Dieser Sprayer hat den Streik der Berliner Öffentlichen perfekt genutzt

Ein Tag des im Artikel interviewten Sprayers, auf einer U-Bahn (naturalemente)

Für die einen war es nervig, für die anderen ein notwendiges Übel: Der Streik der BVG-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter am Montag, der für einen Tag sämtliche U-Bahnen, Straßenbahnen und Dutzende Busse in Berlin lahmgelegt hat.

Es gab allerdings eine Gruppe, für die es ein Geschenk des Himmels war, dass Dutzende U-Bahn-Züge plötzlich mehr oder weniger unbewacht stundenlang in der Gegend herumstanden: U-Bahn-Sprayer.

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Und die haben am Montag dann auch ordentlich zugeschlagen: Auf insgesamt 140 Wagen haben Sprayer an diesem einzigen Tag ganze 2.000 Quadratmeter Graffiti hinterlassen. Die BVG klagt über die “massiven” Schäden, die am Dienstag weitere Verspätungen verursacht haben, weil auch Signalanlagen übersprüht wurden.

Wer macht sowas? Julian* zum Beispiel. Der Writer mit dem Namen “Revolte” hat am Montag auch einen kompletten Wagen angemalt. Wir haben ihn gefragt, warum – und dabei erfahren, dass er den BVG-Streik nicht nur unterstützt, weil er dabei leichter sprayen kann.

Ein weiterer Tag von

VICE: Warum hattest du als Sprayer Spaß am BVG-Streik?
Julian: Das ist ja relativ logisch. Alle U-Bahnen stehen rum. Du hast eine große Auswahl von Spots, an denen du malen kannst. Auch tagsüber. Normalerweise ist es am einfachsten zwischen 1:30 und 4 Uhr, wenn die U-Bahnen nicht fahren. Da will ich ja auch ab und zu schlafen. Wenn ich tagsüber die Möglichkeit habe, eine U-Bahn anzumalen, nutze ich das natürlich aus. Geil ist auch die Euphorie rund um den Streik. Man spricht sich mit anderen Sprayern ab, wer wann wohin geht. Es gibt einen kleinen Wettbewerb.

Kommt man sich nicht in die Quere, wenn plötzlich alle am selben Tag in die Schächte klettern, um U-Bahnen anzumalen?
Klar. Aber ich versuche dort zu sprühen, wo möglichst wenige andere Leute sprühen. Weil ich dann Platz habe. Und weil die U-Bahn-Soko einen weniger ins Fadenkreuz nimmt. Bei einem Streik setzt das aber aus, weil mehr gemalt wird als sonst. Aber ich habe kein Problem damit, wenn noch andere Sprayer da sind. Es ist schön, auf diese Art Leute kennenzulernen.

Sind BVG-Mitarbeitende deine Gegenspieler?
Schon. Der Wachschutz muss auf die Züge aufpassen. Er wird dafür bezahlt, dafür zu sorgen, dass sie nicht bemalt werden. Darauf muss ich mich einstellen, muss gucken, wo die sind. Beim Streik müssen wir sie zum Beispiel abpassen, wenn sie gerade Mittagspause machen, und können dann in den Schacht.

“Man müsste die Züge nicht säubern, aber die BVG macht es.”

Hattest du schon mal Ärger?
Ich nie, aber viele Freunde von mir. Einige wurden von WISAGs (Wachschutz der BVG, Anm. d. Red.) umgetacklet oder festgesetzt. Oder sie hatten Probleme mit der Soko Graffiti, das sind Zivilfahnder. Es passiert natürlich, dass ich beim Malen mal von einem U-Bahn-Fahrer gesehen werde und dann abbrechen muss, oder dass der Wachschutz reinkommt. Aber konfrontativ war das bei mir nie.

Ist das nicht auch gefährlich?
Das Gefährlichste ist das Malen auf der Straße, weil so viel Unvorhergesehenes passieren kann. Ein Risiko ist immer dabei. Es gibt verschiedene Gründe dafür, das einzugehen. Es geht um den Nervenkitzel, man spielt mit dem Adrenalin. Man ist lebendig und nicht im grauen Alltagstrott.


