Dieser Musiker beweist, dass die BVG ihren eigenen Humor nicht versteht

Thomas Krüger will nur nach Hause, als er einen unbedachten Witz macht. Wenige Minuten später liegt er auf dem Boden des U-Bahnhofs Berlin-Alexanderplatz. Zwei Sicherheitsleute und vier Polizisten stehen um ihn herum, er hört Handschellen klicken. Seitdem weiß er: Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) sind nicht so lustig, wie sie immer tun.

Es ist die Nacht vom 23. auf den 24. Juni 2017. Krüger, damals 26, ist Musiker und auf dem Heimweg von einem Konzert. Vor fünf Jahren trat er noch in der RTL-Show Das Supertalent auf, sein Gig an diesem Abend war weniger spektakulär: der Absolventenball einer Hochschule. Um 1:15 Uhr steigt er an der Schillingstraße in die U5 Richtung Alexanderplatz. Dort angekommen ruht sich Krüger erstmal auf einer Bank auf dem Bahnsteig aus, bevor er sein 16 Kilo schweres Keyboard, den Ständer und einen Rucksack die vier Treppen zur S-Bahn hochschleppt. Er sagt: “Ich saß keine drei Minuten da, als mich die Sicherheitsmitarbeiterin ansprach.”

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Vorher will Krüger beobachtet haben, wie dieselbe Frau und ihr Kollege bereits einen anderen Mann aus dem Bahnhof gedrängt haben. Jetzt fragt sie ihn: “Was machen Sie hier?” Der Unterton der Frau habe pampig geklungen, so Krüger, als ob er dort herumlungern würde. Krüger antwortet in einer Art, die er für die Sprache der BVG hält, doch genau das soll ihm zum Verhängnis werden.

Die BVG gibt sich als hippes Unternehmen. Sie näht Fahrscheine in Sneaker, wirbt mit nervigen Fahrgästen, Verspätungen und zeitraubenden Fahrkartenautomaten für sich. Krüger gehört zu den Menschen, die die Kampagne lustig finden. Also probiert er es bei der Sicherheitsmitarbeiterin auch mit einem Witz: “Ich warte auf die nächste Bahn zum Hauptbahnhof.”

Die U5 wird gerade Richtung Hauptbahnhof verlängert. Mitte 2020 soll das fehlende Verbindungsstück zwischen Alexanderplatz und Brandenburger Tor eröffnet werden. Drei Jahre hätte er dann auf der Stahlbank gesessen, rechnet Krüger gegenüber VICE vor.

Die Mitarbeiterin kennt die Planungen der BVG auch, ihren Humor teilt sie allerdings nicht: “Anstatt selber mitzulachen, hat sie die Ironie ignoriert und sagte: ‘Da können Sie lange warten. Sie wissen, dass sie hier nicht sitzen dürfen’”, so Krüger. Aber er weigert sich zu gehen. Auch noch, als ein weiterer Sicherheitsmitarbeiter ihm die Beförderungsbedingungen erklärt und als zwei dazu gerufene Polizisten seinen gültigen Fahrschein kontrollieren. Dann zieht einer der Polizisten die Notbremse in seinem Kopf.


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Nach der zweiten erfolglosen Aufforderung zehrt er Krüger auf den Boden und nimmt ihn fest. Ein dritter und ein vierter Beamter werden als Verstärkung angefordert. Sie müssen das Keyboard nach draußen zu tragen, im Schlepptau Krüger, der ganz ruhig mitgegangen sein will. Er wird am Fernsehturm rausgelassen, erhält einen Platzverweis und eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs. Die Polizisten wünschen ihm “noch einen schönen Abend”, sagt Krüger. Als sie weg sind, geht er wieder in den Bahnhof, nimmt die Rolltreppe hoch zur S-Bahn und fährt endlich heim nach Marzahn.

Thomas Krüger ist nicht nur irgendein Jahreskartenbesitzer. Er sagt, er habe in der zweiten Klasse das gesamte Berliner S-Bahn-Netz auswendig gelernt, seit elf Jahren engagiere er sich im Verein Historische S-Bahn. Er sei ein “großer BVG-Fan” und trete dafür ein, “dass die Leute viel mit dem öffentlichen Nahverkehr fahren und einen sauberen ökologischen Fußabdruck hinterlassen”. Den Strafbefehl über 600 Euro will er dennoch nicht auf sich sitzen lassen und legt Widerspruch ein.

Am Dienstag dieser Woche treffen sich die beiden Parteien vor dem Amtsgericht Tiergarten, Krüger hat sein 16-Kilo-Keyboard als Beweisstück dabei. Nett sei die Richterin gewesen und sichtlich amüsiert. “Sie hat geschmunzelt und mich dann belehrt.” Das nächste Mal solle er aufstehen und den Streit draußen klären. Nach acht Minuten wird der Fall eingestellt. Krüger legt der Richterin seine Visitenkarte auf den Tisch (“Für die nächste Weihnachtsfeier!”) und verlässt ohne Strafe das Haus.

Eine Sprecherin des Unternehmens sagte gegenüber VICE: “Wir leben Gott sei Dank in einem Rechtsstaat, ein Urteil ist ein Urteil.” Die BVG akzeptiere den Spruch der Richterin. Ob die Sicherheitskraft sich noch entschuldigen werde, entscheide die Frau selbst.

Was von dem Fall festzuhalten bleibt, ist eine Warnung an alle Musiker da draußen: Wenn ihr nicht gerade ein irischer Möchtegernweltenretter und Multimillionär seid, habt ihr bei der BVG einen schweren Stand. Während Prinz Pi nur über Twitter gedisst wurde, geriet der US-amerikanische Straßenmusiker Infidelix im November vergangenen Jahres in ein Handgemenge mit Fahrkartenkontrolleuren – inklusive Faustschlägen und Schwitzkasten.

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