Irgendwie ist Berlin komplett zugestopft. Randvoll mit guten Ideen für jede Nacht. Doch wer nutzt eigentlich all diese Angebote? Wer hat die Muße auch mal seine Fernbedienung, sein Tinder und sein Kokoswasser beiseite zu legen und in die neuen, in die um- und ausgebauten, in die denkmalgeschützten arty-farty Clubs zu gehen?
Einer, den man immer wieder in den Keller- und Dachgeschossen der Hauptstadt sieht, ist Robert Wimpory. Er tanzt im Mensch Meier, steht beim SchwuZ auf der Gästeliste, hört sich an, was der ikonische Joy-Division-Fotograf Kevin Cummins im Posh Teckel zu erzählen hat, und lässt die Woche beim Konzert von Chilly Gonzales und Jarvis Cocker in der Volksbühne entspannt beginnen.
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Robert ist 47 und wirkt mit seinen langen, hellgrauen Haaren wie ein Manager. Ein Booker. Ein Soundtechniker. Meinetwegen auch ein Familienmitglied. Auf jeden Fall nicht wie der typische Clubgänger. Dafür sieht er immer viel zu wach und aufmerksam aus. Aber selbst wenn er nicht in die Clubber-Schublade passt – in die des Musikbusinesstypen gehört er auch nicht. Der Brite ist tagsüber als Wissenschaftler für das Helmholtz-Zentrum Berlin tätig. Er hat einen Doktortitel in Physik.
Doch während andere nach getaner Arbeit gerne einfach nur die Beine zu Hause hochlegen und eine Folge “The Walking Dead” schauen, ist Robert immer auf der Suche nach etwas Neuem: “Früher wollte ich nur Techno hören, jetzt bin ich da viel experimenteller.” Und so treffen wir uns auch an einem Samstagabend vor dem Amiga Club, wo dieses Mal die Indie-Partyreihe “What Difference Does It Make” stattfindet.
Robert ist der, der im Club jeden abklatscht
Schon als ich an der Mengerzeile 1 in Berlin-Alt-Treptow ankomme, ist er in ein Gespräch verwickelt. Zwei Frauen wollen wissen, wo hier die nächste Party steigt. Robert deutet auf eine Baustelle im Dunkel. Nur ein kleines Licht zeigt einen Durchgang an. Da sollen die beiden rein. Wenn sie dann noch über Stock und Stein gehen würden, stünden sie sehr schnell vor dem roten Schild mit dem schwarzen Amiga-Schriftzug. Drumherum ist es in dieser Gegend von Alt-Treptow unfassbar still. Die beiden sind misstrauisch. Genau wie ich, als ich da über die lose herumliegenden Bauklötze stolpere.
“Ich kenne viele Leute in der Nacht. Aber ich weiß oft gar nicht, was die meisten von ihnen tagsüber machen. Das ist so eine Parallelwelt.”
Aber Robert weiß schon ganz genau, wovon er spricht. Denn sehr bald schon öffnet er mir die mit Graffiti besprühte Doppeltür zu dem Club, von dem ich vorher noch nie gehört hatte. Aber ab diesem Punkt kann man das Ganze auch schon wieder als Pop-Up-Store bezeichnen. Denn ab Mai ist hier Schluss. Schicht im Schacht. Die nächste Location, die zumachen muss. Doch für uns geht es jetzt erst mal Stempel abholen (ich bin Roberts +1), dann müssen wir zwei mächtige Orientteppiche zur Seite schieben, die hier grob als Zwischentüren fungieren, und schon sind wir in dunkelrotes Licht getaucht.
Der DJ, der hinter einem von Tigern gesäumten Pult steht, wird gleich mit einer Umarmung begrüßt. Das ist nämlich Frank, der den Laden hier betreibt und auch schon viel mit dem sagenumwobenen Club Antje Øklesund zu tun hatte. Die beiden kennen sich schon ewig. Der Typ, der gerade noch die Salzstangenschälchen befüllt und nun gerade beim Bierausschenken ist, klopft Robert auf die Schulter und brüllt ihm in Richtung Ohr: “Geh mal mittwochs ins Greenhouse. Da war ich die Woche und das ist richtig gut dort.” Solche Momente werden wir in dieser Nacht noch oft erleben.