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Die BVG nennt das, was du machst, Sachbeschädigung. Was sagst du dazu?
Es ist ja nur ein bisschen Farbe. Und man zaubert damit einer bestimmten Gruppe von Leuten ein Lächeln ins Gesicht. Natürlich entstehen durch Graffiti Reinigungskosten, und natürlich will die BVG die niedrig halten. Aber: Man müsste die Züge nicht säubern, aber die BVG macht es. Das verursacht eben Kosten.

Aber gerade hat die BVG sowieso Probleme mit defekten Zügen, sie kommen mit den Wartungsarbeiten nicht hinterher. Darum sieht man mehr Graffiti. Ich hoffe, dass es noch dauern wird, bis sie auf allen Linien neue, hässliche, sterile Züge fahren lassen.

Eine mit den Streikenden solidarische Botschaft, auf einer U-Bahn

Trotzdem solidarisiert du dich mit den streikenden BVG-Mitarbeitenden. Warum?
Fahrerinnen und Fahrer von der BVG verdienen 600 bis 900 Euro weniger als ihre Kolleginnen und Kollegen von der S-Bahn. Das empfinde ich als Ungerechtigkeit. Darum solidarisiere ich mich mit den Leuten. Ich solidarisiere mich in meinen Graffiti auch mit Leuten, die in der Gesellschaft strukturell benachteiligt sind. Durch die Sprüche versuche ich, die Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken. Auch von Leuten, die sich damit sonst vielleicht nicht beschäftigen. Ich spiele damit auf eine witzige Art und Weise.

“Leute sollen durch die Sprüche motiviert oder darin bestärkt werden, sich politisch zu engagieren.”

Wie kam es überhaupt zu den Polit-Sprüchen?
Ich sprühe seit 2002. Gleichzeitig bin ich politisch sehr engagiert und habe das einfach verbunden. Zum einen das Sprühen von Buchstaben mit mehr oder weniger ästhetischem Anspruch, zum anderen politische Messages.

Hast du schon mal positive Reaktionen von BVG-Mitarbeitern bekommen?
Einmal wollte ich in einer U-Bahn-Station malen. Ein BVG-Mitarbeiter hat uns gesehen, bevor wir angefangen haben, und sehr positiv reagiert. Er hat uns auf Graffiti von uns in anderen U-Bahn-Stationen angesprochen und gesagt, dass er sich freut, dass mal etwas bunte Abwechslung in den Alltag kommt. Es gibt wohl auch Mitarbeiter, die Fotos von Graffiti sammeln. Natürlich ist es ihre Aufgabe, Graffiti zu verhindern. Aber wenn es trotzdem passiert, wofür sie nichts können, freuen sich einige Mitarbeiter auch darüber.

Noch ein Tag von

Inwiefern ist Graffiti ein guter Weg, um sich politisch zu äußern?
Es geht bei Graffiti darum, gesehen zu werden. Ich male bewusst im öffentlichen Raum, wähle Stellen aus, die schwer zu erreichen sind und von viele Leuten gesehen werden. Wenn ich meinen Namen male, versuche ich einen kleinen Spruch dazu zu schreiben, über den sich die Leute freuen. Leute sollen durch die Sprüche motiviert oder darin bestärkt werden, sich politisch zu engagieren.

Funktioniert das?
Ja, ich habe schon viel positives Feedback bekommen. Vor allem für die Sprüche, die ich mit Farbrolle vom Dach herunter an Wände gemalt habe. Die sieht fast jeder, der daran vorbeiläuft, weil sie lange stehen bleiben und auffällig sind. Darauf gab’s viel Feedback. Artikel in Zeitungen und Magazinen wurden sogar mit Bildern von den Rollersprüchen illustriert, die sich mit Gentrifzierung, steigenden Mieten und Verdrängung beschäftigen. Natürlich ist ein kleiner Spruch nicht weltbewegend. Aber ich glaube, dass es den allgemeinen Diskurs verstärkt und unterstützt.

*Name – aus offensichtlichen Gründen – von der Redaktion geändert.

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