Dieser Typ hat wissenschaftlich untersucht, was deutsche HipHopper über die Polizei rappen

“Du bist Räuber? Polizei ist Gendarm!” – mit der Formel hat Jan Böhmermann aka Pol1z1stens0hn in seinem Satire-Track “Ich hab Polizei” das Verhältnis der meisten deutschen Gangster-Rapper zur Polizei ganz gut auf den Punkt gebracht.

Denn auch wenn sie es nie zugeben würden – Rapper brauchen die Polizei viel mehr, als sie je zugeben würden. “In jedem Krimi braucht der Protagonist einen Antagonisten, und das ist im Rap eben oft die Polizei”, sagt Christian Wickert. Er muss es wissen, er hat das nämlich studiert.

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Wickert ist Professor für Kriminologie an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW – und unterrichtet dort vor allem auch angehende Polizistinnen und Polizisten. Irgendwann fing er an, sich für das Thema “Polizei im Deutschrap” zu interessieren. Also lud er sich die Songtexte von 3.363 Liedern aus den HipHop-Charts aus fast zwei Jahren (2015/16) herunter und durchforstete sie nach Erwähnungen der Polizei. Dabei hat er zuerst herausgefunden, dass die Polizei ziemlich oft auftaucht – dazu aber noch eine ganze Menge mehr.

Christian Wickert | Foto: privat

VICE: Hören Sie selbst Rap?
Christian Wickert: Ja, aber eher so aus den 90ern, muss ich zugeben. Das von heute ist nicht mehr so meine Musik.

Sie haben sich durch Tausende deutsche Rap-Lieder gewühlt. Was haben Sie herausgefunden?
Ich war überrascht, wie häufig die Polizei in deutschen Rap-Texten auftaucht. Das hat sicher damit zu tun, dass Gangster-Rap mittlerweile so beliebt ist, aber auch andere Rapper erwähnen oft die Polizei. Außerdem sieht man, dass Polizisten meistens als “Bullen” auftauchen. Damit ist ziemlich klar, dass die Polizei meist negativ gesehen wird.

Macht es Ihre Polizeischülerinnen traurig, dass sie im Rap immer so schlecht wegkommen?
Ich glaube, wenn man sich auf den Job einlässt, dann ist klar, dass man nicht jedermanns Freund ist. Den Spruch “Kein Mensch muss Bulle werden”, den kennen Polizisten ja auch. Ich habe zu dem Thema auch schon auf Polizeikonferenzen gesprochen und dort die härtesten Texte vor Polizisten vorgespielt. Klar gibt es immer ein, zwei, die empört sind, aber das sind eher die älteren Semester, die das zum ersten Mal hören. Die Jüngeren können auch ganz gut einordnen, was Show und was Ernst ist. Die sind nicht immer gleich beleidigt.


Angeblich auch ein Rapper: Lil Skies


Warum ist die Polizei für Rapper so wichtig?
Das hat wie gesagt mit dem Gangster-Rap zu tun. Ist ja auch klar: In jedem Krimi braucht der Protagonist einen Antagonisten, und das ist im Rap eben oft die Polizei. Das ist wichtig, um die eigene Authentizität hervorzuheben. Um zu sagen: Ich bin wirklich ein Gangster, ich habe viel mit der Polizei zu tun.

Ah verfickt ist die Lage, wenn Blaulicht dich jagt
Das gehört dazu, wenn du Tausender machst
Berufsrisiko, Tijara, Weed und Koks
Auf der Straße geht es um Gewinnmaximierung
Party am Block – Blaulicht
Ghettoblock Disco, tanzen mit der Kripo, trau dich Blaulicht
Auf der Straße leuchtet alles in Blaulicht

Hanybal, “Blaulicht 2”

Manchmal wird sie auch herangezogen, um zu beweisen, wie gefährlich ein Ort ist. Nach dem Motto “Ich komme aus Tempelhof, hier hängen die harten Kerle rum, hier ist jeden Abend Blaulicht”.

Und dann gibt es noch eine stärkere Stufe, wo die staatliche Autorität in Zweifel gezogen wird. Alles, was so in Richtung arabische Großfamilien und Clan-Kriminalität geht: Man untermauert die eigene Stärke und Männlichkeit dadurch, dass man auf eine Gang zurückgreifen kann, die einem den Rücken stärkt. Und die nimmt das Recht in ihre eigene Hand, die Polizei hat da nichts zu suchen.

Kann man eigentlich an der Art und Weise, wie ein Rapper über die Polizei spricht, erkennen, ob er wirklich schon was mit ihr zu tun hatte?
Klar wirkt ein Gzuz jetzt authentischer als ein Cro. Und dann gibt es Leute wie Fler, die ihr Vorstrafenregister auf Facebook posten, wie eine Art Hilfeschrei um Authentizität. So richtige HipHop-Heads können das sicher auch innerhalb der Gangster-Rapper beurteilen.

