2018 wagte der italienische Konditor Nicolas Gentile einen radikalen Schritt: Er nahm seine gesamten Ersparnisse, sagte Tschüss zu seinem langweiligen Kleinstadtleben und kaufte sich ein Stück Land in der kleinen Gemeinde Bucchianico in den Abruzzen mitten in Italien.
Als großer Herr der Ringe–Fan wollte sich Gentile auf dem Stück Land ein gemütliches Zuhause für sich, seine Frau und die beiden Kinder bauen, um wie die Hobbits aus J. R. R. Tolkiens Fantasiewelt im Einklang mit der Natur zu leben. Aber nachdem er eine große Hobbit-Party auf seinem Grundstück geschmissen hatte, wurde sich Gentile seiner Bestimmung klar: Er beschloss, auf seinen Wiesen ein richtiges Hobbitdorf zu bauen und gleichgesinnte Gäste aus der ganzen Welt willkommen zu heißen.
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Sein Projekt mit dem Namen “Contea Gentile” – auf Deutsch so viel wie “Netter Bezirk”, eine Anspielung auf Nicolas’ Nachnamen und Lebensphilosophie – hat bei Instagram, Facebook und Twitch inzwischen mehrere Hunderttausend Followerinnen und Follower. Um die Werbetrommel noch weiter zu rühren, versammelte Gentile eine Gruppe Gefährten und begab sich auf einen 280 Kilometer langen Fußmarsch, um ganz im Frodo-Stil einen Ring in den berühmten italienischen Vulkan Vesuv zu werfen.
Mit dieser Aktion landete Gentile in den internationalen Schlagzeilen und sogar in der Late-Night-Show von Stephen Colbert. Der Italiener nahm zudem Kontakt zu Elijah Wood, Billy Boyd und Sean Astin auf – den drei Schauspielern, die in den Herr der Ringe-Filmen Hobbits gespielt haben –, um noch mehr Aufmerksamkeit auf sein ambitioniertes Projekt zu lenken. Das Dorf soll im Sommer 2022 fertig sein, insgesamt 1,6 Millionen Euro kosten und als Bed and Breakfast mit DIY-Charakter betrieben werden.
Derzeit beheimatet Gentiles Version des Auenlands nur einen 20 Quadratmeter großen Hobbithaus-Prototypen, weil die Crowdfunding-Kampagne für den Rest des Projekts erst angelaufen ist. Wir haben mit dem 37-Jährigen über sein außergewöhnliches Leben als Hobbit gesprochen.
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VICE: Wie hat das “Contea Gentile”-Projekt angefangen?
Nicolas Gentile: Ganz ehrlich, ich wollte schon immer in einem Hobbithaus leben. Aber mein Traum rückte erst dann in greifbare Nähe, als ich das Stück Land in den Bergen der Abruzzen mit dem kleinen Bach und den ganzen Wäldern drumherum kaufte.
Wie wird das Ganze aussehen, wenn es fertig ist?
Es wird viele Wanderpfade, Gemüsegärten und Ställe für die Tiere geben, sowie ein ungefähr 350 bis 400 Quadratmeter großes Hobbithaus im Stil von Bilbo Beutlins Zuhause und vier kleinere, rund 50 Quadratmeter große Hütten. Die werden sich halb unter der Erde befinden und auch runde Türen und Fenster haben.
Der Bau wird zu 100 Prozent umweltfreundlich ablaufen. Ich könnte die Häuser auch aus Beton bauen, das würde niemandem auffallen, sie sind ja mit Erde bedeckt. Das wäre aber nicht im Sinne des Projekts. Außerdem glaube ich, dass uns der umweltfreundliche Ansatz bei unserem Crowdfunding-Ziel doch sehr hilft.
Was hält deine Familie von deinem Projekt?
Meine Eltern hielten meine Leidenschaft anfangs noch für ein normales Hobby. Mit der Zeit merkten sie aber, wie ernst mir das Ganze ist. Meine Frau steht voll und ganz hinter dem Projekt, sie ist die treibende Kraft. Meine Kinder sind jetzt acht und elf, sie wissen schon lange, dass wir eines Tages in unser Auenland ziehen werden. Unsere Begeisterung für die Hobbitwelt ist also eine richtige Familienangelegenheit.
Woher bekommst du deine Hobbitoutfits?