Das Clubleben: eine verdammt exklusive Parallelwelt
Irgendwie kennt Robert echt alle. Als ich genau diesen Gedanken mit ihm teile, lacht er und erklärt mir dann: “Ich kenne zumindest viele Leute in der Nacht. Aber ich weiß zum Beispiel oft gar nicht, was die meisten von ihnen tagsüber machen. Das ist so eine Parallelwelt. Von mir denkt man ja auch oft, dass ich in der Musikindustrie arbeite. Wenn ich dann sage, dass ich als Forscher in einem Kernreaktor in Wannsee arbeite, dann glauben sie, das sei ein Scherz – so wie bei Homer Simpson, der ja auch in einem Kernkraftwerk arbeitet.”
Aber auch wenn er dank seiner Freunde oft umsonst durch die Läden tingeln kann, so hat auch das irgendwann seine Grenzen. Stichwort Türpolitik. Berlin lockt zwar immer mit den attraktivsten Clubangeboten, aufregend, neu – aber eben ziemlich exklusiv. Und manchmal hilft es nicht einmal, wenn man die richtigen Leute kennt. Davon kann Robert ein Lied singen. “Den bizarrsten Moment hatte ich bei einem Event von der Wilden Renate. Das war ein Ferienlager am Jugenddorf am Müggelsee. Vorher war das schon immer so eine 50:50-Chance, ob ich in die Wilde Renate reinkam oder nicht. Aber für die Veranstaltung hatte ich ein Ticket, also dachte ich, es würde kein Problem geben. Aber als ich dort ankam, wollten die Türsteher die Karte von mir zurückkaufen, weil ich angeblich nicht die richtige Zielgruppe sei. Sie haben mich gefragt, wer mir dieses Ticket verkauft habe, als wäre es ein Verbrechen. Ich bin dann natürlich gegangen. Diese Erfahrung war demütigend und peinlich.”
Auch bei anderen Clubs hat Robert schlechte Erfahrungen gemacht. Während er noch 2005 problemlos ins Berghain gehen konnte, wurde er schon zwei Jahre später immer öfter abgelehnt. “In der Bar 25 waren die Türsteher auch echt komisch zu mir. Die haben mir so was gesagt wie: ‘Ich habe ein schlechtes Gefühl bei dir, du kommst nicht rein.’ Insgesamt finde ich die Electroszene sehr selektiv. Die Clubs sind vor allem für junge, gut aussehende Leute und nicht für ältere, übergewichtige Leute wie mich da.”
Wenn du nicht reingelassen wirst, suche dir was Besseres!
Doch ein Trauerkloß ist Robert deshalb ganz und gar nicht. Vielleicht kommt ja da der Forscher in ihm durch. “Wenn man mich in den einen Laden nicht reinlässt, gucke ich mich eben nach einem anderen um”, erklärt er mir, während wir es uns auf dem Ledersofa im Amiga Club gemütlich machen. “Aber mein Interesse an Technoclubs hat schon abgenommen. So richtig clubben war ich das letzte Mal im vergangenen Jahr im Sisyphos, als Daniel Miller dort war. Da durfte ich auf die Gästeliste, weil ein guter Kumpel von mir mit Daniel Miller befreundet ist.”
Und so besucht er Stand-up-Comedy- und Karaoke-Abende, geht regelmäßig zum Fusion Festival und kauft sich auch mal ein Ticket für Depeche Mode, die im Juni im Olympiastadion spielen. Alles geheim und dadurch zu elitär zu halten, ist nichts für ihn. “Zurzeit mag ich das Beate Uwe sehr. Das ist in Mitte und noch ziemlich neu. Letztes Mal war ich da bei einem Italo-Disco-Abend.”
“Du musst es mal so sehen: Die Auswahl an Bands und DJs hat zuletzt immens zugelegt. Man hat so viel zu schauen in Berlin. Hier findet wirklich jeder was. Du also auch.”
Außerdem ist Robert Teil der Bands Bumblechum, Asraman sowie seit 2010 auch Mitglied des Berliner Pop Ensemble, das immer mal wieder unter der Leitung von Lyndsey Cockwell auftritt. Ein bisschen Comedy macht er obendrauf auch noch. Aber so richtig professionell will er nicht in das Musikbusiness einsteigen. “Das überlasse ich den Profis.” Einmal hätte er das Booking für ein paar befreundete Künstler übernommen, doch Geld wollte er dafür keines haben. “Eigentlich hatte ich doch nur Glück, gerade im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein.” Ich merke mir vor allem, dass er dieses Glück ziemlich oft zu haben scheint.
