer griffbereit, je nachdem, in welche Himmelsrichtung eine Flucht erfolgen müsste. Martin geht von Westen aus. Die größte militärische Gefahr sieht er nämlich im Osten, in Russland. Wahrscheinlich auch deshalb, weil er als Programmierer und Webhost täglich mit Hackerangriffen von russischen IP-Adressen zu tun hat. Mit Donald Trump ändere sich das vielleicht aber noch, behauptet er.

Kommandozentrale
Martin besitzt ein Funkgerät, um im Ernstfall mit der Außenwelt in Kontakt treten zu können

Sechs Metallbetten stehen hier. Im Schlafraum ist es kalt, nur ein paar Grad über Null zeigt das Thermometer an der Wand. “Aber wenn sich hier sechs Körper aufhalten, kommt es schon auf 18 Grad”, sagt Martin. Er deutet auf die Mauer. Hier soll ein Tunnel zum Prepper-Hostel im Nebenhaus gegraben werden. Dort kann man sich einmieten und für ein paar Tage versuchen, autark zu leben. Holzhacken, Wasser aufkochen. Ohne Smartphone. Ohne Fernseher.

“Es wissen die wenigsten, dass die Regierung riesige unterirdische Anlagen hat”

An der Wand hängen Gasmasken, in der Ecke lehnt eine Sauerstoffflasche. “Wenn ein Meteorit einschlägt und die Luft dermaßen feinstaubbelastet ist, dass du beim Einatmen erstickst, dann rettet mich mein Sauerstoff und meine Filteranlage”, erklärt Martin. Auf die Frage, ob er in einer Welt, die völlig zerstört sei, überhaupt leben möchte, antwortet er etwas ausweichend: “Es wissen die wenigsten, dass die Regierung riesige unterirdische Anlagen hat. Ich werde also sicher nicht der Einzige sein, der überlebt. Es wird immer Menschen geben, die überleben.”

Überleben im Ernstfall, damit kann jeder was anfangen. Aber das klingt nun doch nach Verschwörungstheorie. Das ganz große Thema sei so etwas aber nicht. Vielmehr rechnet Martin mit ganz normalen Stromausfällen. “Und großen Menschenbewegungen”, wie er sagt. Die Klimaerwärmung werde wohl dazu führen, oder Kriege. Er traut dem Frieden nicht: “Es ist wie bei einem Vulkan. Du siehst ihn erst, wenn er ausbricht. Vorher spürst du vielleicht etwas, aber der Ausbruch ist dann unerwartet, in der Nacht.” Plötzlich klingt der Naturliebhaber und Yogi wie einer, der den Untergang des Abendlandes nahen sieht. Der Ernstfall, das sind für ihn “bürgerkriegsähnliche Zustände”, die innerhalb von zwei oder drei Wochen eintreten sollten.

Wie rechts ist die Prepper-Szene?

In Deutschland ist die Prepper-Szene eng mit der politischen Rechten verknüpft. Die Innenminister der Bundesländer setzten die Community sogar schon unter Beobachtung. In Österreich soll das anders sein. Die Betreiber der zentralen Plattform Austrian Preppers beteuern, einen strengen Kurs zu fahren. Wer im Forum politisch agitiere, werde gesperrt.

Zu Martins Workshops kommen ganz unterschiedliche Menschen, sagt er. Darunter seien Abenteurer, Männer, die sich um ihre Familien sorgen und sich wirklich auf den Weltuntergang vorbereiten wollen – und auch ein paar Extremisten, die Waffen zu Hause haben. Er schickt sie nicht weg, diskutiere auch nicht mit ihnen, aber er versuche zu vermitteln.

Pfeil und Bogen
Martin besitzt zwar Schusswaffen, schießt aber lieber mit seinem Bogen

Er selbst halte nichts von politischen Extremen, sagt er. “Wenn ich zu liberal bin, wird es nicht funktionieren. Anders aber auch nicht. Wenn wir Extreme leben, ist es vorprogrammiert, dass es zu Extremereignissen kommt.” Und doch spricht Martin in Codes, die an die rechte Zivilisationskritik der 1930er erinnern: Die Kultur, die sich die westliche Gesellschaft geschaffen habe, sei äußerst empfindlich. “Sie ist ein hohler Krug, und wenn du da eine Münze hineinwirfst, hallt das.” Jedes kleine Ereignis könne das System zum Wanken bringen. “Wenn da eine andere Kulturform, die ein ganz anderes Gewaltempfinden hat, einbricht, dann ist das wie ein Erdbeben.” Martins Ansichten sind nicht so gemäßigt, wie er das gern hätte. Die Bilder vom hohlen Krug oder vom Vulkan sollen harmlos wirken, stellen aber das gegenwärtige demokratische System in Frage.

Eine Tür führt aus dem Keller hinaus in den Garten, hinaus aus den Katastrophenszenarien. Es ist still hier. Nur ein paar Vögel zwitschern. Martin zeigt über die Böschung in den Wald hinab. Bäume liegen am Boden. Es sind Eschen, er musste sie fällen, sie alle sind von einem Pilz befallen. Mehr Holz für ihn zum Heizen, mehr Licht für die Anlage am Dach. Im Garten wolle er bald wieder selbst pflanzen, erzählt er, und lächelt dabei. Die sanfte Mittagssonne deutet den Frühling an.

Eine Tür führt aus dem Keller hinaus in den Garten, hinaus aus den Katastrophenszenarien. Hier wolle er bald wieder Gemüse pflanzen, erzählt er und lächelt dabei. Zufrieden blickt Martin hinauf in den wolkenlosen Himmel. Am Nachmittag werde er wohl paragliden gehen, sagt er beim Abschied. “Aber vorher werde ich noch einen Baum fällen.”

Update vom 6. März 2019, 18:03 Uhr: In der ursprünglichen Version des Textes waren mehrere Stellen so zugespitzt, dass sie die Aussagen von Martin Mollay verzerrten. Wir haben diese Stellen korrigiert.

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