Die meisten haben meine Mutter und meine Tante geschneidert. Den Rest habe ich auf Cosplay-Websites bestellt, man findet sie aber auch bei Amazon. Insgesamt hängen in meinem Kleiderschrank mehr Hobbitklamotten als normale Anziehsachen. Die normale Kleidung trage ich ja auch nur bei der Arbeit, ansonsten ziehe ich mich so oft wie möglich wie ein Hobbit an.
Was begeistert dich so an J. R. R. Tolkiens Fantasiewelt?
In Der Hobbit: Eine unerwartete Reise gibt es ein wunderschönes Zitat von Gandalf, meiner Lieblingsfigur. Er sagt, dass nicht große Taten und Helden die Welt veränderten, sondern kleine Taten aus Güte und Liebe.
Wenn wir alle im Alltag netter zueinander wären, würden sich unsere kleinen Welten sofort zum Besseren verändern. Für mich geht es bei meinem Auenland nicht darum, Hobbithäuser zu bauen, sondern darum, dass Menschen hierher kommen, die die gleichen Ansichten haben wie ich. Ich will hier Leute mit einem unbekümmerten Herzen zusammenbringen, vielleicht können wir uns dann als Gruppe für etwas Größeres einsetzen.
Soll dein Hobbitdorf langfristig gesehen wie eine permanente Kommune aufgezogen werden?
Nein, ich will lieber eine Community, die auf der ganzen Welt verteilt ist. Jeder ist dazu eingeladen, für ein paar Tage hier im Auenland zu bleiben, aber es wird nicht möglich sein, dauerhaft einziehen. Es soll ja jeder die Möglichkeit bekommen, hier mitzumachen. Ich habe schon sehr reizvolle Angebote von Leuten erhalten, die einen Teil meines Landes kaufen wollen, aber das würde den Charakter meines Projekts verändern. Deswegen habe ich abgelehnt.
Wir bieten unseren Gästen täglich zweimal Frühstück an, weil Hobbits gerne mehrmals am Tag frühstücken. Das Frühstück richten wir natürlich nur mit lokalen Produkten an. Uns wurde auch schon nahegelegt, Herr der Ringe-Merchandise zu verkaufen. Aber wenn wir irgendetwas verkaufen, dann nur unsere selbst hergestellten Produkte – etwa Honig, Pfeifentabak, Marmelade und so weiter. Hauptsache keine T-Shirts und Schmuck.
Es gibt ja noch andere Hobbitdörfer auf der Welt. Hast du dich von denen inspirieren lassen?
Ich kenne natürlich das Dorf in Matamata, Neuseeland. Das ist das schönste Auenland von allen, aber auch das unnatürlichste [dort befindet sich das Filmset, das inzwischen eine reine Touristenattraktion mit Führungen geworden ist; Anm. d. Red.]. Und andere Auenländer wie etwa in Nordamerika sind nur normale Bed and Breakfasts mit einem Herr der Ringe-Anstrich.
Ich hingegen will eine authentische Erfahrung schaffen, bei der die Gäste selbst mit anpacken, das Land bestellen, sich um die Tiere kümmern und lange Spaziergänge im Wald unternehmen. Wir haben hier schließlich immer schon wie Hobbits gelebt. Und unsere zukünftigen Gäste werden das merken, sobald sie das Auenland wieder verlassen und die umliegenden Farmen sehen.
Was hatte es mit deiner Wanderung zum Vesuv auf sich?
Natürlich war unsere nachgestellte Reise durch Mittelerde auch dazu da, um auf mein Hobbitprojekt aufmerksam zu machen. Gleichzeitig hatte vor uns noch nie jemand so etwas gemacht: eine Wanderung von einem echten Auenland zu einem echten Vulkan.
Ich startete einen Aufruf bei Instagram, über 300 Leute meldeten sich und wollten Teil der Gefährten sein. Zum Glück fanden wir die passenden Mitstreiter. Der Typ, der Gandalf spielte, kennt zum Beispiel jedes Werk von Tolkien auswendig und wurde so zu unserem Geschichtenerzähler. Und der Typ, der uns als Pippin begleitete, schrieb für unsere Reise wunderschöne Lieder.
Während der Wanderung mussten wir auch einige Hindernisse überwinden. Wir irrten etwa stundenlang durch die Wälder der Region Molise, weil wir uns verlaufen hatten. Und als wir in Pompeji ankamen, mussten wir zuerst mit einem Mitarbeiter abklären, ob wir das Gelände überhaupt betreten dürfen. Denn Leuten in Kostümen ist es normalerweise nicht erlaubt, sich in archäologischen Fundstätten aufzuhalten.