“Keine Liebe für die 110 / Nie wieder Knien für die 110 / Nie wieder Fliehn vor der 110 / Zünd’ das Benzin an für die 110” – Takt32, “110”

Ich selbst finde es schwierig – aber ich glaube, dass es letztendlich auch egal ist. Wenn die Erzählung authentisch wirkt, dann reicht das, ohne dass ich als Hörer weiß, wie viel Wahrheit dahintersteckt. Es gibt ja auch in Amerika Beispiele wie Rick Ross, der sich nach einem Crackdealer benannt hat, bei dem dann aber herauskam, dass er Kriminologie studiert und als Vollzugsbeamter im Knast gearbeitet hat. Das hat seiner Popularität letztendlich aber nicht geschadet, weil er weiß, wie er sich als Gangster präsentieren muss.

War das Lied “CopKKKilla” von Haftbefehl außergewöhnlich, weil es so direkt und aggressiv gegen die Polizei gerichtet war?
Das ist tatsächlich eines meiner Lieblingsbeispiele, weil es auf so vielen Ebenen funktioniert. Ich kann es einfach als Lied von Haftbefehl hören. Aber ich kann es auch als Referenz auf die amerikanische Diskussion verstehen: Allein mit dem Albumcover fasst Haftbefehl ja das berühmte Cover von Boogie Down Productions für ihr Album “By All Means Necessary” auf – und das war wiederum ein Rückgriff auf ein berühmtes Foto von Malcolm X, der kurz vor seinem Tod mit einem Maschinengewehr am Fenster fotografiert wurde.

Aber nimmt sich Haftbefehl da nicht ein bisschen viel heraus, sein Lied in eine Tradition mit Malcolm X zu stellen? Sind die Erfahrungen wirklich vergleichbar?
Natürlich kann Haftbefehl sich nicht mit Malcolm X und seine Jugend nicht mit dem Los Angeles der 80er und 90er vergleichen. Auf der anderen Seite kann ich von meinem Bürostuhl jetzt auch nicht beurteilen, was Haftbefehl als junger Türke in Frankfurt bei Polizeikontrollen wirklich erlebt hat.

Zu oft wurden wir unterdrückt und vom Schäferhund gebissen
Schon als Jugendlicher schlugen sie in mein Gesicht
Handschellen häng’ an unser’n Handgelenken, Blutergüsse
Und sie prügeln auf uns ein mit dem Knüppel
Tritte in die Rippen, Pfefferspray 100 Milliliter
Vor den Augen von den Zivilisten mitten in der City
Bleihandschuhe als Verhütungsmittel für die Faust
Uns’re Knochen sind geprellt, beide Augen blau

Haftbefehl, “CopKKKilla”

Man sieht auf jeden Fall, wie geschickt er im Text immer wieder von der persönlichen Erzählung auf einmal auf ein ‘Wir’ übergeht. Er stellt damit seine eigenen Ungerechtigkeitserfahrungen in den Kontext einer größeren Erfahrung. Deutsche HipHop-Texte sind ja auch Teil eines globalen Diskurses. Deshalb spielt es keine Rolle, ob ich einen Liedtext über Polizeiübergriffe in London, Paris oder New York höre – die werden alle zum Bestandteil einer großen Erzählung: die böse Polizei gegen die armen Jugendlichen. Da ist es dann zweitrangig, ob man nachweisen kann, ob ein Haftbefehl wirklich von der Polizei zu Unrecht geschlagen wurde. Das ist für ihn relevant, aber für den Hörer nicht.

Glauben Sie, dass das die Hörer und Hörerinnen beeinflußt?
Ja, denn das Ansehen der Polizei wird ja ganz maßgeblich medial geprägt: Wenn man sich überlegt, wie viele Polizeikontakte der normale Bundesbürger hat, dann sind das vielleicht drei oder vier im Leben. Sehr viel mehr erfährt er über Polizisten aus dem Tatort, aus Doku-Soaps – und vielleicht auch durch HipHop-Texte. Und wenn ich da ausschließlich negative Sachen höre, hat das auch Auswirkungen. Die Polizei ist ja ein Rollenträger. Das heißt, man sieht die Leute nicht als Individuen, sondern nur über ihre Funktion. Das spiegelt sich auch in HipHop-Texten wider: Das Fehlverhalten einzelner Polizisten wird sofort generalisiert. Und da diese Rapper sehr große Reichweiten haben, hat die deutsche Polizei da möglicherweise ein Problem.

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