Berlin ist eine sichere Partystadt
Als ich mich so mit Robert unterhalte und nebenan Frühstück bei Tiffany als Stummfilm an die Wand gebeamt wird, merke ich gar nicht, wie rasant die Zeit vergeht. Der Film ist schneller vorbei als gedacht. Und ich habe mich mit Robert heißgeredet über seine Zeit in London und in Frankreich. “In Berlin fühle ich mich viel sicherer”, sagt er. Als er und sein Kumpel in London mal grundlos von zwei Typen mit Flaschen attackiert wurden, war das nur einer von vielen Vorfällen. In der deutschen Hauptstadt habe er so etwas noch nie erlebt. Und außerdem sei das Clubangebot auch um einiges vielfältiger. In Frankreich hätte es dagegen gar nichts gegeben. Hier würde jeder etwas finden – “vor allem sein Glück”, schließt Robert an.
Beim Gespräch mit Robert stelle ich fest: Berlin hat mich mittlerweile komplett zynisch gemacht. Also fällt mir zu so einem Wort wie Glück nur eins ein: Drogen. Und zwar viele. Aber da zuckt Robert nur mit den Schultern. Er selbst würde keine nehmen. “Ich bin Hypochonder und sorge mich die ganze Zeit um meine Gesundheit, da kann ich keine Drogen nehmen.” Außerdem habe er vor Jahren das Trinken aufgegeben. “Das hat mich nur deprimiert.” Na dann.
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Abstürze hat er dennoch einige gesehen. Der Golden Gate Club sei dafür eine gute Anlaufstelle. Aber so richtig will er nicht mit mir darüber sprechen. Denn wenn man eine Sache über Robert wissen muss, dann die, dass er ein absolut netter Mensch ist. So durch und durch. Er will niemandem etwas Schlechtes, bleibt stets optimistisch und positiv. Auf einmal kann ich mir umso besser vorstellen, wie er ständig neue Freunde macht. Es bleibt mir nur ein Rätsel, wie er es beim ganzen Socializen schafft, um 1 Uhr nachts in seinem Bett zu sein. Allein als wir uns für unser Gespräch auf dem Sofa in einer Ecke zurückgezogen haben, kommen drei Leute vorbei, die Robert euphorisch begrüßen und ihn ebenfalls in ein Gespräch verwickeln wollen.
How to: “Ausgehen wie Robert”
Aber wenn er nicht so auf die Zeit gucken würde, wäre er wahrscheinlich nicht seit rund zwölf Jahren jeden Abend so fit in allen Clubs der Stadt unterwegs. Wenn er mir erzählt, wie sehr er das Haus am Köllnischen Park oder auch die [f.u.c.] Villa vermisst, fühle ich das total mit. Wenn einer meiner Lieblingsclubs nicht mehr offen ist, werde ich immer erst einmal extrem ausgehfaul. Neue Locations checken? Eher nicht. Man weiß ja gar nicht, wie die Türsteher drauf sind, wie es preislich da aussieht und ob mir der Musikmix überhaupt zusagt.
Aber bei Robert ist das nicht so. Anhand meiner Fragen hat er schon längst gemerkt, dass ich eine große Skeptikerin bin. Als ich ihn zu den Klängen von The Cure verabschiede, umarmen wir uns. Und dabei gibt er mir noch ein letztes Mal Tipps mit auf den Weg. “Du musst es mal so sehen: Die Auswahl an Bands und DJs hat zuletzt immens zugelegt. Man hat so viel zu schauen in Berlin. Hier findet wirklich jeder was. Du also auch. Das einzige Problem ist, dass mehr Venues schließen als öffnen. Aber dafür gibt es ja genügend coole, inoffizielle Clubnächte. Und du musst dich nur trauen mehr Neues auszuprobieren!”
Er sagt, ich solle den Maze Club testen, da würde er auch demnächst mal wieder vorbeischauen. Seinen überbordenden Enthusiasmus schätze ich. Das muss ich mitnehmen und auch in meinen Alltag mehr integrieren, denke ich mir. Denn auch wenn Robert öfter mal an Türen abgewiesen wurde und mit seinem Full-Time-Job gut ausgelastet ist, so hört er doch nicht auf nach interessanten Menschen, der nächsten aufregenden Location und seiner nächsten neuen Lieblingsmusik Ausschau zu halten.